Die wachsende soziale Ungleichheit trägt auch zu einer weiteren Entdemokratisierung bei
Vor den aktuellen Wahlen waren auch die Nichtwähler ein großes Thema. Der Sozialwissenschaftler Harald Welzer hatte mit seinem offenen Bekenntnis dazu auch andere mehr oder wenige bekannte Künstler und Wissenschaftler zu der Aussage angeregt, zumindest bei dieser Wahl von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Bekennende Nichtwähler saßen auf zahlreichen Podien und parteinahe Stiftungen geben Studien in Auftrag, die untersuchen sollen, ob Nichtwähler ihrer Klientel gefährlich werden können oder nicht.
Weil es in Deutschland nicht nur für alles eine Behörde, sondern scheinbar auch eine Partei geben muss, steht dieses Mal erstmals auch eine Nichtwählerpartei auf dem Stimmzettel. Die schafft dann das Paradox, das Gegenteil dessen zu machen, was sie vorgibt. Denn wer sie ankreuzt, ist dann ja doch ein Wähler. Bei den Menschen, die sich in den letzten Wochen in den Medien und auf Podien als Nichtwähler outeten, handelte es sich um politisch sehr interessierte Personen aus dem Mittelstand, die bisher als kleineres Übel für SPD und Grüne stimmten und nun bekannten, die Logik des kleineren Übels aufzugeben.
Fundamentale Gesellschaftskritik haben sie nicht, was Welzer auch öfter betonte. Bei ihm und anderen bekennenden Nichtwählern liegt der Gedanke nicht fern, dass sie eigentlich keine wirklich guten Argumente für die Abwahl der gegenwärtigen Regierung haben, zumal sie in einer Gehaltsklasse sind, wo ihnen durch die grünen Steuerpläne womöglich etwas Geld verloren ginge. Wenn es ans eigene Portemonnaie geht, hört aber oft die Reformfreude auf. Das würde erklären, warum Welzer und Co. ausgerechnet vor dieser Wahl auffällt, wie ähnlich sich SPD, Union, FDP und Grüne geworden sind. Die Zustimmung dieser Parteien zu Kosovo-Krieg und Agenda 2010 war ihnen schließlich noch keine Wahlenthaltung Wert.
Mit der Armut steigt die Zahl der Nichtwähler
Doch die Aufmerksamkeit für die Nichtwähler erfasst den Großteil der Gruppe nicht wirklich. Den bilden nämlich einkommensschwache und sozial abgehängte Teile der Bevölkerung. Der Sozialwissenschaftler Armin Schäfer hat den Zusammenhang zwischen sozialer Deklassierung und dem Wahlverhalten und die allgemeine Beteiligung an politischen Partizipationsprozessen geforscht.
Sein Befund ist eindeutig: „Je mehr Arbeitslose in einem Stadtteil leben, desto höher ist die Nichtwählerquote.“ Dabei konstatiert der Wissenschaftler eine Zunahme der Wahlabstinenz sozial Abgehängter: „Ab Mitte der neunziger Jahre liegen nicht zufällige Unterschiede vor, die seither weiter angewachsen sind. Vor allem Menschen mit niedrigem Schulabschluss wählen heute seltener als in der Vergangenheit. Wählten Angehörige aller Schichten noch in den siebziger Jahren mit ähnlich hoher Wahrscheinlichkeit, gibt 2009 nur noch jeder zweite Befragte an, gewählt zu haben, der sich selbst der Unterschicht zurechnet, während dies 94 Prozent der Oberschichtangehörigen für sich reklamieren.“
Damit sind gerade die Menschen, die besonders von politischen und sozialen Maßnahmen der Regierung betroffen sind, als Folge genau dieser Maßnahmen selbst von den formalen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Denn nicht nur bei Wahlen, auch in Bürgerinitiativen ist der Mittelstand wesentlich stärker vertreten als sozial Abgehängte. So trägt die wachsende soziale Ungleichheit auch zu einer weiteren Entdemokratisierung bei. Bei manchen ist das durchaus gewollt. Schließlich wird ja in marktradikalen Kreisen auch schon mal darüber diskutiert, dass man die Wahlstimme nach der Einkommenslage gewichtet. Dass würde bedeutet, dass Wohlhabende mehr Mitspracherecht hätten als Arme. Solche Vorschläge rufen große Empörung hervor und haben einstweilen keine Chance realisiert zu werden. Doch faktisch ist es schon heute so, dass die Armen sich wesentlich weniger an Wahlen und anderen formaldemokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen, nur regt das kaum jemand auf.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155002
Peter Nowak 20.09.2013
Links
[1]
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-96238982.html
[2]
http://www.kas.de/wf/doc/kas_31915-544-1-30.pdf?130704105032
[3]
http://www.fes-forumberlin.de/pdf_2013/130617_pm_final.pdf
[4]
http://www.mpifg.de/people/as/publ_de.asp
[5]
https://www.dvpw.de/fileadmin/docs/Kongress2012/Paperroom/2012Soziologie-Schaefer.pdf
[6]
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs12286-010-0075-9
[7]
http://www.taz.de/Forschung-ueber-Nichtwaehler/!123910/
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