Willi Hajek ist in Marseille gestorben

Ein Mann des roten Jahrzehnts

Der Basisgewerkschafter Willi Hajek, der in Deutschland und Frankreich an Kämpfen teilnahm, ist gestorben

»Hommage an unseren Freund und Kollegen Willi Hajek« – mit diesen Worten war der Nachruf überschrieben, mit dem die linke Basisgewerkschaft Sud ihren langjährigen Aktivisten würdigte. Hajek wurde in Baden-Württemberg geboren. Politisch geprägt wurde er im roten Jahrzehnt, wie in Frankreich die Jahre nach dem sozialen Aufbruch von 1968 genannt wurden. Dort erlebte er, wie Arbeiter*innen mit neuen Kampfformen gegen ihre Unterdrückung kämpften. Dass Hajek davon fasziniert war, lag sicher auch an seiner Herkunft. Sein Vater war ein politisch interessierter Maschinenschlosser, der mit den Verhältnissen in der Nachkriegs-BRD nicht einverstanden war. Hajek studierte in Heidelberg Französisch, was ihm die Kontaktaufnahme im westlichen Nachbarland erleichterte. Die Erfahrungen, die er in Frankreich sammelte, sollten sein Leben bestimmen. Lip und Larzac, das waren in den frühen 1970er Jahren zwei Namen, die zum Symbol für einen selbstbestimmten linken Kampf wurden, der nicht von einer Partei oder Großgewerkschaft gelenkt wurde.  Noch mehr als 50 Jahre später …

… erinnerte sich Hajek an den Arbeitskampf in der Uhrenfabrik Lip, wo die Arbeiter*innen die Produktion selbst übernommen hatten. »Hier lernte ich eine Gewerkschaft kennen, die auf Selbstorganisation statt auf Bürokratie setzte«, erinnerte sich Hajek. »Der Chef braucht dich, du brauchst ihn nicht!« Diese Parole, die im Kampf für den Erhalt der selbstverwalteten Fabrik Lip geprägt wurde, wurde für Hajek der Leitspruch, der seine politischen Aktivitäten bestimmte. Ein weiterer prägender Kampf war der Widerstand der Bauern im südfranzösischen Larzac. Sie verhinderten gemeinsam mit einer westeuropaweiten Solidaritätsbewegung, dass sie die Region für die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes verlassen mussten. Diese Erfahrungen verhinderten, dass Hajek wie viele andere 1968er in Parteien oder anderen Großorganisationen Karriere machte. Er blieb sein Leben lang ein Basislinker. Nachdem er aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt war, stieß Hajek auf ein Flugblatt, das über die Kündigung eines oppositionellen Gewerkschafters bei Opel-Bochum informierte. Anlass für den Rausschmiss war, dass der Gewerkschafter auf einer Betriebsversammlung Kritik am Konzern geübt hatte. Hajek nahm Kontakt mit dem Kollegen auf. Es entstand eine lebenslange politische und persönliche Freundschaft mit der Gruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG), in der sich oppositionelle Gewerkschafter*innen bei Opel Bochum organisierten. Hier begegnete Hajek dem rebellischen Geist wieder, der ihn in Frankreich so beeindruckt hatte. Mit dem Einzug des neoliberalen Regimes ab Mitte der 1970er Jahre wurden auch die Zeiten für die emanzipative Betriebslinke schwieriger. Hajek organisierte immer wieder Bildungswochen und Seminare, in denen sich die Kolleg*innen austauschen konnten. Nachdem die Gelbwestenbewegung in Frankreich auch viele Linke überrascht und oft auf Distanz gehen lassen hatte, betonte Hajek auf mehreren Veranstaltungen in Deutschland, dass viele Mitglieder dieser Bewegung einen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus suchten. Trotz seiner schweren Erkrankung blieb Hajek bis zum Schluss an gesellschaftlichen Fragen interessiert. Am Montag starb er in Marseille. Die südfranzösische Hafenstadt war im letzten Jahrzehnt zu seinem Lebensmittelpunkt geworden. Peter Nowak

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