Über die Antideutschen wird immer noch viel gesprochen, allerdings oft ohne Hintergrundwissen. Manchen dient die linke Strömung schlicht als
Projektionsfläche gegen alle, die mit Israel solidarisch sind. Umso interessanter ist es, von Menschen zu hören, die in den 90er Jahren die antideutsche Bewegung mitbegründet haben. Daher war der Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität bei der Podiumsdiskussion …
… »Was waren die Antideutschen?« Anfang August trotz Semesterferien gut gefüllt. Hierzu hatte das akademisch-marxistische Netzwerk »Platypus« zwei Antideutsche der ersten Stunde eingeladen: Detlef zum Winkel und Justus Wertmüller. Allerdings bekam das Publikum letztlich eher eine Antwort auf die Frage, was aus den Antideutschen
geworden ist. Manche traten den Marsch durch die Institutionen an;
Detlef zum Winkel etwa arbeitete lange Zeit für die IG Metall und interessiert sich seit dem Abgang des Wagenknecht-Lagers für die Linkspartei. Manche bogen scharf rechts ab und vertreten heute Positionen, die sie selbst vor 30 Jahren bekämpft haben. Nein, »Platypus« hatte nicht Jürgen Elsässer eingeladen, der in den 90er Jahren zu den bekanntesten Antideutschen gehörte
und heute seiner Biografie den Titel »Ich bin Deutscher. Wie ein Linker zum Patrioten wurde« gibt. Aber wie Elsässer hat auch der geladene Referent Justus Wertmüller in den letzten 30 Jahren einen Marsch nach rechts hingelegt.
Wertmüller hatte sich zunächst bei den bayerischen Jungsozialistinnen, der Kleinstpartei Demokratische Sozialistinnen und dem Kommunistischen Bund organisiert, dann bei den Grünen, die er in den 80er Jahren im Stadtrat von Rosenheim vertrat. Schließlich wurde er Chefredakteur der antideutschen Postille »Bahamas« – wobei betont werden muss: In den späten 90er Jahren engagierten sich »Bahamas«- Redakteur*innen noch für die Rechte von Geflüchteten in Deutschland, heute sehen sie im Islamismus die Hauptgefahr.
Und so zitiert Wertmüller in der HU nun zustimmend den Vize-Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner, J.D. Vance, mit der Bemerkung, Großbritannien sei der erste »islamistische Staat« mit Atomwaffen in der Welt. Des Weiteren erging er sich in einer Hassrede auf Lenin und die Bolschewiki, die er als »Blutsäufer« und »Verbrecher« titulierte, weil sie es tatsächlich gewagt hatten, eine Revolution anzuzetteln. Dass in den Reihen dieser Bolschewiki viele jüdische Menschen kämpften und Lenin sich immer
wieder gegen Antisemitismus aussprach, war Wertmüller keine Silbe Wert. Stattdessen bezeichnete er Sartre wegen seines Vorworts zu Frantz Fanons bekanntem Werk »Die Verdammten dieser Erde« als »blutrünstig« und stellte das antikoloniale Werk gar in Zusammenhang mit Hitlers »Mein Kampf«. Die Frage, die angesichts solcher Positionen u beantworten bleibt, ist, ob es sich
bei ihnen um eine Abweichung handelt – oder ob sie in der antideutschen Theorie schon immer angelegt waren. Peter Nowak