Ankündigungen von Scholz in alter SPD-Tradition: Deutschland soll kriegsfähig werden. Äußerer Feind im Visier und eigene Großmachtträume. Ein Kommentar.

Ampel-Haushalt: Waffen für die Ukraine und Spardiktat für Arme

Es ist es auch nicht verwunderlich, dass die Armut in Deutschland kein Anlass für die Erklärung einer Notlage ist, der etwa eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Doch zumindest einen anerkannten Notfall gibt es: Es geht um die Ukraine-Hilfen – im Jahr 2024 acht Milliarden Euro allein für Waffen. Diese Politik steht in guter sozialdemokratischer Tradition. Schließlich hat die SPD 1914 auch schon den Kriegskrediten mit dem Argument zugestimmt, sonst würden die Russen bald in Berlin stehen.

Der Haushaltsstreit ist beigelegt, nach tagelangen Gesprächsrunden sind die Koalitionspartner am Mittwoch mit einem Ergebnis vor die Presse getreten. Eine zentrale Nachricht war, dass im Jahr 2024 die Schuldenbremse eingehalten wird. Dabei hatte es in den letzten Tagen von Politikern der Grünen und der SPD die unterschiedlichsten Vorschläge gegeben, wie die Schuldenbremse zumindest …

… 2024 noch ausgesetzt werden könnte. Auf dem SPD-Parteitag am Wochenende wurden sogar Reden über eine Abschaffung dieses Instruments und über eine Reichensteuer geschwungen.

Doch es war klar, dass hier die eigene Basis auf zukünftige Wahlkämpfe vorbereitet werden soll. Dann kann die SPD beklagen, mit ihr hätte es ja Reformen an der Schuldenbremse gegeben, aber die FDP hat sich dagegen erfolgreich gesperrt.

Ohne SPD keine Schuldenbremse

Nun gäbe es aber ohne die SPD die Schuldenbremse überhaupt nicht. Sie wurde 2009 unter einer „schwarz-roten“ Koalition beschlossen. Die FDP konnte die Stimmung an ihrer Mitgliederbasis als Argument dafür anführen, dass an der Schuldenbremse nicht gerüttelt werden darf. Schließlich gibt es in verschiedenen Bundesländern Bestrebungen, die Koalition mit SPD und Grünen zu verlassen.

Ein Antrag auf eine Abstimmung der FDP-Mitglieder hat das nötige Quorum erreicht. Demnächst soll die Abstimmung stattfinden. Sie ist offiziell nicht bindend, aber es ist schwer vorstellbar, dass eine Mehrheit für einen Austritt aus der Regierung einfach ignoriert werden könnte.

Dann würde der Machtkampf in der FDP losgehen, die ja sowie wieder einmal nah an der Fünf-Prozent-Hürde ist. Aber nun kann Christian Lindner als Bundesfinanzminister mit FDP-Parteibuch darauf verweisen, dass er in der Frage der Schuldenbremse hart geblieben ist – und zudem nach manche Lieblingsprojekte der Grünen ausgebremst hat.

Beschlüsse zu Lasten armer Bevölkerungsteile

So sollen früher als geplant die Zuschüsse für E-Autos auslaufen, die als Feindbild der Bleifußlobby aller Parteien nur knapp hinter den Lastenrädern rangierten. Infolge der neuen Beschlüsse werden auch die Armen weiter belastet.

So hat FDP-Chef Linder gleich betont, dass, wenn auch das Bürgergeld wie vereinbart zum Jahresbeginn erhöht werden soll, Erwerbslose schneller in Lohnarbeit gebracht werden sollen. Der Druck auf die Armen wird auch durch höhere Preise für Strom erhöht.

Doch in den Medien waren fast nur die Klagen von Industrieverbänden zu lesen, die darüber lamentieren, dass durch die Beschlüsse das Wirtschaftswachstum in Deutschland weiter sinken könnte. Es ist schließlich Normalität, dass die Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland viel Raum einnimmt, die Situation der Armen aber höchstens für irgendwelche Sonntagsreden taugt.

Kriegskredite 2.0

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Armut in Deutschland kein Anlass für die Erklärung einer Notlage ist, der etwa eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Doch zumindest einen anerkannten Notfall gibt es: Es geht um die Ukraine-Hilfen – im Jahr 2024 acht Milliarden Euro allein für Waffen. Scholz hat klargestellt, dass die Schuldenbremse doch noch infrage gestellt werden könnte, wenn die Ukraine weitere Unterstützung braucht und andere Länder diese nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stellen.

Nun muss man diese ideologisierte Sprachregelung zunächst übersetzen. Wenn hier von der Hilfe für die Ukraine die Rede ist, ist die Stützung der gegenwärtigen deutschfreundlichen Strömung des ukrainischen Nationalismus gemeint, die tatsächlich in den letzten Wochen zunehmend in Schwierigkeiten ist.

So viel Ukraine-Unterstützung wie „möglich“ oder wie „nötig“?

Angesichts der festgefahrenen Offensive gegen die Invasionstruppen des russischen Nationalismus sind manche Verbündete nicht mehr so freigiebig. In den USA sind damit nicht nur die Republikaner gemeint, auch Präsident Biden hat kürzlich erklärt, man werde die Ukraine, also deren gegenwärtige Regierung, im Rahmen des für die USA Möglichen unterstützten.

Noch vor Monaten klang das anders: Da erklärte Biden, man werde die Ukraine unterstützen, so lange es nötig sei. Damals lag der Fokus auf den Interessen und Wünschen der ukrainischen prowestlichen Nationalisten – nun soll sich die Unterstützung nach den Bedürfnissen und Interessen der US-Wirtschaft richten.

Dafür nutzte Bundeskanzler Scholz in seiner Regierungserklärung Formulierungen, die wie die alten Reden von Biden klingen.

„Bedrohung für Deutschland“

„Ich werde für eine nachhaltige, verlässliche Unterstützung der Ukraine eintreten, denn es geht um die Sicherheit Europas“, erklärte Scholz am Mittwoch im Bundestag.

Zu den Hilfen zählten acht Milliarden Euro für Waffenlieferungen, Finanzhilfen für den ukrainischen Haushalt und voraussichtlich mehr als sechs Milliarden Euro zur Unterstützung ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. Dann legte Scholz nach:

„Sollte sich die Situation durch Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärfen, etwa weil die Lage an der Front sich verschlechtert, weil andere Unterstützer ihre Ukraine-Hilfe zurückfahren oder weil die Bedrohung für Deutschland und Europa weiter zunimmt, werden wir darauf reagieren müssen.“

Überschreitungsbeschluss möglich

Um auf eine solche Lage vorbereitet zu sein, habe die Koalition vereinbart, dem Bundestag einen sogenannten Überschreitensbeschluss vorzuschlagen. Scholz verwies auf Artikel 115 des Grundgesetzes, der das in Notsituationen zulasse.

Hier wird also ganz deutlich gesagt, dass auf fast allen Gebieten im Haushalt gekürzt wird, im Sozialbereich und beim Klimaschutz. Nur für das Militär will Deutschland notfalls die Schuldenbremse aussetzen.

Diese Politik steht in guter sozialdemokratischer Tradition. Schließlich hat die SPD 1914 auch schon den Kriegskrediten mit dem Argument zugestimmt, sonst würden die Russen bald in Berlin stehen.

Die Ukraine und der deutsche Geschichtsrevisionismus

Genau diesen Ton nahm Scholz in seiner Rede wieder auf, die ein besonders eindringliches Beispiel des deutschen Geschichtsrevisionismus ist.

Denn da wird mal kurz unterschlagen, dass es deutsche Truppen waren, die die Sowjetunion überfallen haben, Millionen Menschen ermordet und ganze Dörfer vernichtet haben und dass es auch die sowjetischen Truppen, darunter auch Soldaten Russlands und der Ukraine waren, die den Nationalismus schließlich in Berlin zerschlagen haben und dafür viele Opfer in Kauf genommen haben.

Hier zeigt sich auch, warum der deutsche Imperialismus so sehr auf eine Fraktion in der Ukraine setzt. Es ist Geschichtsrevisionismus und ein Versuch, den Osten Europas wieder einmal im Sinne Deutschlands zu ordnen und Russland dabei in die Schranken zu verweisen.

Deutschfreundliche Fraktionen an der Macht

In welche Schranken, das ist noch nicht so klar. Manche träumen schon wieder von den Grenzen von 1942. Durch die Entwicklung in Polen fühlt sich der deutsche Imperialismus bestätigt. Deshalb wird auch die Wahl des deutschfreundlichen ehemaligen Kommissars Tusk zum polnischen Premierminister in Deutschland lautstark bejubelt.

Dabei ging es eben nicht um Frauen- und Menschenrechte. Auf diesem Gebiet wird sich unter den Liberalkonservativen wenig ändern. Die schwache Linke hat sich von vornherein der Chance beraubt, als unabhängige Kraft gegen beide Fraktionen des polnischen Nationalismus zum Zünglein an der Waage zu werden.

Indem sie von Anfang an das Bündnis mit den Liberalkonservativen gesucht und eine deutschfreundliche Regierung an die Macht gebracht hat, hatte sie auch wenige Druckmittel, um zumindest auf kulturellen Gebiet eigene Interessen durchzusetzen.

Gemeinsame Front gegen Russland

Deutsche Großmachtträume richten sich nun auf eine gemeinsame Front mit Polen gegen Russland. Die alte polnische Regierung hat sich hingegen mehr auf die USA gestützt. Die jüngsten Äußerungen von Scholz und seiner Regierung zeigen eine verschärfte Aggressivität Deutschlands an.

Wer wissen wollte, wie sich die neue deutsche Volksgemeinschaft bildet, musste am Mittwochvormittag den Deutschlandfunk hören: „Schwierige Zeiten für Bundeswehr – brauchen wir eine Rückkehr zur Wehrpflicht?“ so die Frage der Sendung.

Nicht nur die Studiogäste, auch manche Hörer überboten sich mit skurrilen Vorschlägen, wie Deutschland kriegsfähig gemacht werden soll. Ein Hörer wartete mit dem Vorschlag auf, nicht nur junge Menschen, sondern auch Rentner noch freiwillig Armeedienste ausführen zu lassen. Der Volkstum lässt grüßen.

Die treuesten Söhne und Töchter der Nation

Noch verheerender ist, dass auch ehemalige deutschlandkritische Linke, die vor 30 Jahren vor einer Entwicklung, wie sie jetzt eingetreten ist, gewarnt hatten, mit auf den Zug aufgesprungen sind.

Es ist wie so oft, wenn gegen einen äußeren Feind mobilgemacht wird, dass manche ehemaligen Kritiker sich als die treuesten Söhne und auch Töchter der Nation erweisen wollen.

Dabei bräuchte es gerade jetzt eine Bewegung, die sich diesen Bestrebungen Deutschlands, seiner neuen alten Verbündeten und seinem Geschichtsrevisionismus widersetzt, indem sie sich eine Warnung der französischen Schriftstellerin Marie Rotkopf zu Herzen nimmt: Bald wird es nicht mehr die Rote Armee sein, die Auschwitz befreit hat, sondern das Asow-Bataillon.

Der Autor hat mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine“ herausgegeben.