„Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Stattdessen Milliarden für eine soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik!“ lautet das Motto eines Aufrufs des friedenspolitischen Netzwerke „Kooperation für den Frieden“ und der „Bundesausschuss Friedensratschlag“ zu dezentralen Aktionstagen am 1. Oktober 2022. Geplant sind am kommenden Samstag Kundgebungen in Berlin, Hamburg, Stuttgart und Frankfurt am Main. Zu den zentralen Forderungen gehören …
… der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags durch die Bundesregierung. Zudem soll verhindert werden, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den jährlichen Rüstungshaushalt ausgegeben werden, wie es die Bundesregierung plant.
Auch das 100-Milliarden-Aufrüstungspaket in Form eines Sondervermögens für die Bundeswehr soll umgewidmet werden – in ein Programm für Soziales, Gesundheit, Bildung und Umwelt. Zu den geopolitischen Forderungen im Aufruf gehören „gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und der Nato unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Ukraine“ und ein Ende der Wirtschafts- und Finanzblockaden gegen Russland.
„Wir mussten eine Antwort auf die klammheimlich eingebrachten Beschlusslagen im Bundestag finden, die den Rüstungshaushalt betreffen. Darüber gibt es bislang kaum öffentliche Debatten“, begründet der bekannte Friedensaktivist Willi van Ooyen diesen Termin, der neben geplanten Kundgebungen verschiedener Sozialbündnisse anberaumt wurde, die in den nächsten Wochen Proteste gegen Inflation und steigende Preise organisieren.
„Wir wollen auch die Frage des Kampf gegen Aufrüstung und Militarisierung auch die von Campact und DGB geplanten Proteste gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung einbringen, betont van Ooyen gegenüber Telepolis. Bei den Klimaprotesten habe es teilweise geklappt, Krieg und Militär als zentrale Umweltverschmutzer zu benennen.
„Wir diskutieren mit unterschiedlichen Initiativen über unsere Forderungen“, betont van Ooyen. Eigentlich müsste der Aufruf der Friedensgruppen in diesen Tagen auf viel Resonanz stoßen. Den die partiellen militärischen Erfolge der Ukraine mit Nato-Waffen auf deren eigenem Territorium könnten die Gefahr einer Eskalation des Krieges in Europa erhöhen, befürchtet zumindest Hans-Georg Erhart in der Wochenzeitung Freitag.
„Der Westen ist zwar konventionell überlegen und könnte die Ukraine vielleicht noch lange mit Waffen beliefern, doch nuklear ist er verwundbarer als Russland. Das liegt weniger daran, dass Moskau über mehr taktische Atomwaffen verfügt, sondern daran, dass ein russischer Atomschlag gegen die Ukraine oder einen nicht-atomaren europäischen Nato-Staat von den USA nicht mit einem atomaren Gegenschlag auf russisches Territorium beantwortet werden könnte – es sei denn um das Risiko eines Gegenschlags auf US-Gebiet. Etwas, das Washington tunlichst vermeiden sollte. Da die USA aber – nicht zuletzt mit Blick auf China – ziemlich sicher kein Zauderer oder Verlierer sein wollen, würden sie wohl reagieren“.
Hans-Georg Erhardt, Freitag
Wiederkehr der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre?
Der Autor hofft am Schluss seines Artikels auf die Zivilgesellschaft in Deutschland, wie sie in den 1980er-Jahren in Westdeutschland gegen die Aufstellung von US-Raketen auf die Straße gegangen ist. Was Erhardt aber dabei vergisst: Damals gingen viele auf die Straße, weil sie sich als Opfer der Großmächte USA und Sowjetunion, der ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, sahen.
Heute sehen viele Bewohner Deutschlands mit dem Krieg in der Ukraine die Gelegenheit, die deutsche Geschichte zu entsorgen. Auf diesen Aspekt weist der Antisemitismusforscher Clemens Heni in einem Interview mit Radio Flora ausführlich hin.
Dort führt er aus, dass heute in fast allen Medien in Deutschland von einem Zivilisationsbruch und einem Vernichtungskrieg Russlands in der Ukraine geredet wird. Das sind Begriffe, die vorher der Shoah und dem Krieg der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion vorbehalten waren. Wenn nun die ehemaligen Opfer angeblich genauso handeln, ist dies eine verlockende Gelegenheit zur Entsorgung deutscher Geschichte.
Man braucht sich nur in der Dokumentation „Adam und Ida“, die noch in der ARD-Mediathek zu sehen ist, anzuhören, wie die beiden Shoa-Überlebenden ihre Befreiung durch die Rote Armee schildern – und wird erkennen, dass genau das nie die Sichtweise der Mehrheit der deutschen Bevölkerung war.
Was für die wenigen Opfer des Nationalsozialismus eine Befreiung war, erlebte die Mehrheit der Deutschen als russische Besetzung. Diese geschichtliche Dimension wird meist ausblendet, von den vielen, die jetzt in der Ukraine doch noch Russland Grenzen setzen wollen, aber auch von Anhängern der deutschen Friedensbewegung schon in den 1980er-Jahren. Deswegen ist ein Revival der Friedensbewegung der 1980er-Jahre heute sehr unwahrscheinlich. Wäre sie überhaupt politisch wünschenswert?
Friedensproteste nicht mit Rechten?
Damals waren dort auch Nationalkonservative wie Alfred Mechtersheimer willkommen, der in den 1990er-Jahren in verschiedenen Gruppen der extremen Rechten aktiv war. Er betonte immer, dass er seine Positionen nicht geändert habe. Er kämpfte auch als rechter Flügelmann der damaligen Friedensbewegung für Deutschland.
Anfang der 1980er-Jahre gab es da wenig Kritik auch in linken Kreisen der Friedensbewegung. Es war eher so, dass Mechtersheimer von Konservativen vorgeworfen wurde, ein konservatives Feigenblatt der Linken und Kommunisten zu sein. Die Linken hingegen sahen es eher als Erfolg, dass ihnen mit Mechtersheimer der Einbruch ins konservative Milieu gelungen sei.
Der Publizist Reinhard Mohr wollte sich Mitte der 1990er-Jahre daran erinnern, dass auch die Personalie Mechtersheimer als Redner bei einer Großdemonstration in Osthessen wenig Diskussionen auslöste. Das ist heute anders. „Friedensproteste nicht mit Rechts“, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Friedensgesellschaft- Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. Dabei legen die Autoren Wert darauf, dass sie sowohl gegen den russischen Krieg in der Ukraine als auch gegen die Aufrüstung der Nato sind:
Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine, das tägliche Töten in diesem und anderen Kriegen oder die massive Aufrüstung der Bundeswehr: In diesem Herbst gibt es viele wichtige Gründe auf die Straßen zu gehen und für eine andere – friedlichere – Politik zu demonstrieren.
Aus der Erklärung „Friedensproteste nicht mit Rechts“, DFG-VK
Der Geschäftsführer der DFG-VK, Ralf Buchterkirchen, bezeichnet den Aufruf zum dezentralen Aktonstag am 1. Oktober als Anlass für die Erklärung. „Die Demonstration präsentiert sich als offen für rechts. Entsprechend hat sich der DFG-VK-Bundesverband entschieden, eigene unabhängige Aktionen im November zu machen und nicht zum 1. Oktober aufzurufen. Im November werden wir mit eigenen Aktionen auf die Notwendigkeit für friedliche Konfliktlösungen und ein Ende des Krieges hinweisen“, erklärt Buchterkirchen.
Er erinnert daran, dass es auch 2014 Versuche gegeben habe, die damals schon eher schwache Friedensbewegung von rechts zu unterwandern. Damit knüpft er an die Debatte um den Friedenswinter an, als es auch in Organisationen der Friedensbewegung Auseinandersetzungen um die Frage gab, wie weit rechts mögliche Bündnispartner stehen dürfen. Auch der damalige DFG-VK-Verantwortliche Monty Schädel warnte damals vor der Kooperation. Insofern ist die aktuelle Warnung vor rechter Vereinnahmung nur konsequent.
„Wir grenzen uns nicht von Konservativen ab, sondern von Menschen und Gruppen, die Verschwörungsmythen anhängen und/oder Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder andere diskriminierende Botschaften verbreiten. Sie liefern keine Lösungen, sondern versuchen unter dem Deckmantel der Friedensproteste Anschluss für rechtsextreme Positionen zu eröffnen“, betont Buchterkirchen.
Schwierige Abgrenzung nach rechts
Willy van Ooyen ist sich mit ihm einig, wenn es gegen rechte Funktionäre und Parolen auf Friedenskundgebungen geht. Er warnt allerdings davor, Menschen, die beispielsweise für eine Aufhebung des Embargos gegen Russland eintreten, zu schnell in die rechte Ecke zu stellen. Wie schwierig da die Abgrenzung manchmal ist, zeigt sich aktuell in Brandenburg. Da stehen Politiker der Partei Die Linke auch innerparteilich in der Kritik, weil an von ihnen organisierten Demonstrationen auch Rechte teilgenommen haben.
Auch in der Potsdamer Linksfraktion gibt es Streit um ein Mitglied, das für einen AfD-Antrag gestimmt hat, der sich gegen die Sanktionen gegen Russland wandte. Der aktuelle Anschlag auf die Gaspipeline zeigt einmal mehr, wie schwierig eine Positionierung sein kann. Die Mehrheit der hiesigen Medien macht dafür Russland verantwortlich. Rechte Kreise sehen die USA dafür verantwortlich und verweisen auf eine Äußerung von US-Präsident Biden, der bereits beim Scholz-Besuch in den USA im Februar 2022 erklärte, die USA hätten Möglichkeiten, die Pipeline zu stoppen.
Dabei sollte man sich einfach an die Fakten halten, die besagen, dass die Urheberschaft des Anschlags noch offen ist, dass aber sowohl Russland als auch die USA dafür verantwortlich gewesen sein können. Es gibt keinen Grund, einen der Staaten von vornherein auszuschließen.(Peter Nowak)
Die junge Welt zitiert aus dem Artikel:
Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen (DFG-VK) ruft nicht zur Teilnahme am Aktionstag am Sonnabend auf. »Die Demonstration präsentiert sich als offen für rechts«, zitierte das Nachrichtenportal Telepolis am 22. September den DFG-VK-Chef Ralf Buchterkirchen.