Wider die Eigentumsideologie

Mietrebellen statt Eigentümer

»Wir sollten mit Stolz unsere Rechte als Mieter*innen einfordern und diesen Status keineswegs aufgeben«, erklärt der Soziologe Matthias Coers, der vor mehr als zehn Jahren den Film »Mietrebellen« drehte. Er hat den vielen aufmüpfigen Mieter*innen, die nicht nur in Berlin für ihre Rechte kämpfen und sich nicht einfach für die Profitinteressen von Wohnkonzernen vertreiben lassen wollen, einen Namen gegeben.

Wäre es nicht nachhaltiger, aus abhängigen Mietern unabhängige Wohnungseigentümer zu machen?« Man würde eine solche Frage vielleicht von Christian Lindner oder aus dem Umfeld von Friedrich Merz vermuten. Doch sie kam von nd-Autor Frank Jöricke. Sein Artikel …

… »Die vergessene Mittelschicht« in »nd. DieWoche« vom 23. Mai ist eine Eloge auf das Privateigentum, die mit der Maxime endet: »Solange der Kommunismus auf sich warten lässt und das Privateigentum nicht verschwunden ist, hilft nur eines: selber zum Be sitzer zu werden.« Damit wird den Menschen nicht nur ein kommunistisches, sondern gleich jedes solidarische Bewusstsein ausgetrieben. Nicht umsonst sind die Ideologinnen des Kapitalismus – von Ayn Rand über Margret Thatcher bis zum Anarchokapitalisten Javier Milei in Argentinien – dem gar nicht so neuen Credo gefolgt, aus Mieterinnen Wohnungseigentümerinnen zu machen. Das galt etwa auch in Zeiten des FrancoRegimes in Spanien. Die Mieterinnen, die laut Jöricke nur darauf warten, »sich aus der Abhängigkeit von ihren Hauswirten zu lösen«, kamen als vermeintlich Besitzende dann unter die Knute der Banken, die monatlich die Raten für die Hypotheken einfordern. In der Finanzkrise vor 15 Jahren verloren in Spanien Zigtausende dieser Eigentümerinnen ihre Wohnungen. Sie wurden zwangsgeräumt und saßen trotzdem weiterhin auf dem Schuldenberg. Aus ihren Reihen entstand die immer noch existierende Plattform der Hypothekenopfer. Sie besetzen leerstehende Wohnungen und kämpfen gegen jene Eigentumsideologie, die Jöricke den Linken als Erfolgsrezept empfiehlt – eine weitere Anpassung linker Politik an den vermeintlich unbesiegbaren Kapitalismus. Für die Folgen gibt es nicht nur in Spanien und Großbritannien genügend abschreckende Beispiele. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« hatte die Berliner Mieterinnengemeinschaft (BMG) aktive Mieterinnen aus verschiedenen Ländern Europas und auch aus anderen Kontinenten eingeladen, die gegen eine konservative Eigentumspolitik kämpfen. Sie berichteten von genau jener Ideologie angeblicher Befreiung aus den Zwängen des Mietverhältnisses, die auch Jöricke ganz ohne Ironie verbreitet. Viele der Mieteraktivistinnen blickten sogar mit etwas Wehmut auf Deutschland, weil hier der Anteil der Wohnungseigentümerinnen wesentlich niedriger als in vielen europäischen Nachbarländern ist. In Metropolen wie Berlin gibt es besonders viele Mieterinnen. Genau das gilt es zu verteidigen. »Wir sollten mit Stolz unsere Rechte als
Mieterinnen einfordern und diesen Status keineswegs aufgeben«, erklärt der Soziologe Matthias Coers, der vor mehr als zehn Jahren den Film »Mietrebellen« drehte. Er hat den vielen aufmüpfigen Mieterinnen, die nicht nur in Berlin für ihre Rechte kämpfen und sich nicht einfach für die Profitinteressen von Wohnkonzernen vertreiben lassen wollen, einen Namen gegeben. Das ist die reale Alternative für die von Jöricke angeführten frustrierten Mieter*innen. Diese Solidarität ist aber nur möglich, wenn man der Ideologie des angeblich so befreienden Wohnungseigentums eine klare Absage erteilt. Peter Nowak

Auf diesen Text folge eine Antwort im ND vom 12.06.2025:

Am Rande

Wenn Bewusstsein im Wege steht

Peter Nowak beklagte an dieser Stelle kürzlich den Mangel an solidarischem Geist in der politischen Diskussion rund um die Wohnungsfrage. Angesichts des polemischen Vorschlags von Frank Jörike, die Abhängigkeit von Mieter*innen durch Wohnungseigentum zu beenden, war Nowak besorgt über die drohende Depolitisierung des Wohnens. Ihm entgeht in der Angst vor der Kleinbürgerlichkeit, inwiefern eine wirklich massenhafte Umverteilung von Wohneigentum tatsächlich zur Aufhebung der deutschen Verhältnisse beitragen würde. Nowak mag darin nur Ideologie erkennen, die zum Untergang jeglichen »kommunistischen und solidarischen Bewusstseins« in der Bewegung führe.

Die Mutlosigkeit und Romantik von Nowaks Argument – solidarisches Zusammenstehen zur Verteidigung des »guten Rechts« von Mietrebellen schlägt Willkür des Eigentums – sollte man lieber abschütteln. Denn dieses gibt sich rebellisch, wo es doch konservativer bleibt als die Idee der Eigentumswohnung: Die Struktur des Grundeigentums und seine politische Stellung bleiben in Nowaks Vorstellung von der Mietrebellion nämlich unangetastet.

Dass es andere Wege gibt, zeigt etwa die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die genießt eine recht hohe Popularität gerade deshalb, weil sie die Änderung der Eigentumsstruktur zur Priorität erklärt. Nicht weniger als der Anfang vom Ende einer bestimmten historischen Praxis- und Verkehrsform könnte damit auf dem Programm stehen.

Eine solche Perspektive ist wertvoller als jede abstrakte Solidarität. Denn wahre Solidarität macht sich langfristig selbst unnötig: Die Welt wäre, wo es möglich ist, so einzurichten, dass die Menschen darin nicht mehr systematisch auf Solidarität angewiesen sind. Die Wohnraumpolitik spielt darin eine enorme Rolle, wird darin doch ein großer Teil des kapitalistischen Stoffwechsels organisiert. Es drücken sich hier schließlich direkt die Rentabilitätserwartungen des Kapitals aus, denen sich die Gesellschaft (noch) nicht entziehen kann.

Der soziale Kompromiss unserer Zeit basiert auf der Verfügbarkeit künstlich verbilligter, globaler Konsumgüter, weil natürlich nichts mehr für einen nachhaltigen Urlaub, Slow Food und hochwertige Kleidung übrigbleibt, wenn regelmäßig die Hälfte der Gehälter direkt wieder in die Akkumulationsmaschine namens Wohnungsmarkt zurückfließt. Keine Solidarität der Welt wird sich dauerhaft hinter diesem Prozess vorbeimogeln können; man muss ihn aufheben.

Dass es dafür einige Jahrzehnte an Experimentieren mit verschiedenen Formen brauchen wird – Vergesellschaftung oder Verstaatlichung? Privat- oder kollektives Eigentum? Genossenschaften oder andere Rechtsformen? – frei handelbare Anteile oder Residenzpflicht? – geschenkt! Auch das 21. Jahrhundert wird nicht ohne erhebliche Umwälzungen in der Eigentumsstruktur zu bewältigen sein. Der Diskurs darum sollte sich an der Frage orientieren, wie diese wirklich zu erreichen ist, anstatt sich nur um das revolutionäre Bewusstsein der Zukunft zu sorgen. Florian Geisler

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191854.wohnungsfrage-wenn-das-bewusstsein-im-wege-steht.html

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