Am Mittwoch, dem 26. Juni 2024, musste die Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger im Bundestag Rede und Antwort stehen: Sollen die Wissenschaftler*innen sanktioniert werden, die jüngst in offenen Briefen die staatliche Repression gegen pro-palästinensische Aktivist*innen verurteilten? Stark-Watzinger hatte unmittelbar nach Erscheinen des Briefes öffentlich angezweifelt, ob die ….
… Unterzeichner*innen – die teilweise seit Jahrzehnten zu Rassismus, Faschismus und Antisemitismus forschen – noch auf dem Boden der Verfassung stehen. Eine sorgfältige Prüfung des Briefinhalts wartete die Bundesministerin gar nicht erst ab, einen Grund zum Rücktritt sieht Stark-Watzinger in ihrer überhasteten Denunziation allerdings nicht; eine Staatssekretärin wurde bereits geschasst, damit ist die Sache erledigt.
Im Schatten der Aufregung um Stark-Watzinger, deren Macht im föderalen deutschen Bildungssystem letztlich begrenzt ist, werden in der Hauptstadt Fakten geschaffen. Die Berliner CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg will die Vergabe von sämtlichen Fördermitteln künftig von einer Demokratieklausel abhängig machen. Davon wären neben Wissenschaftler*innen und Künstler*innen auch viele andere Personen betroffen, die von öffentlichen Mitteln abhängig sind. Über das Prozedere hat sich Badenberg, die übrigens bis April 2023 Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes war, in den Medien geäußert: Bei Beantragung von Fördermitteln sollen die zuständigen Behörden in einem Stichwort nachsehen, ob Bewerber*innen im Verfassungsschutzbericht auftauchen oder gleich selbst eine Anfrage bei den Verfassungsschutzämtern stellen.
2010 war die Empörung noch groß, als die damalige Bundesinnenministerin Kristina Schröder die Förderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen rechts von der Unterzeichnung einer Extremismusklausel abhängig machen wollte. Der Widerstand dagegen zog sich bis ins linksliberale Milieu und war entsprechend erfolgreich: Die Extremismusklausel ist mit der ehemaligen Ministerin in der Versenkung verschwunden. Jetzt taucht sie wieder auf, zufällig in Zeiten, in denen das Bildungs- und Wissenschaftssystem in Deutschland kriegsfähig gemacht werden soll. Bereits nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 wurde die Kooperation zu russischen und später auch zu chinesischen Wissenschaftler*innen gekappt. Stark-Watzinger zufolge ist im Zuge dieser »Zeitenwende« ein hochschulpolitischer Ansatz erforderlich, »der das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit mit unseren sicherheitspolitischen Interessen in Einklang bringt«.
Repressiver Umgang mit Protesten auf dem Uni-Campus, Fördermittelvergabe nur nach Verfassungsschutzanfrage und ein »Kalter Krieg« in der Forschungskooperation passen in eine Gesellschaft, in der die Räume für Widerspruch und Renitenz zunehmend eingeengt werden.
Peter Nowak