Weihnachtszeit, Streikzeit. Doch für einen erfolgreichen Arbeitskampf bedürfen die Beschäftigten der Unterstützung. Wie diese aussehen könnte, wird in der Linken diskutiert.
Der Textildiscounter Kik wird seit Jahren kritisiert, weil er seine Kleidung unter verheerenden Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesh und Indien produzieren lässt. Mitte November wurde bekannt, dass es auch mit den Arbeitsbedingungen in den hiesigen Filialen des Unternehmens keineswegs zum Besten steht. Das derzeitige Geschäftsmodell von Kik basiere auf »Lohndumping und niedrigen Sozialstandards«, kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie hatte Mitte November zum ersten Streik vor einer Niederlassung des Textildiscounters in Deutschland aufgerufen. Etwa 500 Beschäftigte des Zentrallagers im nordrhein-westfälischen Bönen legten am 17. November von vier bis 24 Uhr die Arbeit nieder. Da von dem Lager alle Kik-Filialen in Deutschland beliefert werden, waren die Folgen schnell spürbar.
Die Gewerkschaft will mit dem Streik die Anerkennung aller Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen für die Beschäftigten in der Logistik von Kik durchsetzen. Nach Angaben von Verdi bekommt ein Lagerarbeiter nach dem nordrhein-westfälischen Einzelhandelstarifvertrag 2 106 Euro brutto Monatslohn. Bei Kik erhält er jedoch nur 1 650 Euro brutto. Sollte die Geschäftsführung weiterhin nicht nachgeben, könnten die Beschäftigten in den nächsten Wochen erneut in den Streik treten. Schließlich ist die Vorweihnachtszeit, in der mehr gekauft wird, besonders gut dafür geeignet, einen Arbeitskampf zu führen, der der anderen Seite wirklich wehtut.
Auch die Beschäftigten einiger Standorte des Versandhandels Amazon könnten bald wieder ihre Streikwesten anziehen. Der Konzern bereite sich schon auf neue Arbeitskämpfe vor, berichteten Beschäftigte in den vergangenen Wochen. Auch in diesen Auseinandersetzungen geht es um die Frage, ob die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des Versand- oder des Einzelhandels bezahlt werden. Letzteres fordern Verdi und viele Beschäftigte. Der Vorstand von Amazon will es hingegen bei der bisherigen Regelung belassen, nach der die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag der Logistikbranche bezahlt werden – und dadurch einen niedrigeren Lohn erhalten.
Sollten sich die Beschäftigten in der Vorweihnachtszeit für den Arbeitskampf entscheiden, können sie an mehreren Standorten mit der Unterstützung linker Gruppen rechnen. Bereits im vergangenen Jahr hat sich in Leipzig das Bündnis »Streiksoli« gegründet, das vor allem von Studierenden getragen wird. »Wir sind alle Amazon« lautete das Motto des Bündnisses, das ein Vorbild auch für andere Städte war. Nach einem ersten bundesweiten Treffen im Frühsommer in Leipzig erörterten Mitte November in Frankfurt am Main etwa 30 Personen, wie eine bestmögliche Unterstützung von Arbeitskämpfen aussehen könnte. Es nahmen auch Beschäftigte von Amazon aus der Filiale im osthessischen Bad Hersfeld teil, die in der jüngsten Zeit zu einem Zentrum des Arbeitskampfs geworden ist. Über die Bedeutung der Streiksolidarität für eine weitere Zusammenarbeit von Studierenden und Beschäftigten schrieben Jana Werner und John Lütten in einem in der Reihe »Standpunkte« der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Text: »Die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen bleibt unvermindert relevant.«
Darin waren sich alle Teilnehmer des Treffens in Frankfurt am Main einig. Im Detail gab es aber durchaus Differenzen. Soll lediglich ein bundesweites Netzwerk der Streiksolidarität aufgebaut werden, wie es vor allem das Bündnis »Streiksoli« favorisiert? Oder soll sich das Bündnis auch ein kurzes Selbstverständnis geben? Hinter den Kontroversen in organisatorischen Fragen stehen auch politische Differenzen. Wie eng sollen Gruppen in der Streiksolidarität mit den DGB-Gewerkschaften kooperieren? Wie sollen sie reagieren, wenn die Gewerkschaftsvorstände, wie so oft in der Vergangenheit, einen Arbeitskampf gegen den Willen einer Mehrheit der Beschäftigten zu beenden versuchen und dabei Zugeständnisse an die Arbeitgeber machen, die von vielen Beschäftigten abgelehnt werden? Solche Konflikte zwischen einer durch den Arbeitskampf politisierten Belegschaft und den Verhandlungsführern der Gewerkschaft sind vor allem nach längeren Arbeitskämpfen häufig zu verzeichnen. Der Frage des Umgangs damit zieht sich durch die Geschichte der jüngeren außerbetrieblichen Streiksolidarität, die sich kaum auf Vorbilder in der Vergangenheit beziehen kann. An die wenigen erinnerte Jan Ole Arps in seinem 2011 im Verlag Assoziation A erschienenen Buch »Frühschicht«.
In den siebziger Jahren waren vor allem die verschiedenen kommunistischen Parteien und linke operaistische Gruppen für die Streiksolidarität verantwortlich. Sie waren allerdings in der Regel darum bemüht, eigene Betriebszellen zu gründen. Das Verhältnis zu den verschiedenen DGB-Führungen war überwiegend sehr angespannt. Gewerkschaftsvorstände verabschiedeten Unvereinbarkeitsbeschlüsse, kämpferische Kollegen waren schnell mit Gewerkschaftsausschlüssen konfrontiert. Vor einigen Wochen dokumentierte der Verlag »Die Buchmacherei« unter dem Titel »Macht und Recht im Betrieb« die exemplarische Auseinandersetzung bei BMW in Berlin zwischen 1984 und 1987. Auch damals fürchteten die Gewerkschaftsvorstände, dass politische Gruppen in den Streik eingreifen und die betrieblichen Auseinandersetzungen politisieren könnten.
Mit dem Niedergang der kommunistischen Parteien und der operaistischen Streiksolidarität schien zeitweilig auch die Politisierung von Streiks der Vergangenheit anzugehören. Doch auch die Gewerkschaften selbst gerieten in den vergangenen Jahrzehnten in die Krise. In vielen Branchen gelang es ihnen kaum noch, Tarifverträge durchzusetzen, weil der Organisationsgrad der Belegschaften zu gering war. Gewerkschaftstheoretiker erkannten, dass ohne gesellschaftliche Unterstützung in vielen Branchen Arbeitskämpfe kaum noch zu gewinnen waren, und suchten nach Bündnispartnern. Dabei trafen sie nicht auf kommunistische Kader, sondern auf außerparlamentarische Linke, die sich wieder verstärkt mit Kämpfen in der Arbeitswelt beschäftigten.
Bereits 2008 wurde der damalige Einzelhandelsstreik in Berlin von eigenständigen Solidaritätsbekundungen linker Gruppen begleitet. Die Initiative ging vom Bündnis »Euro-Mayday« aus, das mehrere Jahre lang am 1. Mai Demonstrationen von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen veranstaltete. Höhepunkt der damaligen Solidaritätsarbeit war die Aktion »Dichtmachen«, bei der im Juni 2008 eine Berliner Supermarktfiliale für mehrere Stunden blockiert wurde. Im Film »Ende der Vertretung« wurde die durchaus nicht konfliktfreie Kooperation der außerparlamentarischen Unterstützer mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi thematisiert. In Nordrhein-Westfalen unterstützten linke Gruppen bereits 2007 monatelang den Streik von Beschäftigten der Catering-Firma Gate Gourmet, der von der DGB-Gewerkschaft NGG und auch Basisgewerkschaften wie den Wobblies geführt wurde. Vielleicht ergibt sich in der Vorweihnachtszeit Gelegenheit zu ähnlichen Solidaritätsbekundungen.
http://jungle-world.com/artikel/2014/48/51003.html
Peter Nowak