„Der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“

Die Herabstufung des EMS ist der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Politik der französischen Regierung
„Frankreich sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmärkte nervös werden und Reformen von der Regierung von Präsident François Hollande erwarten“, sagt Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Moderator hatte den Ton vorgegeben und über unser Nachbarland so geredet, wie ein Großteil der Politik und der Medien seit Monaten über Griechenland spricht:

Jeder vierte Franzose verdient sein Geld im öffentlichen Dienst oder in der Staatswirtschaft. Nicht wenige dort genießen Sonderrechte, etwa einen Urlaubsanspruch von vier Monaten im Jahr. Im Kabinett in Paris streiten sage und schreibe 39 Minister um Zuständigkeiten, Personal und Einfluss. Frankreichs Ämter sind übergewichtig, ineffizient und teuer. Schon länger sorgen sich Beobachter um den gravierenden Reformstau in unserem Nachbarland.

Auf diese Weise wurden die Hörer schon mal eingestimmt und Dieter brauchte dann nur zu bestätigen, „dass die französische Gesellschaft Schwierigkeiten hat, mit internationalem Wettbewerb, mit den Schwierigkeiten, die die Globalisierung mit sich bringt, umzugehen.“

Was Dieter damit meint, ist klar. Wer vom Pfad des deutschen Sparmodells auch nur um einige Millimeter abweicht, bekommt es mit den Märkten zu tun und hat die Zwänge einer globalisierten Welt noch nicht verstanden. Dabei wird das deutsche Modell als alternativlos hingestellt. Dass es gegen dieses Modell seit Monaten in vielen europäischen Ländern Proteste von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, aber auch von Politikern bis weit ins bürgerliche Spektrum gibt, wird ignoriert. Die Wahl von Hollande war von einem Teil der Kritiker des deutschen Modells als Hoffnungsschimmer gesehen worden, manche erwarteten gar eine politische Zäsur, Schließlich war mit Sarkozy in Frankreich der Politiker abgewählt worden, der mit Merkel ein Tandem bei der Durchsetzung des europäischen Sparmodells bildete.

Tatsächlich begannen sich nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch die konservative und wirtschaftsliberalen Regierung in Italien und Frankreich, um Beinfreiheit vom Berliner Spardiktat zu kämpfen. Nach seinem Regierungsantritt ist Hollande allerdings jeder Konfrontation mit der deutschen Politik aus dem Weg gegangen. So sorgte er für eine Zustimmung zum ESM, den er im Wahlkampf eigentlich neu verhandeln wollte.

„Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben“
Doch die konziliante Haltung des Sozialdemokraten wurde von Deutschlands Liberalen und Konservativen, die nicht verwunden haben, dass ihr Wunschkandidat Sarkozy die Wahlen verloren hat, nie gewürdigt. Immer wieder wurde mit offenen oder unterschwelligen Bemerkungen von Politikern der Regierungsparteien gegen die französische Wirtschafts- und Sozialpolitik geschossen. Bereits am 13.11. 2012 gab der CSU-Haushaltspolitiker und Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung seiner Partei, Hans Michelbach, ebenfalls im Deutschlandfunk seine Meinung über Frankreich, dem nach Griechenland zweiten „kranken Mann Europas“, unmissverständlich zum Ausdruck:

Also wenn die sozialistische Regierung Hollande so weitermacht, dann ist Frankreich im freien Fall. Das muss man ganz klar sehen. Ich bin nicht der, der die Spekulanten antreiben möchte, aber man muss der Realität ins Auge schauen. Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben.

Michelbach bedauerte auch, dass die Regierungsdelegationen nicht so deutlich Klartext reden können. Da kommt die Herabstufung durch die der Ratingagentur gerade recht, um den vermeintlichen Abweichlern vom marktwirtschaftlichen Kurs die Leviten zu lesen. Wenn Heribert Dieter erklärt, „der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“, kann man darin nicht nur das Lamento eines Wirtschaftsliberalen lesen, sondern auch die Haltung eines Interessenvertreters des deutschen Standortes, der einen potentiellen Konkurrenten in der EU die Grenzen aufzeigen will.

Was kommt nach dem Warnschuss?
Wenn der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach die Entscheidung der Ratingagentur als „Warnschuss an Frankreich“ interpretiert, muss man sich die Frage stellen, welche Instrumente herrausgeholt werden, wenn die französische Regierung nicht bereit ist, sämtliche Wahlversprechen zu vergessen oder die französische Bevölkerung die versprochene Sozial- und Wirtschaftspolitik einfordert? Von den Linkskeynisanern, die große Hoffnungen in die Regierung Hollande setzten, ist wenig zu hören. Einer ihrer Exponenten, Dierk Hierschel aus dem verdi-Bundesvorstand, kann nur resignativ vermelden „Merkel grillt Frankreich“:

Das französische Drama dokumentiert die Ohnmacht nationaler Politik. Auf entfesselten Finanzmärkten und in einem Europa des Marktes gibt es kaum Spielräume für eine fortschrittliche nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wer beim grenzüberschreitenden Unterbietungswettbewerb um Steuern, Sozialausgaben und Löhnen nicht mitspielt, dem drohen die Unternehmen mit Abwanderung und die Kapitalmärkte mit Strafzinsen. Wobei Deutschland durch Billiglöhne und Steuersenkungen seinen linksrheinischen Nachbar ständig unter Druck setzte.

Wenn Hierschel dann nicht mehr als die Hoffnung auf einen Regierungswechsel im nächsten Jahr in Berlin einfällt, muss man sich doch fragen, ob der Mann vergessen hat, wer mit der Niedriglohnpolitik in Deutschland begonnen hat. Wenn Steinbrück der schärfste Pfeil im Köcher der Keynisaner ist, haben sie sich mit ihrer eigenen Niederlage schon abgefunden. Die Kampagne gegen Frankreich ist auch ein Warnschuss an alle europäischen Länder, die womöglich einen Ausweg jenseits der Schröder-Merkel-Doktrin aus der Krise suchen. Gerade weil Hollande von einigen zur Alternativen zur deutschen Politik aufgebaut wurde, die er wahrscheinlich nie sein wollte, wird seine Regierung jetzt ins Visier genommen.

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38116/1.html
Peter Nowak