Die Krise begreifen

Workshop nahm Krisentheorien unter die Lupe
Finanz- und Wirtschaftskrisen sind in aller Munde. Am vergangenen Wochenende organisierten in Berlin linke Gruppen einen Workshop, der sich mit den Ursachen der Krise befasste, aber auch mit gängigen linken Erklärungsmustern kritisch auseinandersetzte.
An der Vorbereitung beteiligte sich unter anderem die Berliner Antifagruppe Theorie und Praxis (TOP), die studentische Potsdamer AG Gesellschaftskritik, der »Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute« und die Gruppe Internationale Kommunisten. In Arbeitsgruppen wurden die unterschiedlichen Aspekte der Krise untersucht. Die Geschäftsführerin des Verbands Demokratischer Ärztinnen und Ärzte Nadja Rakowitz analysierte die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen, die mit Schlagworten wie Kopfpauschale nur unzureichend erfasst wurden. Rakowitz betonte, dass es im Gesundheitswesen noch Bereiche gibt, die nicht völlig unter kapitalistischen Verwertungszwang stehen. Sollten die angekündigten wirtschaftsliberalen Reformen umgesetzt werden, könnte sich das ändern. Die Parole »Gesundheit darf nicht zur Ware werden« sei trotz mancher Vereinfachung mobilisierungsfähig, weil sie in großen Teilen der Gesellschaft noch Konsens sei. Daran könne sich die Frage anknüpfen, warum andere Bereiche der Gesellschaft, wie beispielsweise die Lohnarbeit, nicht ebenfalls aus dem Verwertungszwang genommen werden sollten.

Wer ist betroffen?
Der Politologe Michael Heinrich wies darauf hin, dass Krisen zum Kapitalismus gehören und für ihn keineswegs existenzgefährdend sind. Für Lohnabhängige und Erwerbslose hingegen kann die Krise existenzgefährdend sein. Thomas Ebermann, der in den 80er Jahren ein prominenter Ökosozialist bei den Grünen war, die er dann bald verlassen hat, warnte vor falschen Hoffnungen, dass die Krise automatisch zu Widerstand in der Bevölkerung führe. Anders als in Griechenland, wo es einen »halbwegs radikalen Trade-Unionismus« gebe, setzen Gewerkschaften in Deutschland in Zeiten der Krise noch mehr auf eine Standortverteidigung, die mit Verzicht auf Lohnerhöhungen verbunden ist.

Philipp Damm aus der Vorbereitung betonte gegenüber ND, den Veranstaltern gehe es um eine Kapitalismuskritik und eine antikapitalistische Praxis auf der Höhe der Zeit. Daher rufen die Organisatoren auch zu den Krisendemonstrationen am kommenden Samstag in Berlin und Stuttgart auf.

www.kapitalismuskrise.org

http://www.neues-deutschland.de/artikel/172613.die-krise-begreifen.html

Peter Nowak