Der Inlandsgeheimdienst ist eine problematische Wächterinstanz. Auch Linke und Liberale sehen sie neuerdings unkritisch. Was vergessen wird. Ein Kommentar.

Geheimdienst als Hoffnungsträger: Der Verfassungsschutz ist kein Mittel gegen die AfD!

Dass sich AfD-Gegner gerade jetzt für die Auflösung von Geheimdiensten einsetzen, wäre ein Antidot gegen autoritäre Tendenzen unter Linken. Es sollen nicht Papa Staat und seine Organe sein, die Linke vor der rechten Konkurrenz bewahren.Vielmehr soll die linke Bewegung auf der Straße im Betrieb, im Stadtteil und erst in letzter Instanz im Wahlkampf Konzepte anbieten, um die Rechten kleinzuhalten. Der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ plus) gelingt das etwa gerade in Salzburg

„Vertagung in Sachen AfD gegen Bundesverfassungsschutz“ lautet die Überschrift der Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. Dort gab es zwei gut besuchte Verhandlungstage, in denen über die Klage der AfD gegen debattiert wurde. Drei Verfahren sind in Münster anhängig. Erstens die …

… Einstufung der Gesamtpartei AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz (Aktenzeichen 5 A 1218/22) sowie die Einstufung des sogenannten „Flügels“ (5 A 1216/22) und der Jungen Alternative für Deutschland (5 A 1217/22). Verhandelt werden die Berufungen der AfD und der Jungen Alternative.

Es gilt festzustellen, ob die Partei tatsächlich Bestrebungen verfolgt, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben.

Medien: AfD zwischen Verzögerungstaktik und Rechtsmissbrauch

Am Mittwochabend war dann klar, dass weitere Termine anberaumt werden müssen. In vielen liberalen Medien regte sich Kritik an der Verschiebung. In der konservativen Welt wurde die Inanspruchnahme aller Rechte durch die Anwälte der AfD als Missbrauch prozessualer Rechte diffamiert, ein Vorwurf, der sonst oft gegen linke Anwälte beispielsweise in den RAF-Verfahren erhoben wurde.

„Die AfD spielt auf Zeit“, da waren sich die liberale Süddeutsche Zeitung mit dem linken Neuen Deutschland zumindest in der Überschrift einig. Aber die gleiche Formulierung ist kein Zufall. Denn in den letzten Tagen teilten Liberale und große Teile der Linken weitgehend die Einschätzung, dass das OVG die Klage der AfD abweisen würde.

Dies würde als erster Schritt zur Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch gesehen – und dann sollten weitere Schritte bis zum Verbot der Partei folgen.

Brisantes Thema: Virtuelle Agenten und V-Leute bei der AfD

Bei solchen Folgen ist es nachvollziehbar, dass der Kläger alle juristischen Mittel nutzt. Dass es dabei auch um Fragen geht, die erklärte Gegner der AfD interessieren sollten, listet das juristische Fachmagazin Legal Tribune Online auf:

Am Mittwoch ging es unter anderem um den Einsatz von virtuellen Agenten, also Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die in sozialen Netzwerken mit einer anderen Identität unterwegs sind, und sogenannten V-Leuten – Informanten aus dem Umfeld der Partei. Das BfV hatte am Dienstagabend erklärt, „dass nur zwei der einigen Tausend Belege“, die dem Gericht dazu vorgelegt worden seien, „Äußerungen oder Verhaltensweisen von menschlichen Quellen des Verfassungsschutzes beinhalten“.Legal Tribunal Online

Die Frage ist besonders brisant, weil schon das erste Verbotsverfahren gegen die NPD daran gescheitert ist, dass dort V-Leute auch für einige der inkriminierten Aussagen verantwortlich waren, die für das Verbotsverfahren herangezogen wurden.

Parteienfinanzierung: Das Paradox der AfD-Förderung

Etwas differenzierter argumentierte der Politikwissenschaftler Steffen Kailitz. Er regte im Interview mit der taz an, der AfD erst einmal die Gelbe statt der Roten Karte zu zeigen:

Die AfD lebt von staatlichen Geldern. Sie bekommt aufgrund ihres Wähleranteils viele Millionen Steuergeld. Wenn der Staat einerseits Programme gegen Rechtsextremismus, andererseits eine bald als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei finanziert, ist das paradox.

Das wäre der Schritt, den man direkt nach der Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ prüfen sollte: Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann man der AfD die staatliche Parteienfinanzierung entziehen? Das würde sie massiv schwächen.Steffen Kailitz im Gespräch mit der taz

Streichung von Geldern: PR-Stunt für die AfD?

Es bleibt offen, wie Kailitz zu der Einschätzung kommt, dass die AfD durch eine die Streichung der Parteienfinanzierung wirklich so massiv geschädigt wird. Schließung bekommt die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung noch gar kein Geld – und umgekehrt könnte die AfD sich sogar bei ihrer Klientel als garantiert nicht staatlich finanziert gerieren.

Aber Kailitz ließ zumindest noch einige kritische Töne zum Agieren des Verfassungsschutzes anklingen.

Aktivismus des Verfassungsschutzes ist auch nicht wünschenswert. Er kann nicht einfach auf Verdacht agieren – eine Einstufung hat ja gravierende Folgen für eine Bewegung oder Partei. In der AfD wird es vor allem für die nicht ganz wenigen Mitglieder im Staatsdienst, also Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, problematisch, weil sie einen Treueeid geleistet haben.

Vor allem muss eine Einstufung gerichtsfest sein, weswegen ich die Vorsicht beim Thema verstehen kann: Wenn ein Gericht sagt – nee, das Material reicht nicht aus, wäre das natürlich eine PR-Feier für eine rechtsextremistische Partei wie die AfD.Steffen Kailitz im Gespräch mit der taz

Der Feind stand links: Eine Wächterinstanz und ihre Geschichte

Dabei fehlt in der öffentlichen Auseinandersetzung eine starke Stimme, die es einfach ablehnt, dass politische Parteien überhaupt von einem repressiven Staatsapparat wie dem Verfassungsschutz auf ihre Verfassungstreue begutachtet werden.

Es bleibt der rechtsliberalen Neuen Zürcher Zeitung vorbehalten, festzustellen, dass eine solche Wächterinstanz in einem liberalen Rechtsstaat fremd sein sollte. Tatsächlich ist die Begutachtung und Ausforschung einer politischen Partei auch im europäischen Maßstab eine deutsche Besonderheit, ein Relikt eines autoritären Staatsverständnisses, das schon bei der Verfolgung von Linken aktiv war.

Vom Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) über die Berufsverbote, die ab den 1970er-Jahren verhinderten, dass mutmaßliche Kommunisten in Westdeutschland Briefträger werden konnten, während sie in Frankreich Minister waren, bis zum aktuellen Verfahren gegen die AfD: Bei allen inhaltlichen Unterschieden steht hier ein Autoritarismus dahinter, der staatlichen Stellen das Recht gibt, in die politische Meinungsbildung einzugreifen.

Die Anti-Establishment-Attitüde der AfD

Es war das Trauma einer ganzen Generation von Linken in den 1970er-Jahren, dass sie von Verfassungsschutzämtern auf die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung abgefragt wurden. Dafür war „FDGO“ ein in linken und liberalen Kreisen verwendetes Kürzel, das jetzt auch von AfD-Abgeordneten im Munde geführt wird.

Aus dieser gesamten Geschichte sollte es für Linke und Liberale nur eine Forderung geben: Verfassungsschutz abschaffen. Er ist ein Fremdkörper in einer demokratischen Gesellschaft. Gerade jetzt wäre es für entschiedene AfD-Gegner umso wichtiger, diese Forderung zu erheben.

Denn damit würden sie beweisen, dass die Ablehnung von repressiven Staatsorganen eine Grundsätzliche ist und nicht nur dann laut wird, wenn die eigenen Kreise betroffen sind.

Wenn AfD und Co. über Geheimdienste bestimmen

Die Rechten, die jetzt gegen ihre Einstufung durch Inlandsgeheimdienste agieren, würden liebend gerne diese Instrumente gegen ihre Gegner nutzen, wenn sie die Macht hätten. Schon heute fordern sie das Verbot „der Antifa“ und vieler linker Organisationen. Das wäre ein Grund mehr, die Auflösung solcher Staatsorgane zu fordern, bevor die Ultrarechten über sie bestimmen können.

Aber das dürfte nicht das einzige Argument sein. Dass sich AfD-Gegner gerade jetzt für die Auflösung von Geheimdiensten einsetzen, wäre ein Antidot gegen autoritäre Tendenzen unter Linken. Es sollen nicht Papa Staat und seine Organe sein, die Linke vor der rechten Konkurrenz bewahren.

Vielmehr soll die linke Bewegung auf der Straße im Betrieb, im Stadtteil und erst in letzter Instanz im Wahlkampf Konzepte anbieten, um die Rechten kleinzuhalten. Der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ plus) gelingt das etwa gerade in Salzburg: Ihre Erfolge hatte sie nicht deshalb, weil sie mit Staatsorganen gegen die rechte FPÖ vorgehen will, sondern, weil sie Konzepte anbietet, die verhindern, dass noch mehr Arbeiter die Rechten wählen.

Glaubwürdig gegen Rechts nach Salzburger Art

Genau wie bei ihrem Wahlkampf letztes Jahr setzte die Salzburger KPÖ diesmal wieder überwiegend auf das Thema Wohnen – mittlerweile ihr politisches Markenzeichen. Als Wahlkampfauftakt organisierte sie am 27. Januar einen Protest gegen den drohenden Abriss der Südtiroler Siedlung im Stadtteil Liefering, einem großen Wohnkomplex günstiger unbefristeter Mietwohnungen.Jakobin Magazin

Sollte die FPÖ in Österreich an die Regierung kommen, ist eine solche Linke auch stark genug, um beispielsweise zu verhindern, dass die Rechten die Staatsorgane nutzen, um gegen ihre Gegner vorzugehen.

Eine gesellschaftliche Linke hingegen, die auf Verbote gegnerischer Parteien setzt, hat dann große Teile der Glaubwürdigkeit verloren, wenn sie dann beklagt, dass diese mit der gleichen Methode gegen sie vorgehen.

Ein rechtsstaatlicher Grundsatz

Wenig sinnvoll sind hingegen ständige liberale Kampagnen wie der Hype um die Meldungen über Mitarbeiter der AfD-Fraktion, die vorher in Organisationen aktiv, die vom Inlandsgeheimdienst als rechtsextrem eingestuft werden.

Schon wird nach weiteren Repressalien gerufen, Dabei ist es ein wichtiger rechtsstaatlicher Grundsatz, dass alle Abgeordneten selbst entscheiden, wenn sie einstellen. Um zu verhindern, dass diese Abgeordneten inkriminierte Menschen anstellen, muss eben verhindert werden, dass sie gewählt werden.

Auch hier geht es also wieder um die politische Auseinandersetzung, ohne Einmischung von staatlichen Instanzen. Peter Nowak