Nach den zur Schicksalswahl hoch geschriebenen Abstimmungen über das neue EU-Parlament und den Kommunalwahlen in einigen Bundesländern ist in linksliberalen Kreisen ist der Katzenjammer groß. Schließlich hatte man nach den Massendemonstrationen gegen Rechts Anfang des Jahres geglaubt, …
… die AfD gestoppt zu haben.
AfD im Aufwind und Linksliberale ratlos
Da muss es bitter sein, wenn Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen nun nach den Wahlen erklärt: „Das demokratische ‚Wir sind mehr‘ gilt in weiten Teilen Sachsens nicht mehr. Die Zivilgesellschaft, die für diese Werte eintritt, steht nun einer breiten Front der Antidemokraten gegenüber.“
Allerdings wird hier schon in der Wortwahl deutlich, dass man aus Fehlern wenig lernt. Wenn ein Mitarbeiter einer grünen-nahen Nichtregierungsorganisation Andersdenkende zu Antidemokraten erklärt, kommt das eben außerhalb der grünen Blase nicht gut an.
Wenn die taz-Kolumnistin Anne Fromm Durchhalteparolen wie „Es gibt keine Alternative zu ihrem Eintreten für eine offene Gesellschaft – weder im Osten noch im Rest von Europa“ verbreitet, dann sollte man fragen, wie eine solche Wortwahl in ostdeutschen Betrieben ankommt, also in Kreisen, die nicht zu den bevorzugten taz-Lesern gehören.
Ist der Rechtstrend noch zu stoppen?
Im Berliner Mehringhof gab es am Wochenende einige Antworten darauf. „Ist die AfD noch zu stoppen?“ lautete die Fragestellung des Seminars, das der Verein Teilhabe e.V. dort gemeinsam mit dem Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West organisiert hatte.
Bei den in unregelmäßig stattfindenden Diskussionsrunden orientiert man sich an den Salongesprächen des Bürgertums in vergangenen Jahrhunderten. Nur sind es im Mehringhof nicht wohlhabende Stadtbürger, sondern Erwerbslosen-Aktivisten, die zu Gesprächsrunden Wissenschaftler, Aktivisten anderer sozialer Bewegungen und Unterstützer einladen.
Ursachenforschung: Warum die AfD zur Volkspartei wurde
Zu Beginn des Seminars widmeten sich die früheren DDR-Oppositionellen Renate Hürtgen und Bernd Gehrke und der linke Stadtsoziologe Andrej Holm der Frage, warum die AfD in manchen Regionen in Ostdeutschland den Status einer Volkspartei hat.
Dabei wurde deutlich, dass es nicht die eine Erklärung gibt, sondern mehrere Gründe. Der autoritäre Staatssozialismus der DDR wurde ebenso benannt wie die Ohnmachtserfahrungen, die große Bevölkerungsteile Ostdeutschlands in den „Wendejahren“ machen mussten: Damals zeigte sich, dass der Kapitalismus tatsächlich so ausbeuterisch ist, wie es in den SED-Seminaren immer behauptet worden war, obwohl sonst vieles nicht gestimmt hatte.
Alternative Strategien gegen AfD und Co.
Die nächste Fragestellung war, wie eine dauerhafte Gegenwehr gegen die AfD aussehen könnte. „Es ist weiterhin wichtig, den Rechten auf der Straße, im öffentlichen Raum entgegenzutreten. Das wird aber nicht ausreichen“, leitete Anne Seeck von Teilhabe e.V. den letzten Block unter dem Motto „Antifaschismus und Klassenkampf“ ein.
Dort berichtete ein Sekretär der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Olaf Klenke, wie sich die Zunahme von rechtem Gedankengut auch auf den Alltag in von Betrieben auswirkt, die er betreut. Dabei mache es aber einen Unterschied, ob er mit Beschäftigten im Hotelgewerbe von Leipzig oder in den Kleinstädten von Sachsen-Anhalt rede.
Woke Parolen in der Provinz und Scheinvielfalt des Kapitals
In der Provinz spielten – anders als in der Metropole – Begriffe wie „Vielfalt“ und „offene Gesellschaft“ keine Rolle, so Klenke. Im Gegenteil: Eine Gewerkschaft, die zu oft solche Begriffe verwende, würde Gefahr laufen, wie das Management der Betriebe zu klingen.
Denn längst haben zumindest größere Unternehmen gelernt, möglichst viele der linksliberalen Füllwörter zu gebrauchen und auch entsprechende Transparente anzubringen. Wenn es dann aber um die Qualifizierung von migrantischen Arbeitskräften geht, ist es mit der Vielfalt auf Seiten des Kapitals meist schnell vorbei.
Denn der Internationalismus des Kapitals besteht in der Regel darin, Menschen aus aller Welt möglichst billig arbeiten zu lassen. Dem wäre ein „proletarischer Internationalismus“ entgegenzusetzen, der dafür eintritt, dass Menschen jeglicher Herkunft gemeinsam für ihre Interessen als Lohnabhängige eintreten.
Migration und Arbeiterklasse: Ein schwieriges Thema
Doch oft kommt es nicht dazu: Die Abwehr von Migration sei ein großes Thema auch unter Arbeitern, betonte Klenke. Er habe aber den Eindruck, dass sich der Frust nicht nur gegen Migranten richte, sondern generell gegen Menschen, die angeblich oder tatsächlich von Transferleistungen leben. Deswegen verfange die Hetze gegen Bürgergeldempfänger, die „von unseren Steuergeldern leben“, auch in der Arbeitswelt.
Klenke betonte, dass auch Kolleginnen und Kollegen, die sich für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einsetzen, rechts sein können. „Sie organisieren im Betrieb den Aufstand gegen das Management und in der Gesellschaft den Aufstand gegen die Politik – auch mit Unterstützung der AfD“, brachte Klenke diese Gemengelage auf den Punkt.
Verlorene Kollegen: Corona und der Rechtsruck
Ähnliche Erfahrungen hat auch die Jenaer ver.di-Sekretärin Teresa Gärtner gemacht, zuständig ist sie für Beschäftigte der Krankenhäuser.
Viele würden dort sagen: „Mir reicht es“, was aber nicht bedeute, dass sie immun gegen rechtes Gedankengut seien. „Besonders in der Corona-Zeit haben wir viele Kolleg:innen an die AfD verloren“, so Gärtners Beobachtung. Gärtner und Klenke sehen allerdings für die Linke in der Arbeitswelt noch Hoffnung. „Doch dann müssen wir wieder Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Kolleginnen und Kollegen gewinnen.“
Die Veranstaltung machte jedenfalls deutlich, dass die vielen Events in den Großstädten, die aktuell unter dem Motto „Gegen Rechts“ laufen, von großen Teilen der Menschen in den Betrieben gar nicht wahrgenommen werden.