»Wir sind ein kleiner verrückter Haufen«

Seit 25 Jahren unterstützt der Sozialhilfeverein Tacheles Erwerblose - Gespräch über ein Engagement, das sich selbst überflüssig machen will.

Harald Thomé (Jg. 1962) hat den Verein Tacheles als Interessenvertretung von Arbeitslosen und materiell benachteiligten Menschen in Wuppertal gegründet. Der Verein ist inzwischen überregional bekannt. Die Homepage verzeichnet ca. 4,5 Millionen Zugriffe im Monat. Peter Nowak sprach mit dem Vereinsvorsitzenden.

Sie haben den Verein Tacheles gegründet. Was war Ihre Motivation?

Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles wurde vor 25 Jahren, am 24. Februar 1994, als Reaktion auf die rassistischen Brandanschläge von Solingen und Mölln gegründet. Solingen ist Nachbarstadt von Wuppertal und wir haben damals an meinem Küchentisch überlegt, was man gegen diese rassistische Mobilisierung und gegen Nazis machen kann. Im Ergebnis stand das Projekt Tacheles als Interessenvertretung von Arbeitslosen und materiell benachteiligten Menschen. Unser Ziel war und ist es, mit Rat und Tat Betroffenen zur Seite zu stehen, sozialpolitische Höflichkeit zu betreiben und so mit praktischer und guter Arbeit zu überzeugen.

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Der Zusammenhang von Alltag und Protest

Wenn von armen Leuten die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid mit. Doch, wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel gibt „Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen“ knüpft er an eine Debatte über die Poor Peoples Movements an. Es sind soziale Bewegung von Menschen, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen.

In einem eigenen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der auch von linken Wissenschaftler_innen vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage sind, sich politisch zu artikulieren.

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Wann dürfen Telefonnummern von Jobcenter-Mitarbeitern veröffentlicht werden?

Das Ende einer Telefonliste

DATENSCHUTZ Bis vor Kurzem konnten Erwerbslose die Durchwahlen ihrer SachbearbeiterInnen im Jobcenter über das Wiki der Piratenpartei recherchieren. Damit könnte jetzt Schluss sein

Viele Erwerbslose kennen das Problem. Sie können ihre SachbearbeiterInnen im Jobcenter telefonisch in einer dringenden Angelegenheit nicht erreichen, weil die Telefonnummer fehlt. In der Jobcenter-Zentrale werden sie nicht weitergeleitet. Bis letzte Woche konnten sie über das Wiki der Piratenpartei die Telefonnummern der JobcentermitarbeiterInnen erfahren. Seit dem 10. Februar ist die Liste „aufgrund der Anordnung AZ 591.327.1 des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit“ gelöscht worden, heißt es auf www.wiki.piratenpartei.de/Telefonlisten_Jobcenter.

„Diese Mitteilung ist falsch. Es gab von unserer Behörde noch keine Anordnung“, erklärte der Pressesprecher des Berliner Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit Joachim-Martin Mehlitz gegenüber der taz. Seine Behörde habe allerdings die Piraten in einem Anschreiben darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung der Telefonnummern ein Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen sein könnte. Die in dem Wiki genannte Kennung sei das Aktenzeichen des Briefes. Die Pressesprecherin der Piratenpartei, Anita Möllering, bestätigte gegenüber der taz diese Version. „Der Eintrag im Wiki wurde missverständlich formuliert.“

Joachim-Martin Mehlitz betonte, es sei durchaus möglich, die Jobcenter-Daten zu veröffentlichen, wenn sie im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes ermittelt wurden. Es bestehe aber der Verdacht, dass die Telefonlisten auf dem Piraten-Wiki illegal in den Besitz der Piratenpartei gelangt seien. „Es handelt sich damit durchaus um Informationen, die im Rahmen von IFG-Anfragen in Erfahrung gebracht wurden“, widerspricht hingegen Piratensprecherin Möllering.

Die Telefonlisten seien ursprünglich von Harald Thomé vom Wuppertaler Erwerbslosenverein Tacheles über IFG-Anfragen ermittelt worden. Nachdem Thomé das Projekt aufgrund von Klagen und der Androhung von Geldstrafen aufgegeben hat, sei es 2014 übernommen worden. „Die Piratenpartei setzt das Behördentransparenzprojekt mit den Jobcentertelefonlisten fort“, bestätigte Thomé. Diesen Sachverhalt werde die Piratenpartei demnächst in einer Stellungnahme zum Schreiben des Datenschutzbeauftragten, die zurzeit erarbeitet wird, klarstellen.

„Die Telefonliste wird nicht dauerhaft abgeschaltet“, betont Möllering. Gerade im Zuge der Verschärfungen des ALG II und seiner Anwendungen sei die Telefonliste notwendig. Dies würden auch Erwerbslose betonen, die die Telefonliste regelmäßig genutzt hätten.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2015%2F02%2F18%2Fa0143&cHash=fdbdaafc82377d6f47a24c1fbcc2eaf2

Peter Nowak

»Zahltag« vor Jobcenter untersagt

Erwerbsloseninitiativen wollen trotzdem in Wuppertal protestieren

Erstmals hat die Polizei eine Protestaktion von Erwerbslosen vor einem Jobcenter untersagt. Doch diese wehren sich dagegen.

»Wir wollen soziale Rechte in den Jobcentern erkämpfen und Sonderrechtszonen für Erwerbslose verhindern«, heißt es im Aufruf zu einer Protestaktion am 1. September vor dem Jobcenter in Wuppertal-Oberbarmen. Am »Zahltag«, dem ersten Werktag im Monat, wird seit der Umsetzung der Agenda 2010 traditionell demonstriert. »Viele kommen zur Behörde, weil ihr Arbeitslosengeld II gar nicht oder nicht in der erwarteten Höhe auf das Konto überwiesen wurde. Sie fordern eine sofortige Auszahlung, um ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Miete zahlen zu können«, erklärt Harald Thomé von der Erwerbsloseninitiative Tacheles. Diese hat in den vergangenen Jahren häufig zu »Zahltagen« aufgerufen. In Wuppertal will man darauf aufmerksam machen, dass hier Unterkunftskosten für Erwerbslose zu niedrig bemessen werden, was Sozialgerichte häufig korrigieren.

Nun wurde die Veranstaltung unmittelbar vor dem Jobcenter untersagt. Für Thomé ist dies eine Konsequenz aus der zunehmenden Privatisierung hoheitlicher Aufgaben. Das Wuppertaler Jobcenter befinde sich auf einem Privatgelände, der Eigentümer wünsche keine Proteste vor der Tür. Die Erwerbslosen müssten ihre Aktion ca. 50 Meter entfernt auf öffentliches Straßenland verlegen. Die Erwerbslosenaktivisten sehen darin eine Beeinträchtigung ihres Protestes, denn es werde schwieriger, die Betroffenen anzusprechen.

»Wir wollen uns das Recht, vor dem Jobcenter zu protestieren, nicht nehmen lassen«, betont Thomé. Man wolle per Eilantrag das Verbot kippen. Sollte das keinen Erfolg haben, werde der Gang durch alle Instanzen angetreten. Thomé verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2005, wonach auf dem privaten Gelände eines Flughafens Proteste gegen die Abschiebung von Flüchtlingen möglich sein müssten, weil dort hoheitliche Tätigkeiten vollzogen werden. Auch vor einem Jobcenter müsse deshalb Protest möglich sein, meinen die Erwerbslosengruppen, die sich am kommenden Montag beteiligen wollen. Sollten sie bis dahin keinen juristischen Erfolg haben, würden sie sich trotzdem vor dem Jobcenter versammeln und das »spontane Versammlungsrecht« wahrnehmen, kündigte ein Erwerbsloser an, der namentlich nicht genannt werden wollte.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943772.zahltag-vor-jobcenter-untersagt.html

Peter Nowak

Tacheles kontra BMW-Guggenheim-Lab?

Während ein bei Touristen beliebter Ort der Berliner Subkultur in Mitte geräumt wurde, reißt die Aufregung über die Ortsverlagerung eines von BMW gesponsertem Lab nicht ab

Das Berliner Kunsthaus Tacheles ist in Berlin-Mitte ist längst zum angesagten Touristenmagneten geworden. Dort konnte man bisher die Relikte der Nach-Wende-Subkultur bestaunen. In den letzten Jahren wurde der Spielraum für die Künstler immer enger. Die Grundstücke in der Nähe des Regierungsviertels sind profitabel und daher muss die Subkultur weichen. Viele Künstler und Betreiber wurden mit hohen Geldsummen herausgekauft, den Verbliebenen droht jetzt die Zwangsräumung. Bei einer Versiegelung des Eingangs gab es Rangeleien zwischen Nutzern und Freunden des Tacheles und der Polizei.

Heftige Kritik äußerte der Berufsverband Bildender Künstler in Berlin (http://www.bbk-berlin.de) in einer Pressemitteilung: „Uniformierte Sicherheitsleute, die Künstler in den Schwitzkasten nehmen, Absperrgitter und Passierscheine: das sind Bilder vom Umgang mit Kunst und Künstlern, wie wir sie aus autoritären Regimes, aus Moskau oder aus Peking kennen. Sie kommen aber mitten aus der Kunstmetropole Berlin, sie kommen aus dem weltbekannten Kulturzentrum Tacheles in Berlin Mitte“, moniert der bbk-Vorsitzende Herbert Mondry.

Intolerantes Kreuzberg?

„Diese Bilder schaden dem Ruf Berlins mehr als die bizarren Vorgänge um das sogenannte ‚Guggenheim-Lab‘, stellt Mondry den Zusammenhang zu einer Debatte her, die seit einigen Tagen das politische Berlin beschäftigt. Es geht um das temporäre Projekt BMW-Guggenheim, das auf seiner Tour über die Kontinente für einige Wochen auf einer von Anwohnern genutzten Brachfläche in Berlin-Kreuzberg Station machen wollte. Kaum hatten Anwohnerinitiativen Proteste angemeldet, wurde der Standort aufgegeben.

Während die Kritiker einen schnellen Erfolg feierten, wurde in vielen Berliner Medien und in allen großen Parteien über Kreuzberger Kiezfundamentalisten lamentiert, die bestimmen wollen, was in dem Stadtteil erlaubt ist und was nicht. Warum die Stadtteilbewohner nicht mitentscheiden sollen, wird dabei so wenig erklärt, wie die Frage, ob die Lab-Organisatoren nicht mit ihrer Flucht aus Kreuzberg auch unerwünschte Kritik abwehren wollen. Schließlich sollte nach den Vorstellungen des Bürgermeisters von Friedrichshain/Kreuzberg Franz Schulz das Thema Zwangsarbeiter bei BMW im Nationalsozialismus im Lab zur Sprache kommen. Solche unangenehmen Themen dürften den Organisatoren in einem neuen Standort in Berlin-Mitte, um den sich der Berliner Bürgermeister Wowereit und andere Berliner Politiker bemühen, wohl erspart bleiben. Schließlich hat BMW-Marketingchef Ellinghaus das Ziel des Lab-Sponsering eindeutig formuliert:

„Es geht mitnichten darum, möglichst viel für kulturelles Engagement auszugeben, sondern um eine langfristige, positive Wahrnehmung des Unternehmens als auch der Reputation der Marke BMW – auch in der Presse.“

Der Berufsverband Bildender Künstler hat einen eigentlich nahe liegenden Zusammenhang zwischen der Aufregung über die Absage des BMW-gesponserten temporären Labs und der Gleichgültigkeit über die Vertreibung einer seit zwei Jahrzehnten existierenden kulturellen Einrichtung hergestellt. Wenn sich Anwohner gegen ein Projekt wehren und damit noch Erfolg haben, wird von Intoleranz geredet, wenn die von Grundstücksfirmen engagierten Sicherheitsfirmen gegen Künstler vorgehen, sind es die Gesetze des Marktes.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/151671
Peter Nowak

Mehr Transparenz bei Hartz IV?

Harald Thomé über den schwierigen Zugang zu amtlichen Informationen
 
Harald Thomé ist Vorsitzender des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles aus Wuppertal und Referent für Arbeitslosenrecht.

ND: Was hat das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) mit den Jobcentern zu tun?
Thomé : Dieses Gesetz wurde am 1. Januar 2006 eingeführt. Es gewährt jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Weil im Hartz-IV-Bereich bekanntlich eine Menge Verwaltungsanweisungen anfallen, sind natürlich auch die Jobcenter davon betroffen.

Können Sie Beispiele nennen?
Der gesamte Bereich der Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern ist über solche Verwaltungsvorschriften geregelt, aber auch das Bildungspaket sowie die Regelung bei Erstausstattungen für Wohnraum. Seit dem 1. Januar dieses Jahres fallen außerdem kommunale Behördenanweisungen unter das Bundes-IFG. Die Jobcenter müssen nun auch die kommunalen Dienstanweisungen jedem Interessierten zugänglich machen.

Wie sieht es damit in der Praxis aus ?
Ich habe im Juni bei 135 Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg Anträge gestellt und beantragt, dass diese Verwaltungsanweisungen und Richtlinien zu den Unterkunftskosten, zum Bildungs- und Teilhabepaket, aber auch zur Erstausstattung von Wohnraum und Bedarfen bei Schwangerschaft und Geburt herausgeben. Nach einem Monat, dem spätesten Termin nach dem solche Informationen von Amts wegen herauszugeben sind, wurden in Bayern die Unterlagen lediglich in elf, in Baden-Württemberg in 17 Fällen vollständig herausgegeben. Mehr als zwei Drittel der Jobcenter haben in den beiden Bundesländern jedoch überhaupt nicht geantwortet. Die übrigen schickten unvollständige Unterlagen. Der Leiter eines Jobcenters hat mir sogar mit einer Anzeige bei der örtlichen Anwaltskammer wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gedroht.

Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?
Ich habe die Angelegenheit zunächst öffentlich gemacht. Nach dem 1. August werde ich mich dann an den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit wenden. Sollten die Behörden auch nach drei Monaten die Unterlagen nicht veröffentlichen, werde ich entsprechende Untätigkeitsklagen einleiten.

Hatten Sie schon erfolgreich geklagt?
Der Erwerbslosenverein Tacheles hatte im Jahr 2006 in Sachen IFG gegen die Bundesagentur für Arbeit geklagt und sie dazu gezwungen, ihre internen Weisungen zum Arbeitslosengeld im Internet zu veröffentlichen. Auch die Informationen, die ich jetzt von den bayerischen und baden-württembergischen Jobcentern angefordert habe, sollen veröffentlicht werden. Es ist schlimm genug, dass dies aus der Erwerbslosenbewegung heraus gefordert werden muss, die Behörden wären doch nach dem Informationsfreiheitsgesetz von sich aus zur Veröffentlichung verpflichtet.

Welche Vorteile haben die Betroffenen davon?
Die Betroffenen können so prüfen, ob die jeweilige behördliche Entscheidung rechtsmäßig ist, und ob das Amt Ermessen ausgeübt hat. Zudem können sie bei der Formulierung von Anträgen auf die wesentlichen, für die Entscheidung erheblichen Umstände hinweisen. Sie können aber auch prüfen, ob das Amt organisiert durch Weisung gegen geltendes Recht verstößt. Letzteres ist ein Phänomen, welches bei Hartz IV nicht selten vorkommt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/203094.mehr-transparenz-bei-hartz-iv.html

Interview: Peter Nowak