Ziviler Widerstand in Syrien geht weiter

Aktivisten der Initiative „Adopt a Revolution“ erinnern an die Arbeit der gewaltfreien Bürgerkomitees in Syrien und warnen vor dem Eindruck, dass das Regime schon am Ende ist

Wer in den letzten Wochen die Nachrichten über Syrien verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, das Land sei endgültig im Bürgerkrieg versunken. Auch der mörderische Anschlag vom Mittwoch, der die Führung empfindlich traf, scheint dafür zu sprechen, dass nun endgültig die militärische Logik die Oberhand gewonnen hat. In einer solchen Situation drohen zivile Formen der Auseinandersetzung an den Rand gedrängt zu werden. Deshalb erinnert die Initiative Adopt a Revolution, die sich seit Monaten für eine Stärkung der sozialen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Syrien einsetzt, in einer Pressemitteilung daran, dass auch in der aktuellen Situation der Widerstand dieser Kräfte in Syrien weitergeht.

„In einer krisenhaften Situation wie der aktuellen in Damaskus, braucht es zivilgesellschaftliche Akteure mehr denn je, um für Transparenz und zivile Unterstützung der Bevölkerung zu sorgen. Die lokalen Komitees leisten diese Funktion, weshalb wir unsere Unterstützung jetzt mit Hochdruck fortführen“, heißt es in der aktuellen Pressemeldung von Adopt a Revolution.

Deren Berliner Koordinator Elias Perabo betont gegenüber Telepolis, dass es zur Zeit in Syrien ein Nebeneinander zwischen der zivilen Opposition und der militärischen Kräfte gäbe. In der Regel würden auch die zivilen Oppositionsgruppen die bewaffneten Kräfte als Schutztruppe begreifen. Das sei auch eine Folge des Gefühls der Hilflosigkeit und des Eindrucks, von der internationalen Öffentlichkeit allein gelassen zu werden. Dabei gehe es bei der internationalen Hilfe nicht um ein Eingreifen von Armeen der Nato-Länder, das sogar manche Publizisten in linken Medien propagieren, wo die Situation in Syrien kurzschlüssig mit dem Kampf gegen die Niederschlagung des Nationalsozialismus verglichen wird. Dabei wird schon ein grundlegender Unterschied ausgeblendet: Es gibt in Syrien nicht die Volksgemeinschaft wie in Deutschland, die bis zum Untergang mit dem Regime verbunden ist. Im Gegenteil ist es gerade der Widerstand der Bevölkerung, der Syrien in den Mittelpunkt des Weltinteresses brachte.

Noch keine Schlacht um Damaskus

Adopt a Revolution unterhält nach eigenen Angaben allein im Raum Damaskus Kontakt mit 16 Bürgerkomitees und verbreitet deren Widerstand, aber auch die Repression gegen die Aktivsten. Dabei betont Perabo, es sei wichtig dem Eindruck entgegenzutreten, der Kampf gegen das Regime sei schon gewonnen. „Die Schlacht um Damaskus hat noch nicht begonnen, es gibt aber erste Schritte“, betont der Aktivist. Nach seinen Aussagen leben gerade die zivilen Aktivisten in und um Damaskus in großer Angst vor der Repression des Regimes. So habe es in einem damaszener Stadtteil, wo die Opposition aktiv sei, in den letzten 24 Stunden 38 Tote gegeben, die durch die Mörserangriffe regierungstreuer Truppen umgekommen seien. In Damaskus sei die auf bis zu 8.000 Mann geschätzte Republikanische Garde noch weitgehend intakt. Zudem seien Militärs aus anderen Landesteilen wie aus der Region um die Golanhöhen nach Damaskus beordert werden. Deshalb sei die Angst der Opposition dort besonders groß. In anderen Regionen des Landes, etwa in den kurdischen Gebieten, hingegen sei der Optimismus größer, dass die letzten Tage des Regimes begonnen habe, so Perabo. Das liege auch daran, dass dort die Kräfteverhältnisse so seien, dass das Regime dort keine Macht mehr hat.

Auch über den Sturz des Regimes hinaus denken

In den letzten Monaten gab es auch in den hiesigen Medien eine heftige Debatte über die Rolle vor allem der bewaffneten syrischen Opposition, deren Kontakte ins Ausland, vor allem nach Saudi-Arabien und andere Golfstaaten und in die Türkei und über die Menschenrechtsverletzungen der FSA (die sogenannte „Freie syrische Armee“). Dabei wurde von manchen Publizisten der islamistische Einfluss in der bewaffneten Opposition in den Mittelpunkt gestellt, während Journalisten, die auf den Sturz des aktuellen Regimes abzielten, den islamistischen Einfluss eher vernachlässigten, und solche Vorwürfe teilweise als Regimepropaganda abtaten.

Dagegen betont Perabo, dass Adopt a Revolution sich seit Monaten auch mit Einfluss konfessioneller Gewalt in Syrien befasst. Es sei auch von Seiten der Opposition in den letzten Wochen zu Vertreibungen von Alewiten, besonders in den Zentren der Opposition um Horms, gekommen. In der letzten Zeit hätten solche Aktionen weiter zugenommen. Auch Perabo befürchtet, dass sich die konfessionellen Muster in den Auseinandersetzungen verstärken könnten. Daher versucht die Initiative Adopt a Revolution zivile Kräfte zu unterstützen, die sich gegen eine religiöse Zuspitzung wenden. Dazu gehört auch eine Studierendenbewegung, die sich zur Zeit in Syrien entwickelt.

Damit bricht die Initiative auch mit einer in der deutschen Internationalismusbewegung weitverbreiteten Tradition, die Kräfte, die unterstützt werden, möglichst nicht zu kritisieren. So wurden noch in der Lateinamerikasolidarität der 1980er Jahre blutige Abrechnungen innerhalb der linken Gruppen, die in El Salvador die Guerilla bildeten, ausgeblendet oder gar verteidigt. Der kritische Blick auf den Umgang auch der bewaffneten Opposition in Syrien mit den Menschenrechten durch Adopt a Revolution zeigt einen Lernprozess. Schließlich könnte die zivile Opposition nach dem Sturz des Assad-Regimes noch Solidarität brauchen, wenn sich die bewaffneten Kräfte dort machtpolitisch durchsetzen und sich zeigt, dass ihre Ziele gar nicht so demokratisch sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152427
Peter Nowak