Die Angst vor einen neuen Jalta geht um bei den Eliten in Deutschland. Sogar nicht wenige Linke stimmen darin überein und machen mobil für neue Aufrüstung.

Deutschland und das Gespenst von Jalta

Längst ist Deutschland ein Player innerhalb der kapitalistischen Welt, der mit anderen kapitalistischen Staaten und Staatengruppen konkurriert, ökonomisch, politisch und auch militärisch. Dazu gehören heute neben Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion auch die USA. Dieser innerimperialistische Kampf um Einfluss und Macht ist der Grund für die am 18. März beschlossenen Kriegskredite ebenso wie für die aktuellen Aufrüstungspläne der EU. Hier positioniert sich der deutsche Imperialismus und seine neuen alten Verbündeten nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen die USA. Und wieder geht das Gespenst von Jalta in der deutschen Politik um

  Warum bleiben die Ängste vor einer Ausweitung des Ukrainekriegs stumm und folgenlos? Diese Frage stellte Leo Ensel in seinem Overton-Artikel „Schlafwandler“. Sie ist sehr berechtigt, wenn man feststellen musste, dass am Nachmittag des 18. März gerade einmal …

… 500 Menschen in der Nähe des Reichstags protestierten. Dort wurden Stunden vorher mit allerlei politischen Tricks von einem bereits abgewählten Parlament neue Kriegskredite beschlossen.

Die Streitereien zwischen den Parteien vor der Abstimmung haben das nicht verhindern können. Außerparlamentarischer Druck war kaum vorhanden, wie sich bei der Kundgebung der Kriegsgegner zeigte. Die verwendeten zudem noch viel mehr Zeit auf die Nahostfrage, bzw. das Anprangern Israels, als auf das Thema, um das es an diesem Tag eigentlich gehen sollte: um die neue deutsche Kriegsfähigkeit.

Dafür gestimmt haben die SPD und die Unionsparteien, nach kurzem Sträuben waren auch die Grünen dabei. Deren Mittun konnte nur diejenigen verwundern, die nicht mehr wissen, dass bereits vor fast 25 Jahren diese Partei von Antimilitaristen in Olivgrüne umgetauft worden war. Sie hatten damals in zahlreichen Städten Parteibüros der Grünen besetzt. Denn diese Partei hatte es damals mitzuverantworten, dass 1999 das erste Mal nach dem 2.Weltkrieg die Bundeswehr wieder andere Länder bombardierte.

Nicht zufällig war es Belgrad, die Hauptstadt des ehemaligen Jugoslawiens.  Die Bundeswehr führte wieder dort Krieg, wo in der ersten Hälfe der 1940er Jahren schon die Wehrmacht agierte.  Aus Jugoslawien war sie von jugoslawischen Partisanen ganz ohne sowjetische Hilfe vertrieben worden. Nach der Wiedervereinigung stand dieses Jugoslawien sofort im Fokus der deutschen Außenpolitik, die wesentlich zum Zerfall des Vielvölkerstaates auf dem Balkan beitrug. Natürlich gab es daneben noch zahlreiche internen Ursachen für den Zerfall Jugoslawiens. Aber die aktive Förderung dieser Spaltungstendenzen durch die deutsche Politik gab  ihnen mächtigen Auftrieb.

Die barbarischen Folgen der folgenden Ethnisierung des Alltagslebens in dem einstigen multiethischen Staat  wird sehr gut in dem Buch „Schindlers Lift“ von Darko Cvijetić am Beispiel von Bewohnern eines der Hochhäuser in einer jugoslawischen Kleinstadt beschrieben.

Protest gegen Kooperation mit kroatischen Nationalisten

Damals gab es in Deutschland noch eine kleine, aber durchaus bemerkbare Protestbewegung gegen  die Beteiligung der Bundeswehr beim  Bombardieren von Jugoslawien. Die Gegner erkannten, um was es dabei eigentlich ging. Deutschland wollte wieder eine Militärmacht werden und bediente sich dabei auch der kroatischen Nationalisten, deren Vorgängerorganisationen mit dem NS-Regime verbündet waren und die bis 1944 ein gemeinsames Feindbild hatten: Juden und Kommunisten.

Nach der Niederlage des NS überwinterten die geschlagenen kroatischen Nationalisten in der BRD. München wurde eines ihrer Zentren. Sie waren im Kalten Krieg gefragte Bündnispartner gegen die Sowjetunion auch für die USA. Mit der Zerschlagung Jugoslawiens sahen sich diese kroatischen Nationalisten am Ziel.  Bald gab es in der neuen Republik Kroatien Denkmäler und Straßennamen, die an die profaschistischen Vorfahren von einst erinnerte.

Schweigen zur Kooperation mit ukrainischen Nationalisten

Eine andere Gruppe von ehemaligen NS-Verbündeten, die nach 1945 in München Zuflucht gefunden hatte, musste einige Jahre länger warten. Es waren die ukrainischen NS-Verbündeten, die allerdings von der NS-Führung nie vollständig anerkannt wurden und daher auch mal verfolgt wurden. Doch wenn es gegen Juden und Kommunisten ging, waren sich die Nazis und die ukrainischen Bandera-Anhänger einig.  Ihr Anführer Stefan Bandera starb wohl nach einem Anschlag des KGB 1959 in München. Sein Grab ist in der bayerischen Landeshauptstadt seitdem zur Pilgerstätte des deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus geworden, bis heute.

Erst nach dem durch die  Maidan-Proteste 2014 ausgelösten Umschwung konnten die  ukrainischen Nationalisten ihrem Idol auch in Kiew, Lwow und anderen Städten Straßen widmen und Denkmäler aufstellen. Nur das stört heute in Deutschland kaum noch jemand.

Auch viele, die vor 25 Jahren noch heftigen Widerspruch gegen die Rehabilitation kroatischer Nationalisten erhoben, reihen sich jetzt ein in den Reigen derer, die Deutschland von den USA und Russland gleichermaßen bedroht sehen. Das wird in vielen Artikeln der einst deutschlandkritischen Wochenzeitung Jungle World deutlich. Dort verteidigt der Inlandredakteur Johannes Simon die aktuellen Kriegskredite gegen Kritik von Abgeordneten des Bündnis Wagenknecht, die bei der Bundestagsdebatte am 18. März  Schilder hochhielten, auf denen stand: „1914 wie   2025: Nein zu Kriegskrediten.“

„Die groteske Vorstellung, die Bundesrepublik bereite einen Angriffskrieg vor wie einst das wilhelminische Deutschland, ­gehört zur derzeit beliebten Phantasie bei all jenen, die nicht erkennen wollen, welchen Beitrag Wladimir Putin und Donald Trump zur Rückkehr der Aufrüstung nach Europa leisten“, schreibt Simon und klingt wie ein Sprachrohr der Bundesregierung.  Da ist er mit Markus Liske einig, der in der Jungle Word die Bundesregierung kritisiert, dass sie nicht mehr Waffen an die Ukraine  liefert.  Die Linkspartei gehört für ihn mehrheitlich nicht nur zu Putins Freunden. Schlimmer noch: „Teile der Partei sympathisieren mit den außenpolitischen Positionen eines Donald Trump.

 Frontstellung Deutschlands gegen USA und Russland

Besonders frappierend ist, dass Simon und Liske nicht nur die die Frontstellung der deutschen Regierung gegen Russland unkritisch nachvollziehen. Seit Trump erneut das Amt als Präsident der USA angetreten hat, ist die US-Regierung zum neuen Gegner geworden. Sie sind damit das lauteste Sprachrohr eines deutschen Selbstbewusstseins, das sich nicht nur gegen Russland, sondern zunehmend auch gegen die USA richtet. Diese Frontstellung hat unter der zweiten Trump-Regierung an Bedeutung gewonnen.

Bereits in den 1980er Jahren polemisierte der Publizist Wolfgang Pohrt gegen die (west)deutsche Friedensbewegung, sie würde  die  ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition Sowjetunion und USA beschuldigen, auf deutschen Boden einen Krieg zu planen.  Pohrt bezog sich in seiner Kritik auf entsprechende Parolen in Teilen der Friedensbewegung. Im Hintergrund stand der Kampf gegen das System von Jalta.

Kampf gegen das System von Jalta

 Die Gegner bezogen sich dabei auf die Konferenz von Jalta, die vom 4. bis 11. Februar 1945 stattfand, Dort legten die Staatschefs von Großbritannien, der USA und der Sowjetunion, also die Sieger über den NS und seine Verbündeten, die Nachkriegsordnung Europa fest. Diese Konferenz war für deutsche Nationalisten schon deshalb ein Gräuel, weil dort eben Deutschland und seine Verbündeten in Osteuropa verständlicherweise nichts zu sagen hatten. Schon seit den 1950er Jahren war das Schlagwort von der Befreiung aus dem System von Jalta bei deutschen Nationalisten aller Couleur verbreitet.  Auch in Teile der deutschen Friedensbewegung fand diese Propaganda Eingang.

Mit der Zeitenwende 1989 waren die deutschen Nationalisten am Ziel. Das ihnen verhasste System von Jalta war gesprengt. Es begann der ökonomische und auch militärische Wiederaufstieg Deutschlands und in Osteuropa kamen die politischen Nachfolger der alten NS-Verbündeten wieder in wichtige Positionen. Sie waren schon im Kalten Krieg auch zu wichtigen Verbündeten der USA gegen die Sowjetunion geworden. Natürlich hatten sie ihre Ideologie angepasst.

Mit dem mörderischen Antisemitismus der 1940er Jahre wollten sie nichts mehr zu tun haben. Doch Kritik an der Verehrung ihrer alten antisemitischen Vordenker wird auch heute nicht gerne gehört, weder in der Ukraine noch in Deutschland. Dort gibt es auch kaum noch jemand, der kritische Fragen stellt. Heute klagt Deutschland die ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition nicht mehr an, dass sie auf ihren Boden Krieg führen wollen, wie in den 1980er Jahren: Längst ist Deutschland ein Player innerhalb der kapitalistischen Welt, der mit anderen kapitalistischen Staaten und Staatengruppen konkurriert, ökonomisch, politisch und auch militärisch. Dazu gehören heute neben Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion auch die USA. Dieser innerimperialistische Kampf um Einfluss und Macht ist der  Grund  für die am 18. März beschlossenen  Kriegskredite  ebenso wie für die aktuellen Aufrüstungspläne der EU. Hier positioniert sich der deutsche Imperialismus und seine neuen alten Verbündeten nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen die USA. Und wieder geht das Gespenst von Jalta in der deutschen Politik um.

Welche Ukraine ist gemeint?

Es wird jetzt gerne erzählt, dass Merz und seine künftigen Koalitionäre die Verabschiedung der Kriegskredite vom abgewählten Parlament auch deshalb so schnell  auf den Weg brachten, weil sie die Szene im Weißen Haus vor Augen hatten, als  Trump und sein Vize Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskij  wie einen lästigen Bittsteller abwiesen. Ein weiterer Grund für die Kriegskredite war die Erkenntnis, dass sich die US-Regierung offensiv um eine Beendigung des Kriegs  in der Ukraine bemüht und deswegen Kontakte mit der russischen Regierung suchte.

Was aber hat gerade die deutschen Eliten daran so erschreckt? War es nicht die Furcht, dass sich 80 Jahre nach der Niederlage des NS die alten Verbündeten von Jalta wieder auf  eine europäische Ordnung einigen könnten, ohne  Deutschland und seine Verbündeten und Hilfswilligen zu beteiligen? Steht also hinter dem Lamento, die USA und Russland könnten sich auf einen Frieden auf Kosten Europas und der Ukraine einigen, die Angst der deutschen Eliten, sie blieben wieder einmal draußen?

Die Phrase von der  Unterstützung der  Ukraine darf natürlich nie fehlen, wenn heute für neue Kriegskredite mobilisiert wird. Doch welche Ukraine ist da gemeint?  Bestimmt nicht die Männer in der Ukraine, die sich verstecken, die desertieren, die alles tun, um nicht in einem Krieg zu sterben, den sie nicht als den ihren ansehen.  Mittlerweile ist in der Ukraine der Widerstand gegen die Trupps, die nicht nur junge Männer an die Front deportieren, gewachsen. Sie werden sicher nichts dagegen haben, wenn der heiße Krieg zwischen Russland und der Ukraine beendet wird.  Auch die Menschen in der Ostukraine, die dem Maidan-Umsturz nie zugestimmt haben, sind nicht gemeint, wenn in Deutschland von der Ukraine gesprochen wird.

Nein, gemeint ist allein der prodeutsche ukrainische Nationalismus, der nach dem Maidan-Umsturz von 2014 in der Ukraine an Einfluss gewonnen hat. Es ist unklar, ob er heute noch die Unterstützung der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hat. Schließlich hat die Politik der Nationalisten den  Konflikt mit dem russischen Nationalismus weiter angefacht. Davor warnten ukrainische Politiker, die sich für eine Neutralität zwischen der EU und der russischen Welt einsetzten. Aber nach dem Maidan-Umsturz werden alle, die sich eine solche Position vertreten, als Pro-Russen diffamiert und verfolgt. Das aber interessiert diejenigen nicht, die immer wieder von der Ukraine reden, die es zu unterstützen gilt und dabei  die Fraktionen meinen, die 2014 an die Macht gekommen sind.

Weil sie wissen, dass deren Unterstützung in der Bevölkerung heute unsicher ist, werden Forderungen nach Neuwahlen, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen so vehement zurückgewiesen.  Denn sie fürchten, dass der deutschfreundliche Nationalismus an Einfluss verlieren könnte. Lieber soll der Krieg weitergehen auf Kosten aller Ukrainer. Längst beginnen auch manche ukrainische Nationalisten, die 2014 mit Deutschland sympathisiert haben, zu begreifen, dass sie vor allem Kanonenfutter sind und fordern  einen Waffenstillstand. Sie stehen in der Politik von Trump eher eine Chance.  Das ist für den deutschen Imperialismus ein Alarmsignal, dass er im osteuropäischen Hinterhof an Einfluss verlieren könnte. Die Kriegskredite sollen auch die Entschlossenheit des deutschen Imperialismus deutlich machen, ihre Pfründe zu verteidigen. Um die Menschen in der Ukraine geht es dabei genau so wenig wie bei allen anderen Imperialisten.

Wenn russische Nationalisten ihre Phrasen vom ukrainischen Brudervolk verbreiten, dem sie dann mit Gewalt die angeblichen Segnungen der russischen Welt bringen, ist das nicht weniger verlogen, wie das Lamento deutscher Politiker und Medien über die fehlende Unterstützung der Ukraine.  Umso bedauerlicher, dass ihnen dabei nicht wenige Linke und Linksliberale nach dem Mund reden.

Eine unabhängige linke Position müsste die geopolitischen Interessen aller Seiten kritisieren und sich mit keiner von keiner von ihnen gemein machen. Das wäre die Grundlage für eine internationale Bewegung gegen Aufrüstung und Krieg. Solange viele Linke sich hinter die geopolitischen Interessen der jeweiligen Eliten ihrer Länder stellen, kann sie nicht entstehen. Das wurde bei den schwachen Protesten gegen die jüngsten deutschen Kriegskredite sehr deutlich.

Peter Nowak ist freier Journalist für verschiedene Zeitungen und dokumentiert sie auf seiner Homepage.  Mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee gab er im Juni  2022 das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns … Deutschland und die Ukraine“ im Critic Verlag heraus.