Kein Recht auf Platz

Die Privatisierung des öffentlichen Raums schränkt die Grundrechte ein. Auch die Mieterbewegung ist davon betroffen.

Der Leopoldplatz im Berliner Stadtteil Wedding wird täglich von vielen Menschen überquert und die meisten von ihnen dürften ihn als öffentlichen Platz wahrnehmen. Kaum jemand weiß, dass auf Teilen des Platzes die Grundrechte nur eingeschränkt gelten. Erst seit die Initiative »Hände weg vom Wedding«, in der sich Weddinger Mieter und Stadtteilaktivisten zusammengeschlossen haben, dort Anfang August eine Videokundgebung mit dem Film »Mietrebellen« veranstalten wollten, wurde deutlich, dass der Platz gar nicht so öffentlich ist. Seit 2006 gehört ein Teil des Leopoldplatzes der evangelischen Nazareth-Kirchengemeinde, die eine Genehmigung der Kundgebung ablehnte. Auf dem Platz müsse politische Neutralität herrschen, lautete die Begründung des Vorsitzenden der Kirchengemeinde, Sebastian Bergmann.

Das Berliner Amtsgericht schloss sich dieser Sichtweise an und wies eine einstweilige Verfügung gegen das Platzverbot mit der Begründung zurück, die Kirchengemeinde sei »nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden«. Denn bei ihr handele es sich nicht um »eine staatliche Organisation oder ein Unternehmen, das mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht«. Deshalb finde in diesem Fall auch das Fraport-Urteil aus dem Jahr 2005 keine Anwendung. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch auf einem Flughafen Proteste gegen die Abschiebung von Flüchtlingen möglich sein müssen.

Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, der die Weddinger Stadtteiliniative juristisch vertrat, hat für die Entscheidung des Amtsgerichts kein Verständnis und hält sie für rechtsfehlerhaft. Im Gespräch mit der Jungle Word kritisierte er, dass das Amtsgericht einen Widerspruch verunmöglicht habe, weil es die Entscheidung nicht per Fax, sondern per Post versandt habe. Aus zeitlichen Gründen seien weitere rechtliche Schritte so nicht mehr möglich gewesen. Für Stolle hat das Gericht damit einen Rechtsschutz vereitelt. Das Platzverbot hatte trotzdem keinen Bestand, weil ein großer Teil der Teilnehmer der Kundgebung auf dem Leopoldplatz die Trennlinie zum kirchlichen Teil des Platzes souverän ignorierte.

Bereits Mitte der neunziger Jahre machten künstlerische Initiativen und Stadtteilaktivisten mit Innenstadtaktionstagen auf die Konsequenzen einer Privatisierung öffentlicher Plätze aufmerksam. Schon damals wurde gewarnt, dass mitten in der Stadt Orte entstehen könnten, auf denen politische Meinungsäußerungen nicht mehr möglich und Menschen mit wenig Einkommen unerwünscht sind. Solche Aktionstage in Innenstädten gibt es nicht mehr, die Probleme, die bei ihnen angesprochen wurden, allerdings schon.

Vor allem in aufgewerteten Stadtteilen entzünden sich schnell Diskussionen über Trinker, die auf öffentlichen Plätzen zum Ärgernis werden. Betroffene der Debatte sind oft Menschen, die sich ihr Bier günstig im Spätkauf oder Discounter holen und auf einem öffentlichen Platz konsumieren wollen. Menschen, die es sich leisten können und wollen, alkoholische Getränke in einem der Restaurants zu verzehren, werden hingegen als begehrte Konsumenten umworben.

Eine Bewegung, die ein Recht auf Stadt fordert und ihren postulierten Anspruch ernst nimmt, sollte die Fragen, die damals die Organisatoren der Innenstadtaktionstage aufgeworfen haben, wieder aufgreifen. Eine Schwäche der Debatte um Stadtpolitik vor über 20 Jahren war allerdings die weitgehende Ausblendung der Eigentumsfrage. Man konzentrierte sich vor allem auf die Nutzung öffentlicher Plätze. Doch nicht nur die Auseinandersetzung um die Nutzung des Leopoldplatzes macht deutlich, dass die Frage des Eigentums mittlerweile eine zentrale Rolle spielt. Für den Münchner Publizisten Claus Schreer, der das Buch »Das Geschäft mit der Wohnung – Bodenspekulation und Stadtentwicklung im Kapitalismus« herausgegeben hat, ist die Frage nach den Eigentumsverhältnissen auch zentral für eine Mieterbewegung. »Einen wirklichen sozialen Wohnungsbau, der mit der Garantie dauerhaft preiswerter Mieten einhergeht, kann es überhaupt nur unter völliger Ausschaltung von Kapital- und Bankprofiten geben«, schreibt er.

http://jungle-world.com/artikel/2014/35/50479.html

Peter Nowak