Die Soziologin Cornelia Koppetsch wird angegriffen, weil ihr Lebensgefährte ein Kommunalpolitiker der AfD ist. Dabei sollten ihre Thesen kritisiert werden. Anlass geben sie dafür genug.

„AfD-Erklärerin“: Kritisiert ihre Thesen, nicht ihr Privatleben!

Das Privatleben einer Wissenschaftlerin aber sollte tabu sein. Es geht die Öffentlichkeit nichts an, in welcher Beziehung eine Genderforscherin lebt oder ob ein Stalinismusforscher mit einer Politikerin der Partei Die Linke liiert ist. Genauso sollte für Koppetsch ihre Partnerschaft mit einem AfD-Politiker kein Gegenstand der Kritik sein.

Der AfD-Kommunalpolitiker Kai Borrmann ist wegen eines erst verbalen, dann tätlichen Angriffs auf zwei schwarze Frauen in einer Berliner Kneipe zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden. Ein Beispiel mehr für den Rassismus der AfD. Doch der Fall bekam vor allem Aufmerksamkeit, weil Borrmann …

 … mit seiner Lebensgefährtin Cornelia Koppetsch in der Kneipe war, in der er die Frauen am Nebentisch zunächst mit Worten beleidigt, dann verfolgt und körperlich angegriffen hat.

Die Soziologin hatte 2019 mit ihrem Buch „Die Gesellschaft des Zorns“ für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Das Buch war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, bis Plagiatsvorwürfe aufkamen. Es wurde seitdem nicht mehr neu aufgelegt und um die Soziologin war es ruhig geworden. Bis zum Gerichtsverfahren gegen ihren Lebensgefährten, bei dem die „AfD-Erklärerin“, wie sie der Spiegel jetzt nennt, eine Aussage über die Situation in der Kneipe vor dem Angriff machte.

Seitdem wird Koppetsch wegen ihres Lebensgefährten mit AfD-Parteibuch massiv angegriffen: „Die Begeisterung für Cornelia Koppetsch ist noch peinlicher geworden“, schreibt Matthias Dell in einem Beitrag für das Portal Übermedien. Doch peinlich ist es, wie eine Soziologin gegen ihren Willen wegen des falschen Partners an die Öffentlichkeit gezerrt wird.

Denn ihr wird weder vorgeworfen, dass sie die Tat ihres Lebensgefährten gebilligt habe, noch dass sie sich sonst rassistisch geäußert habe. Das Privatleben einer Wissenschaftlerin aber sollte tabu sein. Es geht die Öffentlichkeit nichts an, in welcher Beziehung eine Genderforscherin lebt oder ob ein Stalinismusforscher mit einer Politikerin der Partei Die Linke liiert ist.

Genauso sollte für Koppetsch ihre Partnerschaft mit einem AfD-Politiker kein Gegenstand der Kritik sein. Auch der Vorwurf, sie hätte das in ihrem Buch öffentlich machen sollen, ist verfehlt. „Die Gesellschaft des Zorns“ war kein Werbebuch für die AfD. Sie stand auch keiner geschäftlichen Verbindung mit der Partei. Ihr Lebensgefährte war auch nicht zentraler Gegenstand des Buches.

Anders als bei dem Kulturwissenschaftler Helmut Lethen, der mit seiner Frau Caroline Sommerfeld, einer langjährigen Aktivistin der rechten Identitären Bewegung, offensichtlich mehrere Seiten der Biographie „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug abgestimmt und das Werk mit ihr gemeinsam vorgestellt hat. Lethen wurde für seine Liaison mit einer Rechten übrigens wesentlich weniger angegriffen als Koppetsch. An Frauen werden also auch hier immer noch höhere Ansprüche gestellt.

„Querfront der Verlierer“

Statt also weiter in Koppetschs Privatleben zu spionieren, sollten ihre Thesen kritisch unter die Lupe genommen werden. Da fällt auf, dass sie für den Aufstieg des Rechtspopulismus Gründe nennt, die bereits von anderen Wissenschaftlern in verschiedenen Ländern herangezogen wurden.

Wirtschaftliche, politische oder kulturelle Grenzöffnungen würden als Kontrollverlust erlebt und weckten bisweilen ein unrealistisches Verlangen nach der Wiederherstellung der alten nationalgesellschaftlichen Ordnung. Konservative Wirtschafts- und Kultureliten sowie Gruppen aus Mittel- und Unterschicht, die auf unterschiedliche Weise durch Globalisierung deklassiert würden, bilden dabei eine klassenübergreifende Protestbewegung gegen die globale Öffnung der Gesellschaft.

In einem Gastbeitrag für die taz ging Koppetsch auf die AfD-Wählerschaft ein und kam zu einen wenig überraschenden Befund:

Sie kommen aus allen Schichten: aus den privilegierten konservativen Milieus, der traditionellen Mittelschicht und aus prekären Milieus, aber es sind eben nicht verstärkt Arbeitslose und Empfänger von Sozialleistungen. Was sie eint, ist das Gefühl, an Einfluss, Bedeutung und Macht verloren zu haben, nicht nur in materieller Sicht. Sie sehen ihre bisherigen Privilegien bedroht.


Cornelia Koppetsch

Zugespitzt sprach Koppetsch von einer „Querfront der Verlierer“. Für ihre Analyse bekam Koppetsch 2019 auch Lob von Autoren wie Floris Biskamp, die sich mit ihren Thesen ansonsten durchaus kritisch auseinandersetzen.

Einerseits wendet sie sich gegen die Interpretation, hinter den rechtspopulistischen Wahlentscheidungen stünden eigentlich ganz andere, irgendwie harmlosere und handhabbare, weil primär ökonomische und somit rationale Motive. Stattdessen solle man die Wähler:innen der Rechten in ihrer antiliberal-antikosmopolitischen Forderung nach einer Veränderung der gegenwärtigen Ordnung ernst nehmen. 

Gleichzeitig wendet sie sich aber auch gegen eine autoritarismustheoretische Deutung oder eine moralische Abqualifizierung, die die Wähler:innen der Rechten zu ganz anderen, nicht als Gegenüber ernstzunehmenden Subjekte stilisiere. Stattdessen solle man die Narrative der Rechten auch dergestalt inhaltlich ernstnehmen, dass man sie ‚auf ihren Realitätsgehalt‘ überprüft.


Floris Biskamp über die Thesen von Cornelia Koppetsch

Was vor vier Jahren lobend an Koppetsch Arbeitsweise hervorgehoben wurde, wird jetzt mit Verweis auf ihren Lebenspartner als AfD-Versteherei diskreditiert.

Kritik an Koppetschs Polemik gegen den Kosmopolitismus

Dabei formulierte bereits Biskamp 2019 eine zentrale Kritik:

Zum Problem wird dabei aber Koppetschs allzu polemisch überspitzte Darstellung der kosmopolitischen Gruppen sowie des Verhältnisses der beiden Lager zueinander. Während sie zunächst wiederholt betont, dass beide Seiten des Konflikts sozialstrukturell sehr heterogen sind, setzt sich im Laufe des Buchs (insbesondere in Kapitel 7, sowie in dessen feuilletonistischer Rezeption eine Rhetorik durch, die den Kampf zwischen Kosmopolitismus und Rechtspopulismus zunehmend als Kampf eines arroganten und heuchlerischen Obens gegen ein verängstigt um sich schlagendes Unten erscheinen lässt. 

Es sind vor allem vier miteinander verknüpfte Faktoren, die dazu beitragen, dass der Kosmopolitismus in Koppetschs Darstellung als ein für die eigene Übermacht und ihre Folgen blinder missionarischer Bösewicht erscheint.


Floris Biskamp

In der Wochenzeitung Jungle World spitzte Tobias Brück die Kritik an Koppetsch zu, verwies aber auch auf die theoretischen Stichwortgeber: „Koppetsch verwendet den Begriff der Kosmopoliten oftmals für Milieus der Ober- und Mittelschicht, so dass der Eindruck entsteht, beim Rechtspopulismus handele es sich um eine Rebellion von unten gegen einen Kosmopolitismus von oben. Weil sie nicht darauf eingeht, dass das Feindbild des Kosmopoliten eine antisemitische Chiffre ist, reproduziert sie diese als eine Art leeren Signifikanten im Sinne des linkspopulistischen Theoretikers Ernesto Laclau“, kritisiert Brück.

Koppetsch suggeriere, dass Kosmopoliten für den Aufstieg des Rechtspopulismus mitverantwortlich seien. Insbesondere der linken Antidiskriminierungspolitik, die an der Lebensrealität der gesellschaftlichen Mehrheit vorbeigehe, gibt sie eine Mitschuld.

Diese Kritiken an Koppetsch Thesen haben auch 2023 nichts von ihrer Plausibilität eingebüßt Mit wem Koppetsch liiert ist, geht niemanden etwas an. Die Thesen in ihrem Buch und ihren Interviews bieten genügend Anlass zur Kritik. (Peter Nowak)