Wenn Antifaschisten zum 8. Mai die Parole "Wer nicht feiert, hat verloren" ausgaben, lagen sie genau richtig, weil sie eben an diesen Tag die Perspektive der Opfer des Faschismus in aller Welt und nicht die der deutschen "Volksgemeinschaft" und ihrer Verbündeten stärken wollten. Letztere saßen an diesen Tag wie die Junge Freiheit und Co. in der rechten Schmollecke.
„Es gibt genug an der russischen Politik zu kritisieren. Wer das aber ausgerechnet zum Jahrestag des Beginns des deutschen Vernichtungskriegs tut, beteiligt sich an Geschichtsrelativierung“, dieser Kommentar zum 80. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion ist elf Monate später noch aktueller. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass in diesem Jahr ausgerechnet bei den Gedenkveranstaltungen zum Ende des Naziregimes die Fahne der Sowjetunion verboten wird. Doch unter anderem genau das steht in der Allgemeinverfügung der Berliner Polizei …
Diese Stigmatisierung einzelner Bevölkerungsgruppen ist nicht neu und hat in Deutschland lange Tradition. Wer gedacht hätte, unmittelbar nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten wäre zumindest in Deutschland diese Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen geringer geworden, irrt.
In den letzten Monaten stagnieren rechte Parteien auch in Deutschland in der Wählergunst. Das wurde an dem Wahlergebnis der AfD von ca. 5 Prozent bei den Kommunalwahlen in NRW am 13. September deutlich. Analysten nennen als Gründe neben dem innerparteilichen Streit in der AfD auch den Bedeutungsverlust, den das Flüchtlingsthema in großen Teilen der Bevölkerung gerade in Zeiten von Corona erlitten hat. Nach dem Feuer in Moria versuchen unterschiedliche rechte Gruppen und Medien mit einer ….
Die Initiative "Omas gegen rechts" warnt davor, dass auch Organisatoren von Fridays gegen Altersarmut aktiv in rechten Zusammenhängen sind. Allerdings wird da auch betont, dass längst nicht alle Menschen, die sich bei Fridays gegen Altersarmut engagieren, Rechte sind.
Die Jugendklimabewegung geht längst nicht mehr jeden Freitag auf die Straße. Es war klar, dass ein wöchentlicher Protestevent irgendwann an Dynamik verliert. Dafür wollen am heutigen Freitag, den 24. Januar, in über 200 Städten Senioren auf die Straße gehen, und auch sie mobilisieren sich – unter dem Namen Fridays gegen Altersarmut – über soziale Medien. Kopiert jetzt also die ältere Generation die Aktionen der Jüngeren?….
Warum die Aufstehen-Bewegung trotz vieler berechtigter Kritik eine positive Rolle haben kann
Horst Seehofer hat es wieder getan. Indem er die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärte, lieferte er nicht nur eine weitere Kampfansage an Merkel, wie der Publizist Albrecht von Lucke in seinem engagierten Deutschlandfunk-Interview erklärte [1].
Das eigentliche Problem besteht darin, dass er diese Kampfansage auf dem Terrain und mit den Themen der AfD führt. Es sind Bewegungen wie Pegida und Parteien wie die AfD, die alle politischen Erscheinungen auf die Migration zurückführen. Es ist daher eine Bestätigung dieser Bewegungen, wenn nun Seehofer deren Welterklärungsmodelle übernimmt. Er bedient die rechte Klientel, in dem er auf deren ideologischem Terrain bleibt und mit dafür sorgt, dass weiterhin die Migration das zentrale Thema bleibt. Davon profitieren rechte Grupperungen.
Dabei geht es nicht darum, dass nun die Politiker unter Umständen auch harsche Worte über die AfD finden. Das hat der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki [2] ebenso getan, wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmar. Doch beide haben auch zentrale Erklärungsmuster der AfD übernommen, Kubicki, wenn er die Ursache für die rechten Aufmärsche in Chemnitz und anderswo in der angeblichen Grenzöffnung von Merkel 2015 sieht. Dabei übernimmt er schon rechte Denkmuster dadurch, dass er von einer Grenzöffnung fabuliert, die gar nicht stattgefunden hat.
Tatsächlich geht es den Kritikern darum, dass 2015 die in der EU offenen Grenzen nicht mit Panzer und Wasserwerfer gegen die Migranten verteidigt wurde. Zudem gab Kubicki so den rechtslastigen, häufig als akademischen Pegida-Versteher [3] apostrophierten Werner Patzelt die Gelegenheit, Kubicki und selbst Seehofer noch einmal von rechts zu überholen. „Wenn er damit gemeint hat, dass die Flüchtlingspolitik die Wurzel für dieses Übel ist, dann hat er Recht“, erklärte Patzelt. Hat Seehofer die Migration als Mutter aller Probleme bezeichnet, unternahm Patzelt die semantische Verschärfung, in dem er von der Mutter aller Übel sprach.
Jagdszenen oder Hetzjagd auf Chemnitzs Straßen?
Auch der sächsische Ministerpräsident bestätigt mit seiner Erklärung, dass es keine Hetzjagden und Pogrome in Chemnitz gegeben hat, die Rechten. Dabei muss man allerdings hinzufügen, dass durch manche alarmistischen Beiträge des liberal-weltoffenen Lagers die Rechten auch eher bestärkt wurden.
Es waren, worauf Albrecht von Lucke in seinem Deutschlandfunk-Interview hinwies, gut organisierte rechte Aufmärsche. Da wurde auch dafür gesorgt, dass die beim Trauermarsch anwesenden Neonazis den rechten Arm unten lassen mussten. Sie wurden vorher von ihren Führungsleuten entsprechend instruiert: „Heute sind wir Volk, nicht Gesinnung“, lautete das Motto. Also Nazis dürfen schon dabei sein, sie sollen sich nur nicht als solche zeigen.
Nun wird in den Medien diskutiert, ob in Chemnitz Jagdszenen [4] oder eine Hetzjagd [5] stattgefunden hat. Tatsächlich ist die Semantik gerade bei einer Thematik wichtig, bei der den Rechten vorgeworfen wird, mit der Sprache hetzen und spalten zu wollen. Doch all diese Beiträge bleiben auf dem Terrain der Rechten – und sie können davon profitieren, selbst wenn die sich kritisch zur AfD und ihrem Umfeld äußern.
Warum Initiativen wie Aufstehen gerade jetzt wichtig sein könnten
Dabei ginge es darum, das Diskursfeld der Rechten zu verlassen und andere Themen in die Debatte zu werfen, die durch das rechte Themensetting erfolgreich verdrängt werden. Hier könnte die kürzlich gegründete Initiative Aufstehen [6] eine positive Rolle spielen. Denn dort ist eben nicht die Migration, sondern die soziale Spaltung das zentrale Problem.
Das ist natürlich eine derart beliebige Aussage, dass sie von Teilen der CDU ebenso unterschrieben werden kann wie von einem großen Teil der Reformlinken. Dass nun vor allem von den Grünen und der SPD Politiker dabei sind, die in ihrer Partei nichts oder nichts mehr zu sagen haben, könnte auch darauf hindeuten, dass es sich um eine von vielen Initiativen handelt, die nach ihrer Gründung bald wieder vergessen sind. Oder wer redet noch über die mit viel publizistischem Aufwand vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yaroufakis initiierte DIEM-Bewegung?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Aufstehen wie in den frühen 1990er Jahren die Komitees für Gerechtigkeit am Ende damit enden, dass auf den Listen der Linken einige Parteilose kandidieren. Aber das ist nicht das Entscheidende. Aufstehen wird keine Revolution anführen und das ist auch gar nicht das Ziel.
Aber es gibt auch einen positiven Moment der Gründung, nämlich dass die politische Diskursebene gewechselt wurde. Es handelt sich hier nicht um eine linke Debatte, sondern um eine, in der Linke mitdiskutieren und Akzente setzen können, ganz im Gegensatz zur Migrationsdebatte, in der sogar gegenüber den Rechten kritische Beiträge auf deren Terrain verbleiben. Bei der Aufstehen-Debatte könnte man auch den Gedanken einbringen, dass es nicht um die Erörterung einer sozialen Frage gehen kann, sondern um die Frage, ob sich die Mehrheit der Menschen den Kapitalismus noch leisten kann und will.
Dann wären wir auf einer Diskursebene, die sowohl Liberale als auch Rechte aller Couleur meiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn dann müssten sie sich ja die Frage gefallen lassen, warum sie in Deutschland eine staatlich geförderte Verarmungspolitik vorantreiben, die Stefan Dietl in dem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Prekäre Arbeitswelten“ [7] knapp und prägnant beschreibt.
Wie sehr auch die AfD ein solches Thema vermeidet, wurde auf einer Konferenz zur Zukunft der Rente im brandenburgischen Neuenhagen deutlich. Aktuell streiten in der AfD Marktradikale und völkische Nationalisten, wie hoch der Anteil des Sozialstaats dabei sein soll. Der dort als Parteiunabhängiger eingeladene Jürgen Elsässer warnte davor, dass sich die AfD an der Rentenfrage zerstreite, und wusste Rat. Die Partei solle weniger auf das Materielle schauen, sondern die Debatte auf die Sicherheit lenken. Viele Senioren würden unter den Veränderungen der modernen Gesellschaft leiden. Und wenn eine Partei dann die gute alte Zeit vor 50 oder auch 80 Jahren beschwört, sind sie schon zufrieden auch mit wenig Rente.
Hier zeigte Elsässer deutlich, welche Rolle die Diskurse über Law and Order, Kriminalität und Einwanderung haben. Niemand redet dann mehr davon, warum in einer Gesellschaft, in der die Produktivkräfte so weit entwickelt sind, dass ein schönes Leben für alle keine Utopie mehr sein müsste, Menschen allen Alters Flaschen sammeln müssen. Die Rechten aller Parteien reden dann von angeblichen Geldern, die Migranten bekommen. Aber nicht die Migranten, sondern die Politiker aller Couleur haben die gesetzlichen Grundlagen für die Altersarmut geschaffen, unter anderen durch die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der natürlich auch Minirenten erzeugt.
Wie das Kapital in der Mietenpolitik den Klassenkampf von oben führt
Oder gehen wir auf das Feld der Mietenpolitik. Es ist noch keine zwei Wochen her, da bekamen wir einen sehr plastischen Anschauungsunterricht im Klassenkampf von oben auf dem Feld der Mieten- und Wohnungspolitik. Der Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums empfahl Marktwirtschaft pur und forderte ein Ende der sowieso wirkungslosen Mietpreisbremse. Freie Fahrt für die Investoren hieß die Devise. Der Taz-Kommentator Martin Reeh fand die passenden Worte [8]:
Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.
Martin Reeh
Er benennt auch, wie der weitere Umbau der Gesellschaft im Sinne der Kapitalbesitzer vorangetrieben wird und wer darunter leidet:
Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das. Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht zu einer Eigentumswohnung gebracht hat. Dabei könnten gerade Liberale Mietverhältnisse als Ausdruck von Freiheit verstehen – als Möglichkeit, sich relativ schnell nach eigenen Wünschen zu verändern. Das Berlin, das Poschardt so liebt, wäre ohne einen großen Anteil an günstigen Mietwohnungen nicht denkbar. Auch bundesweit hat die Wirtschaft von günstigen Mieten profitiert. Der Umzug für einen neuen Job fiel dadurch wesentlich leichter.
Martin Reeh
Nun könnte man fragen, wo bleiben die Demonstrationen vor dem Bundeswirtschaftsministerium, aus dessen Hause ja die Empfehlungen kamen? Warum gehen aus Protest [9] gegen den am 21.9. geplanten Wohnungsgipfel von Heimatminister Seehofer nicht Zehntausende auf die Straße? Ein Grund liegt daran, dass die Rechten mit dem Diskursfeld Migration diese Themen in den Hintergrund gedrängt haben.
Wo über Zuwanderung, über die, die dazu gehören und die angeblich nicht mal das Existenzminimum verdient haben sollen, geredet wird, geraten die Kapitalverbände und ihre Hand- und Kopflanger aus dem Blick, die beim Umbau zum marktgerechten Staat dann freie Hand haben. Wenn nun Seehofer die Migration zum zentralen Problem erklärt, trägt er ganz bewusst dazu bei, dass über die Zumutungen des Kapitalismus nicht mehr geredet wird.
Wenn nur noch über Diskriminierung und nicht mehr über Ausbeutung geredet wird
Aber auch ein Teil des sich selbst als weltoffen bezeichnenden Lagers hat kein Interesse daran. Das wird auch an Reaktionen dieses Lagers auf die Aufstehen-Initiative deutlich.
So erklärte der Jusovorsitzende Kevin Kühnert der Deutschen Presse-Agentur, der Aufruf umschiffe politische Fragen, etwa einen Konflikt zwischen Verteilungspolitik und Identitätspolitik, bei der es um gesellschaftliche Bedürfnisse bestimmter Gruppen gehe. Haltungsfragen auszuklammern und erstmal in einem Online-Forum zu diskutieren ist aber nicht basisdemokratisch, sondern beliebig, so seine Kritik.
Kühnert gehört wie viele im Umfeld von SPD und Grünen zu denen, die nur noch über Diskriminierung, nicht mehr aber über Ausbeutung reden wollen. Damit argumentieren sie im Einklang mit Kapitalverbänden, für die Diversity und Vielfalt Standortvorteile sind, höhere Löhne und Senkung der Arbeitsstunden hingegen nicht. In den USA hat man schon wesentlich länger Erfahrungen, wie man mit dem Diskurs über kapitalkonforme Antidiskriminierungsmaßnahmen von kapitalistischer Ausbeutung schweigen kann. Der Journalist Bernhard Pirkl führt [10] in der Jungle World in die US-Debatte ein:
Kritik an affirmative action kommt aber auch von der amerikanischen Linken. Das Geschwisterpaar Barbara [11] und Karen Fields [12] etwa argumentiert [13], dass Antidiskriminierungsmaßnahmen dazu führten, dass mit ihrer Art der Thematisierung sozialer Disproportionalität die ökonomische Ungleichheit als Faktor aus dem Blick geriete. Auf das Bildungssystem bezogen lautet ihr Argument: Die Änderung der Zusammensetzung der Studentenschaft in den Hochschulen lässt die Grundstruktur der Ungleichheit im Bildungssystem nicht nur intakt, mehr noch, der Diskurs um diversity lässt diese Ungleichheit als selbstverständliche erscheinen. Die Frage, warum überhaupt Knappheit an Studienplätzen und Jobs besteht, werde erst gar nicht gestellt, wenn nur über deren Verteilung gestritten werde, was eine gewisse Folgerichtigkeit habe, denn anders als race sei class, das Reden über Klassen, in der amerikanischen Gesellschaft stark tabuisiert.
Bernhard Pirkl
Die Kritik an einer kapitalgenehmen Antidiskriminierungspolitik bedeutet nicht, dass eine Politik der Stärkung (empowering) von Minderheiten falsch ist, sondern dass sie nicht mehr nach der Melodie des Kapitals spielen soll. Zudem soll neben Diskriminierung wieder über Ausbeutung geredet werden, wobei eben wichtig zu betonen ist, dass kapitalistische Ausbeutung nicht einfach an andere Unterdrückungsformen aneinandergereiht werden kann:
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels hat auf einen grundlegenden Fehler dieser methodischen, additiven Symmetrierung hingewiesen, der darin besteht, dass dabei kaschiert wird, dass die Analysekategorie class einer anderen Logik gehorcht als Identitätskategorien wie race und gender beziehungsweise sexuelle Orientierung: Erkennt man die normierenden Disziplinartechniken, die zur Demütigung von beispielsweise Homosexuellen beitragen, als illegitim oder beseitigt sie sogar, dann bedeutet dies auch das Ende des Stigmas und damit perspektivisch auch der Unterdrückung. Behandelte man nun Klasse – wie es in der Theorie des „Klassismus“ auch tatsächlich geschieht – analog dazu als ein Problem der Diskriminierung einer Identität, so muss man feststellen, dass arme Menschen auch ohne das Stigma Armut unterdrückt bleiben.
Bernhard Pirkl
Wenn jetzt Teile des weltoffenen liberalen Lagers die Aufstehen-Bewegung mit dem gar nicht überprüfbaren Argument diskreditieren wollen, die wäre bei der zivilgesellschaftlichen Bewegung in und um Chemnitz nicht dabei gewesen, könnte man zurückfragen. Wann habt ihr einen Streik unterstützt oder Erwerbslose auf das Amt begleitet?
Wenn es Aufstehen gelingt, einen neuen Diskurs über Ungleichheit ohne Ethnisierung zu etablieren, hätte sie ihre Aufgabe erfüllt. Den Satz, die Mutter aller Probleme in Deutschland wie in der Welt ist die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft, kann man von Seehofer nicht erwarten. Aber es liegt an denen, die sich an der Debatte beteiligen, auch an denen, die wie der Autor, bestimmt nicht Teil dieser Sammlungsbewegung werden wollen, ob sich ein solches Motto gegen die Seehofers, Gaulands etc. durchsetzen kann.
Peter Nowak
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Warum der Kampf gegen den Antisemitismus davon befreit werden muss, als Legitimationsideologie eines Staates und dessen Regierung zu dienen
Es scheint einer jener periodisch auftretenden Flügelkämpfe der Restlinken, wenn nun mehrere linke Initiativen zum Boykott des Leipziger Kulturzentrums Conne Island[1] aufrufen. Da wird gleich von Querfront geredet und ein Rundumschlag gegen israelsolidarische Linke insgesamt gemacht. Der Grund der Kritik aber ist berechtigt und wird im Conne Island durchaus kontrovers diskutiert[2].
Das Zentrum hatte den selbsternannten Verteidiger des Abendlands Thomas Maul[3], der in der AfD die „einzige Stimme der Restvernunft“[4] sieht, die Möglichkeit gegeben, dort einen Vortrag zum moslemischen Antisemitismus und seinen angeblichen linken Verharmlosern zu halten. Ein Teil seiner Bündnispartner hatte Maul ausgeladen, nachdem ihnen sein Lob auf die AfD und seine permanenten Angriffe auf feministische Positionen bekannt geworden sind.
Nun war Maul schon lange, bevor es die AfD gab, durch eine mangelnde Abgrenzung zu einer rechten Islamkritik aufgefallen. Bei seiner Lesung im Rahmen der Linken Buchtage im Jahr 2010 in Berlin wurde im Publikum unwidersprochen der Hass auf den Islam propagiert[5].
Identitäre werben für Magazin der Ex-Antideutschen
Maul betonte hinterher, dass er mit keinen Wort selber zum Hass aufgerufen habe, distanzierte sich aber auch nicht von entsprechenden Äußerungen aus dem Publikum. Nun bleibt allerdings nach der Lektüre vieler von Mauls Texten offen, ob es sich bei seinen Beiträgen eher um Provokationen gegen das von ihm erkennbar nicht geschätzte aktuelle linke Milieu oder um ausformulierte rechte Positionen handelt. So kann man auch bei seinem AfD-Lob zwischen den Zeilen lesen, dass es ihm eher darum geht, die oft rituelle Empörung über die AfD anzuprangern.
Das zentrale Medium von Maul ist die Publikation Bahamas[6]. Vor zwei Jahrzehnten von einigen Ex-Maoisten gegründet hatte es einen gewissen Einfluss auf die Debatten in der frühen antideutschen Strömung. Heute bekennt sich kaum noch jemand in der Linken dazu, Bahamas zu lesen. Dafür hat die Zeitung neue Freunde gefunden. Martin Sellner von der rechten Identitären Bewegung findet Gefallen[7] an dem Magazin[8].
Das ist kein Zufall, wenn es um das Lob für Trump oder die Verachtung von Feminismus und Antirassismus geht, findet man in den Texten der aktuellen Bahamas-Ausgaben nichts, was nicht auch in Medien der schlaueren Rechten stehen kann.
Da wird in einen Bahamas-Text über die Black-Panther-Bewegung in den USA eine regelreche Gräuelpropaganda betrieben, wie sie sonst nur in der US-Rechten üblich ist, für die in dem Blatt viel Verständnis geäußert wird. In der aktuellen Ausgabe wurde Trumps Rede zum Bruch des Atomabkommens mit dem Iran im Wortlaut abgedruckt.
Wie in der Rechten wird auch in der Bahamas die Merkelsche Flüchtlingspolitik angeprangert, nicht etwa weil sie ein freundliches Gesicht zur Abschottung fordert, sondern weil sie angeblich 2015 die Grenzen geöffnet hat. Die rechten Fakenews von der Grenzöffnung durch Merkel werden von der Bahamas-Redaktion bereitwillig übernommen. Mittlerweile kokettiert die Bahamas-Redaktion selber mit dem Etikett Rechtsantideutsche[9], die wiederum von den Antideutschen bekämpft werden, die sich noch als links verstehen.
Sogar mit den berühmt-berüchtigten kleinen Mann und der kleinen Frau in Deutschland macht die Bahamas ihren Frieden[10]. Schließlich ist der jetzt oft gegen Moslems und Migranten, also auf der aktuellen politischen Linie der Bahamas.
Wie die Praxis der Rechtsantideutschen aussieht, schildert ein Teilnehmer an der diesjährigen israelsolidarischen Demo gegen den islamistischen und teilweise antisemitischen Al Quds-Tags[11]. Ein Teil der Teilnehmer habe sich im Anschluss an einer Antifademo gegen einen von der AfD initiierten Frauenmarsch gegen den Islamismus beteiligt, die Rechtsantideutschen hingegen hätten sich samt ihrer Israelfahnen in diese Frauendemo eingereiht.
So ist die aktuelle Bahamas eigentlich wieder auf einer Linie mit einem alten Freund und Gesinnungsgenossen. Jürgen Elsässer veröffentliche in den ersten Jahren zahlreiche Texte in der Bahamas, bevor es ihn durch die gesamte linke und linksliberale Medienlandschaft trieb.
Nun hat er mit Compact ein eigenes Medium, das viel bekannter als die Bahamas und mehr auf praktische politische Einflussnahme, denn auf theoretischen Tiefgang aus ist. Doch Elsässer galt ja auch in seiner antideutschen Phase als Populist. Auch die Vorzüge des Populismus hat die Bahamas mittlerweile entdeckt.
Inhaltlich dürfte es heute zwischen Compact und Bahamas viele Gemeinsamkeiten geben, vor allem die Verachtung von allem, was als Erbe der 68er-Bewegung bezeichnet wird. Dazu gehören vor allem Antirassismus und Feminismus und auch der Marxismus überhaupt. Bei der Bahamas wird er, wenn überhaupt noch, als philosophische Bewegung gelten gelassen.
Politische Bewegungen, die sich auf den Marxismus berufen, werden gnadenlos bekämpft. Elsässer hat seine Abkehr von jeder marxistischen Phase bereits vor mehr als 10 Jahren vollzogen. Kein linkes Zentrum will für ihn heute noch zu einer Diskussionsveranstaltung einladen. Es ist daher zu fragen, warum eine Distanzierung von einem Thomas Maul so schwer viel schwerer fällt, wie sich am Fall des Leipziger Conne Island zeigt.
Rechte Israelsolidarität kein Kampf gegen den Antisemitismus
Das liegt vor allem daran, weil Maul und andere Bahamas-Autoren als frühe Streiter gegen jeden Antisemitismus gelten. Manchen scheint es als ein Zugeständnis an die Israelkritiker, wenn man einen ihrer Autoren auslädt. Hier rächt sich, dass man zu wenig zur Kenntnis nimmt, dass die rechte Israel-Solidarität eben nicht nur eine Schimäre ist.
Es ist auch nicht einfach eine Taktik, damit rechte Parteien vorzeigbarer werden. Das spielt sicher eine Rolle. Aber die rechte Israel-Solidarität ist im Wortsinn eine Unterstützung von Israel als Bollwerk gegen den Islamismus.
Damit wirbt die ultrarechte israelische Regierung und übt einen engen Schulterschluss mit Ultarechten wie dem ungarischen Ministerpräsident Orban, der kürzlich bei seinem Israel-Besuch sehr freundlich empfangen wurde. Massive Kritik hingegen kam von der israelischen Opposition.
Denn Orban wurde von der israelischen Regierung wegen seiner massiven Flüchtlingsabwehr nicht kritisiert, sondern gelobt. Orban verhindere damit die Einreise von antisemitischen Moslems, so Netanyahu.
Die Rechtsantideutschen plappern das nur nach. Dann sehen sie alle Orban auch nach, dass er sich wesentlich auf antisemitische Figuren in der ungarischen Geschichte wie den Hitler-Verbündeten Horthy stützt. Seine jahrelange Kampagne gegen Soros und seine Stiftung, die alle Kriterien des modernen Antisemitismus[12] trägt, wird entschuldigt.
In der Bahamas wird plötzlich gegen die angeblich „notorisch antizionistische“ Soros-Stiftung polemisiert und schon die ungarische Kampagne gerechtfertigt. Tatsächlich ist Soros kein Freund der aktuellen israelischen Rechtsregierung, er ist aber keinesfalls Antizionist.
Hier zeigt sich auch deutlich, dass die rechte Israelsolidarität eben kein Kampf gegen den Antisemitismus ist. Im Gegenteil ist diese Israelsolidarität selber antisemitisch, wenn es um Juden geht, die nicht bedingungslos zur aktuellen israelischen Regierung stehen.
Nicht nur nichtzionistische Organisationen wie Breaking the Silence[13], die sich kritisch mit der israelischen Armee befasst[14], geraten ins Visier. Auch die Interessenvertretung der eindeutig proisraelischen Linkszionisten in den USA J-Street[15] wird von Netanyahu und seinen Claqueuren schon als Verräter bekämpft.
Für eine Neudifferenzierung der linken Israelsolidarität
Ein Conne-Island-Boykott, vor allem wenn dann gleich große Teile der Israelsolidarität mit den Rechtsantideutschen in einen Topf geworfen werden, bleibt eher reaktiv. Angesichts einer Israelsolidarität, die von verschiedenen europäischen Rechtsparteien getragen wird – die typisch deutsche Marginalie der Rechtsantideutschen spielen da nur eine kleine Rolle – müsste es eine gute Gelegenheit sein, sich in der Linken über die Israelsolidarität und den Kampf gegen den Antisemitismus neu zu verständigen.
Die Engführung des Antisemitismus auf einen auf Israel bezogenen Antisemitismus hat sich in mehrfacher Weise als verhängnisvoll erwiesen. Der Hauptgrund ist, dass ein Großteil der Juden, die keine Anhänger der israelischen Rechtsregierung sind, von der Solidarität ausgenommen oder gar von den rechten Israelsolidarischen selber antisemitisch angegriffen wird.
Die Soros-Stiftung ist da nur das bekannteste Beispiel. Durch die Konzentration auf den israelbezogenen Antisemitismus geriet in Vergessenheit, dass sich Antisemitismus immer auch und hauptsächlich gegen die Kosmopoliten, gegen Menschen, die sich nicht auf Staat und Nation festlegen lassen, richtet.
Heute sind daher besonders Juden vom Antisemitismus betroffen, die sich nicht auf die israelische Politik festlegen lassen. Ihnen wird aber von einem Teil der Israelsolidarischen, nicht nur den Rechtsantideutschen, jede Solidarität verweigert. Schlimmer noch: Zumindest die Bahamas und ihr Umfeld beteiligen sich an den Angriffen auf Juden und jüdische Organisationen, die angeblich nicht bedingungslos zur israelischen Rechtsregierung stehen.
Zur Neuformulierung eines linken Kampfes gegen jeden Antisemitismus müsste der Begriff besonders begründet werden. Er schließt auch den Antisemitismus gegen Juden ein, die sich nicht mit Israel identifizieren, die als Anarchisten, Antinationale, Kosmopoliten, Sozialisten auf Distanz zum Staat Israel bestehen. Es ist nicht einzusehen, warum ihnen die Solidarität gegen Antisemitismus verweigert wird, die gerade sie oft besonders benötigen.
So würde auch deutlich, dass der Kampf gegen den Antisemitismus kein Staatsprojekt ist. Für manche Israelsolidarischen spielt Israel heute die Rolle, die manche Parteikommunisten der Sowjetunion zumaßen. Sie wurde zum Vaterland der Werktätigkeiten erklärt und jeder Kommunist, der daran zu zweifeln wagte, wurde zum Verräter erklärt und exkommuniziert.
Parallel dazu wird Israel von den Rechten und Rechtsantideutschen zur neuen Sowjetunion. Zumindest die Politik der aktuellen Rechtsregierung wird frenetisch verteidigt und die kleinste Kritik als Antisemitismus bekämpft.
Es ist an der Zeit, den Kampf gegen den Antisemitismus wieder zu einer Sache einer nichtstaatlichen linken Bewegung zu machen und ihn davon zu befreien, Legitimationsideologie eines Staates zu werden. Das wäre das Beste, was man den rechten Israelverteidigern entgegenhalten könnte.
Peter Nowak
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Die AfD treibt die CSU, aber auch die CDU vor sich her
Eine Streitfrage hat die AfD auf ihren Augsburger Parteitag wohl ausgeräumt. Die Rechtspartei erkannte die Desiderius-Erasmus-Stiftung als parteinah an, die von der mittlerweile ebenfalls parteinahen Erika Steinbach geleitet wird. Für die AfD geht es dabei um viel Geld und für rechte Akademiker um lukrative Posten. In den letzten Monaten gab es einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Stiftungsmodellen. Dabei spielten aber eher persönliche Animositäten eine Rolle als inhaltliche Differenzen.
Wird das Rentenkonzept zum Stolperstein?
Ob das für nächstes Jahr angekündigte Rentenkonzept zum parteiinternen Streitpunkt wird, wie es viele Medien prognostizieren[1], ist noch nicht so klar. Die Unterscheidung sozial versus national, die in der Rentenfrage aufgemacht wird, ist zumindest irreführend. Denn einig ist man sich in der AfD, dass Rente nur für Deutsche im Mittelpunkt steht.
Auch die von dem Flügel um Höcke propagierte völkische Marktwirtschaft ist nicht antikapitalistisch, auch wenn man sich mit sozialer Phraseologie noch größere Einbrüche in die ehemals sozialdemokratische Wählerschaft erhofft. Bei den Landtagswahlen in mehreren ostdeutschen Bundesländern will sie stärkste Partei werden.
Der wirtschaftsliberale Parteichef Meuthen hat im ZDF-Interview schon die Deckungspunkte zwischen den unterschiedlichen Rentenkonzepten in den Mittelpunkt gestellt und beteuert, sein Konzept sei nicht wirtschaftsliberal und habe auch den Schutz von sozial Schwächeren im Auge.
Ansonsten hat der aktuell starke Mann der AfD, Alexander Gauland, sich noch mal auf das System Merkel eingeschossen und in einer rhetorischen Volte Seehofer aufgefordert, Merkel zu stürzen. Doch insgeheim fürchten das alle in der AfD. Denn dann würde ja die CSU der AfD ihre Themen wegnehmen. Es läuft für die Partei doch zurzeit sehr gut.
„Die AfD hält, was die CSU verspricht“
Mag auch am Sonntag die Zuspitzung des unionsinternen Streits den Parteitag medial etwas in den Hintergrund gedrängt haben, wäre doch der Rücktritt oder eine Demontage Seehofers das Beste, was der AfD passieren könnte. Schließlich hat der in AfD-Kreisen einflussreiche Publizist Jürgen Elsässer im aktuellen Editorial des Compact-Magazin erklärt, dass Seehofer nicht in der Lage sein wird, seine Versprechen der Grenzschließung umzusetzen. Im bayerischen Landtagswahlkampf kann die AfD die CSU dann als Partei vorführen, die zu schwach ist, um ihre Ankündigungen umzusetzen. Schon hat die AfD Plakate mit der Parole aufgestellt: „Die AfD hält, was die CSU verspricht“.
Damit wird aber auch deutlich, wie sich in der Migrationsfrage die AfD beim Themensetting nicht nur bei der CSU durchgesetzt hat. Das gilt auch für die Merkel-Union. Denn im Streit mit Seehofer geht es nicht um Integration versus Abschottung, sondern um Abschottung auf europäischer Ebene versus nationale Alleingänge. Der konservative Publizist Peter Siebenmorgen fasste das Verhältnis in einem Taz-Interview[2] so zusammen:
Das ist ja das Schizophrene. Merkel tut längst das, was die CSU möchte, will aber gleichzeitig ihren Heiligenschein erhalten. Parteien mögen es überhaupt nicht, wenn eine andere Partei für sich die moralische Überlegenheit beansprucht. Genau das macht Merkel.
Peter Siebenmorgen
Trotzdem hören wir tagtäglich das Mantra von Merkel als Garantin der offenen Gesellschaft und von „Europa, dieses schönste Kind der neuen Zeit“, wie die Historikerin Hedwig Richter[3] so schwelgerisch wie frei von Argumenten fabulierte[4]. So zeigt sich der Einfluss der AfD auch bei ihren Gegnern. Wenn dann auf der Anti-AfD-Demonstration in Augsburg CSU-Politiker reden konnten, was allerdings nicht ohne Proteste möglich war, zeigt sich mal wieder ein hilfloser Antifaschismus in Aktion.
Peter Nowak
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https://www.heise.de/tp/features/Die-AfD-muss-nur-hoffen-dass-Seehofer-geht-4095582.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.wiwo.de/politik/deutschland/sozial-oder-liberal-wohin-solls-gehen-afd/22754840.html
[2] http://www.taz.de/!5514128/
[3] https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/histsem/
mitglieder/ls_neuere_geschichte_aktuelles.html
[4] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5513783&s=&SuchRahmen=Print/
Das WM-Vorrunden-Aus der deutschen Fußballer wird von rechten Politiker*innen, Medien und Netzwerken seit Mittwochabend für eine verstärkte Kampagne gegen ein angeblich buntes, multikulturelles Team genutzt. »Unsere Nationalmannschaft nahm ohnehin nicht teil«, twitterte zunächst der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz. Der Tweet war am Donnerstag jedoch nicht mehr online. Zahlreiche Politiker*innen haben sich zudem auf Mesut Özil und Ilkay Gündogan eingeschossen.
Die beiden deutsch-türkischen Nationalspieler standen schon vor WM-Beginn nicht nur bei Rechten wegen ihres Fotos mit dem autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Kritik. Von der AfD und rechten Medien werden sie hingegen auch ohne jenes Foto als nicht deutsch genug angegriffen. Christian Lüth, Pressesprecher der Partei, unterstellte dem gebürtigen Gelsenkirchener sogar, mit Absicht verloren zu haben. »Özil kann zufrieden sein, Glückwunsch, Erdogan«, kommentierte Lüth die Niederlage der deutschen Mannschaft.
Der AfD-Rechtsaußen Jens Meier twitterte: »Ohne Özil hätten wir gewonnen.« Zudem teilte er ein Foto des Fußballers mit der Überschrift: »Zufrieden, mein Präsident?« Dafür zog Meier Kritik und Spott von Fußballkenner*innen auf sich. »Politisches Irrlicht als Trittbrettfahrer. Und keine Ahnung von Fußball«, kommentierte der Journalist Georg Restle Meiers nationale Ausfälle.
»Die Mannschaft repräsentiert das kaputte Deutschland von Angela Merkel«, ätzte Norbert Kleinwächter, der in einem Video akribisch die Stammbäume des Fußballteams ausbreitet. »Wie Multikulti soll unser Land eigentlich sein?«, fragte der AfD-Abgeordnete am Ende rhetorisch.
Autor*innen der rechtspopulistischen Plattform PI-News schießen sich derweil auch auf den Bundestrainer ein. »Löw weg, Merkel weg – ein schöner Tag für Deutschland« titelte der ehemalige BILD-Chefredakteur und PI-Autor Peter Bartels, obwohl bislang weder Joachim Löw noch Angela Merkel ihre Posten verloren haben. »Das Versagen war kollektiv, und trotzdem liegt der Grund darin, dass gerade kein nationales Kollektiv mehr zu sehen war«, polemisierte Jürgen Elsässer im von ihm herausgegebenen »Compact«-Magazin. Der ehemalige Exponent der antideutschen Linken ergeht sich nun in nationalistischen Bestrafungsfantasien. »Der Rücktritt von Löw, ein Rauswurf von Özil und Gündogan reichen nicht mehr. Strafe muss sein: Die zwei Türken sollen ab nach Anatolien, ihr badischer Pate darf in Sibirien Steine klopfen.« Das kann nicht mal die NPD toppen. Sie hatte sich bis Donnerstagabend zum WM-Aus noch nicht zu Wort gemeldet.
Das sollte aber kein Argument für einen Schland-Patriotismus sein
Das WM-Debakel Deutschlands wird von rechten Politikern, Medien und Netzwerken für eine Kampagne gegen ein angeblich buntes, multikulturelles Team genutzt. „Unsere Nationalmannschaft nahm ja ohnehin nicht teil“, twitterte der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz.
Eingeschossen haben sich zahlreiche rechte Politiker auf die deutsch-türkischen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Sie standen nicht nur bei Rechten wegen ihres Fotos mit dem autokratischen türkischen Präsidenten Erdogan im Vorfeld der WM in der Kritik[1]. Der AfD-Pressesprecher Christian Lüth unterstellte den beiden Kickern sogar, mit Absicht verloren zu haben. „Özil kann zufrieden sein, Glückwunsch Erdogan“, kommentierte Lüth das WM-Debakel für die deutsche Mannschaft.
Der AfD-Rechtsaußen Jens Meier twitterte „Ohne Özil hätten wir gewonnen“[2]. Zudem teilte er ein Foto des Fußballspielers mit der Überschrift „Zufrieden, mein Präsident“. „Die Mannschaft repräsentiert das kaputte Deutschland von Angela Merkel“, ätzte[3] Norbert Kleinwächter, der in einem Video akribisch die Stammbäume des Fußballteams ausbreitet. „Wie Multikulti soll unser Land eigentlich sein?“, fragt der AfD-Bundestagsabgeordnete am Ende rhetorisch.
Autoren der rechtspopulistischen Plattform PI-News[4] schießen sich auch auf den Bundestrainer ein. „Löw weg, Merkel – ein schöner Tag für Deutschland“ titelte der ehemalige BILD-Chefredakteur und PI-Autor Peter Bartels. „Das Versagen war kollektiv, und trotzdem liegt der Grund darin, dass gerade kein nationales Kollektiv mehr zu sehen war“, polemisierte der Ex-Linke Jürgen Elsässer im von ihm herausgegebenen Compact-Magazin und ergeht sich in nationalistischen Bestrafungsphantasien[5]. „Der Rücktritt von Löw, ein Rauswurf von Özil und Gündogan reichen nicht mehr. Strafe muss sein: Die zwei Türken sollen ab nach Anatolien, ihr badischer Pate darf in Sibirien Steine klopfen.“
Das kann die offen neonazistische NPD nicht toppen. Sie hat sich zum WM-Debakel noch nicht zu Wort gemeldet. 2006 hatte sie noch mit einen urdeutschen WM-Planer für Empörung[6] gesorgt. Auch die Justiz ermittelte[7] gegen rechte Hetze gegen Fußballspieler, die den Rechten nicht ins nordische Weltbild passten
Schland – oder wie Linksliberale zu Fußballpatrioten wurden
Spätestens seit 2006 wurde erstmals registriert, dass ein Teil der Rechten mit den vielen Deutschlandfahnen, die anlässlich der WM gezeigt wurden, nicht recht zufrieden sind. Denn es waren auch Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passten, die die Deutschlandfahne schwangen. Das war für einen großen Teil der Rechten Grund genug, gegen die schwarzrotgelbe Multikultirepublik zu ätzen. Die Parole „Du bist nicht Deutschland“, richtete sich besonders gegen Bürger, die ihren deutschen Pass nicht schon seit Generationen haben.
Umgekehrt haben Linksliberale und Teile der Linken nun ihre Liebe zum schwarzrotgoldenen Fußballpatriotismus entdeckt. Aus Deutschland wurde Schland und so wollte man sich die Feier und die Fahnen nicht mehr vermiesen lassen. Als vor einigen Tagen die deutsche Mannschaft ganz knapp gegen Schweden gewonnen hatte, beschwor[8] der Taz-Chefkommentator Jens Feddersen erneut den Geist von Schland:
Jedes Spiel, das das DFB-Team gewinnt, ist wie ein Maulkorb für jene, die sich über das Scheitern Özils und Boatengs freuen. Gemeint ist die AfD.
Jens Feddersen
Gerade zu pathetisch wurde es, als er schrieb:
„Wer ein linkes, wer ein multikulturelles Herz hat, will, dass die DFB-Männer weiter gewinnen. Wer nur einen Sinn hegt für eine Mannschaft, die von niemandem so verehrt wird wie gerade von den Kindern der Einwanderer*innen nach Deutschland, von keinem wie von den Kindern der Geflüchteten, unterstützt dieses Team. Weil die Völkischen und Traditionalisten Bundestrainer Löw und seine Auswahl nicht mögen. Weil sie ihnen den Erfolg neiden – und weil ihre charakterlose Missgunst nicht anders kann.
Jens Feddersen
Wer nun die rechte Freude am WM-Debakel einer Mannschaft, die für AfD und Co. nicht deutsch genug war, erlebt, muss einräumen, dass Feddersen auf einer realpolitischen Ebene nicht unrecht hat. Es stimmt auch, dass nach dem WM-Aus gerade im besonders transnationalen Berliner Stadtteilen wie Kreuzberg und Neukölln gedrückte Stimmung herrschte. Doch diese Firmierung eines neuen nationalen Projekts Deutschland unter Einschluss von Neubürgern funktioniert in transnationalen Stadtteilen, aber wohl nicht beim WM-Team.
Das Foto von Özil und Gündogan mit Erdogan sowie die Erklärung, dass er nicht Deutschlands Hymne mitsingt, sind für Verfechter des modernisierten deutschen Patriotismus tatsächlich ein Debakel, über das sie bisher wenig reden. Denn dieses Modell basiert ja auf der Annahme, dass die Neubürger als stolze Deutsche die Hymne besonders ergriffen singen und die Fahne besonders vehement wedeln. Es ist klar, dass diese Schwachstellen des modernisierten deutschen Patriotismus von den klassischen Verfechtern des Deutschnationalismus wie AfD und Co. nun für ihre Angriffe genutzt wird.
Eine Alternative zu Schland
Generelle Kritiker von Staat und Nation tun gut daran, zu beiden Varianten des Nationalismus auf Distanz zu gehen. Schließlich ist auch der postmoderne Partypatriotismus eine Variante des Nationalismus. Die Schland-Bundeswehr stellt die alten deutschen Traditionen nicht mehr so stark in den Mittelpunkt. Manche NS-Täter sind nicht für eine Traditionspflege geeignet, andere werden nur etwas in den Hintergrund gerückt. Man ist auch offen für Frauen und die Hautfarbe soll bei der bunten Truppe theoretisch auch kein Ausschlusskriterium mehr sein.
Für AfD-Rechtsaußen Höcke und Co. ist diese Bundeswehr nicht mehr ihre Armee. Das ist das Pendant zur WM-Mannschaft. Wem die zu bunt und multikulturell ist, wird sich wohl auch gegen die moderne Bundeswehr wenden. Doch ist das ein Grund, dass kritische Menschen nun die Bundeswehr verteidigen und mit dem Fußball-Team aus Deutschland feiern müssen? Wohl kaum. Dafür gibt es viele Gründe. Die Soziologin Dagmar Schediwy hat in ihre Studie „Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold“[9] eine sehr kritische Perspektive auf den postmodernen Partypatriotismus eingenommen[10].
Die meisten, die ich unter anderem auf den Fanmeilen befragt habe, haben während der WM 2006 ein nationales Coming-out erlebt. Vorher war die offene Zurschaustellung von Nationalgefühl stärker tabuisiert. Erst als dieses Verhalten in den Medien als Normalisierung des Verhältnisses zur eigenen Nation begrüßt wurde, haben sich die Leute massenhaft getraut, Deutschlandflaggen zu schwenken. Das wurde von vielen als Befreiung empfunden. Besonders stark war das bei jüngeren InterviewpartnerInnen ausgeprägt. Sie lehnten auch mit Vehemenz eine Festschreibung des Deutschlandbildes auf den Nationalsozialismus ab. Der 2006 aufflammende Fußballpatriotismus trug Züge einer Revolte gegen ein Geschichtsverständnis, das sich auf den Holocaust fokussiert.
Dagmar Schediwy
Die Soziologin sieht die Zunahme des Partynationalismus auch im Zusammenhang mit der Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse vieler Menschen (Fußballpatriotismus in Krisenzeiten[11]). Es ist ein Ventil für die alltäglichen Zumutungen im Job oder an der Schule.
Um Gründe gegen den modernisierten deutschen Nationalismus zu finden, braucht man nur die Gratis-Bildzeitung durchblättern, die Anfang Juli millionenfach verteilt wurde. Auf der letzten Seite findet sich ein Foto des WM-Teams, das die Rechten aller Couleur so aufgeregt hat, weil es nicht mehr an den deutschen Mief erinnert, der noch bis in die 1970er Jahre dort geherrscht hat.
Doch in der Bild-Ausgabe gibt Ex-Bundespräsident Gauck für die Neubürger die Grenzen und Regeln vor, die der neue deutsche Nationalismus zieht. Ein deutscher Bergmann und viel deutscher Adel stehen für alte deutsche Werte. Hier wird auch deutlich, wie eng begrenzt die so vielbeschworene Modernität des angeblich neuen deutschen Patriotismus doch ist.
Es geht um die Festigung nationaler Identifikation
Der konservative polnische Politiker Marek Migalski[12] sagte[13] recht unverblümt, dass der Fußballnationalismus im Sinne der Herrschaft gut ist:
Wenn wir die Spiele der WM anschauen, machen wir uns nicht klar, wie sehr wir dabei politisch manipuliert werden. Nicht nur in dem banalen Sinn, dass alle möglichen Politiker bei Gelegenheit der Spiele ins Fernsehen kommen wollen. Die wirkliche Manipulation liegt eine Ebene tiefer: Sie betrifft die Herausbildung patriotischer Einstellungen. Denn der Sport, insbesondere der Fußball, dient dazu, aus Zuschauern Polen, Deutsche oder Senegalesen zu machen, indem er ihnen den Gedanken der Liebe zu ihren Heimatländern nahebringt. (…) Die Kommentatoren bedienen sich nolens volens der Sprache des Krieges: „Türkei macht Ägypten fertig“, „Franzosen besiegen England“, „Polen zwingt Russland in die Knie“. (…) Diese Sprache festigt nationale Identifikationen und schweißt die einzelnen Nationen zusammen.
Ein natürliches Phänomen ist das nicht; man wird schließlich nicht als Pole oder Tscheche geboren. Daher benutzen Staaten und Nationalisten alle denkbaren Werkzeuge wie Erziehung, Medien, Militärdienst, Museen usw., um patriotische Gefühle in die Köpfe der Wähler hineinzudrücken. Die WM ist eine fantastische Möglichkeit, dasselbe auch mit den Mitteln des Sports zu tun.
Marek Migalski
Was der Politiker hier durchaus in zustimmender Absicht sagt, trifft auch auf den Partynationalismus zu. Daher sollte nicht nur die rechte Kampagne, sondern auch der Schland-Patriotismus weiterhin Gegenstand von Kritik sein. Nur weil die Rechte sich auf die WM-Mannschaft und die Bundeswehr einschießt, heißt das noch lange nicht, dass sie von links verteidigt werden muss.
Peter Nowak
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»Compact«-Chef Jürgen Elsässer verleumdet Angehörige der Opfer und verbreitet Verschwörungstheorien über Mördertrio
Das Urteil im NSU-Prozess wurde noch nicht gesprochen, zahlreiche Unterstützer der Hauptangeklagten Beate Zschäpe meldeten sich jedoch bereits zu Wort.
Bisher waren es vor allem obskure NS-Nostalgiker, die in dem Verfahren die große Verschwörung witterten. So werden beispielsweise in dem offen NS-verherrlichenden Blog »Deutsche Lobby« die Angeklagten zu »Opfern des immer noch wütenden besatzungsrechtlichen Verfolgungssystem BRD«. Auch der NPD-Politiker Arne Schimmer, der als sächsischer Landtagsabgeordneter Mitglied des dortigen NSU-Untersuchungsausschusses war, gab eine Broschüre heraus, in der rhetorisch gefragt wurde, ob der NSU ein Staatskonstrukt sei.
Das neurechte Magazin »Compact«, das dem völkischen Flügel der AfD nahesteht, hat kürzlich ebenso ein Sonderheft mit dem Titel »NSU – Die Geheimakten« herausgegeben und dabei sogar die Freilassung von Zschäpe gefordert. »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer gesteht im Editorial linken Politikern und Journalisten einige Verdienste zu, »was die Aufdeckung der Hilfestellung des Staatsschutzes für das Zwickauer Trio angeht«. Doch anschließend stellt er entgegen aller Beweise den neonazistischen Hintergrund des NSU in Zweifel. »Jedenfalls haben die Antifa-Jakobiner alle Spuren, die auf ausländische Täter hindeuten, notorisch unterdrückt. Der Mörder ist immer der Deutsche – nach dieser Devise schreiben sie ihre Artikel, und wer anderes behauptet, kann nur ein Rassist sein«, bedient sich Elsässer der in rechten Kreisen zirkulierenden Verschwörungstheorien. Dort werden noch immer die NSU-Opfer und ihre Angehörigen verleumdet, in dem sie mit der Drogenmafia in Verbindung gebracht werden.
Genau das war jahrelang auch die offizielle Version der Ermittlungsbehörden, die die Opfer zu potenziellen Kriminellen erklärten und deswegen ihre Angehörigen verhörten und überwachten. Mehrere der Betroffenen haben später von den traumatisierenden Erfahrungen berichtet, nach dem Mord an ihren Ehemännern, Vätern oder Geschwistern wie Schuldige behandelt zu werden.
In dem »Compact«-Sonderheft wird diese Linie fortgesetzt. Lob dafür spendet auch der langjährige Herausgeber der rechtsradikalen Publikation »Sleipnir« Peter Töpfer. »Es geht ganz sicher um das Schicksal der armen Frau Zschäpe, aber es geht auch um mehr, nämlich politisch darum, […] genau diesen oppressiven und volksfeindlichen Staat mit all seinen Lügengebilden einen Schlag zu versetzen«, schreibt er in einem auf der »Compact«-Homepage veröffentlichten Kommentar.
Obwohl sich Herausgeber Elsässer verbal von den offenen Neonazis abgrenzt, hatte er Beate Zschäpe schon im Mai 2013 einen offenen Brief geschrieben. »Ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden. Ihre Münchner Zelle könnte ihre Todeszelle werden, auch wenn die Todesstrafe bei uns abgeschafft ist«, schrieb er ihr. Elsässer verharmloste in dem Brief Zschäpes Neonazikarriere als Jugendsünden. »Nicht sympathisch ist mir der Neonazismus, mit dem Sie in ihrer Jugend halb Jena erschreckt haben. Aber, selbst wenn man alles Schlimme zusammenrechnet, was Sie bis zu Ihrem Abtauchen Anfang 1998 verbrochen haben, so waren das weitaus weniger Gewaltdelikte als beim jungen Joschka Fischer«.
13.10.2017 – Das rechtspopulistische „Compact“-Magazin hat ein Sonderheft mit dem Titel „NSU – Die Geheimakten“ herausgebracht.
Unterstützung für Beate Zschäpe; (Screenshot)
Der NSU-Prozess ist nicht zu Ende und das Urteil über Beate Zschäpe noch nicht gesprochen, ihre Unterstützer melden sich schon zu Wort. Bisher waren es vor allem obskure Verschwörungstheoretiker, die in dem NSU-Verfahren die große Verschwörung halluzinierten. So werden in dem NS-verherrlichenden Blog „Deutsche Lobby“ die Angeklagten im NSU-Verfahren zu „Opfern des immer noch wütenden besatzungsrechtlichen Verfolgungssystem BRD“ erklärt. Der NPD-Politiker Arne Schimmer, der als früherer sächsischer Landtagsabgeordneter Mitglied des dortigen NSU-Untersuchungsausschuss war, hat eine Broschüre veröffentlicht, in der rhetorisch gefragt wird, ob die NSU ein Staatskonstrukt sei.
Doch auch das „Compact“-Magazin das dem rechten Flügel der AfD nahe steht, hat kürzlich ein Sonderheft mit dem Titel „Freiheit für Beate Zschäpe“ herausgebracht. „Compact“-Chefredakteur Jürgen Elsässer gesteht im Editorial linken Politikern und Journalisten zu, sie hätten einige Verdienste, „was die Aufdeckung der Hilfestellung des Staatsschutzes für das Zwickauer Trio angeht“. Doch anschließend stellt er entgegen allen Beweisen den neonazistischen Hintergrund des NSU in Zweifel. „Jedenfalls haben die Antifa-Jakobiner alle Spuren, die auf ausländische Täter hindeuten, notorisch unterdrückt. Der Mörder ist immer der Deutsche – nach dieser Devise schreiben sie ihre Artikel, und wer anderes behauptet, kann nur ein Rassist sein“, bedient sich Elsässer der in rechten Kreisen zirkulierenden Verschwörungstheorien. Ganz in deren Diktion heißt die Sondernummer denn auch „NSU – Die Geheimakten“.
Offener Brief an Zschäpe
Lob gibt es für „Compact“ vom ehemaligen „Sleipnir“-Herausgeber Peter Töpfer. „Es geht ganz sicher auch um das Schicksal der armen Frau Zschäpe, aber es geht auch um mehr, nämlich politisch darum, … genau diesem … volksfeindlichen Staat mit all seinen Lügengebilden einen Schlag zu versetzen“, schreibt Töpfer, der seit Jahren in extrem rechten Kreisen aktiv ist.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Jürgen Elsässer für Beate Zschäpe Verständnis aufbringt. Bereits im Mai 2013 schrieb er ihr einen offenen Brief, der mit dem Satz beginnt: „Ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden. Ihre Münchner Zelle könnte ihre Todeszelle werden, auch wenn die Todesstrafe bei uns abgeschafft ist.“ Dort tadelt er Zschäpe milde: „Nicht sympathisch ist mir der Neonazismus, mit dem Sie in ihrer Jugend halb Jena erschreckt haben.“ Doch auch darüber sieht er hinweg. „Aber selbst wenn man alles Schlimme zusammenrechnet, was Sie bis zu Ihrem Abtauchen Anfang 1998 verbrochen haben, so waren das weitaus weniger Gewaltdelikte als beim jungen Joschka Fischer.“
Blick nach Rechts
https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/freiheit-f-r-beate-zsch-pe
Peter Nowak
Diskussionsstoff für einen Antifaschismus auf der Höhe der Zeit
Momentan werden viele Bücher über die AfD verfasst. Etliche sind im Handgemenge geschrieben und schon nach wenigen Monaten nicht mehr aktuell. Doch das von Stephan Grigat herausgegebene „AfD und FPÖ, Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechte bilder“ gehört zu den Büchern, über die man noch länger diskutieren wird.
In der kurzen Zeit seiner Amtszeit hat Trump schon eine Bombenspur hinterlassen, die Politiker überzeugt, die zuvor noch skeptisch waren
Trump versöhnt sich mit der Nato“, lautete der Tenor der Meldungen[1] über das Treffen des US-Präsidenten mit dem Nato-Generalsekretär. Eine ganz große Koalition in den USA und Deutschland war sehr zufrieden.
Die vermeintlichen Trump-Kritiker hatten befürchtet, dass unter der neuen US-Administration die Nato keine so große Rolle mehr spielen und Trump womöglich eine neutralistische Außenpolitik betreiben könnte. Ein schmales Spektrum der Konservativen in den USA propagierte schon lange den Rückzug der Vereinigten Staaten auf ihr eigenes Territorium. Man wollte nicht mehr weltweit aktiv sein.
Eine solche Politik hat eine gewisse Logik, weil der Einfluss des US-Kapitalismus weltweit zurückgeht und die Warnung vor einer Überdehnung der USA schon einige Jahre auch von US-Denkfabriken ernst genommen wird. Nun hatte Trump im Wahlkampf sicherlich auch neutralistische Versatzstücke in seinem Wahlkampfrepertoire. Bewusst wählte er auslegbare Formulierungen. So sagte er nie, dass die Nato überflüssig, sondern obsolet ist und nun ist sie das eben nicht mehr.
Und schon hat Trump einige seiner lautesten Kritiker zumindest vorerst zufrieden gestellt. Die störten sich nämlich nicht an seiner rassistischen und sexistischen Agenda. Die befürchteten vor allem, Trump könne sich nicht so als „Vorkämpfer der freien Welt“ initiieren wie seine Vorgänger. In Deutschland sahen das führende Kreise von den Grünen bis zur Union als Chance, diese Rolle nun selber zu übernehmen.
Angela Merkel wurde nun als Führerin der freien Welt angepriesen. Inzwischen hat Trump längst klargemacht, dass er diesen Posten nicht freiwillig aufgeben wird. Im Gegenteil, er will als strenger Sheriff der Welt seine Version von „Make America Great Again“ einbläuen.
Trump und die „Mutter aller Bomben“
Im Gegensatz zu seiner sonstigen Rhetorik ist das alles nicht nur Dampfplauderei. In der kurzen Zeit seiner Amtszeit hat Trump schon eine Bombenspur hinterlassen. Schon eine Woche nach Trumps Inauguration am 28./29. Januar starben bei einem Angriff von US-Spezialkräften im Jemen 30 Menschen. Bei der Bombardierung von Mosul sollen Menschen in dreistelliger Höhe umgekommen sein.
Am 18. März kamen im Norden Syriens etwa 40 Menschen in einer bombardierten Moschee ums Leben. Am 20. März töteten Bomben der US-geführten Koalition, die seit 2014 in Syrien angeblich gegen den „Islamischen Staat“ kämpft, mindestens 33 Menschen, die in einer Schule Zuflucht gesucht hatten. Die Zielkoordinaten hatte wahrscheinlich die Bundeswehr geliefert.
Es gab einige Tage Berichte darüber und dann war das Thema schon erledigt. Vor zwei Tagen, am 13. April, ließ Trump die „Mutter aller Bomben“ über Afghanistan abwerfen[2]. Der Name wurde in verschiedenen Medien völlig kritiklos[3] übernommen. Man hatte gedacht, solche Begriffe kann sich nur jemand in der Welt eines Saddam Hussein ausdenken, der auch ständig von der Mutter aller Schlachten schwadronieren ließ.
Jedenfalls soll die „Mutter aller Bomben“ einen Tunnelkomplex des Islamistischen Staates getroffen haben. Es gebe unter den 36 Opfern keine Zivilisten[4], heißt es sofort. Auch hier fehlt jede kritische Nachfrage. Wie wurde denn in wenigen Stunden ermittelt, wer die Opfer sind, was ihnen vorgeworfen wird und dass sie garantiert alle überzeugte IS-Kämpfer waren?
Schließlich wissen wir von den Drohneneinsätzen, die unter der Obama-Administration zugenommen hatten, dass neben den Zielpersonen auch oft deren Kinder oder Verwandte oder wer eben gerade zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist, zu den Opfern zählten. Und dann soll ein 10.000 Kilogramm schwerer Sprengkörper keine Zivilisten getroffen haben? Der Unterschied zum Giftgasangriff in Syrien ist einfach der, dass es in Afghanistan keine der durchaus interessengeleiteten NGOs und Nachrichtenstellen gibt, die sofort die Bilder der Opfer in aller Welt verbreiten.
Die Toten in Afghanistan sterben ohne die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, sie sterben still und anonym und nehmen das Stigma des IS-Anhängers mit ins Grab. Es gab und gibt kein unabhängiges Gericht, das entscheidet, ob die Anklage überhaupt stimmt. Der Oberste Befehlshaber entscheidet über den Einsatz, er ist Ankläger, Richter und Henker in einer Person.
In den letzten Monaten haben viele Trump-Kritiker auch zu fragwürdigen psychologisierenden Erklärungsmustern gegriffen und ihn als große Gefahr hingestellt. Nun müssten diese Leute doch besonders vehement protestieren, dass ein solcher Mann nun als Welt-Sheriff agiert und die „Mutter aller Bomben“ losschickt. Doch ein Teil der Kritiker hat ihre Tonlage völlig geändert und lobt Trump dafür, dass er jetzt in die Phalanx seiner Vorgänger eingeschwenkt ist. Er hat also mit seiner Bombardements den Beweis erbracht, dass er als Führer der Freien Welt gut geeignet ist.
Da trennt sich die Spreu vom Weizen und die Trump-Kritiker, die befürchteten, dass Trump eine isolationistische Politik betreiben könnte, machen ihren Frieden mit dem Präsidenten. Was sie auch sonst an seiner politischen Agenda kritisiert haben mögen, ist ihnen nicht mehr so wichtig. Dass dürfte sich bis ins Clinton-Lager auswirken, denn auch dort war man in großer Sorge, dass Trump vielleicht zu wenig konfrontativ gegenüber Russland sei.
Rechte Trump-Fans in Verwirrung
Dafür ist bei seinen hiesigen rechten Fans Verwirrung über Trump ausgebrochen. Der Trump-Fan der ersten Stunde Jürgen Elsässer schrieb[5] unmittelbar nach den Luftangriff der USA auf syrische Stellungen: „Fuck Trump. Der Typ ist irre geworden.“ Doch in späteren Kommentaren wurde die Einschätzung relativiert und als Showpolitik bezeichnet, die Trump helfen soll, sein ramponiertes Ansehen zu erhöhen.
Auch andere Rechte, die sogar mit einer Pro-Trump-Demo während des G20-Treffens in Hamburg auf sich aufmerksam machen wollen, werden nun rätseln, wie sie die Politik ihres politischen Freundes im Weißen Haus einschätzen sollen. Diese Verwirrung dürften sie mit Leuten wie Rainer Rupp[6] teilen, die für manche als Linke galten, bevor sie sich zu Trump-Anhängern mauserten[7].
Wie lange allerdings die Flitterwochen zwischen Trump und den Nato-Freunden andauern werden, ist auch völlig offen, es könnte morgen schon eine politische Entscheidung kommen, die die Gräben wieder vertieft. Es geht hier um temporäre Interessen und Zweckbündnisse.
Zudem wird Trump als strenger Sheriff im Weltmaßstab mit einem Problem konfrontiert sein, das auch alle seine Vorgänger hatten. Der US-Kapitalismus verliert weltweit real an Einfluss und der Versuch, diesen Fakt mit einer besonders aggressiven Machtpolitik zu verschleiern, wird überall auf der Welt für neue Konflikte sorgen.
Daher ist die Gefahr eines großen Weltkriegs nicht gebannt, das liegt aber weniger an Trump als an der Irrationalität der kapitalistischen Gesellschaft, die der Sheriff im Weißen Haus nur besonders gut repräsentiert.
https://www.heise.de/tp/features/Der-Praesident-als-Sheriff-der-Welt-und-seine-neuen-Freunde-3686105.html
Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3686105
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-nach-treffen-mit-jens-stoltenberg-nato-nicht-laenger-obsolet-a-1143173.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/US-Militaer-wirft-staerkste-nicht-nukleare-Bombe-auf-Ziel-in-Afghanistan-ab-3685970.html
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article163702115/USA-werfen-zum-ersten-Mal-Mutter-aller-Bomben-ab.html
[4] http://www.t-online.de/nachrichten/id_80893932/usa-mutter-aller-bomben-toetete-in-afghanistan-36-kaempfer.html
[5] https://www.compact-online.de/fuck-trump-der-typ-ist-irre-geworden
[6] http://www.spiegel.de/thema/rainer_rupp/
[7] https://deutsch.rt.com/meinung/43036-rainer-rupp-us-prasident-trump
„Xavier singt für Deutschland“, heißt es knapp auf der Homepage [1] des Soulsängers Xavier Naidoo. Am 19. November war bekannt geworden, dass ARD und NDR Naidoo im nächsten Jahr zum Euro Song Context nach Stockholm schicken wollen. Sofort gab es dagegen Widerspruch und Protest.
Dabei wurde einerseits moniert, dass Naidoo ohne Vorentscheid ernannt wurde. Mehr noch aber stritt man sich über die politische Positionierung des Sängers. Manche wollen in seiner Nominierung sogar einen Skandal [2] sehen.
Doch hier beginnt schon das Problem. Im Rhythmus von wenigen Wochen werden im Kulturbereich Skandale ausgerufen, die meistens irgendwann mangels Interesse an Bedeutung verlieren. Nur die Skandalisierten sind in der Regel dann noch bekannter und profitieren davon.
Warum soll die Nominierung ein Skandal sein?
Dieses Prozedere dürfte auch bei Xavier Naidoo ähnlich ablaufen. Entweder es gelingt seinen Kritikern, schnell einen enormen Druck auszuüben, dass Naidoo doch noch zurücktreten muss, was ihn bei seinen treuen Fans natürlich noch populärer machen würde.
Ansonsten könnte er sich nur selber aus dem Rennen schießen, indem er etwa Äußerungen zum angeblichen Inside-Job der USA bei den Anschlägen vom 11.09. wiederholt. Hierin liegt einer der Hauptkritikpunkte an den Sänger. Zudem ist er bei den Reichsbürgern aufgetreten, einer besonders skurrilen Strömung der extremen Rechten.
Naidoo hat mittlerweile in einer Erklärung zu den Vorwürfen klargestellt [3], dass er „die Auffassung der Reichsbürger nicht teile“ und sich sogar öffentlich von ihnen distanziert habe. Nun ist eine solche Erklärung wohl nur logisch. Würde er die Auffassung der Reichsbürger teilen, dürfte er nicht für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für das Deutsche Reich in Stockholm auftreten. Denn die Reichsbürger bestreiten der BRD ihre Existenzberechtigung und behaupten, dass das Deutsche Reich nie untergegangen sei.
Mittlerweile wird auch schon kräftig die politische Biographie Naidoos redigiert. Unter der Überschrift: „Musikalisch erfolgreich, gesellschaftlich engagiert“ [4], wird daran erinnert, dass Naidoo als Mitglied der Söhne Mannheims „Rock gegen Rechts“ sowie Initiativen gegen soziale Ausgrenzung und für Menschenrechte unterstützt hat und anlässlich des 40ten Jahrestags der Aufnahme der deutsch-israelischen Beziehungen als erste deutsche Band überhaupt im Opernhaus von Tel Aviv aufgetreten sei.
ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber hat mit seinen Statement [5] „Wenn Xavier Naidoo singt, geht die Sonne auf“ die Frage aufgeworfen, ob es sich hier nur um die üblichen Plattitüden handelt oder ob der Mann die Behauptungen selber glaubt. Sollte Naidoo doch noch gecancelt werden, dürfte auch Schreiber seinen Posten räumen müssen.
Deutschland von Xavier nicht angemessen vertreten?
Eine kurzfristig initiierte Petition [6] gegen Naidoos Teilnahme hat bisher fast 10.000 Unterstützer. Dort wird nachgewiesen, dass Naidoo wegen eines schwulenfeindlichen Songtextes angezeigt [7] wurde. Dass er bei einer rechten Demonstration verschwörungstheoretische Thesen verbreitet und Deutschland als besetztes Land bezeichnet [8] hat.
Doch wenn in der Petition dann der stärkste Einwand gegen Naidoos Teilnahme beim ECS darin besteht, dass damit Deutschland in ein schlechtes Licht gerückt werde, dann wetteifern auch die Gegner mit Naidoo um die Frage, wer Deutschland besser repräsentiert. Wenn man sich gar nicht unter Deutschland subsumieren möchte, kann einem auch ganz egal sein, wer dieses Deutschland in Stockholm vertritt.
Mit dem Blick von Außen kommt einen dann die Wahl von Naidoo gar nicht mehr so absurd vor. Im Gegenteil repräsentiert er doch recht gut viele der Menschen, die sich in der Republik unter Deutschlandlandfahnen versammeln, also sicher auch angesprochen werden, wenn es um Deutschland geht. Viele von ihnen haben im, wie wir mittlerweile wissen, gekauften Sommermärchen 2006, der Fußball-WM in Deutschland, erstmals mit der Deutschlandfahnen gewedelt und den angeblich ganz entspannten Patriotismus kennen- und lieben gelernt.
Xavier Naidoo hatte auf der Fanmeile von Berlin seinen Auftritt und legte im Anschluss noch mit einem Dankessong auf die deutsche Fußball-Mannschaft nach [9]. Wie viele andere, die sich auf Deutschland berufen, hatte er also im Jahr 2006 sein patriotisches Coming Out, und wie so viele andere von den damals Feiernden hat er es nicht mehr abgelegt. Seitdem treibt Naidoo die Sorge um Deutschland, oder was er dafür hält, um. Deshalb tummelt er sich überall dort, wo sich Menschen ähnliche Sorgen machen.
So kommt er immer wieder in die Nähe von Reichsbürgern und anderen Rechten. Dabei hat er sich deren Ansichten selbstverständlich nie zu Eigen gemacht. Auch hierin unterscheidet sich Naidoo nicht von den meisten Menschen, die auf Deutschland stehen und mit Deutschlandfahnen wedeln. Kaum einer von ihnen will ein Nationalist sein, ein Nazi schon gleich gar nicht.
Es ist die Generation „Aber man wird ja noch mal sagen dürfen …“, die Naidoo sicher auch in Stockholm gut vertreten kann. Schließlich hat er auch schon verkündet, dass er nicht nur für Deutschland, sondern auch für Meinungsfreiheit steht und singt [10]. Auch dieser Begriff hat so seine unterschiedlichen Auslegungen.
Schon lange reklamieren Rechte der unterschiedlichen Couleur Meinungsfreiheit und sehen sich von einer politisch korrekten Elite am Gängelband geführt. So wird Naidoos Nominierung auch in den unterschiedlichen rechten Homepages gefeiert. Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer hat gleich ein Foto ins Netz gestellt [11], das ihn gemeinsam mit Naidoo am Rande einer Montagsmahnwachen-Aktion zeigt.
Wenn Naidoo in Stockholm auftritt, kann man wohl kaum sagen, dass er Deutschland nicht gut vertreten wird. Da ist auch Jan Feddersen zuzustimmen, der in der Taz spätestens 2006 sein patriotisches Coming Out hatte und konsequenterweise die Nominierung von Naidoo, den „Mann mit Mut“ sehr begrüßt [12].
Enttäuscht müssen jetzt die sein, die im ESC eine Art Alternative zu Deutschland gesehen haben.
Schon wenige Stunden nach den Anschlägen von Paris gibt es Vorschläge für Gesetzesverschärfungen und Zwangsräumungen
„Paris beweist: Pegida und COMPACT hatten immer Recht.“ Was wie Satire klingt, meint [1] Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer ganz ernst.
Schon wenige Stunden nach den islamistischen Anschlägen von Paris überbieten sich Rechte unterschiedlicher Couleur in Bekenntnissen, sie hätten es immer gewusst und nur ihre Vorschläge hätten den Terror verhindern können. Dabei radikalisieren sich auch Rechtspopulisten wie PRO NRW, die in einer Erklärung [2] zu den Pariser Anschlägen in Endzeitstimmung erklären: „Wir können unser Deutschland, unser Europa nicht mehr in 20 Jahren retten, wir müssen es jetzt und gemeinsam tun.“
Die Anschläge dürften also die gesamte rechte Szene noch weiter zu radikalisieren. Ob die unterschiedlichen rechten Aufmärsche auch zu weiteren Zulauf bekommen werden, ist noch unklar. Tatsächlich nutzen auch Merkels innerparteiliche Kritiker in der Flüchtlingsfrage die Anschläge von Paris.
„Da sind diese E-Mail-Adressen weitergegeben worden“
So sprach [3] sich der Unionspolitiker Hans Georg Wellmann im Deutschlandfunk für Grenzkontrollen aus:
„Wir brauchen europäische Solidarität, aber wir brauchen auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden und wir brauchen Kontrolle an den Außengrenzen. Und wenn das nicht möglich ist, aus welchen Gründen auch immer, weil die Griechen sich weigern oder das nicht können, dann müssen wir die Binnengrenzen so kontrollieren, dass wir möglichst viele Straftäter, potenzielle Straftäter oder Verdächtige herausfischen und nicht nach Deutschland lassen.“
Daneben nutzte er die Anschläge auch, um einer Aufrüstung der Sicherheitsapparate das Wort zu reden: „Die deutsche Bevölkerung will Sicherheit und will leistungsfähige Dienste haben und wir müssen alles tun, um unsere Sicherheitsdienste stärker zu machen und besser zu machen, als sie schon ohnehin sind“, erklärte er. Als der Radioreporter fragte, wie dabei der Schutz der Freiheitsrechte der Bürger gewährleistet werden kann, antwortete Wellmann als hätte es die Debatten der letzten Jahre um NSA und BND nicht gegeben:
„Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass unsere staatlichen Institutionen, insbesondere unsere Sicherheitsdienste die Bürgerrechte in irgendeiner Form einschränken.“
Als der Reporter noch mal an die jenseits von Recht und Gesetz durchgeführten Abhörmaßnahmenerinnerte, kam bei Wellmann die Arroganz eines Politikers zum Vorschein, der wohl hofft, nach Paris über die NSA nichts mehr hören zu müssen:
„Da, da müssen wir nun auch nicht hysterisch reagieren. Da sind diese E-Mail-Adressen weitergegeben worden. Es ist völlig unklar, wer und ob überhaupt abgehört wird. Das muss erst mal geklärt werden. Aber die Leute, die Menschen in Deutschland und nicht nur in Deutschland, auch woanders haben einen Anspruch darauf, dass unsere Sicherheitsdienste so gut sind, dass sie solche Anschläge, wie wir sie gestern gesehen haben, von vornherein verhindern.“
Der auch in rechtspopulistischen Kreisen gelegentlich gelobte Journalist Jürgen Kröning, prophezeit in einem Kommentar [4] gleich einmal das Ende des europäischen Traumes.
Der Terroranschlag von Paris als Chance
„Das Blutbad, das islamistische Terroristen in Paris anrichteten, wird diesen Prozess nur noch beschleunigen. Begonnen hatte sie schon in den vergangenen Wochen und Monaten, als quer durch Europa die Schlagbäume runtergingen und Stacheldrahtzäune errichtet wurden. Wer jetzt noch glaubt, die Suspendierung des Schengenabkommens werde eine temporäre Maßnahme sein, dürfte sich einer Illusion hingeben, nachdem nun auch Frankreich seine Grenzen wegen der Terrorgefahr dicht machte.“
Am Ende sieht Kröning in den Anschlägen in Paris sogar eine Chance:
„Aus der Gefahr kann auch eine Chance erwachsen. Europa wird seine Neigung zu wolkigen Illusionen reduzieren und realistischer werden, worauf das Ende von Schengen hindeutet, aber auch die Einsicht, den Kampf gegen seine Todfeinde nicht allein Amerika oder Russland zu überlassen. Die Briten hatten sich den wolkigen Projekten wie Euro und Schengen von Beginn an verweigert, sie können sich darin bestätigt fühlen.“
Dass schon wenige Stunden nach denAnschlägen daraus Argumente für Abschottung und Einschränkung der Freiheitsrechte gemacht werden, hat auch damit zu tun, dass ein Anschlag von Islamisten immer noch fast reflexhaft als Angriff von außen interpretiert wird. Dann ist es zur Forderung an Grenzbefestigungen nicht mehr weit. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Attentäter wie bei den früheren islamistischen Aktionen Frankreich französische Staatsbürger waren, werden die dem Ausland zugerechnet.
Mit einer solchen Sichtweise kommt man dazu, schon wenige Stunden nach den Anschlägen von Flüchtlingsbegrenzung zu reden. Dabei gäbe es eine alternative Sichtweise, die ohne solche Ausgrenzungen auskommt. Man kann ihn einfachals faschistischen Anschlagbezeichnen und bekämpfen. Dabei würden Islamfaschisten als spezifische klerikalfaschistische Ausprägung wahrgenommen. Die Aktion ist dann nicht ein Angriff von außen und kann nicht einfach für Abschottung genutzt werden.
Selbst, wenn sich die Indizien bestätigen sollten, dass einige der Attentäter als Geflüchtete nach Europa eingereist sind, wäre es falsch, einen solchen Angriff als Werk von außen zu interpretieren. Längst gehört auch eine islamfaschistische Bewegung schon zu Europa und wird auch von dort unterstützt. Dass dabei auch Kombattanten aus dem syrischen Bürgerkrieg eine große Rolle spielen, mussdieser Vorstellung nicht widersprechen. Der Versuch, die Anschläge und ihre Urheber aus Frankreich undmöglichst aus ganz Europa herauszuexportieren, ist ein hilfloser Versuch hier ein Innen und Außen zu konstruieren.
Zudem ist es historisch falsch, zu behaupten, die Art der Anschläge wäre in Paris einmalig. Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune entwickelte sich seit Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts eine anarchistische Strömung, die mit Bombenanschlägen auch in Cafés und Restaurants das Bürgertum treffen wollte („Ära der Attentate“). Es gab viele Tote und Verletzte und mehrere der
Attentäter wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Heute ist von dieser kurzen anarchistischen Bombenphase in Paris wenig bekannt.
Manchmal hat man den Eindruck, nicht in Griechenland, sondern in Deutschland würde heute abgestimmt über die Austeritätspolitik
Einige der politischen Kräfte, die die Austeritätspolitik unterstützen, würden Griechenland gerne aus den Euro weisen. Da darüber nun Deutschland nicht abstimmen kann und ein Rausschmiss auch in den Statuten der Eurozone nicht vorgesehen ist, hoffen manche, dass ein „Nein“ zur Austeritätspolitik in Griechenland ein Ende der EU-Mitgliedschaft des Landes befördern würde.
Hoffen auf den Grexit
Zu den Anhängern dieser Lesart gehört der Publizist Jürgen Elsässer, einst Theoretiker einer antinationalen Linke, der seit einigen Jahren das Volk zu seiner Bezugsgruppe erklärt „Ich stimme mit Nein, ich stimme für Tsipras“, schrieb [1] Elsässer:
„Zum einen, weil endlich der einzig richtige Gedanke in die Praxis umgesetzt wird, dass das Volk entscheiden muss (ein Gedanke, den Wagenknecht für Deutschland aufgegriffen hat, aber – typisch für einen Volksfeind – von Augstein im obigen Kommentar verworfen wird…). Zum anderen, weil der Sieg des Nein genau das herbeiführen wird, was Tsipras eigentlich gar nicht will: den Grexit.
Ohne Annahme der Spardiktate werden die internationalen Kapitalgeber nämlich den Geldhahn für Griechenland nicht mehr aufdrehen. Es bleibt Tsipras in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als – zunächst parallel zum Euro – eine eigene Währung einzuführen, um Gehälter, Renten, Sozialleistungen auszuzahlen. Durch den Sieg des Nein entsteht also eine Dynamik, die über die falsche Ideologie von Syriza hinaustreibt. Syriza wäre in dieser Situation auch dazu gezwungen, zur Bekämpfung der Armut im eigenen Land endlich die Vermögen der reichen Oligarchen anzutasten, also echten Sozialismus zu betreiben – anstatt den bequemen Weg zu gehen und sich das fehlende Kapital vom deutschen Steuerzahler zu besorgen.“
Ein Ende der alternativlosen Tina-Politik
Mit seinem Statement reagiere Elsässer auf eine Erklärung [2] von Jakob Augstein, der auf Spiegel-Online sein Plädoyer für ein Nein zu dem Austeritätsprogramm so begründete:
„Es geht nicht nur um die Zukunft Griechenlands. Sondern um die Frage, ob in Europa das Geld regiert. Das geht uns alle an.“
Augstein sieht in einer Mehrheit gegen die Austeritätspolitik auch ein Scheitern Merkels. Nur so würde in Europa eine relevante Strömung auch über Griechenland hinaus entstehen, die mit der scheinbar alternativlosen Politik der Austerität und des Diktates der Märkte bricht. Ein Nein in Athen würde auch kapitalismuskritischen Bewegungen in anderen europäischen Ländern wie Italien, Portugal und Spanien Auftrieb geben.
Dabei geht es nicht nur um Wahlergebnisse, sondern auch einen erneuten Aufbruch auf den Straßen und Plätzen. Schließlich soll nicht vergessen werden, dass der Wahlsieg von Syriza ohne die Bewegung der Empörten nicht möglich gewesen, die in den Jahren 2010 bis 2012 auf den großen Plätzen griechischer Straßen gegen die Politik der Austerität demonstrierten und von einem großen Polizeiaufgebot mit Tränengas und Wasserwerfern empfangen wurde. Damals gingen auch in Spanien und vielen andereneuropäischen Ländern Menschen mit ähnlichen Forderungen auf der Straße.
Dass die EU-Eliten vor einem Wideraufflammen einer solchen Bewegung große Angst haben und deswegen die Tsipras-Regierung als kurze Episode in EU-Geschichte gerne schnell verabschieden wollen, machte heute im Interview [3] mit dem Deutschlandfunk noch einmal der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz deutlich. Dabei zeigte sich, dass der Schulterschluss zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen, wie wir ihn in den letzten Wochen in Deutschland beobachten konnten, auch im EU-Parlament funktioniert. Während Schulz die Korruption in Griechenland kritisiert, singt er ein Loblied auf EU-Kommissionspräsident Juncker, dem selbst die konservative Welt bescheinigt [4], dass er sich aus dem Luxemburger Korruptionssumpf nach Brüssel gerettet hat.
Mit der gleichen Chuzpe lobt sich Schulz in dem Interview selber dafür, dass er angeblich der Versuchung widerstanden habe, in Griechenland Wahlkampf zu machen. Dass er mehrmals erklärte, dass er sich einen schnellen Abgang von Tsipras wünsche, scheint für ihn kein Wahlkampf zu sein. Wenn Schulz nun erklärt: „Ich glaube, eine Reihe von Leuten in seiner Partei, die um jeden Preis einen anderen Weg gehen wollen. Sie setzen alle Dinge außer Kraft, die sie mit den europäischen Partnern vereinbart haben“, zeigt sich in wenigen Sätzen das Elend einer Sozialdemokratie, die nichts mehr hasst, als andere Wege. Damit ist Schulz nur das Abziehbild von Sigmar Gabriel, der in den letzten Wochen die Konservativen im politischen Kampf rechts überholen will.
„Politik wird durch Zwang ersetzt“
Schulz und Gabriel verweisen die Chimärevon der angeblichen Mehrheit links von der Union, die ein Bündnis mit Grünen, SPD und Linkspartei angeblich möglichwürde, auf den ihr zugehörenden Platz: als Hoffnungsprogramm für prekäre linke Akademiker, die sich einen Posten in einer der vielen Kommissionen, die angeblich das politische Feld für diese Kombination bereiten sollen, erhoffen.
Da ist in diesen Tagen sogar eine altgediente rechte SPD-Frontfrau wie Gesine Schwan schlauer. Die später vor allem als Universitätspräsidentin bekannt gewordene Schwan hatte Ende der 1980er Jahre die SPD einmal verlassen, weil sie ihre Partei für zu linkslastig hielt. Nun kritisiert sie in einem Interview [5] mit der Wochenzeitung Freitag eine EU, die die griechische Regierung auf die Einhaltung eines Austeritätsprogramms verpflichten will, das mit ihrer Wahl in Griechenland eindeutig abgewählt worden war.
„Die EU tut sich mit dem Interessenausgleich zurzeit extrem schwer. Das konnte man auch beim Flüchtlingsgipfel vergangenes Wochenende sehen, wo der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi entsetzt war über den Mangel an Solidarität unter den Mitgliedsstaaten. In der derzeitigen Situation verschweigt man da gern auch, dass Griechenland trotz seiner schwierigen Lage sehr viele Flüchtlinge aufnimmt und sich bemüht, sie menschlich unterzubringen“, moniert Schwan den Zustand des unsolidarischen Europa.
Um eine Stellungnahmezu den deutschnationalen Ausfällen von Sigmar Gabriel [6] gebeten, der über Bild verkündete, der deutsche Arbeiter werde sich nicht durch eine in Teilen kommunistische Regierung erpressen lassen, antwortete Schwan: „Ich habe ihn wissen lassen, dass ich nicht glauben kann, dass er das gesagt hat. Wenn er es aber wirklich gesagt haben sollte, schäme ich mich dafür.“
Dass hat auch schon der Wirtschaftsexperte Gustav Horn getan [7], der vor wenigen Tagen auch erklärte, erwürde aus ökonomischen Gründen heute in Griechenland mit Nein stimmen.
„Deutschland hat nie gezahlt“
Am Freitag waren in Berlin und einigen anderen Städten noch einmal außerparlamentarische Linke [8] auf die Straße gegangen, die von Gabriel nicht enttäuscht sind und sich auch nicht für ihn schämen, weil sie keine Erwartungen in ihn und seine Partei hatten und haben. Dort stand neben der Werbung für ein Oxi in Athen die Kritik an der Rolle Deutschlands nicht nur bei der Austeritätspolitik im Mittelpunkt.
Aktivisten der antinationalen Gruppen Top Berlin und Cosmonautilus [9] wurden von der Polizei eingekesselt und festgenommen, weil sie Deutschland mit „Scheiße“ in Verbindung gebracht haben. Mittlerweile wurde das inkriminierte Motto auch zu anderen Anlässen [10] verwendet. Es könnte sich eine jahrelange auch juristische Auseinandersetzung wiederholen, wie sie in den 90er Jahren beim Slime-Refrain „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ geführt wurde. Erst nach vielen Jahren wurde juristisch anerkannt [11], dass er unter die Kunstfreiheit fällt. Zuvor wurden immer wieder Flugblätter mit dem Slogan beschlagnahmt und Lautsprecherwägen durchsucht, wenn das Lied gespielt wurde.
Doch unabhängig vom Wortlautkönnte man auch einfach die Parole „Deutschland hat nie gezahlt“ [12] (), verwenden, mit dem der Ökonom Thomas Pickettyan einige historische Fakten, die hierzulande nicht gerne gehört werden, erinnerte. Dabei hat er noch einen für Griechenland wichtigen Fakt nicht erwähnt. Deutschland hat die im NS-Regime erpressen Darlehen [13] ebensowenig beglichen, wie Reparationen für die Verbrechenzwischen 1940 und 1944 bezahlt und noch in den 1950er Jahren die Freilassung der wenigen verurteilten Täter aus Wehrmacht und NS mit Erpressung an die griechische Regierung durchgesetzt.Im Zusammenhang mit dem griechischen Referendum wird zumindest zeitweise daran wieder erinnert.