Die einst viel beachtete Berliner Gefangenengewerkschaft steckt in einer Krise. Solidaritätsgruppe gibt ihre Unterstützung auf

Gefangene ohne Gewerkschaft

Sie will künftig unter dem Namen Criminals For Freedom (CfF) für die Abschaffung des Gefängnissystems eintreten. Die Gründe für die Krise der GG/BO liegen für die ehemalige Soli-Gruppe auch am Umgang der Gefängnisbehörden mit der Organisation. Gefangenen sei immer wieder klargemacht worden, dass der Kontakt mit der Soligruppe negative Konsequenzen nach sich ziehen könne.

Um die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) war es in der letzten Zeit ruhig geworden. Kürzlich hat die Berliner Solidaritätsgruppe, die die Forderungen der gewerkschaftlich organisierten Gefangenen außerhalb der Knastmauern unterstützt, in einem der taz vorliegenden Papier ihre Umbenennung bekannt gegeben. Sie will künftig unter dem Namen Criminals For Freedom (CfF) für die Abschaffung des Gefängnissystems eintreten. „Unser Hauptanliegen, die GG/BO und damit Kollektivkämpfe zu unterstützen, ist faktisch nicht mehr möglich, weil es …

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Zwei Bücher über die radikale Linke in Berlin Jagd auf Linke als Krimi

Zwei neue Bücher befassen sich mit radikalen Linken in Berlin. Viele Fragen bleiben jedoch offen.

»Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war.« So stellt der Journalist Frank Brunner die Hauptfigur seines kürzlich im Lübbe-Verlag erschienenen Buches »Mit aller Härte. Wie ­Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen« vor. Gestützt auf Polizeiakten, Prozessberichte, Interviews und persönliche Recherche schildert er darin die jahrelange Jagd von Staatsschützern und Polizei auf eine kleine Gruppe radikaler Linker. Oliver Rast ist nicht etwa ein an der Jagd beteiligter Politiker oder Ermittlungsbeamter. Der ehemalige Juso radikalisierte sich, betätigte sich im Studierendenparlament der FU Berlin und wurde schließlich in einem ­Indizienprozess wegen eines Brandanschlags und Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe«, einem klandestinen Zirkel der radikalen Linken, zu ­einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Rast äußerte sich im Prozess nie zu diesem Vorwurf. Nun ist er der Held eines Buches, das linke Geschichte als Kriminalfall auch Lesern schmackhaft zu machen versucht, die unterhalten werden wollen.

»Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist absolut gelungen«, sagte Rast der Jungle World. Es sei ihm darum gegangen, militante Gruppen nach dem Ende der Revolutionären Zellen und der RAF in den Fokus zu rücken. »In der Post-RAF-Ära hat sich im militanten Sektor der radikalen Linken mehr getan, als man heute vielleicht vermutet«, so Rast.

Hier zeigen sich aber auch die Grenzen eines solchen Projekts. So hat Brunner auch Bernhard Falk besucht, der sich zunächst für RAF-Gefangene einsetzte, als Mitglied der Antiimperialistischen Zellen die Liebe zum Islam entdeckte und sich derzeit in der Gefangenenhilfe für inhaftierte Salafisten engagiert. Im Buch präsentiert sich Falk weiterhin als überzeugter Antiimpe­rialist – unter der grünen Fahne des Propheten. Da ergäben sich viele Fragen, auch zur Haltung der militanten Linken zu Islam und Islamismus lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001. Doch solche Fragen stellt Brunner kaum. Das wird deutlich, wenn er Rast fragt, ob der Weg zur von Rast mitgegründeten Gefangenengewerkschaft Reformismus sei. Der überreicht ihm mit den Worten »Beantwortet das Ihre Fragen?« die Kopie des von Ulrike Meinhof 1974 verfassten »Provisorischen Kampfprogramms für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter«. Damit endet das Buch.

Viele Fragen hatte dagegen der in Wien lebende Journalist Samuel Stuhlpfarrer. Er hat im Mandelbaum-Verlag unter dem Titel »Kommen. Gehen. Bleiben« Gespräche mit Andrej Holm veröffentlicht. Holm war 2007 mit Rast verhaftet worden und hatte im vorigen Jahr Schlagzeilen gemacht. Der Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Wohnungspolitik war zum Staatssekretär für Wohnen in Berlin ernannt worden, doch bald dominierte seine fünfmonatige Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR die ­Berichterstattung. Schließlich trat er zurück. In Stuhlpfarrers Buch schildert Holm seine politische Sozialisation in einem kommunistischen Elternhaus und seine langsame Entfremdung vom SED-Regime. Erfreulich ist auch, dass er an den weitgehend vergessenen außerparlamentarischen Widerstand im Berlin der früheren neunziger Jahre erinnert, in den er involviert war.

Doch auch Holm und sein Interviewer erzählen nicht die ganze Geschichte. Kein Wort etwa über die Zeitschrift Radikal, die der offizielle Grund für Holms flächendeckende Überwachung war. Dafür folgt am Ende ein klares Bekenntnis zur Verfassung und zur Hoffnung auf Reformen. Diese können Holm zufolge aber eher von der außerparlamentarischen als der parlamentarischen Linken angestoßen werden.

Die Bücher machen auch deutlich, dass Holm und Rast – 2007 forderte eine Solidaritätskampagne ihre Freilassung – sich heutzutage nichts mehr zu sagen haben. In Brunners Buch wird Holm fast nur negativ erwähnt. Auch in der Linken gibt es Indizienprozesse mit zweifelhafter Beweisführung.

https://jungle.world/artikel/2018/01/jagd-auf-linke-als-krimi

Peter Nowak

Linksradikales U-Boot im Establishment

Der Journalist Frank Brunner schreibt in dem Buch »Mit aller Härte« über den Häftlingsaktivisten Oliver Rast

»Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war.« So stellt der Journalist Frank Brunner die Hauptfigur seines kürzlich im Lübbe-Verlag erschienenen Buches »Mit aller Härte« vor, in dem er gestützt auf Polizeiakten, Prozessberichte, Interviews und persönliche Recherche die jahrelange Jagd von Staatsschützern und Polizei auf eine kleine Gruppe radikaler Linker schildert.

Oliver Rast ist nun nicht etwa ein an der Jagd beteiligter Politiker oder Ermittlungsbeamter. Der ehemalige Juso hat sich radikalisiert, war im Studierendenparlament der FU-Berlin aktiv und wurde schließlich in einem Indizienprozess zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Vorwurf: ein Brandanschlag und Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg), einem klandestinen Zirkel der radikalen Linken.

Rast hat sich im Prozess nie dazu geäußert, den Vorwurf aber auch nie dementiert. »Ich lasse das einfach so stehen und habe damit auch gar kein Problem«, erklärte er in einem Interview mit der Wochenzeitung »Der Freitag«. Obwohl Rast durch Brunner Gegenstand der Populärliteratur wurde, handelt das Buch keinesfalls vom Weg eines Linken in den Radikalismus und zurück in die Mitte der Gesellschaft.

»Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist mit der Veröffentlichung ›Mit aller Härte‹ absolut gelungen«, erklärte Rast gegenüber »nd«. Weil sich die Leser_innen eher für Personen als für linke Strukturen interessieren, sei er auch bereit gewesen, polit-biografische Informationen preiszugeben. Den Vorwurf, sich damit den Regeln des bürgerlichen Medienmarktes unterworfen zu haben, weist Rast zurück: »Ich habe nichts gegen eine ›Populärliteratur‹, wenn Hintergründe und Motive linker Militanz hierüber einem breiten, interessierten Publikum vorgestellt werden.

Was Rast für den Buchautor Brunner interessant gemacht hat, waren seine besonderen politischen Aktivitäten während der Haftzeit. Er gründete mit einer kleinen Gruppe von Häftlingen die Gewerkschaft »Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisierung« (GG/BO). Diese hat im dritten Jahr ihres Bestehens über 1000 Mitglieder in den Haftanstalten aller Bundesländer. In den ersten Monaten war Rast als Sprecher der GG/BO Interviewpartner vieler Zeitungen. Er wurde 2017 zum Evangelischen Kirchentag in Berlin zu einer Podiumsdiskussion über Menschenrechte hinter Gittern eingeladen, das Bundesverfassungsgericht wollte von ihm eine Stellungnahme zum Thema Mindestlohn für Gefangene.

Brunner beginnt sein Buch mit der Schilderung, wie Rast im September 2016 im Künstlerhaus Hannover von der Humanistischen Union den Fritz-Bauer-Preis für Menschenrechte verliehen bekam. Ganz am Ende des Buches fragt der Autor seine Hauptfigur, ob es ihm als Linksradikaler nicht peinlich sei, mittlerweile zum Etablissement zu gehören. Als Antwort übergibt Rast eine Broschüre, die den Titel »Provisorisches Programm für den Kampf der gefangenen Arbeiter« und das Logo der RAF trägt. Verfasst wurde sie im Jahr 1974 von Ulrike Meinhof.

Zu einer Diskussion über Ähnlichkeiten und Unterschiede der Konzepte kommt es im Buch aber nicht. Stattdessen schildert Brunner die jahrelange Überwachung radikaler Linker durch Polizei und Verfassungsschutz. Auf der Jagd nach der »mg« wurden über einen längeren Zeitraum unter anderem Aktivist_innen der mittlerweile aufgelösten linksradikalen Gruppe »Libertad« observiert. Wie die Ermittlungsbehörden dann auf die Spur von Rast und zwei weiteren, nicht genannten Männern kamen, liest sich wie ein Krimi. Ausgangspunkt ist ein angeblicher Zufallsfund auf einem Gartengrundstück des im vergangenen Jahr unter ungeklärten Umständen verstorbenen DDR-Oppositionellen Herbert M. Dort fanden die Ermittlungsbehörden ein Lager der verbotenen linken Untergrundzeitung »Radikal«. Wie Polizei und Staatsschutz danach weiter vorgingen, soll wie bei jedem Krimi nicht verraten werden.

Unverständlich bleibt, warum der in dem Buch neben Rast mit vollem Namen erwähnte Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm durchweg negativ dargestellt wird. Nicht nur seine kurzzeitige Stasitätigkeit und sein noch kürzeres Gastspiel als Staatssekretär finden bei Brunner wenig Zustimmung. Gegenüber »nd« erklärte der Journalist, dass ihn Holms Umgang mit seiner DDR-Biografie gestört habe, er dessen Tätigkeit als bekannter Mieter_innenaktivist aber schätze. Dass Holm bereits 2007 mit DDR-Verfolgten über seine Stasitätigkeit geredet hatte und sich deswegen auch ehemalige DDR-Oppositionelle für ihn einsetzen, lässt Brunner aber unerwähnt. Zwei sympathische Linksradikale, das wollte er den Leser_innen dann wohl doch nicht zumuten.

Frank Brunner: Mit aller Härte. Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen, Bastei Lübbe, Oktober 2017, 252 Seiten, 15 Euro

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1070075.linksradikales-u-boot-im-establishment.html

Peter Nowak

Linke: Überwachung im militanten Sektor

Mit aller Härte“: Ein Buch macht den erklärten Linksradikalen Oliver Rast bekannt und zeigt, dass Diskussionen über Stasi-Mitarbeit im linken Milieu noch längst nicht abgeschlossen sind

„Wir müssen uns den Linksradikalen nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Aber wir können Oliver Rast dabei beobachten, wie er das ‚Provisorische Kampfprogramm für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter‘ von 1974, das vermutlich aus der Feder Ulrike Meinhofs stammt, als sozialdemokratische Gewerkschaftsarbeit massenkompatibel macht, und sich freut, dass er damit durchkommt.“ So klassifizierte die linksliberale Wochenzeitung Freitag den Basisgewerkschafter und erklärten Linksradikalen Oliver Rast.

Die Zeit widmete ihm bereits vor einigen Monaten einen langen Artikel. In der Huffingtonpost kann Rast als Sprecher der Gefangenengewerkschaft regelmäßig publizieren. Jetzt dürfte sich seine Popularität noch erhöhen. Schließlich hat der Journalist Frank Brunner im Lübbe Verlag unter dem Titel „Mit aller Härte“ ein Buch veröffentlicht, in dem Rast die Hauptperson ist.

„Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war. Ein Juso, bei dem sich SPD-Bürgermeister Walter Momper für seinen Wahlkampfeinsatz bedankt hatte. Ein Juso, der später einer Gruppe aus ‚irren Polizistenhassern‘ und ‚Polit-Rambos‘ angehörte, wie ein Boulevardmagazin schlagzeilte, und der schließlich vom Feindbild aller braven Bürger zum Liebling des Etablissements avancierte“, schreibt Brunner im Prolog. Nach diesen Zeilen könnte man das Buch zur Seite legen und denken, nun ja, es gab ja schon viele Bücher von Linksradikalen, die den Weg in die Mitte der Gesellschaft wiedergefunden haben.

Nur genau das trifft auf Rast nicht zu.

„Früher kämpften sie für den Kommunismus, heute für eine Rentenversicherung für Knackis“

Er bezeichnet sich weiterhin als radikalen Linken und distanziert sich keineswegs von seiner politischen Vergangenheit. Wenn ihm Brunner im Interview dann kritisch vorhält: „Früher kämpften Sie für eine kommunistische Gesellschaft, heute für eine Rentenversicherung für Knackis. Als Mitglied der militanten gruppe saßen Sie im Knast, nun engagieren Sie sich für schönere Knäste. Ist das noch linksradikal?“, lacht Rast nur.

Er versucht erst gar nicht, mit vielen Worten Brunner zu widersprechen, sondern reagiert mit einer Geste, die Brunner so beschreibt:

„Ich habe gewusst, dass diese Frage kommt“, sagte er und überreicht eine reichlich zerknitterte Broschüre. Auf der ersten Seite prangt ein fünfzackiger Stern und eine Maschinenpistole der Marke Heckler und Koch. Es ist das Logo der RAF. Darunter steht: „Provisorisches Kampfprogramm für die Rechte der gefangenen Arbeiter.“ Im Heft heißt es, „Wir kämpfen für freie Selbstorganisation der Gefangenen, für tarifgerechte Bezahlung, für Rente und für Krankenversicherung. Geschrieben hat das Ulrike Meinhof 1974. Beantwortet das Ihre Frage?“, fragt Oliver Rast.

Frank Brunner: Mit aller Härte

Das wirft einige neue Fragen auf, die im Buch nicht gestellt werden. Ist es nicht in Zeiten von Prada Meinhof schick geworden, mit RAF-Symbolen zu arbeiten? Und hat Ulrike Meinhof nicht geschrieben, dass ohne Guerilla alle politische Arbeit in Reformismus versackt? Kann dann das von ihr skizierte Kampfprogramm mit der heutigen Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation verglichen werden?

Keine Distanzierung radikaler Linker

Rast begründete seine Mitarbeit bei dem Buchprojekt gegenüber Telepolis so:

Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist mit der Veröffentlichung „Mit aller Härte“ absolut gelungen. Drei Gründe waren für mich ausschlaggebend: Erstens war es an der Zeit, klandestine militante Gruppen nach dem Ende der Revolutionären Zellen (RZ) und der Rote Armee Fraktion (RAF) in den Fokus zu rücken. In der Post-RAF-Ära hat sich im militanten Sektor der radikalen Linken mehr getan als man heute vielleicht vermutet. Zweitens interessieren sich Leserinnen und Leser in der Regel weniger für Organisationen und Strukturen der radikalen Linken, sondern für Menschen, die sich als Linksradikale begreifen. Deshalb habe ich mich ein Stückweit exponiert und polit-biografische Aspekte in das Buch von Frank Brunner einfließen lassen. Drittens habe ich nichts gegen eine „Populärliteratur“, wenn Hintergründe und Motive linker Militanz hierüber einem breiten, interessierten Publikum vorgestellt werden.

Oliver Rast

Diese Konzentration auf Personen lässt allerdings in den Hintergrund treten, dass es in dem Buch zentral darum geht, „wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen“. Dabei setzt Brunner diese Ankündigung gut um. Der Leser hat manchmal den Eindruck, einen Kriminalroman vor sich zu haben. Sehr anschaulich wird die jahrelange Fahndung nach Mitgliedern der militanten gruppe (mg) beschrieben.

Dabei folgten die Ermittlungsbehörden jahrelang der falschen Spur und sahen in einem Stammtisch von Taz-Mitarbeitern militante Aktivisten am Werk. Was sich im Buch stellenweise sehr witzig liest, ist allerdings mit zahlreichen Eingriffen in die Grundrechte vieler Menschen verbunden.

Da gab es Totalüberwachungen; Wohnungen, Arbeitsplätze und Autos von zu Unrecht Verdächtigten wurden mit Abhörgeräten versehen. Auch wie die Ermittlungsbehörden dann auf die vermeintlich richtige Spur kommen, liest sich erneut wie ein Krimi. Auslöser soll ein Zufallsfund in einer Gartenanlage eines linken DDR-Oppositionellen gewesen sein, der im letzten Jahr unter ungeklärten Umständen ums Leben kam.

Andrej Holm im negativen Licht beschrieben

Der Garten soll sich als Lager für die linke Untergrundzeitschrift ‚radikal‘ erwiesen haben und Hinweise zum Stadtsoziologen Andrej Holm gegeben haben, der im Buch neben Rast ebenfalls namentlich erwähnt wird. Dabei fällt auf, dass er durchweg negativ beschrieben wird.

„Ich stamme aus der DDR, viele meiner Freunde wurden von Mitarbeitern des MfS schikaniert. Deshalb verspüre ich eine gewisse Distanz gegenüber Leuten, die sich einem Geheimdienst andienen – unabhängig davon, ob dieser Ministerium für Staatssicherheit oder Bundesamt für Verfassungsschutz heißt“, erklärt Frank Brunner gegenüber Telepolis. Er betont aber, dass diese Befindlichkeiten für das Buch keine Rolle spielten.

Dabei fällt aber auf, dass Brunner nicht erwähnt, dass Holm bereits 2007 über seine Stasi-Vergangenheit mit DDR-Oppositionellen redete und einige ihn auch in den entscheidenden Wochen vor fast einem Jahr verteidigten, als die Front aus Immobilienwirtschaft, rechter Politik und Medien unbedingt verhindern wollte, dass ein außerparlamentarischer Linker, der sich seit Jahren für Mieterinteressen engagiert, Einfluss auf die Politik bekommt.

„Herr Holm hatte zwar zugegeben, in einem Wachregiment des MfS gedient zu haben, nicht aber, dass er eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS angestrebt habe“, begründet Brunner sein Insistieren auf dieser Stasigeschichte im Zusammenhang mit Holm, obwohl er selber sagt, dass sie für das Thema des Buches eigentlich irrelevant war. Brunner erklärt auch nicht, warum für ihn der Unterschied bei Holms Darstellung überhaupt so wichtig ist.

Opfer der DDR-Repression interessiert, ob jemand direkt an der Verfolgung von Oppositionellen beteiligt gewesen ist und das haben Holm selbst seine schärfsten Kritiker nicht vorwerfen können. Außerparlamentarische Linke interessiert, was Holm in den mehr als 2 Jahrzehnten nach dem Ende der DDR gemacht hat. Und da war Teil der außerparlamentarischen Linken und vor allem aktiv in der Mieterbewegung.

Hier wird Brunners Aversion besonders deutlich, wenn er schreibt: „Manchmal weiß man nicht, auf welcher Seite zwischen Wissenschaft und Wutbürgertum Holm unterwegs ist… ‚Karrieristen sind dem ehemaligen SED-Kader offenbar ein Sakrileg‘.“

Da klingt Brunner auf einmal wie der Kommentator des rechten Berliner Boulevards und es passt gut, dass er CDU-Politiker Philipp Lengsfeld zum Gewährsmann gegen Holm herbeizitiert und auf dessen pazifistische DDR-Vergangenheit verweist. Dass Lengsfeld heute eine rechte CDU-Politik vertritt und mit Pazifismus nichts mehr am Hut hat, interessiert da nicht.


Hat Holm oder Stasi 2.0 das BKA auf die Spur der mg geführt?

Genau so absurd ist Brunners Behauptung, Holm habe das das BKA auf die Spur der „mg“ geführt. Denn damit wird ausgeblendet, was der Autor selbst in dem Buch gut beschreibt. Holm steht wie zahlreiche andere Verdächtigte im Fokus einer Totalüberwachung. Über die verdächtigte Wissenschaftlergruppe, zu der auch Holm gehört schreibt Brunner :

Die Ermittler beginnen das Leben der Männer bis in den entlegensten Winkel auszuleuchten. Von der Liste der Finanzdienstleistungsaufsicht bekommen sie eine Liste mit den Konten der Beschuldigten. Die Fahnder werten Kontoauszüge, Kreditkartenabrechnungen und Kaufbelege aus. Sie wissen, wie viel Gehalt und Honorar die Männer beziehen und wie viel sie davon ausgeben. Ein BKA-Beamter erkundigt sich bei der Abteilung Konzernsicherheit der Deutschen Bahn, ob anhand einer Bahncard die Reisen des Bahncard-Besitzers nachvollzogen werden können. Das können sie, erklärt ein Bahnmitarbeiter, wenn der Kunde am Bonusprogramm teilnimmt. In diesem Fall werden Reisedaten und Zahlungsart gespeichert.

Frank Brunner: Mit aller Härte

Zum Überwachungsprogramm gehören Kameras vor den Wohnhäusern der Männer, GPS-Sender in ihren Autos und natürlich die ständige Handyüberwachung. Auch die lückenlose persönliche Überwachung gehört zum Programm.

Natürlich wird er auch ins Internetcafé begleitet und ein Verfolger macht ein Foto von der Internetseite unter dem Namen „Opelprolls“, die Holm wohl nicht aufruft, um sich über PKW-Utensilien auszutauschen. Es geht aber fehl, wenn Brunner spottet, dass ein Wissenschaftler ohne Fahrerlaubnis sich verdächtig macht, wenn er einen solchen Namen für die Internetkommunikation wählt. Hat er doch wenige Seiten vorher beschrieben, dass nicht Holm sondern ein Unbekannter diese Seite einrichtete.

Zudem ist es absurd zu glauben, die Ermittlungen wären eingestellt worden, wenn Holm über eine Internetseite mit dem Namen „Schachfreunde“ kommuniziert hätte. Genau darauf stützt sich aber die Behauptung, Holm habe die Ermittlungsbehörden auf die Spuren der „mg“ geführt und damit suggeriert, es wäre ein falsches, unvorsichtiges Verhalten von ihm gewesen. Doch man kann ihm höchstens vorwerfen, dass er sich das Ausmaß der Überwachung hat nicht vorstellen können.

Überwachungskritiker haben vor einigen Jahren für ihre „Freiheit statt Angst“-Proteste die Formel Stasi 2.0 gewählt und ernteten dafür teils berechtigte Kritik. Bei dem von Brunner auf Grund von Akten und eigener Recherche gut herausgearbeiteten Überwachungsprogramm ist der Begriff treffend.

Es ist daher auch politisch fatal, wenn er Holm indirekt verantwortlich macht. Nein, dieses Überwachungsprogramm hat die Ermittlungsbehörden auf die Spur geführt. Holm war da nur da eines der ersten Opfer. Kürzlich veröffentlichte die Antifa Freiburg einen längeren Text über die Abschaltung von Indymedia linksunten, in dem sie auch auf bisher nicht bekannte Überwachungsmethoden der Beschuldigten eingeht. Daher sollte dieser Aspekt bei Brunners Buch trotz aller Kritik positiv herausgehoben werden.

https://www.heise.de/tp/features/Linke-Ueberwachung-im-militanten-Sektor-3890450.html

Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/radikal-wegen-aust
[2] http://www.zeit.de/2017/04/oliver-rast-linksradikal-gefaegnis-gewerkschaft-jva-tegel
[3] http://www.huffingtonpost.de/oliver-rast/
[4] http://zeitenspiegel.de/de/autoren/frank-brunner/
[5] https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/politik-und-gesellschaft/mit-aller-haerte-wie-polizei-und-staatsschutz-linksradikale-jagen/id_6236733
[6] https://ggbo.de/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-Holm-und-die-Stasi-Vergangenheit-3569321.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html
[11] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/chaos-computer-club-ziviler-ungehorsam-gegen-stasi-2-0-a-525923.html
[12] https://autonome-antifa.org/
[13] https://autonome-antifa.org/?article341

Zu wenig Duschen, poröse Wände

Gefangenengewerkschaft mobilisiert fürTeilschließung der JVA Tegel wegen Baumängeln

Kundgebungen vor Gefängnissen sind in Berlin nicht selten. Doch am kommenden Samstag um 15 Uhr wird es eine Premiere geben. Dann wird nicht für Solidarität mit inen oder allen Gefangenen, sondern vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel für deren Teilschließung mobilisiert.Organisiert wird die Aktion von der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO), die vor drei Jahren in der JVA Tegel von Gefangenen gegründet wurde. Mit der Kundgebung am Samstag startet die
Knastgewerkschaft ihre Kampagne für die Schließung von Gefängnissen wegen baulicher Mängel.


„Museum oder Filmkulisse“

Davon sind nach Ansicht des Sprechers der GG/BO Oliver Rast mehrere Gebäude der JVA Tegel betroffen. Die Mauern seien porös, es gäbe zu wenige Duschen und sanitäre Anlagen. „Die Gebäude könnten vielleicht noch als Museum oder als Filmkulisse verwendet werden. Aber Menschen dürfen dort nicht mehr untergebracht werden“, so Rast gegenüber der Taz. Dass dies realpolitische Forderungen sind, untermauert Rast mit einer Auflistung von Maßnahmen, nach denen 300 bis 400 Plätze im Gefängnis eingespart werden können. So schlägt die GG/BO den Ausbau des Offenen Vollzugs und die Freilassung von Gefangenen vor, die
eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Das seien Maßnahmen, die der jetzige Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) als Oppositionspolitiker als Teil einer liberalen Gefängnispolitik selber vertreten hat, betont Rast. Dass die Gefangenengewerkschaft drei Jahre nach ihrer Gründung durchaus nicht isoliert ist, zeigt der volle Terminkalender von Rast. Kommende Woche spricht er bei der Vorstellung des Grundrechtsreports in Karlsruhe zur Situation der Menschenrechte von Gefangenen, Donnerstag diskutiert er mit dem ehemaligen Gefängnisleiter und heutigen Strafvollzugskritiker Thomas Galli auf dem Kirchentag über die
Zukunft der Knäste. Doch Beachtung bekommt die GG/BO vor allem außerhalb
der Gefängnisse. Bisher war kein Bundesland bereit, mit ihr über einen Mindestlohn für Knastarbeit und den Einbezug in die Rentenversicherung zu verhandeln. Rast sieht hier besonders Berlin in der Pflicht: Schließlich hätten sich die Grünen stets für esozialisierung ausgesprochen und die LINKE sich im letzten Jahr sogar ausdrücklich hinter die Forderungen der GG/BO gestellt.

aus: Taz, Freitag, 19 Mai
Peter Nowak

»Erste Amtsmonate von Justizsenator Behrendt fallen desaströs aus«

Oliver Rast im Gespräch über die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation

In der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel wandten sich Gefangene mit einer Petition gegen ihre Haftbedingungen. Seitdem beklagen sie verschärfte Repression. Die Jungle World hat mit Oliver Rast, dem Pressesprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), über die Situation gesprochen.
Small talk Von Peter Nowak

Was haben die Gefangenen in ihrer Petition gefordert?
Der Ausgangspunkt ist vermeintlich banal. Es geht um einen Gruppenleiter, der für die sogenannte Vollzugsplanfortschreibung verantwortlich ist. Für Inhaftierte bedeutet es eine enorme Zusatzbelastung, wenn keine Zusammenarbeit mit dem Gruppenleiter mehr möglich ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Gefangenen und Gruppenleiter war komplett zerrüttet – ein Zustand, der sich über Jahre verschärfte. Die Inhaftierten haben lediglich in einer Petition ausgeführt, dass dieser Amtsmensch den gesetzlichen Auftrag der Resozialisierung, wie sie schreiben, »hintertreibe«.

Mittlerweile sollen einige der Unterzeichner ihre Unterschrift zurückgezogen haben. Was wissen Sie über die Hintergründe?

Unseren Informationen zufolge wurden Inhaftierte zu einer Unterredung mit Mitgliedern der Anstaltsleitung zitiert, nicht um dem Sachverhalt aus der Petition nachzugehen, sondern um ihnen gegenüber Druck aufzubauen, damit sie ihre Unterschrift zurückziehen. Unter anderem wurde der Vorwurf der »Meuterei« erhoben.

Was bedeutet dieser Vorwurf für die Gefangenen?
Es ist eine übliche Praxis der Anstaltsleitung, mittels des Meutereivorwurfs aktive Gefangene zu verunsichern und mundtot zu machen. Der Vorwurf der »Gefangenenmeuterei« nach Paragraph 121 des Strafgesetzbuchs besagt, dass sich Inhaftierte »zusammenrotten und mit vereinten Kräften« versuchen, zum Beispiel einen Anstaltsbeamten »zu nötigen oder tätlich anzugreifen«. Das führt zu einem neuen Verfahren und in der Regel zu einer weiteren Haftstrafe und längerer Haftzeit.

Die Sprecherin der Senatsverwaltung sieht keine Einschränkung der Grundrechte der Inhaftierten. Setzt Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Politik seines CDU-Vorgängers fort?
Wenn eine Vollzugsbehörde mit Einschüchterungen und Drohungen arbeitet, um die Verbreitung einer Petition zu unterbinden, dann ist das ein eklatanter Fall einer Einschränkung von Grundrechten. Und an einem solchen Punkt schreiten wir als Gefangenengewerkschaft ein. Es ist für uns völlig unverständlich, dass eine Pressesprecherin eines grünen Justizsenators dazu beiträgt, eine konkrete Grundrechtsverletzung gegenüber Gefangenen in Frage zu stellen.

Was fordern Sie vom Justizsenator?
Wir fordern von Behrendt das ein, was er all die Jahre zuvor als Oppositionspolitiker hinsichtlich eines liberalen und progressiven Vollzugswesens angemahnt hat. Seine ersten Amtsmonate fallen desaströs aus: Es werden weder Suizide eigenständig öffentlich gemacht noch erkennen wir, dass er bei einem der größten Skandale in der Berliner Justizgeschichte, der mutmaßlichen sogenannten Klau- und Schmuggelwirtschaft seitens JVA-Bediensteter, sein vormals angekündigtes Aufklärungsinteresse zeigt. Behrendt hat bei den Gefangenen viel Kredit verspielt. Wir werden als Gefangenengewerkschaft am 20. Mai vor der JVA Berlin-Tegel eine Kundgebung abhalten, um auf die Schikanen und die desolaten Haftbedingungen insbesondere in abbruchreifen Hafthäusern aufmerksam zu machen. Die JVA Tegel, übrigens der Ursprung der Gefangenengewerkschaft, wird zu unserem Schwerpunktthema in Berlin.

aus:

Jungle.World 2017/16 Small Talk

https://jungle.world/artikel/2017/16/erste-amtsmonate-von-justizsenator-behrendt-fallen-desastroes-aus

Interview: Peter Nowak

Petition gegen einen Gruppenleiter

KNAST Insassen der JVA Tegel werfen einem Sozialarbeiter im Gefängnis vor, sie schlecht zu behandeln

Die Vorwürfe gegen einen Sozialarbeiter der JVA Tegel wiegen schwer. Eine Petition, die vor einigen Wochen von 18 Insassen
im Hafthaus V der JVA Tegel unterzeichnet wurde, beginnt so: „Wir bitten Sie um Hilfe bei der Erreichung unseres Vollzugs,
welcher leider durch den für unsere Behandlung und Unterstützung verantwortlichen Gruppenleiter nicht nur verhindert, sondern konterkariert wird.“ Die Insassen werfen ihm vor, sie „abwertend, verständnislos und überheblich“ zu behandeln. „Mit seiner mangelnden Empathie brüstet er sich bei Verkündung seiner vorrangigen Aufgabe, uns Inhaftierten unsere Fehler und Schwächen nachdrücklich vorzuhalten“, heißt es in der Petition. Die Unterzeichner betonen, dass auch etliche Stationsbedienstete den kritisierten Sozialarbeiter als „Punisher“ bezeichnen, und verweisen auf mehrere Urteile von Strafvollstreckungskammern gegen seine Maßnahmen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehören auch mehrere Aktivisten der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), die in der JVA Tegel gegründet wurde. Deren Sprecher Oliver Rast machte jetzt öffentlich, dass mehrere Unterzeichner sanktioniert wurden. Der Stationssprecher Hauke Burmeister wurde in ein
anderes Hafthaus innerhalb der JVA verlegt. Zudem wurde ihm eine Zwangsverlegung in eine Haftanstalt in einem anderen
Bundesland angedroht. Den massiven Druck gegenüber den Unterzeichnern bestätigt auch ein Gefangener, der anonym
bleiben will. Mehr als die Hälfte seien vor das Gremium der Teilanstaltsleitung zitiert und eingeschüchtert worden, sagt er. Einige seien regelrecht in Panik geraten, als ihnen mit einer Anklage wegen Meuterei gedroht wurde. Eine solche Anklage könnte eine erneute Verurteilung bedeuten. Daraufhin hätten zwei der Unterzeichner ihre Unterschrift zurückgezogen. „Es kann nicht sein, dass Gefangene, die mittels einer Petition ein demokratisches Grundrecht ausüben, mit einem solchen Vorwurf unter Druck
gesetzt werden“, kritisiert GG/BO Sprecher Oliver Rast gegenüber der taz. Er erwartet vom Berliner Justizsenator Dirk Behrendt
(Grüne), dass die Vorwürfe überprüft und die Schikanen verurteilt werden. Der stellvertretende Pressesprecher der Senatsverwaltung für Justiz, Sebastian Brüx, erklärte, er könne erst im Laufe der Woche eine Stellungnahme abgeben, weil die Behördepersonell gerade schwach besetzt ist.

Taz, MONTAG, 3. APRI L 2017

PETER NOWAK

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Zensiert die JVA Tegel die „taz“?

Unseren Informationen zufolge wurden heute in der JVA Tegel keine Ausgaben der Tageszeitung „taz“ den Gefangenen ausgehändigt, was seit Jahren üblich ist. Die Ausgaben werden vor allem über den Verein „Freiabos“ verteilt bzw. ausgelegt.
Inhaftierte haben die Vermutung, dass dies eine Reaktion der JVA-Leitung auf den heutigen „taz“-Artikel von Peter Nowak zu den Schikanen gegen Inhaftierte aufgrund der Abfassung einer Protest-Petition sein könnte.
„Falls es sich bei der Nicht-Aushändigung der ´taz´ um faktische Zensurmaßnahmen der Tegeler JVA-Leitung handeln sollte, dann ist dies ein weiterer Beleg, dass die Berliner Vollzugsbehörden unter Senator Behrendt (Grüne) eine kritische Öffentlichkeit unterlaufen und Inhaftierte vom Pressezugang ausschließen“, so GG/BO-Sprecher Oliver Rast.

Berlin, 03. April 2017

Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation

https://ggbo.de/zensiert-die-jva-tegel-die-taz/

Zellenarrest, Fernsehverbot und Durchsuchung

Gefangengewerkschaft fordert, betroffene Häftlinge zu verlegen / Justizsenator soll Mindestlohn durchsetzen

Die Sanktionen gegen die Gefangenen, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vor einigen Wochen die Schmuggelpraktiken von Bediensteten bekannt gemacht haben, gehen weiter. Das zumindest sagt Dieter Wurm, der erst vor kurzen nach langer Haftstrafe freikam. Von seinen Erfahrungen in verschiedenen Gefängnissen erzählte er am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke. So dürfe Timo F., einer der Hinweisgeber, einen Monat lang die Zelle nicht verlassen, auch das Fernsehgerät sei ihm entzogen worden. Ihm werde vorgeworfen, das Gerät, das ihm von der Gefängnisverwaltung ausgehändigt worden war, manipuliert zu haben. Am Mittwoch sei zudem die Zelle von Benny L., einem weiteren Tippgeber, vom Sicherheitspersonal durchsucht worden.

»Fresse halten ist die Devise, wer sich nicht daran hält, wird bestraft«, sagt Wurm. Hinter Gittern habe er den Glauben an den Rechtsstaat schnell verloren, deshalb fürchte er um die Gesundheit der Hinweisgeber. Schließlich gäbe es auch Häftlinge, die solche Gefangene körperlich attackieren.

Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO), die sich 2014 in der JVA Tegel gründete, fordert den neuen Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf, die Hinweisgeber sofort in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Der Druck auf die Männer sei extrem hoch. Zu den Sanktionen der Gefängnisverwaltung komme der Druck der Mitinsassen, die die Männer als Verräter brandmarkten. Spätestens nach seiner Einarbeitungszeit – nach 100 Tagen im Amt – müsse der neue Senator Weichen stellen. Diese sind laut Rast »die Bezahlung des Mindestlohns und die Einbeziehung in die komplette Sozialversicherung für inhaftierte Beschäftigte von deren Qualitätsarbeit sich Berliner Parlamentarier schließlich schon überzeugen konnten«. Bisher wird die Bestuhlung des Abgeordnetenhauses in der Polsterei der JVA Tegel zu einem Billiglohn und ohne Rentenversicherung produziert.

Die Erwartungen sind auch deshalb so hoch, weil Behrendt in der vergangenen Legislaturperiode wesentliche Eckpunkte für eine Reform mit formuliert hat, die im »Aufruf für ein progressives und liberales Strafvollzugsgesetz« festgehalten sind. Da auch der Vorstand der Linkspartei die zentralen Forderungen der GG/BO unterstütze, sei die Chance für Reformen gegeben, sagt Rast. Darauf werde man sich jedoch nicht verlassen.

In Thüringen ruft die GG/BO für die Silvesternacht vor der JVA Tonna bei Gera zu einer Kundgebung auf, weil in dem von der Linkspartei regierten Bundesland Gewerkschaftsmitglieder schikaniert worden seien. Auch in Berlin wird es vor der JVA für Frauen in der Alfredstraße am 21. Dezember ein Konzert geben. »Der Aufbau von Solidaritätsstrukturen drinnen und draußen ist ein wichtiges Ziel der GG/BO, egal, wer an der Regierung ist«, sagt Rast.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035731.zellenarrest-fernsehverbot-und-durchsuchung.html

Peter Nowak

Überwachen und Strafen

TEGEL Gefangene werden drangsaliert, weil sie Schmuggel enthüllten

„Wir haben uns 2014 in der JVA Tegel gegründet, um den Mindestlohn und die Einbeziehung von Gefangenen in die Rentenversicherung durchzusetzen. Zwei Jahre später kämpfen wir auch um die Menschenrechte für Whistleblower hinter Gittern“, erklärte der Sprecher der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz am Berliner Haus der Demokratie. Es ging um die Rechte von Timo F. und Benjamin L., die Videos über die Schmuggel- und Klauwirtschaft in der JVA Tegel veröffentlicht haben. Wegen Handynutzung wurden sie von der Gefängnisleitung mit Disziplinarstrafen belegt (taz berichtete). Sie müssen länger in ihren Zellen bleiben und haben Fernsehverbot. Am Donnerstag bezeichneten die Rechtsanwälte der beiden Gefangenen die Maßnahmen als Einschüchterung
von zwei Whistleblowern, die Missstände hinter Gitter offenlegen. „Mein Mandat galt in der JVA Tegel als ein Beispiel für eine gelungene Resozialisierung. Nachdem er die Schmuggelwirtschaft in der JVA Tegel aufgedeckt hat, ist seine Prognose für die Zukunft plötzlich negativ, moniert der Anwalt von Benjamin L. Jan  Oelbermann. Das könne für seinen Mandanten bedeuten, dass er statt vorzeitiger Entlassung seine Strafe vollständig verbüßen muss. Rechtsanwalt Carsten Hoenig kritisierte nicht nur die Gefängnisleitung, sondern auch das LKA. Sein Mandat Timo F. habe seit Januar 2016 der Verwaltung Informationen über die Existenz des Schmuggelnetzwerkes übermittelt. Der damalige Vertrauensanwalt des Landes Berlin Christoph Partsch
sei ebenso eingeschaltet worden wie das Landeskriminalamt. Im Mai 2016 habe er dem LKA eine Liste mit detaillierten
Angaben zu den Vorwürfen im Auftrag seines Mandanten übermittelt. Der sei ständig Drohungen von Mitgefangenen, die an
dem Schmuggelnetzwerk beteiligt waren, ausgesetzt. Trotzdem habe er bisher vergeblich die Verlegung in eine andere
Haftanstalt gefordert. Die Pressesprecherin des Berliner Justizsenats Claudia Engfeld habe seinen Mandanten vorgeworfen,
nur die Verlegung in die JVA seiner Wahl durchsetzen zu wollen, kritisiert Hoenig.
aus Taz vom 13.10.2016
Peter Nowak

Freizeitsperre nach Skandal im Gefängnis

Timo F. und Benny L. filmten in der Justizvollzugsanstalt Tegel, um nachzuweisen, dass dort hergestellte Produkte auf eigene Rechnung verkauft wurden. Nach Angaben der Gefangenengewerkschaft haben die beiden Häftlinge nun einen Monat lang nur anderthalb Stunden Aufschluss, da sie die Aufnahmen ohne Genehmigung gemacht hätten. Ihre Beschäftigungsverhältnisse seien beendet und ihre Fernsehgeräte eingezogen worden. »Es ist offensichtlich, dass es der JVA-Leitung nicht nur darum geht, vom anstaltsinternen Skandal des Schmuggels und der Hehlerei durch Bedienstete abzulenken, sondern die beiden aktiven Gefangenen regelrecht mundtot zu machen«, kritisiert der Pressesprecher der Gefangenengewerkschaft, Oliver Rast, in einer Pressemitteilung am Mittwoch.

Die Pressesprecherin der Justizverwaltung, Claudia Engfeld, bestätigt, dass gegen die beiden Häftlinge eine Freizeitsperre verhängt wurde. Ihre Beschäftigungsverhältnisse seien allerdings nicht beendet worden. Die Freizeitsperre sei eine Standardmaßnahme bei Regelverstößen. »Die beiden Männer werden exakt so behandelt wie andere Gefangene auch, die illegalerweise ein Handy besitzen«, sagt Engfeld. Sie sieht auch keinen Zusammenhang zwischen den Aufnahmen und dem Aufdecken des mutmaßlichen Schmuggels. »Die Videoaufnahmen sind nicht aus dem Gefängnis geschmuggelt worden, um ein mutmaßliches Fehlverhalten aufzudecken. Zu der Zeit, als die Aufnahmen mutmaßlich entstanden sind, hat die Polizei bereits seit Monaten ermittelt«, so Engfeld. Auf Bitten der Polizei seien die Ermittlungen geheim gehalten worden.

Peter Nowak

DGB scheut den Knast

Die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft hat heute über 900 Mitglieder

Welche Mittel zur Selbstverteidigung und zum Erhalt der Menschenwürde gibt es hinter Gittern? Die junge Gefangenenorganisation schlägt neue Wege ein.

Eigentlich könnte das zweijährige Jubiläum der Gefangenengewerkschaft (GG) als Erfolgsgeschichte erzählt werden. Schließlich hat die im Mai 2014 von drei Insassen der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel gegründete Gewerkschaft heute über 900 Mitglieder in 80 Haftanstalten. Die zwei zentralen Forderungen nach einem Mindestlohn auch hinter Gittern und nach Einbeziehung der inhaftierten Beschäftigten in die Rentenversicherung hat in den letzten zwei Jahren viele Gefangene mobilisiert. Doch der GG-Sprecher Oliver Rast stellt eher die Schwachpunkte beim Gewerkschaftsaufbau in den Mittelpunkt.

Ein Problem für die GG sei die mangelnde Unterstützung aus dem Bereich des DGB. Dabei hielt Rast kürzlich einen Vortrag in der Hauptverwaltung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg. Eingeladen wurde er vom Stipendiatenkreis der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Publikum bestand daher größtenteils aus Studierenden. Vom DGB-Vorstand war niemand anwesend. Das spiegelt nach Oliver Rast das Verhältnis der GG zum DGB gut wieder. »An der Basis mehrerer Einzelgewerkschaften hat es Unterstützung gegeben. Doch schon beim DGB-Mittelbau herrsche Funkstille. Als großes Problem benennt Rast die noch nicht gefestigten Strukturen der GG. Daher will Rast auch keine Prognose aufstellen, ob es die GG auch in drei Jahren noch geben wird.

Doch gelohnt hat sich die Arbeit für ihn schon heute. »Die GG hat in ihren zwei Jahren dazu beigetragen, dass Haftanstalten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.« Sie habe zudem das Selbstbewusstsein der Mitglieder gestärkt, die sich als gefangene Gewerkschafter bezeichnen. Rast hielt einen bunten Gewerkschaftsausweis in die Höhe, der jedes Jahr neu gestaltet an alle Mitglieder geschickt wird. »Das Dokument ist für sie ein Zeichen, dass auch hinter Gittern eine selbstständige Interessenvertretung möglich ist«, hob Rast einen außerhalb des Knastes wenig beachteten Aspekt hervor.

Im Dezember 2015 kombinierten Gefangene der JVA Butzbach in Hessen erstmals einen Bummel- und Hungerstreik. Sie bezeichneten sich als gefangene Gewerkschafter und forderten von der hessischen Politik Verhandlungen über ihre Forderungen. Anfang März 2016 trat der Sprecher der Butzbacher Sektion der GG, Jürgen Rösner  erneut in einen Hungerstreik, um sich gegen schikanöse Haftbedingungen zu wehren.

»Es gibt nicht viele Möglichkeiten, im Knast zu protestieren. Die Verweigerung von Nahrung – oft Hungerstreik oder Hungerfasten genannt, ist eine davon«, schreibt die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker in ihrem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch. Der Buchtitel »Protestrecht des Körpers« verdeutlicht, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit zum Widerstand haben, ihren Körper zur Waffe machen.

In dem Buch sammelt sie Zeugnisse von Hungerstreikenden aus unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten. Aktivisten aus Kurdistan, Nordirland und der Schweiz kommen ebenso zu Wort, wie ehemalige Gefangene aus militanten Gruppen in der BRD. Sie führen einen Kampf um die Menschenwürde. »Wir machen hier einen Hungerstreik, um zu zeigen, dass wir nicht jede Schweinerei hinnehmen werden ohne zu mucken«, schrieb eine Gruppe weiblicher Gefangener aus der RAF und der »Bewegung 2. Juni« im Jahr 1973.

Der Wiener Mathematiker Martin Balluch begründete seinen 39-tägigen Hungerstreik nach seiner Verhaftung wegen seiner Aktivitäten in der Tierrechtsbewegung im Jahr 2008: »Der unmittelbare Anlass war meine Hilflosigkeit, in der ich dieser Ungerechtigkeit gegenüberstand.« Er habe damit ein Zeichen setzten wollen, dass auch hinter Gittern politische Arbeit möglich ist, betonte aber, wie wichtig eine Unterstützerszene draußen ist. Sie begleitete seinen Hungerstreik mit einer intensiven Pressearbeit und täglichen Kundgebungen vor dem Gefängnis.

Der APO-Aktivist Fritz Teufel beteiligte sich in den 70er Jahren an mehreren Hungerstreiks. Er hatte schon damals nach Alternativen zu dieser Kampfform gesucht, in der es schnell um Leben und Tod geht. Für ihn war der Aufwand eines Hungerstreiks größer als der politische Nutzen. Konkrete Alternativen benannte er allerdings in seinen Kritikpapier nicht. Könnte die Gefangenengewerkschaft eine solche Alternative bieten?

Realistische Alternativen zum »Protest des Körpers« kann die GG wohl erst entwickeln, wenn es ihr möglich ist in einen regulären Arbeitskampf zu treten. Erst dann würden die Gefangenen nicht mehr ihren Körper sondern ihre Arbeitskraft, die sie hinter Gittern besonders billig verkaufen müssen, zur Waffe machen.

Sabine Hunziker  Protestrecht des Körpers, Einführung zum Hungerstreik in Haft, ISBN 978-3-89771-585-1  März 2016, 106 Seiten, Unrast-Verlag,  9,80 Euro,

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1013673.dgb-scheut-den-knast.html

Von Peter Nowak

Staatsräson vor gewerkschaftlicher Solidarität?

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Nur die zuständige DGB-Gewerkschaft ver.di hatte sich bisher dazu nicht geäußert. Das hat sich jetzt geändert. In einer Sendung des Deutschlandfunks vom 4. Januar, in der über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen berichtet wurde, erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als Gewerkschaft ver.di nicht leisten können, einfach aus dem Grunde, wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen, und als Gewerkschaft sind wir eine Organisation, wo Solidarität groß geschrieben wird, wie wollen wir da Gefangene vertreten?« In einer Replik attestiert der Pressesprecher der GG/BO Oliver Rast dem ver.di-Mann »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« . Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandard auch für Kolleg_innen im Knast, sehe Schürholz seine Rolle darin, den Staat als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen. Diese Kritik dürften auch viele ver.di-Mitglieder teilen. Zahlreiche Untergliederungen der Gewerkschaft unterstützen die Forderungen der GG/BO.

aus ak 612, Januar 2016

https://www.akweb.de/ak_s/ak612/14.htm

Peter Nowak

Staatsräson oder Solidarität?

Ver.di: Justizbeamte und Gefangene nicht der gleichen Gewerkschaft

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen, hat auch in Österreich Mitglieder gewonnen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat allerdings Probleme mit den KollegInnen hinter Gittern. In einer Radiosendung über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als ver.di nicht leisten können. Wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen.«

In einer Replik warf der Pressesprecher der GG/BO, Oliver Rast, Schürholz »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« vor. Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandards auch für Gefangene einzufordern, sehe der ver.di-Mann seine Rolle darin, »den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten, sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen«.

Auf Nachfrage wollte Barbara Wederhake von der Fachgruppe Justiz in der ver.di-Bundesverwaltung Schürholz’ Äußerungen nicht kommentieren. Es gebe allerdings keinen Beschluss von ver.di zur GG/BO. Die zuständigen Gremien hätten sich mit der Frage nicht beschäftigt. Dass Schürholz erklärt hatte, dass Justizangestellte und Gefangene nicht in einer Gewerkschaft organisiert sein können, findet Wederhake allerdings verständlich. Es könne zu dieser Frage allerdings in ihrer Gewerkschaft unterschiedliche Meinungen geben. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche ver.di-Gliederungen und soziale Verbände mit der GG/BO solidarisch erklärt. Dazu gehört der ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin und die verr.di-Jugend, aber auch der Rat der Paritätischen Verbände.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998085.staatsraeson-oder-solidaritaet.html

Peter Nowak

Gefangene büßen zusätzlich durch Altersarmut

Organisationen und nun auch eine eigene Gewerkschaft fordern von Justizministern die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung

Fast 40 Jahre alt ist die Forderung nach einer Rentenversicherung für ehemalige Strafgefangene. Die Justizminister sind damit nun erneut konfrontiert.

Das Grundrechtekomitee führt den Resozialisierungsauftrag der Gesellschaft ins Feld: Danach sollen die Lebensbedingungen von ehemaligen Strafgefangenen weitestmöglich den üblichen Lebensbedingungen angeglichen werden. Schädlichen Folgen der Haft ist entgegenzuwirken. Martin Singe vom Komitee erinnert zudem an die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Diese fordern die Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme. Trotzdem gibt es in Deutschland keine gesetzliche Rentenversicherung für Strafgefangene. Das Grundrechtekomitee, die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) und weitere Organisationen der Straffälligenhilfe haben deshalb die Justizministerkonferenz aufgefordert, diesen Missstand endlich abzuschaffen.

Erneut aufgefordert, muss man sagen. Sozialstaatsgebot, Gleichheitsgrundsatz und Resozialisierungsprinzipien, die Martin Singe zur Begründung anführt, veranlassten bereits vor fast vier Jahrzehnten eine Mehrheit der Parlamentarier im Bundestag zum Handeln. Im 1976 beschlossenen und 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz wurde eine Regelung für die Einbeziehung von Gefangenen in die Rentenversicherung angekündigt. Als Bemessungsgröße waren 90 Prozent des Durchschnittslohns aller Versicherten angegeben. In den 70er Jahren diskutierten auch kritische Juristen, Kriminologen und Strafrichter ausführlich über die Stärkung von sozialen und politischen Rechten von Strafgefangenen. Es gab dazu einen Kongress in Bielefeld; ein Buch zum Thema im Suhrkamp-Verlag wurde mehrmals aufgelegt. Mit der Stärkung der Gefangenenrechte sollte die Leitidee der Resozialisierung vorangetrieben werden.

Doch das versprochene Bundesgesetz ist bis heute nicht erlassen worden. Zumindest ist das Thema wieder in der öffentlichen Debatte, seit das Grundrechtekomitee 2011 eine Internetpetition mit der Forderung initiierte, die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung endlich umzusetzen. Dass das angekündigte Gesetz so lange verschleppt wurde, liegt auch daran, dass Gefangene keine Lobby haben. Noch immer gibt es in der Öffentlichkeit Stimmen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Menschen soziale Rechte verweigern wollen.

Seit mehr als einem Jahr macht sich auch die im Mai 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) für die Rechte der Gefangenen stark. In einem Offenen Brief an die Bundesjustizminister wird der Ausschluss der Häftlinge aus der Rentenversicherung als politisch nicht zu rechtfertigen und juristisch zumindest fragwürdig bezeichnet. »Der durch die fehlende Rentenversicherung entstehende Schaden für die Gefangenen kommt einer Doppelbestrafung gleich. So werden sie nach Absitzen der Haftstrafe durch verminderte oder fehlende Rentenansprüche noch einmal sanktioniert und schlimmstenfalls faktisch zur Altersarmut verurteilt«, erklärt der Sprecher der GG/BO Oliver Rast gegenüber »neues deutschland«. Für die Gefangenengewerkschaft, die mittlerweile bundesweit knapp 800 Mitglieder hat, gehören Rentenversicherung und ein Mindestlohn auch im Gefängnis zusammen, um zu verhindern, dass der Weg aus dem Gefängnis direkt in die Altersarmut führt.

ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/974886.gefangene-buessen-zusaetzlich-durch-altersarmut.html

Peter Nowak

Buckeln hinter Schloss und Riegel

Am 21. Mai feiert die Gefangenengewerkschaft ihr einjähriges Bestehen. Wer sich hinter Gittern organisieren will, stößt noch immer auf Widerstand.

Ein Jahr ist vergangen, seit einige Gefangene der JVA-Tegel eine Gewerkschaft gründeten. Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), zieht eine positive Bilanz: »Aufgrund von engagierten inhaftierten Gewerkschaftern verfügt die GG/BO in insgesamt 16 Haftanstalten über Sektionen mit jeweiligen Sprechern.«

In der GG/BO organisieren sich Gefangene unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Haftgründen, um vor allem zwei Dinge zu fordern: Sozialversicherungspflicht für inhaftierte Beschäftigte und ihre Einbeziehung in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Gefängnisverwaltungen und Politiker scheinen jedoch unter allen Umständen verhindern zu wollen, dass sich JVA-Insassen gewerkschaftlich organisieren.

Die Angriffe laufen auf zwei Schienen. So sagte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), dass die Gefangenengewerkschaft nicht als Verhandlungspartner anerkannt werde. Die JVA-Insassen besäßen keinen Arbeitnehmerstatus und würden daher auch nicht unter das Koalitionsrecht fallen. Damit rekurriert Heilmann auf ein Relikt aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten, das von kritischen Kriminologen und Strafrechtlern bereits in den siebziger Jahren bekämpft wurde: der Arbeitszwang in den Gefängnissen. In Brandenburg wurde er im vorigen Jahr abgeschafft, in anderen Bundesländern wird darüber diskutiert.

Mittlerweile sind auch aktive Gewerkschafter hinter Gittern einem union busting ausgesetzt. Die Vollzugsbehörden der JVA Frankenthal, Würzburg und Landsberg haben sich besonders durch gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten hervorgetan. In Landsberg wurde den Gewerkschaftsmitgliedern die Mitgliedszeitung Outbreak, von der bisher zwei Ausgaben erschienen sind, aus rechtlichen Gründen nicht ausgehändigt. Dem Sprecher der Gefangenengewerkschaft wurde mitgeteilt, er könne die einbehaltenen Zeitungen persönlich bei der Poststelle abholen, andernfalls würden sie auf Kosten der Gefangenen zurückgeschickt. Auch Informationsbriefe und Mitgliederausweise der GG/BO wurden einbehalten und die Behörden verdeutlichten gegenüber Mitgliedern, dass sich die Gewerkschaftsarbeit negativ auf den weiteren Vollzugsverlauf auswirken und mit der Verzögerung oder Streichung von Vollzugslockerungen verbunden sein könne.

Dass es nicht bei verbalen Drohungen bleibt, zeigt der Umgang mit Mehmet Aykol, dem in der JVA-Tegel inhaftierten Rechtssekretär der Gefangenengewerkschaft. Er wurde von der Vollzugsbehörde vor die Alternative gestellt, seine Gewerkschaftsfunktion aufzugeben oder die Vollzugslockerungen, die Aykol nach 18 Jahren Haft erhalten sollte, zu verlieren. Er entschied sich für die Gewerkschaft. Eine Sachbearbeiterin der JVA-Tegel begründete gegenüber einem GG/BO-Mitglied das Verbot, Gewerkschaftsmaterialien auszulegen, folgendermaßen: »Die Verteilung von Mitgliedsanträgen, Flyern oder Broschüren (…) birgt die Gefahr einer Verstrickung in subkulturelle Verflechtungen«. Eine Richterin des Berliner Landesgerichts bestätigte die Einbehaltung von Gewerkschaftsmaterialien und berief sich auf den Schutz der Gefangenen. In ihrer Begründung schrieb sie: »Die Gefangenen können sich den ihnen aufgedrängten Informationen und Werbemaßnahmen nicht in gleicher Weise entziehen wie in Freiheit lebende Menschen.«

Auch viele Firmenbesitzer wollen verhindern, dass die Gewerkschaft ihre Beschäftigten beeinflusst. Niedriglöhne und eine gewerkschaftsfreie Zone sollen die Gefängnisarbeit bei Unternehmen attraktiv machen. Doch bisher geht die Einschüchterungstaktik nicht auf. So haben sich im Mai 90 Gefangene der JVA Heilbronn in einer Unterschriftensammlung mit den Forderungen der GG/BO solidarisch erklärt. Einzelne Gefangene wollen auf juristischem Weg auch im Knast einen Mindestlohn durchsetzen. Auf der Konferenz der Landesjustizminister am 17. und 18. Juni in Stuttgart wollen Unterstützer die Forderung nach voller Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern erheben.

http://jungle-world.com/artikel/2015/21/51990.html

Peter Nowak