
Viel hört man in der letzten Zeit von den Gefahren für die bürgerliche Demokratie, die gerne auch mit der Phrase „unsere Demokratie“ bedacht wird. Die Gefährder dieser Demokratie sind dann in der Regel „Extremisten von links und rechts“, die den Staat und seine Organe sogar verächtlich machen, so die Vorwürfe, wie sie regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten der Länder und des Bundes zu lesen sind und in der Regel mit wenig Kritik von einem großen Teil der Medien übernommen wurden. Für die meisten Kommentatoren ist dann auch klar, dass sich der Staat und seine Apparate davor schützen müssen. Das bedeutet mehr Überwachung, mehr Regulierung im Internet. Verfassungsschutz und weitere Sicherheitsgesetze. Einen ganz anderen Akzent setzt der …
… Grundrechte-Report, der ebenfalls jährlich von einem Bündnis verschiedener Bürgerinitiativen und Menschenrechtsgruppen herausgegeben wird. In 43 Beiträge werden dort Gefährdungen für die Demokratie in Deutschland detailliert dargestellt. Doch in diesem Fall sind es vor allem die Staatsapparate, von denen die Gefahr ausgeht.
Alarm und wenige Lichtblicke
Im Jahr 2024 war besonders die Versammlungs- und Meinungsfreiheit besonders bedroht, wie Charlotte Ellinghaus von der Redaktion des Grundrechte-Reports bei der Präsentation betonte. Maximilian Steinbeis ging auch auf die wenigen progressiven Momente für die Grundrechte ein. Es sind vor allem Gerichtsurteile gegen die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Doch das sind wenige Lichtblicke, ansonsten ist es „ein flächendeckend rabenschwarzes Bild“, so beschrieb der Staatsrechtler und Chefredakteur des Verfassungsblogs Maximilian Steinbeis die Lage der Grundrechte in Deutschland. „Die Rückschrittmeldungen werden immer zahlreicher. Der Report 25 besteht fast nur noch aus Alarmmeldungen“, ergänzte Steinbeis sein pessimistisches Urteil.
Er benannte ganz klar die Rolle der Machtapparate, die immer mehr Fesseln und Hürden bereithält. Er nennt den Fall der nonbinären Antifaschistin Maja T., die nach der Entscheidung des zuständigen Gerichts nicht hätte nach Ungarn ausgeliefert werden dürfen. Doch sie wurde ausgeliefert, obwohl klar war, dass dazu ein letztes Urteil noch ausstand. Steinbeis verwendete für dieses Vorgehen das Adjektiv trumphaft. Der US-Präsident ist dafür bekannt, dass er die Justiz nur als lästigen Störfaktor betrachtet, wenn sie seine Macht begrenzen will.
Steinbeis ging auch auf die Ausweisungsverfügung gegen vier Personen ein, die sich in Berlin an propalästinensischen Protesten beteiligt hatten. In ihren Fall allerdings verhinderten Gerichtsurteile bisher ihre Abschiebung. Steinbeis hat sich allerdings in seinen Ausführungen etwas zu stark auf Maßnahmen gegen palästinasolidarische Aktionen beschränkt. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, als er länger auf die Durchsetzung des Haftbefehls gegen den israelischen Premierminister Netanjahu einging. Unter dem Tisch fielen dabei Grundrechteeinschränkungen, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit dem 8. und 9. Mai zu beobachten waren, als auch am Tag der Zerschlagung des NS-Regimes Symbole verboten waren, die an die Sowjetunion, nicht aber an das Putin-Russland erinnern. Dass sich die Polizeirepression auch auf antifaschistische Literatur ausgerechnet am 8. Mai erstreckte, zeigt eine gemeinsame Erklärung der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und des Roten Antiquariats.
Wann ist eine Äußerung antisemitisch?
Auch die Strafverteidigerin Jessica Grimm berichtete detaillierter über Repressalien von Studierenden, die sich an propalästinensischen Protesten an unterschiedlichen Berliner Hochschulen beteiligten. Sie moniert, dass diese Proteste letztlich von den Hochschulen mit Polizeigewalt beendet wurden. Die Unileitungen hätten sich nie damit auseinandergesetzt, ob eine Duldungspflicht für diese Proteste besteht. Dabei blieb Grimm vage, wenn sie sagt, dass die Räumung wegen strafbarer Handlungen erfolgte. Konkreter wurde sie nicht. Dabei geht es allerdings überwiegend um die Frage, ob die Parolen antisemitisch sind.
Vor allem jüdische Studierende beklagen oft ein für sie bedrohliches Klima an den Hochschulen durch die Form der Proteste. So erklärte Ron Dekel von der Jüdischen Studierendenunion, dass er Verständnis hat, wenn Menschen gegen den israelischen Krieg im Gaza protestieren. „Auch in der jüdischen Community gibt es viele Menschen, die auf die Straße gehen, um einen Waffenstillstand zu fordern. Was ich nicht verstehen kann, ist, wenn sie sich einer gewaltvollen, antisemitischen Sprache bedienen“, sagte er in dem Taz-Interview.
Die Frage, wie ein Protest gegen den Krieg im Gaza ohne antiisraelische Rhetorik und positive Bezüge auf islamistische Organisationen möglich ist, sollen sich zumindest die Menschen stellen, die solche Proteste organisieren. Grimm erwähnte auch, dass es von den Gerichten doch viele Freisprüche bzw. Einstellungen gegen geringe Auflagen nach den Hochschulbesetzungen gab. Hier zumindest ist die Lag nicht so düster, wie Steinbeis am Anfang darlegte. Gravierende Folgen kann aber schon eine geringfügige Strafe, wenn sie öfter vorkommt, für Menschen ohne deutschen Pass haben. Grimm betonte, dass viele Angst um ihren Aufenthaltsstatus haben.
Tödliche Polizeigewalt
Sevda Can Arslan von der Initiative 2. Mai ging auf die Polizeigewalt gegen Menschen mit geringen Einkommen ein. Viele, wenn auch nicht alle hatten einen migrantischen Hintergrund. Sie stellte die Frage: „Wer ist schützenswert? Wer darf töten? Um wen darf getrauert werden?“ Arslan berichtete, dass allein in Mannheim in den letzten Monaten 5 Menschen durch Polizeigewalt ums Leben gebracht wurden.
Arslan ging ausführlich auf den Tod von Ante P. durch Polizeischüsse vor 3 Jahren ein und beschrieb, wie der Gerichtsprozess viele rechtsstaatliche Illusionen bei den Beteiligten beseitigt hat. Sie thematisierte das Machtgefälle beim Prozess, das sich schon darin ausdrückte, dass die angeklagten Polizisten finanziell von ihren Gewerkschaften unterstützt werden, während die Freunde und Angehörige der Getöteten selber Geld für die Nebenklage sammeln mussten. Die Mutter von Ante P. sagte hinterher, ihr Sohn sie bei dem Prozess ein zweites Mal gestorben. Bemerkenswert ist die Argumentation des Gerichts, dass die Polizei verpflichtet war, Ante P. gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik zu bringen, weil Eigengefährdung bestand. Dass Ante P. dann in Folge der Polizeimaßnahmen zu Tode kommt, wird dann einfach ignoriert.
Während die Verfahren gegen die Polizisten mit einem Freispruch oder einer Geldstrafe, die von der Polizeigewerkschaft übernommen wird, enden, gehen die Staatsapparate vermehrt gegen Kritiker der Polizeigewalt vor. Arslan sprach von fünf angedrohten Klagen gegen Menschen, die die Tötungen als Mord bezeichneten. Da geht Mannheim den „Fuldaer Weg“. Dort waren mehrere Menschen, darunter auch Journalisten angeklagt, die über den Tod des afghanischen Geflüchteten Matiullah J. durch mehrere Polizeikugeln berichteten oder auf Demonstrationen Parolen skandierten, in denen das Wort Mord vorkam.
Haben auch Rechte Grundrechte?
Der Taz-Justitiar Christian Rath fragte, ob der Grundrechtreport auch auf die Einschränkungen gegenüber politisch Rechten eingeht. Charlotte Ellinghaus erklärte für die Redaktion des Grundrechtereports, dass dort auch erwähnt wird, dass einem Mitglied der NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ das juristische Referendariat verweigert werde. Ellinghaus betonte, dass die Redaktion einen „undogmatisch radikalliberalen“ Freiheitsbegriff vertrete. Grundrechte gelten für alle Menschen, und seien nicht von deren politischer Gesinnung abhängig. Das bedeutet nun keinesfalls, dass man sich etwa mit den politischen Positionen dieser Menschen gemein macht, wenn man nur darauf besteht, dass sie auch Grundrechte besitzen. Das ist eine notwendige Klarstellung in Zeiten, wo oft recht nonchalant über Verbote und verstärkte Staatsgewalt diskutiert wird.
Der Grundrechte-Report wird oft als alternativer Verfassungsschutz bezeichnet. Die Frage wäre aber, ob er nicht eine Alternative zum Verfassungsschutz und seinen Berichten wäre. Er zeigt auf, dass Demokratie und Freiheitsrechte auch und vor allem von repressiven Staatsapparaten bedroht ist. Das ist eine Erkenntnis, die heute leider nicht mehr sehr verbreitet ist. Peter Nowak
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