Journalisten standen wegen eines Textes zu tödlichen Polizeischüssen im Fall Matiullah J. vor Gericht. Richterin spricht von einem "juristischen Grenzbereich".

Meinungsfreiheit: Polizeikritiker freigesprochen

"Der Freispruch ist die einzige richtige Konsequenz, doch es hätte nie zu dem Verfahren kommen dürfen", so sein erster Kommentar zu dem Urteil. Er wies darauf hin, dass die Anklage niemals zugelassen worden wäre, wenn es sich nicht um eine Kritik an einer Polizeimaßnahme gehandelt hätte. Schon während der Ermittlungen seien Grundrechte verletzt worden, so Adam. Die Anzeige wegen übler Nachrede gegen Robel und Reinhardt hatte auch zur Folge, dass es im osthessischen Bad Hersfeld zu einer Hausdurchsuchung bei dem Journalisten Timo Schadt kam.

Einen Freispruch auf der ganzen Linie gab es am gestrigen Montagnachmittag für die Journalisten Darius Reinhardt und Leila Robel sowie den Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann. Sie waren vor dem Fuldaer Amtsgericht der üblen Nachrede angeklagt. Vorgeworfen wurde Robel und Reinhardt, ein Artikel, den sie im Jahr 2019 auf den antifaschistischen Belltower-News veröffentlicht hatten. Sie hatten sich in ihrem Gastbeitrag mit dem Fall …

… Matiullah J. befasst. Der junge Afghane hatte ein Jahr zuvor, am frühen 13. April 2018, in seiner Fuldaer Unterkunft vor einer Bäckerei randaliert. Die Polizei war gerufen worden. Im Laufe der Auseinandersetzung gab ein Polizist zwölf Schüsse auf den Mann ab, wovon vier trafen und zwei tödlich waren. 

Von Union bis AfD wurde vor einer Vorverurteilung des Polizisten gewarnt, der wiederum nie angeklagt worden war. Die Justiz ging von Notwehr aus und hatte das Verfahren eingestellt. Zwischenzeitlich war es noch einmal aufgenommen worden und wurde wieder zu den Akten gelegt.Anzeige958183700:14 / 00:30

In ihrem Artikel beschäftigten sie sich mit der Reaktion der Fuldaer Stadtgesellschaft auf den Tod von Matiullah J.. In der Unterüberschrift war ursprünglich von „zwölf tödlichen Schüssen“ die Rede.

Rechtsanwalt Nils Spörkel hielt ein sprachanalytisches, beinahe literaturwissenschaftliches Referat, in dem er darauf hinwies, dass es einen Unterschied macht, ob man schreibt, jemand wurde von „zwölf Schüssen getötet“ oder ob „von zwölf tödlichen Schüssen“ die Rede ist. 

Im Kontext des Artikels sei klar gewesen, dass es den Autoren nicht darum gegangen sei, den Polizisten zu beschuldigen, er hätte den Geflüchteten hingerichtet. Vielmehr sei es um legitime Kritik an einer Maßnahme der Polizei mit tödlichem Ausgang gegangen.

Spörkel beantragte zu diesem Thema auch eine Literaturwissenschaftlerin einzuladen. Dazu wird es nicht mehr kommen. Auch der Staatsanwalt schloss sich in Teilen den Ausführungen der Verteidigung an und beantragte Freispruch. Der Artikel sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt, so die Begründung des Staatsanwalts. Dem schloss sich die Richterin in ihrem Urteil an. Sie sprach allerdings von einem juristischen Grenzbereich.

„Es hätte nie zu dem Verfahren kommen dürfen“

Ganz anders sah das der Rechtsanwalt Sven Adam, einer der Verteidiger in dem Verfahren. „Der Freispruch ist die einzige richtige Konsequenz, doch es hätte nie zu dem Verfahren kommen dürfen“, so sein erster Kommentar zu dem Urteil. Er wies darauf hin, dass die Anklage niemals zugelassen worden wäre, wenn es sich nicht um eine Kritik an einer Polizeimaßnahme gehandelt hätte.

Schon während der Ermittlungen seien Grundrechte verletzt worden, so Adam. Die Anzeige wegen übler Nachrede gegen Robel und Reinhardt hatte auch zur Folge, dass es im osthessischen Bad Hersfeld zu einer Hausdurchsuchung bei dem Journalisten Timo Schadt kam. 

Er war als Verantwortlicher einer lokalen Facebook-Gruppe eingetragen, über die der inkriminierte Artikel der Belltower-News geteilt wurde. Um die verantwortliche Person zu ermitteln, die den Artikel über den Facebook-Account der Gruppe geteilt hatte, durchsuchte die Polizei auch die Redaktionsräume des Magazins, das von Timo Schadt herausgegeben wird.

In dem Durchsuchungsbeschluss heißt es, Schadt habe den „unwahren Bericht“ bewusst veröffentlicht, um den Eindruck zu erwecken, J. sei von Polizist:innen des Polizeipräsidiums Osthessen „geradezu hingerichtet worden“. Herr Schadt loggte sich schließlich in den Facebook-Account ein und übergab seinen Laptop an einen Beamten, dieser löschte den Beitrag und konnte einsehen, wer den Beitrag geteilt hatte. 

Das führte zur Anklage gegen den Fuldaer Wissenschaftler Philipp Weidemann, den dritten Angeklagten im gestrigen Verfahren vor dem Fuldaer Amtsgericht. Auch er wurde auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. (Peter Nowak)Kommentare lesen (8 Beiträge)MEHR ZUM THEMA