Machtlose Mächtige

Die Sicherheitskonferenz in München macht immer wieder deutlich, dass die Konflikte der Welt längst ihre Eigendynamik entwickelt haben

Regelmäßig in den ersten Wochen des neuen Jahres treffen sich in Mitteleuropa Personen, die gerne als Globalyplayer bezeichnet werden und denen ein gewisser Einfluss auf das Weltgeschehen zugeschrieben wird. Während es in der letzten Woche beim Welt Economic Forum im Schweizer Davos wieder einmal um die Weltwirtschaft ging, standen an diesem Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz die politischen Konflikte dieser Welt auf der Tagesordnung. Von der Euro- über die Energiekrise angefangen wurde nichts ausgelassen. Natürlich rückten die Hotspots des gegenwärtigen Krisenszenarios, Syrien und Mali, in den medialen Fokus. Der Konflikt mit Iran beschäftigte die Konferenz nun schon einige Jahre, ohne dass die angeblich mächtigen der Welt einer Lösung nähergekommen sind.

Bundesaußenminister Westerwelle sprach ganz richtig davon, es habe in den letzten 12 Monaten keinen Fortschritt gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Westerwelles Nachfolger im nächsten Jahr auf der Sicherheitskonferenz ähnliche Worte finden wird, ist sehr hoch. Dabei soll man sich auch nicht davon täuschen lassen, dass – anders als noch zu Zeiten der Bush-Administration – der Ton zwischen den Konferenzteilnehmern in der Sache hart, aber nicht konfrontativ ist.

Geisterfahrer der Weltgeschichte

So hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polentz die iranische Politik in der Atompolitik mit einem Geisterfahrer verglichen, der überzeugt ist, als einziger auf der richtigen Spur zu fahren. Auch die Forderung nach Respekt, die der iranische Außenminister forderte, konterte Polentz mit der Frage, wo bleibt der Respekt Irans für die USA und Israel? Israels Außenminister hat auf der Konferenz noch einmal betont, dass für sein Land im Konflikt mit dem Iran alle Optionen auf den Tisch liegen.

Das ist allerdings eine lange bekannte israelische Position, die vom größten Teil des politischen Spektrums in Tel Aviv geteilt wird und von keiner israelischen Politik aufgegeben werden kann. Denn jede andere Erklärung würde als Sieg des Iran interpretiert. Alle Optionen offen hat sich Israel auch im Syrien-Konflikt gelassen. Schon seit Monaten erklärten führende Sicherheitspolitiker des Landes, sie würden nicht zuschauen, wenn militärisches Potential aus syrischen Beständen in die Hände der Hisbollah fallen könnte.

Vor diesem Hintergrund war auch die israelische Militäroperation in Syrien keine Überraschung, die nach Medieninformationen einen Konvoi betraf, der Raketen für die Hisbollah transportieren wollte. Die syrische Regierung spricht von der Bombardierung eines technologischen Instituts, in dem Waffen hergestellt werden. Die Aufregung blieb selbst im arabischen Raum vergleichsweise gering. Das könnte durchaus ein Indiz dafür sein, dass das Ticket vieler arabischer Autokraten nicht mehr zieht, die mit Verweis auf den „zionistischen Feind“ die viel zitierte arabische Straße hinter sich zu scharren versuchten.

Es wäre vielleicht ein Erfolg der Umbrüche im arabischen Raum der letzten Jahre, dass das reflexhafte Feindbild Israel im arabischen Raum nicht mehr beliebig abrufbar ist. Dann bestünde erst die Chance, dass die realen Interessengegensätze im Nahen Osten auf einer rationalen Grundlage diskutiert werden könnten und so eine Verhandlungslösung vorbereitet werden könnte. Dass mit Chuck Hagel ein von den US-Konservativen heftig kritisierter Pragmatiker als neuer Verteidigungsminister vorgesehen ist und in Israel nicht wie vielfach prognostiziert das rechts- , sondern das liberalzionistische Lager Stimmenzugewinne errang, könnte solche Tendenzen befördern.

Zudem verläuft die Konfliktlinie im aktuellen Nahoststreit schon längst zwischen der Achse Syrien, Iran, Hisbollah versus Saudi Arabien und seinen Verbündeten. Die Hamasführung hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich aus der Liaison mit Syrien zurückgezogen. Die Hisbollah ist wohl viel zu stark abhängig von Iran für einen solchen Positionswechsel. Daher dürfte es im Nahen Osten viele geben, die froh sind, dass die Aufrüstung dieser Gruppe zumindest einen Dämpfer bekommen hat. Nur die wenigsten werden es zugeben.

„Brodelnder syrischer Vulkan“

Als Paukenschlag wurde es nach der Sicherheitskonferenz bezeichnet, dass nun auch Russland mit der syrischen Opposition Kontakt aufnehmen will. Dabei ist es für politische Beobachter keine Überraschung. Da man in Russland nicht mehr davon ausgeht, dass das Assad-Regime sich mittelfristig halten kann, will man mit diesen Kontakten verhindern, dass man bei einem Machtwechsel nicht völlig aus dem Spiel ist. Es ist eher überraschend, dass Russland den Schritt nicht schon längst vollzogen hat.

Er wurde natürlich schon länger vorbereitet und die Sicherheitskonferenz war dann das Forum, auf dem er bekannt gegeben wurde. So gönnte man dem Treffen der Absichtserklärungen auch einen kleinen Erfolg, der dann gleich zum Paukenschlag hochgejazzt wurde, als wäre ein Friedensabkommen unterschrieben wurde. Diese Meldungen machen aber auch deutlich, wie niedrig die Messlatte mittlerweile liegt, um etwas zum Erfolg zu erklären. Eigentlich müsste das Motto des Treffens lauten: „Nett, dass wir wieder miteinander geredet haben“ und im nächsten Jahr folgt dieselbe Prozedur.

Denn die Treffen machen nur eins deutlich: Die vielzitierten Globalplayer müssen ihre Machtlosigkeit erkennen. Manche dürften sich noch in die Zeiten des kalten Krieges zurücksehnen, als die Welt scheinbar schön übersichtlich war. Aber das war schon damals mehr Ideologie als Realität. Man braucht nur an die militärische Unterstützung des Westens für die afghanischen Islamisten unterschiedlichsten Couleurs zu denken, die gegen die Linksregierung in Kabul und ihre sowjetischen Verbindungen in Stellung gebarcht wurden – ohne diese Unterstützung hätte der Islamismus nicht ein solcher Faktor werden können. Nach mehr als einem Jahrzehnt „Krieg gegen den Terror“ fällt den Globalplayern nichts Besseres ein, als abermals Islamisten zum Machtfaktor zu machen. So ist die Krise im Mali eine direkte Folge des von Außen erzwungenen Sturzes des Gaddafi-Regimes. Es könnte sein, dass auch bald die Islamisten militärisch bekämpft werden, die im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien erstarkt sind und auch von Politikern unterstützt wurden, die es eigentlich nach den Anschlägen vom 11. September besser wissen müssen. Dahinter steckt aber eher Ratlosigkeit als Kalkül.

Nie ist die Ratlosigkeit der scheinbar so Mächtigen auf der Sicherheitskonferenz deutlicher geworden, als im Fall Syrien. „Eine friedliche Lösung des syrischen Bürgerkriegs ist nicht in Sicht. Darin waren sich die Teilnehmer des Syrienpanels am Sonntag weitgehend einig. Ohne neue Strukturen globaler Politik wird sich das nach ihrer Meinung auch nicht ändern“, heißt es da. Die Metapher vom „syrischen Vulkan“, die zu hören war, unterstreicht ein Verständnis des Konflikts, wonach das Geschehen scheinbar naturhaft und von Menschenhand nicht zu stoppen ist. Auch diese Version ist Ideologie. Sie unterschlägt, dass dann sehr wohl politische Entscheidungen getroffen wurden und werden. Nur muss man sich von der schon immer allzu simplen Vorstellung verabschieden, dass die Folgen politisch berechenbar, kalkulierbar und eingrenzbar wären.

Auch Imperialismustheorien auf dem Prüfstand

Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die vermeintlichen Globalplayer auf der Konferenz, sondern auch ihre erklärten Gegner. Einem Aufruf unterschiedlicher Bündnisse sind am Samstag ca. 1.000 Menschen gefolgt. Wenn eine Rednerin auf der Demonstration sich die Frage stellt, warum angesichts der Kriege in der Welt nicht Millionen protestieren, müsste die Überlegung folgen, ob ein Grund nicht genau darin liegt, dass auch die klassischen Imperialismustheorien mit der neuen Unübersichtlichkeit für viele Menschen an Plausibilität verloren haben, zumindest wenn damit eine Lesart gemeint ist, die alle Konflikte und Kriege der Welt auf einfache Formeln zu bringen versucht.

Das wird beispielsweise an Forderungen wie „Bundeswehr raus aus ‚Syrien, Afghanistan und Mali'“ deutlich, wenn nicht gleichberechtigt die Unterstützung derjenigen zivilgesellschaftlichen Kräfte gefordert wird, die sich in den Ländern gegen den Islamismus stellen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153674

Peter Nowak