ie Anmaßung der deutschen Justiz ist aktuell-politisch, aber auch historisch fragwürdig.

Die deutsche Justiz erklärt die Volksrepublik Donezk zur terroristischen Vereinigung

Wenn nun die Justiz in Deutschland die „Volksrepublik Donezk“ zu einer terroristischen Vereinigung erklärt, ist es ein besonderer Akt deutscher Geschichtsvergessenheit. Der Nachfolgestaat des 3. Reiches, der sich so gerne als Weltmeister in Aufarbeitung der NS-Geschichte feiern lässt, geht juristisch gegen Kräfte in der Ukraine vor, die in dem Land auch gegen die Verklärung profaschistischer Bewegungen und Personen kämpft, die sich zeitweilig mit der deutschen Besatzung verbündeten.

Die Homepage der Organisation Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe lässt erkennen, dass dahinter Personen stehen, die enge Kontakte nach Russland pflegen, sich als Menschen mit Mut begreifen, Selbstversorgertipps verbreiten und Parolen wie „Wir sind Frieden“ posten. Man kann das alles für politisch naiv und fragwürdig finden. Doch erstaunt es schon, dass die Bundesanwaltschaft gegen den Verein wegen Unterstützung einer …


…. terroristischen Organisation ermittelt und kürzlich Gebäude und Wohnungen in König- Wusterhausen und Wandlitz durchsuchte. Schon vorher wurden dem Verein Kontos gekündigt. Der Grund dafür liegt in der von dem Verein offen bekundeten Unterstützung der Menschen im Donbas, den sogenannten Volksrepubliken, die sich mit tatkräftiger Unterstützung von Russland nach 2014 von der Ukraine abgespalten haben.

Im Zuge der Ermittlungen gegen die Friedensbrücke wurde noch mal in Erinnerung gerufen, dass die deutsche Bundesanwaltschaft schon länger die Volksrepublik Donezk (VRD) als ausländische terroristische Vereinigung einstuft. Es gab bereits im letzten Jahr zwei Verhaftungen wegen angeblicher Agententätigkeit und Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung Donezk. Im Oktober letzten Jahres wurde die Anklage erhoben, ebenfalls wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung Donezk. Gegen die Friedensbrücke wird nun juristisch vorgegangen, weil sie mit ihren Hilfslieferungen die ausländische terroristische Vereinigung Donezk unterstützt.

Nun könnte man argumentieren, die Hilfe komme doch vor allem den dort wohnenden Menschen zu gute. Schließlich leben viele seit 2014 im Kriegszustand. Sie werden vor allem von der ukrainischen Armee bombardiert. Denn im Donezk leben viele Menschen, die traditionell eng mit Russland verbunden sind und die ukrainische Politik seit dem Maidan-Umbruch von 2014 entschieden ablehnen. Vor allem die enge Anlehnung der Ukraine nach 2014 an Deutschland und die EU wird von vielen Menschen in Donezk abgelehnt. Das hat ökonomische, aber auch historische Gründe und war lange bekannt. Deswegen haben viele Regierungen in der Ukraine eine neutrale Position zwischen Nato und russischer Welt eingenommen. Damit konnte auch der prorussische Teil der Bevölkerung leben. Das änderte sich nach dem Maidan-Umbruch fundamental.

Es gab damals vor allem in den östlichen Teilen der Ukraine eine Gegenbewegung zum Maidan, den Anti-Maidan. Sie schützte beispielsweise mit Menschenketten Denkmäler von Personen, die als Teil der Roten Armee gegen der Nazibewegung gekämpft hatten. Der 2014 in Kiew an die Macht gekommene Teil des ukrainischen Nationalismus wollte sie verschwinden lassen, hatte aber gleichzeitig wenig Berührungsängste mit den zeitweiligen NS-Kollaborateuren. Manche von ihnen wurden mittlerweile durch Denkmäler geehrt. Schnell bekam der Konflikt geopolitische Dimensionen, weil sich Russland auf die Seite der neuen Volksrepubliken stellte. Seit 2014 ist in dem Gebiet Krieg und viele der Opfer sind Menschen aus der Ostukraine. Sie werden in Deutschland in den meisten Medien wenig erwähnt, oft werden sie mit dem Label Prorussen abgestempelt.

Der vergessene Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa

Mit dem Argument wurde auch weitgehend vergessen gemacht, dass bei einem von rechten ukrainischen Nationalisten und Fußballfans in Brand gesetzten Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai 2014 mindestens 42 Menschen ums Leben kamen. Sie hatten sich vor den Angriffen der Rechten in das Gewerkschaftshaus geflüchtet, hatten aber vorher auch militant gegen ihre Gegner gekämpft. Die Nationalisten griffen dann auch schwer verletzte Menschen an, die vor dem Feuer aus dem Gebäude gesprungen waren.

 Über die Hintergründe erfährt man einiges im Film Lauffeuer von Ulrich Heyden. Aber auch dieser Film wurde allzuschnell als prorussisch abgestempelt. Heyden berichtete viele Jahre als Korrespondent für mehrere linke und linksliberale Zeitungen aus der Sowjetunion und später Russland. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine war es damit vorbei. In einer Zeit, in der die offizielle Politik die Kontakte kappte, zogen die Medien nach. Plötzlich war ein Journalist nicht mehr gefragt, der über das Leben in dem Land berichtet und auch der Film Lauffeuer wurde nur noch selten gezeigt. Denn man kam schnell in den Verdacht, russische Narrative zu verbreiten, wie die aktuelle Phrase heißt.

Fakt ist aber, dass Lauffeuer einer der ganz wenigen deutschsprachigen Filme ist, in dem die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer aus dem Gewerkschaftshaus von Odessa zu Wort kommen. Wer heute in Deutschland an die Toten des 4. Mai 2004 im Gewerkschaftshaus von Odessa erinnert, muss sich ebenso den Vorwurf, prorussisch zu sein, anhören, wie alle, die daran erinnern, dass die Menschen im Osten der Ukraine seit 2014 auch von Raketen der Kiewer Armee starben.

Auch dem Verein Friedensbrücke wurde vom liberalen Tagesspiegel vorgeworfen, an einer Kundgebung zur Erinnerung an die Opfer des Gewerkschaftshauses in Odessa am gleichnamigen Platz im Berliner Stadtteil Köpenick teilgenommen zu haben. „Kreml-Propaganda auf dem Odessa-Platz“ heißt die Überschrift“ im verlässlichen Lautsprecher der Atlantik-Brücke. Der Platz war erst einige Jahre vorher umbenannt worden, aber nicht um an die Opfer im Gewerkschaftshaus zu erinnern, sondern Odessa als wehrhafte Stadt gegen die russische Armee zu würdigen.

„Die Ukraine hat ein Naziproblem“

In der Wochenzeitung Freitag hat die ukrainische Historikerin Marta Havryshko mit vielen Fakten nachgewiesen, dass die Ukraine tatsächlich ein Naziproblem hat. Die Historikerin grenzt sich erfreulich deutlich vom nationalistischen russischen Regime ab, das dieses Naziproblem als Vorwand für den Angriffskrieg nutzt. „Niemand, der halbwegs ernstgenommen werden will, kann den propagandistischen Charakter jener Rhetorik bestreiten, derzufolge Russland in seinem Nachbarland sozusagen im Auftrag der Weltgeschichte einen selbstlosen Feldzug der `Entnazifizierung` führe“, schreibt Havryshko.

Doch sie betont, dass damit eben nicht alles zum Thema gesagt ist. „Wer der Sprache mächtig ist, sich mit einschlägigen Symbolen auskennt und sich die Mühe macht, etwa die ukrainischen sozialen Medien aus diesem Blickwinkel zu verfolgen, kommt aus dem erschrockenen Staunen nicht heraus. Ständig stößt man dort dieser Tage auf stolz präsentierte Nazi-Reminiszenzen bis hin zu offenen Bezügen selbst auf die brutalsten Einheiten der SS – fast als ob hier jemand die Kreml-Propaganda bewahrheiten wollte.“

 Im Weiteren beschreibt die Historikerin wie beispielsweise in Odessa im letzten Jahr 432 Straßen und Plätze umbenannt wurden. Alles, was an die Sowjetunion erinnerte, musste aus dem Straßenbild verschwinden. „Unter den neuen Namensgebern finden wir Persönlichkeiten der OUN und der UPA wie Stepan Bandera, Roman Shukhevych, Olena Teliha, Andrij Melnyk, Yevhen Konovalets sowie von scharfen Antisemitismus und Rassismus geprägte nationalistische Ideologen wie Dmytro Dontsov, Mykola Mikhnovsky und Jurij Lypa“, zählt die Historikerin das Who is Who des deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus der 1930er und 1940er Jahre auf, die im Kampf gegen Kommunisten, Russen, Polen und Juden auch zum Bündnis mit den Nazis gerne bereit waren.

Historische Amnesie

Gegen die Rehabilitation dieser Figuren hat sich die Anti-Maidan-Bewegung ebenso gewehrt, wie viele der Bewohner der Ostukraine, darunter der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk. Wenn nun die Justiz in Deutschland die „Volksrepublik Donezk“ zu einer terroristischen Vereinigung erklärt, ist es ein besonderer Akt deutscher Geschichtsvergessenheit. Der Nachfolgestaat des 3. Reiches, der sich so gerne als Weltmeister in Aufarbeitung der NS-Geschichte feiern lässt, geht juristisch gegen Kräfte in der Ukraine vor, die in dem Land auch gegen die Verklärung profaschistischer Bewegungen und Personen kämpft, die sich zeitweilig mit der deutschen Besatzung verbündeten.

Damit soll nun gar nicht bestritten werden, dass die Donezk-Republiken keine emanzipatorische Politik machen. Die ultrakonservative Familienpolitik und die enge Bindung an den russischen Nationalismus sind nur einige Stichworte. Doch das wäre ein Grund, emanzipatorische Kräfte in der Ukraine zu unterstützten, die sich sowohl gegen die Repression in allen Teilen der Ukraine wenden und Deserteure, Kriegs- und Militärdienstgegner zu unterstützen. Der Kriminalisierung der Volksrepublik Donezk und ihrer Unterstützer in Deutschland sollte als geschichtsvergessene Anmaßung energisch widersprochen werden. Peter Nowak