Die Münchner Sicherheitskonferenz ist in erster Linie deshalb interessant, weil sie zeigt, wie sich die deutschen Eliten im 21.Jahrhundert einen Platz an der Sonne erkämpfen wollen und auf welche Schwierigkeiten sie stoßen - Ein Kommentar
Vor 100 Jahren hatte zumindest der linke Flügel der Arbeiterbewegung eine klare Einschätzung, dass es bei den schon damals auch periodisch stattfindenden Friedenskonferenzen der verschiedenen kapitalistischen Großmächte nur um Atempausen im kapitalistischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt handelt. Niemand hätte die Friedensreden, mit denen diese Konferenzen eingeleitet werden für bare Münze genommen.
Am Ende ist die Münchner Sicherheitskonferenz in der deutschen Innenpolitik angekommen. Der CDU-Politiker Armin Laschet , einer der Kandidaten in der aktuellen Debatte um die CDU-Führung, ging auf Distanz zu Merkel und beschwor die Zeiten Anfang der 1990er Jahre, als Kohl die Deutsch-EU prägte und sich bei der Frage der Wiedervereinigung klar gegen Frankreich und Großbritannien durchsetzte, die von einem Machtzuwachs Deutschland längst nicht begeistert waren. Laschets Ausführungen sind ein doppeltes Signal. Selbst er, der….
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ein Spiegelbild der Konflikte der kapitalistischen Welt - Kommentar
In den Erklärungen rund um die Konferenz [1] finden sich ständig Formulierungen von der alten multinationalen Welt, die in Scherben liege, von einer Welt im Umbruch und voller Konflikte. Exemplarisch ist eine Einschätzung aus dem Auswärtigen Amt [2]:
Die Kriege in Jemen und Syrien, der Rückzug Russlands und der USA aus dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag), die Lage in Venezuela: Die Liste der internationalen Krisenherde ist lang. In diesem Jahr stehen aber nicht nur einzelne internationale Herausforderungen im Mittelpunkt der 55. Münchner Sicherheitskonferenz. Die multilaterale Ordnung insgesamt steckt in ihrer vielleicht tiefsten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auswärtiges Amt
Bei der sogenannten Sicherheitskonferenz in München wurde deutlich: Die konkurrierenden kapitalistischen Blöcke steuern auf einen größeren Krieg zu
Eigentlich hatte der nur kommissarisch amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel[1] seinen Auftritt bei der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz schon abgesagt. Schließlich sollte er seinen Posten an Martin Schulz abgeben. Der musste allerdings auf Druck der Partei wenige Stunden nach der Ankündigung seines künftigen Postens wieder einen Rückzieher machen.
Damit ist aber noch längst nicht entschieden, ob Gabriel im Amt bleibt, selbst wenn die SPD-Basis das Bündnis mit der Union absegnet. Schließlich ist die innerparteiliche Konkurrenz groß. Aber nach München ist Gabriel doch noch gefahren und hat mit seiner Vision der Weltlage, die man sonst eher aus den Reihen der deutschen Friedensbewegung kannte, die ja vor allem in den 1980er Jahren die Apokalypse[2] beschworen hat, für Aufsehen gesorgt.
Auch Gabriel erklärte[3] in München, dass die Welt zu Beginn des Jahres 2018 am Abgrund stehe. Dabei verwies er auf den weiterhin ungelösten Ukrainekonflikt und die Gefahr, dass sich rund um Syrien die unterschiedlichen Machtblöcke auch militärisch in die Quere kommen.
Welche Rolle spielen die USA in Syrien?
Der Deutschlandfunk-Analyst Thilo Kößler gibt Gabriel in Bezug auf Syrien argumentative Unterstützung[4]:
Bis zu 200 russische Söldner sollen laut „New York Times“ bei einem Luftschlag der USA getötet worden sein. „Die Gemengelage in Syrien werde immer gefährlicher, sagte US-Korrespondent Thilo Kößler im Dlf. Er habe nicht den Eindruck, dass die US-Regierung sich des Gefahrenpotenzials bewusst sei.
Thilo Kößler im Gespräch mit Manfred Götzke, Deutschlandfunk[5]
Diese Einschätzung erinnert doch stark an die Debatte über die Ursachen des 1914 begonnenen großen Konflikts, der in der Geschichtswissenschaft – trotz begründeter Einwände aus den Ländern des globalen Südens – weiterhin als 1. Weltkrieg firmiert.
Vor dem 100. Jahrestag der Beendigung des Konflikts haben einige konservative Historiker die These aufgebracht, dass alle beteiligen Machthaber wie Strafwandler[6] in diesen Konflikt hineingeschlittert seien, sich damals also auch des Gefahrenpotentials nicht bewusst gewesen seien. Die These wurde vor allem in Deutschland positiv aufgenommen, wird doch vor allem die Verantwortung dieses Landes für den Ausbruch des Krieges damit relativiert.
Aber die Historiker haben natürlich die Wirtschaft, Militär und Politik der anderen beteiligten Länder ebenfalls entschuldigt. Nach ihrer Lesart gibt es keine ökonomischen und politischen Interessen, die zu Konflikten zwischen Machtblöcken treiben, die dann zu Kriegen führen. Daher machen sie sich auch gar nicht erst die Mühe, solche Interessen erkennen zu wollen. Das kann man sowohl Thilo Kößler als auch Sigmar Gabriel attestieren.
Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld[7] hingegen versucht sich an einer sehr einseitigen Einschätzung der Interessen in dem Konflikt, wenn sie konstatiert[8]: „Washington braucht Krieg in Syrien, um den Mittleren Osten ’neu zu ordnen‘.“
Wenn Leukefeld dann schreibt, dass die vom Westen ausgehende Teilung Syriens auf US-Konzepte eines „Neuen Mittleren Ostens“ zurückgehen, die seit den 1950er Jahren in verschiedenen Varianten aufgelegt wurden, läge doch die analytische Leistung gerade darin, die verschiedenen Varianten darzustellen und herauszuarbeiten, wie sie auf die Veränderungen der letzten Jahrzehnte reagieren.
Schließlich sind inzwischen die nominalsozialistischen Staaten zusammengebrochen, die „Islamische Revolution in Iran“ hat die Region eben so stark beeinflusst, wie die islamistischen Anschläge vom 11.9.2001 und die Entmachtung von Saddam Hussein im Irak, um nur einige Aspekte zu nennen. Stattdessen kommt dann folgende Behauptung, die Leukefeld nicht weiter begründet[9]:
Ziel ist, die arabischen Staaten zu zerbrechen, um eine geostrategische Kontrolle über die Region durchzusetzen. Israel, der wichtigste Bündnispartner des Westens in der Region, wird dafür in die EU-NATO-Strukturen eingebunden und militärisch gestärkt.
Karin Leukefeld[10]
Hier fällt vor allem auf, dass Leukefeld vorrangig die USA und Israel als Akteure nennt, die sie mit der Zerstörung arabischer Staaten in Verbindung bringt und denen sie vorwirft, damit den Konflikt voranzutreiben. Russland ist in dieser Lesart ein Akteur, der auf Wunsch der syrischen Regierung den Status Quo verteidigt.
Ausgeblendet wird, dass sich diese arabischen Staaten längst zu autoritären, teils despotischen Gewaltmaschinen entwickelt hatten, die Teile der Bevölkerung oft an Hand von ethnischen Kriterien unterdrückten und damit die Ursache für die Destabilisierung in der Region geschaffen haben. Nur so ist auch zu erklären, dass große Teile der syrischen Kurden heute zeitweise mit den USA verbunden sind.
Auch der Konflikt Saudi-Arabien-Iran ist eben nicht dadurch entstanden, dass die USA seit 1950 die arabischen Staaten zerstören will. Schließlich ist ja das arabische Königreich in diesem Fall Bündnispartner der USA gegen den nichtarabischen Iran. Allein hieran zeigt sich, wie unzureichend es ist, einfach auf jahrzehntealte US-Strategen zu verweisen.
Immerhin ist Leukefeld in ihrem Text nicht mehr auf die Ölinteressen rekurriert, die schließlich noch die deutsche Friedensbewegung der 1990er Jahre in der Parole „Kein Blut für Öl“[11] zusammengefasst haben.
Krieg und Kapitalismus
Nun ist klar, dass niemand eine Analyse der aktuellen Konflikte am Beispiel Syrien erstellen kann, die alle Aspekte und die beteiligten Akteure berücksichtigt. Schließlich ändern sich ja auch häufig politische Konstellationen und es kommen Details hinzu, die man bisher gar nicht übersehen konnte. Man braucht nur den Schlingerkurs der Türkei in den letzten Jahren im Syrienkonflikt dafür heranzuziehen.
Vor wenigen Jahren wollte das Erdogan-Regime mit dem Sturz von Assad die eigenen außenpolitischen Ambitionen ausweiten. Mit dem Eintritt Russlands in dem Konflikt sind diese Pläne grandios gescheitert und zeitweilig sah es so aus, als würden sich in Syrien das Nato-Mitglied Türkei und Russland bekämpfen. Da wurde schon diskutiert, ob in diesem Fall auch die Beistandsverpflichtung der Nato greift.
Nun hat sich die Türkei mit Russland arrangiert und versucht, ihre außenpolitischen Interessen mit denen des syrischen Regimes und Russlands abzugleichen. Das kann allerdings bald wieder scheitern. Jetzt sind es die USA und nicht mehr die Türkei, die wohl für den Tod russischer Staatsbürger verantwortlich sind[12]. Nur weil es wohl um eine Privatarmee und nicht um reguläre russische Soldaten handelt, hatte der Vorfall keine gravierenden Auswirkungen.
Russland tut sich sehr schwer, diese russische Präsenz in Syrien zu bestätigen. Das war auch in der Ukraine schon so, wo offiziell lange Zeit keine russischen Staatsbürger in dem Konflikt involviert waren. Wenn es außenpolitisch passt, werden aus diesen inoffiziellen Kombattanten dann schnell auch mal „Helden für das Vaterland“. Eine Kritik daran müsste sämtliche an dem Konflikt beteiligten Staaten und Akteure in den Blick nehmen und deutlich machen, dass es da nicht „die Guten und Bösen“ gibt, sondern konkurrierende Machtblöcke.
Vielmehr könnte am Syrienkonflikt deutlich gemacht werden, dass sich hier einmal mehr bestätigt, dass es in einer kapitalistischen Welt Kriege immer geben wird. Das hat seinen Grund nicht in erster Linie in bösen und guten Politikern, sondern darin, dass die einzelnen kapitalistischen Staaten und Staatenbünde ihre Interessen gegen ihre Konkurrenten in allen Formen austragen. Krieg war und ist dabei immer eine Option.
Daher war auch der in manchen Kreisen verbreitete Glaube, dass nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation 1989 der allgemeine Frieden ausbricht, nur naiv und geschichtsvergessen. Recht behalten haben die schlaueren Analysten, die bereits vor mehr als 25 Jahren in der Zeitschrift Konkret und ähnlichen Publikationen eine Wiederkehr der Situation wie vor 1914 prognostizierten.
Die durch den Ost-West-Konflikt zeitweise stillgelegten Konflikte zwischen Ländern und Ländergruppen treiben wieder einem Krieg mit möglicherweise weltweiter Dimension zu. Syrien ist da nur das aktuelle Beispiel.
EU: Teil des Problems und nicht der Lösung
Was vielleicht auch die schlaueren Analysten überrascht haben mag, ist die Schnelligkeit, in der es Deutschland gelungen ist, als EU-Hegemon seine weltpolitischen Interessen zu formulieren. Auch dafür war Gabriels Rede[13] auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein gutes Beispiel. Er hat die EU mit Vegetariern in einer Welt von Fleischessern bezeichnet, eine Metapher für eine Macht, die angeblich in Frieden mit allen leben will, aber die böse Welt lässt es nicht zu.
So stilisierte sich noch jede Macht als eigentlich den Frieden fördernd, während sie den Krieg vorbereitete. Dabei nannte Gabriel China ebenso als Antipode wie die USA unter Trump. Die Bezüge auf die historisch gewachsenen Beziehungen dürfen dabei nicht fehlen. Aber deutlich wird, dass die EU ebenso eine konkurrierende kapitalistische Macht ist.
Natürlich erwähnte Gabriel nicht, wie die EU und besonders Deutschland am Balkan und in der Ukraine die Krise vorangetrieben haben. Schließlich ging sie in beiden Fällen von der besonderen Förderung prodeutscher Kräfte aus, was den Konflikt anheizte.
Als besonderen sozialdemokratischen Akzent wollte Gabriel seine bei einem Treffen mit Russlands Außenminister gemachten Ankündigungen, die Sanktionen mit Russland schrittweise zu lockern, verstanden wissen. Das kommt dem Teil der deutschen Wirtschaft entgegen, der sich Profite vom Russlandgeschäft erhoffte.
Andere Kapitalkreise haben aber andere außenpolitische Interessen und markieren solche Ankündigung gleich als Einknicken gegen Russland. Besonders das grünennahe Spektrum ist da besonders laut.
Die USA schalten keine Anzeigen, sondern schicken Kanonenboote
Dort wird auch besonders bejubelt, dass in den USA jetzt 13 russische Firmen und Einzelpersonen wegen Beeinflussung der Wahlen in den USA angeklagt werden[14]. Geht man davon aus, dass die Vorwürfe stimmen, werden völlig gewöhnliche Aktionen wie das Schalten von Anzeigen oder das Posten von Meldungen zu einer Verschwörung gegen die USA hochstilisiert.
Wenn sich bisher die USA in den Wahlkampf oder den politischen Prozess eines Landes eingemischt haben, kamen ganz andere Töne. Erst kürzlich ermutige US-Außenminister Tillerson das venezolanische Militär zum Putsch gegen die dortige Maduro-Regierung. Tillerson hatte auch einen Katalog von Forderungen genannt, mit denen Maduro das Wohlwollen der USA gewinnen könnte.
Der US-Außenminister hat sich damit in die Tradition der US-Politik gegen andere amerikanische Länder gestellt, die als „Kanonenboot-Politik“ berüchtigt wurde. Da wurden keine Anzeigen geschaltet und keine Internetkommentare lanciert, sondern mit dem Kanonenboot gedroht oder es gleich geschickt.
Auch die deutsche Regierung liebt direktere Mittel, um Wahlentscheidungen in für sie wichtigen Regionen zu beeinflussen. Da zeigte ein Außenminister Westerwelle in der Ukraine, auf welcher Seite des politischen Spektrums er stand. Den griechischen Wählern wurde 2015 ganz klar gesagt, was passiert, wenn sie die damalige Linkspartei Syriza an die Regierung wählen und genau diese ökonomische Strangulierung wurde dann auch umgesetzt, bis Tsipras vor dem Diktat der EU-Troika kapitulierte.
Das Schauspiel der US-Anklagen wegen der russischen Wahleinmischung ist daher nur ein Teil des Konflikts miteinander konkurrierender kapitalistischer Zentren. Dazu gehört Russland wie der von Deutschland dominierte EU-Block genauso wie die USA. „Nach Osten“ lautete die Unterschrift unter einem Foto, das Bundeswehrsoldaten mit militärischem Gerät auf dem Weg nach Litauen zeigt.
Es ist ebenso ein Teil des Puzzles der gegenwärtigen Welt am Abgrund, die Gabriel in seiner Münchner Rede beschwor. Er und seine Politik sind aber wie die gesamte Konferenz Teil des Problems und nicht die Lösung.
Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Die-Welt-am-Abgrund-3972577.html
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Während konservative Publizisten Gaucks klare Worte lobten und die deutsche Politik zu noch mehr Einsatz aufforderten, äußerten sich liberale und linke Kommentatoren kritisch. Martin Reeh erinnert in der Taz daran, dass seit nun mehr 2 Jahrzehnten eine größere Verantwortung Deutschlands eingefordert wird:
„Seit das verstärkte militärische Engagement der Deutschen nach 1990 begann, hat es nicht an Reden gefehlt, die eine veränderte Außenpolitik einforderten.“
Rühes Weckruf
Doch es wäre falsch, die Rede von Gauck nur als die Wiederholung der immer gleichen Platte zu interpretieren. Sie reiht sich vielmehr in Äußerungen von Politikern aus Union und SPD ein, die immer deutlicher den Anspruch erheben, in der ersten Liga der Weltpolitik mitspielen zu wollen. Am deutlichsten hat den Anspruch ein Verteidigungsminister aus der Ära Kohl formuliert: Volker Rühe schrieb am 21. Januar in der FAZ unter der Überschrift „Deutschland muss führen“:
„Ende des Monats, wenn die Münchner Sicherheitskonferenz zum 50. Mal tagt, ist Deutschland wieder einmal das Zentrum der internationalen Politik. Dies allerdings nur für 48 Stunden, denn in der Praxis hat sich unser Land in eine sicherheitspolitische Passivität begeben, die seiner Rolle als bevölkerungsreichster Staat Europas und als eine global führende Wirtschaftsmacht nicht entspricht. In Afghanistan haben wir unseren Einsatz frühzeitig auf den Norden sowie die Hauptstadt Kabul beschränkt und die wirklich gefährlichen Regionen dauerhaft unseren Verbündeten überlassen.“
Hier wird auch ganz deutlich, was hinter den zunehmenden Rufen nach dem Ende der Passivität und des Wegguckens steckt. Es geht um Deutschlands neue Rolle in der Weltpolitik. Dabei sollen die Interessen wenn möglich im Verbund mit den USA durchgesetzt werden. Es wird auch Situationen geben, wo Deutschlands Interessen nur gegen den einstmals engsten Verbündeten durchsetzbar sind.
Dass sich Union und SPD in dieser Frage einig sind, zeigte sich am Wochenende. Nach Ursula von der Leyen, die vage davon sprach, dass Gleichgültigkeit weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Perspektive eine Lösung sei, und damit fast wortwörtlich die Merksätze wiederholte, mit denen vor 15 Jahren die Grünen „kriegsbereit“ wurden, übersetzte Bundesaußenminister Steinmeier diese Prosa in konkrete politische Zielvorstellungen:
„Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einzubringen.“
Das Bündnis aus Union und SPD hat in der kurzen Zeit der neuen Zusammenarbeit schon deutlich gemacht, dass die Regierungsparteien die gewohnten Zügel der Zurückhaltung, die es in der Militärpolitik noch gab, fallen lassen wollen.
Hat die NSA-Debatte selbstbewusstes Deutschlands befördert?
Es wäre zu fragen, ob nicht die NSA-Debatte, wie sie in den letzten Monaten mehrheitlich geführt wurde, dieses neue deutsche Selbstbewusstsein befördert hat. Denn die hat sich schnell auf die Frage der deutschen Souveränität konzentriert, die angeblich durch die USA verletzt würde. So wurde aus dem Buch „Überwachtes Deutschland“ von Josef Foschepoth fast ausschließlich der Teil zitiert, der die Beziehungen zu den USA thematisiert.
Dass in dem Buch akribisch beschrieben wurde, wie deutsche Behörden Post aus der DDR in den fünfziger und frühen sechziger Jahren überwacht und teilweise sogar vernichtet haben, wird hingegen kaum erwähnt. Bei soviel Betonung von deutscher Souveränität ist es nicht verwunderlich, wenn die Politik diesen Grundsatz nun auch in der Außen- und Militärpolitik aufgreift.
Es wäre nicht das erste Mal, dass außerparlamentarische Bewegungen Stichwortgeber für eine selbstbewusste deutsche Nation wurden. Auch Teile der westdeutschen Friedensbewegung spielte vor über 30 Jahren eine ähnliche Rolle, wenn sie Deutschland als Opfer der ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition darstellte.
Saudische Außenminister für Menschenreche in Syrien
Natürlich spielten auf der Sicherheitskonferenz auch alle aktuellen weltpolitischen Themen eine Rolle. Der russische Außenminister stellte die berechtigte Frage, warum die Beteiligung rechter Gruppen an der Opposition in der Ukraine kaum erwähnt wird. Diese Frage richtet sich besonders an deutsche Politiker. Schließlich hat Merkel bei ihrer Regierungserklärung ausdrücklich die ukrainische Opposition ohne Differenzierungen gewürdigt.
Auch die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms hat bei ihren Besuch in der Ukraine Sanktionen gegen Regierungsmitglieder in Aussicht gestellt, aber zu dem rechten Flügel der Opposition kein kritisches Wort verloren. Auf der Sicherheitskonferenz rief Wladimir Klitschko denn auch zu noch mehr Unterstützung für die Opposition auf und forderte mehr Druck auf die Regierung. Auch von ihm hörte man keine Distanzierung von den Rechten.
Am letzten Tag bestimmten der Syrien-Konflikt und der Streit mit dem Iran in München die Agenda. Ausgerechnet der Außerministier Saudi Arabiens, eines besonders repressiven Regimes, spielte sich als Verteidiger der Menschenrechte auf. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie Menschenrechte im politischen Streit instrumentalisiert werden. Saudi Arabien gehört im Nahen Osten zu den schärfsten Antipoden des Irans und Syriens.
Dabei geht es um politische Vorherrschaft. Menschenrechte und Demokratie ist in all diesen Ländern ein Fremdwort. Mit dem US Republikaner McCain ergriff auch ein Kritiker des Kurses der gegenwärtigen US-Administration das Wort.
Proteste wurden kaum erwähnt
Kaum erwähnt wurde in den Medien, dass sich am Samstag auch wieder ca. 3000 Antimilitaristen an Protesten gegen die Sicherheitskonferenz beteiligten. Die Teilnehmerzahl für eine bundesweite Protestaktion ist natürlich sehr bescheiden, gerade wenn man sie mit den Zahlen der deutschen Friedensbewegung in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vergleicht.
Damit bestätigte sich die Erkenntnis, dass in dem Maße, wie Deutschland kriegsfähig wurde, die Proteste geschrumpft sind. Eine Antikriegsbewegung, die über die Anklagen gegen Nato, USA und alle Schlechtigkeiten der Welt, die Spezifika der Politik Deutschland in den Mittelpunkt der Kritik stellt, gibt es erst in Ansätzen.
Die Sicherheitskonferenz in München macht immer wieder deutlich, dass die Konflikte der Welt längst ihre Eigendynamik entwickelt haben
Regelmäßig in den ersten Wochen des neuen Jahres treffen sich in Mitteleuropa Personen, die gerne als Globalyplayer bezeichnet werden und denen ein gewisser Einfluss auf das Weltgeschehen zugeschrieben wird. Während es in der letzten Woche beim Welt Economic Forum im Schweizer Davos wieder einmal um die Weltwirtschaft ging, standen an diesem Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz die politischen Konflikte dieser Welt auf der Tagesordnung. Von der Euro- über die Energiekrise angefangen wurde nichts ausgelassen. Natürlich rückten die Hotspots des gegenwärtigen Krisenszenarios, Syrien und Mali, in den medialen Fokus. Der Konflikt mit Iran beschäftigte die Konferenz nun schon einige Jahre, ohne dass die angeblich mächtigen der Welt einer Lösung nähergekommen sind.
Bundesaußenminister Westerwelle sprach ganz richtig davon, es habe in den letzten 12 Monaten keinen Fortschritt gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Westerwelles Nachfolger im nächsten Jahr auf der Sicherheitskonferenz ähnliche Worte finden wird, ist sehr hoch. Dabei soll man sich auch nicht davon täuschen lassen, dass – anders als noch zu Zeiten der Bush-Administration – der Ton zwischen den Konferenzteilnehmern in der Sache hart, aber nicht konfrontativ ist.
Geisterfahrer der Weltgeschichte
So hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polentz die iranische Politik in der Atompolitik mit einem Geisterfahrer verglichen, der überzeugt ist, als einziger auf der richtigen Spur zu fahren. Auch die Forderung nach Respekt, die der iranische Außenminister forderte, konterte Polentz mit der Frage, wo bleibt der Respekt Irans für die USA und Israel? Israels Außenminister hat auf der Konferenz noch einmal betont, dass für sein Land im Konflikt mit dem Iran alle Optionen auf den Tisch liegen.
Das ist allerdings eine lange bekannte israelische Position, die vom größten Teil des politischen Spektrums in Tel Aviv geteilt wird und von keiner israelischen Politik aufgegeben werden kann. Denn jede andere Erklärung würde als Sieg des Iran interpretiert. Alle Optionen offen hat sich Israel auch im Syrien-Konflikt gelassen. Schon seit Monaten erklärten führende Sicherheitspolitiker des Landes, sie würden nicht zuschauen, wenn militärisches Potential aus syrischen Beständen in die Hände der Hisbollah fallen könnte.
Vor diesem Hintergrund war auch die israelische Militäroperation in Syrien keine Überraschung, die nach Medieninformationen einen Konvoi betraf, der Raketen für die Hisbollah transportieren wollte. Die syrische Regierung spricht von der Bombardierung eines technologischen Instituts, in dem Waffen hergestellt werden. Die Aufregung blieb selbst im arabischen Raum vergleichsweise gering. Das könnte durchaus ein Indiz dafür sein, dass das Ticket vieler arabischer Autokraten nicht mehr zieht, die mit Verweis auf den „zionistischen Feind“ die viel zitierte arabische Straße hinter sich zu scharren versuchten.
Es wäre vielleicht ein Erfolg der Umbrüche im arabischen Raum der letzten Jahre, dass das reflexhafte Feindbild Israel im arabischen Raum nicht mehr beliebig abrufbar ist. Dann bestünde erst die Chance, dass die realen Interessengegensätze im Nahen Osten auf einer rationalen Grundlage diskutiert werden könnten und so eine Verhandlungslösung vorbereitet werden könnte. Dass mit Chuck Hagel ein von den US-Konservativen heftig kritisierter Pragmatiker als neuer Verteidigungsminister vorgesehen ist und in Israel nicht wie vielfach prognostiziert das rechts- , sondern das liberalzionistische Lager Stimmenzugewinne errang, könnte solche Tendenzen befördern.
Zudem verläuft die Konfliktlinie im aktuellen Nahoststreit schon längst zwischen der Achse Syrien, Iran, Hisbollah versus Saudi Arabien und seinen Verbündeten. Die Hamasführung hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich aus der Liaison mit Syrien zurückgezogen. Die Hisbollah ist wohl viel zu stark abhängig von Iran für einen solchen Positionswechsel. Daher dürfte es im Nahen Osten viele geben, die froh sind, dass die Aufrüstung dieser Gruppe zumindest einen Dämpfer bekommen hat. Nur die wenigsten werden es zugeben.
„Brodelnder syrischer Vulkan“
Als Paukenschlag wurde es nach der Sicherheitskonferenz bezeichnet, dass nun auch Russland mit der syrischen Opposition Kontakt aufnehmen will. Dabei ist es für politische Beobachter keine Überraschung. Da man in Russland nicht mehr davon ausgeht, dass das Assad-Regime sich mittelfristig halten kann, will man mit diesen Kontakten verhindern, dass man bei einem Machtwechsel nicht völlig aus dem Spiel ist. Es ist eher überraschend, dass Russland den Schritt nicht schon längst vollzogen hat.
Er wurde natürlich schon länger vorbereitet und die Sicherheitskonferenz war dann das Forum, auf dem er bekannt gegeben wurde. So gönnte man dem Treffen der Absichtserklärungen auch einen kleinen Erfolg, der dann gleich zum Paukenschlag hochgejazzt wurde, als wäre ein Friedensabkommen unterschrieben wurde. Diese Meldungen machen aber auch deutlich, wie niedrig die Messlatte mittlerweile liegt, um etwas zum Erfolg zu erklären. Eigentlich müsste das Motto des Treffens lauten: „Nett, dass wir wieder miteinander geredet haben“ und im nächsten Jahr folgt dieselbe Prozedur.
Denn die Treffen machen nur eins deutlich: Die vielzitierten Globalplayer müssen ihre Machtlosigkeit erkennen. Manche dürften sich noch in die Zeiten des kalten Krieges zurücksehnen, als die Welt scheinbar schön übersichtlich war. Aber das war schon damals mehr Ideologie als Realität. Man braucht nur an die militärische Unterstützung des Westens für die afghanischen Islamisten unterschiedlichsten Couleurs zu denken, die gegen die Linksregierung in Kabul und ihre sowjetischen Verbindungen in Stellung gebarcht wurden – ohne diese Unterstützung hätte der Islamismus nicht ein solcher Faktor werden können. Nach mehr als einem Jahrzehnt „Krieg gegen den Terror“ fällt den Globalplayern nichts Besseres ein, als abermals Islamisten zum Machtfaktor zu machen. So ist die Krise im Mali eine direkte Folge des von Außen erzwungenen Sturzes des Gaddafi-Regimes. Es könnte sein, dass auch bald die Islamisten militärisch bekämpft werden, die im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien erstarkt sind und auch von Politikern unterstützt wurden, die es eigentlich nach den Anschlägen vom 11. September besser wissen müssen. Dahinter steckt aber eher Ratlosigkeit als Kalkül.
Nie ist die Ratlosigkeit der scheinbar so Mächtigen auf der Sicherheitskonferenz deutlicher geworden, als im Fall Syrien. „Eine friedliche Lösung des syrischen Bürgerkriegs ist nicht in Sicht. Darin waren sich die Teilnehmer des Syrienpanels am Sonntag weitgehend einig. Ohne neue Strukturen globaler Politik wird sich das nach ihrer Meinung auch nicht ändern“, heißt es da. Die Metapher vom „syrischen Vulkan“, die zu hören war, unterstreicht ein Verständnis des Konflikts, wonach das Geschehen scheinbar naturhaft und von Menschenhand nicht zu stoppen ist. Auch diese Version ist Ideologie. Sie unterschlägt, dass dann sehr wohl politische Entscheidungen getroffen wurden und werden. Nur muss man sich von der schon immer allzu simplen Vorstellung verabschieden, dass die Folgen politisch berechenbar, kalkulierbar und eingrenzbar wären.
Auch Imperialismustheorien auf dem Prüfstand
Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die vermeintlichen Globalplayer auf der Konferenz, sondern auch ihre erklärten Gegner. Einem Aufruf unterschiedlicher Bündnisse sind am Samstag ca. 1.000 Menschen gefolgt. Wenn eine Rednerin auf der Demonstration sich die Frage stellt, warum angesichts der Kriege in der Welt nicht Millionen protestieren, müsste die Überlegung folgen, ob ein Grund nicht genau darin liegt, dass auch die klassischen Imperialismustheorien mit der neuen Unübersichtlichkeit für viele Menschen an Plausibilität verloren haben, zumindest wenn damit eine Lesart gemeint ist, die alle Konflikte und Kriege der Welt auf einfache Formeln zu bringen versucht.
Das wird beispielsweise an Forderungen wie „Bundeswehr raus aus ‚Syrien, Afghanistan und Mali'“ deutlich, wenn nicht gleichberechtigt die Unterstützung derjenigen zivilgesellschaftlichen Kräfte gefordert wird, die sich in den Ländern gegen den Islamismus stellen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153674