Der deutsche Kurdistan-Aktivsit Florian L. musste seine Ausweispapiere abgeben und ihm wurde ein Ausreiseverbot auferlegt. Die Begründung ist buchstäblich an den Haaren herbeigezogen. Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Justiz mit dem türkischen Repressionsapparat kooperiert.

Schwerer Eingriff in die Grundrechte

Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Andrej Hunko sieht dieses Ausreiseverbot «im Kontext einer verstärkten justiziellen Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Behörden bei der Verfolgung kritischer Aktivist*innen im Zusammenhang mit dem türkisch-kurdischen Konflikt». Hunko beton, dass es sich bei Florian L. um keinen Einzelfall handelt, bei dem die Justiz in Deutschland mit den türkischen Repressionsorganen kooperiert.

Der Schock für Florian L. (Name geändert) war gross, als ihm am 24.Januar 2022 per Brief mitgeteilt wurde, dass er binnen vier Werktagen seine Ausweisdokumente abzugeben habe und ihm das Verlassen der Bundesrepublik zeitgleich mit der Zustellung untersagt sei. Veranlasst wurde diese Massnahme vom Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, das im Auftrag des Landeskriminalamts (LKA) für die Verhinderung einer potenziellen Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zuständig ist. In dem Brief wurde der Entzug der Dokumente damit begründet, …

… dass L. durch seine politische Betätigung die innere und äussere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Und dass er plane, eine im § 89a des Strafgesetzbuches beschriebene Handlung vorzunehmen, die als «Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat» definiert wird.

Rückkehr als Terrorist als Begründung
Florian L. betont, die Massnahme kam für ihn auch deshalb so überraschend, weil bei ihm weder eine Anklage noch eine Verurteilung wegen politischer Delikte erfolgt sei. Er habe sich aber in der letzten Zeit in der Solidaritätsbewegung für die Kurd*innen im Osten Türkei engagiert, dazu Interviews gegeben, sich an Delegationen beteiligt und auch Demonstrationen in Deutschland angemeldet. So hatte er am 27.November 2021 die bundesweite Demonstration «PKK-Verbot aufheben! Krieg beenden, politische Lösung fördern!» in Berlin angemeldet, an der sich Tausende Menschen aus ganz Deutschland beteiligten. Das LKA spekuliert nun, L. könnte einen vermeintlichen Griechenlandurlaub Ende letzten Jahr für den «Besuch eines Ausbildungslagers im europäischen Ausland» genutzt haben. Und warum das Ausreiseverbot? Für das LKA besteht angeblich die Gefahr, dass eine eventuelle Ausreise L. die Möglichkeit eröffnen würde, als «ausgebildeter potenzieller Attentäter in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, um hier Anschläge zu begehen oder zu organisieren».

Einspruch eingelegt
«Die Stilisierung des Betroffenen zu einem internationalen Terroristen steht im luftleeren Raum. Als ‹Beweise› für die Konstruktion realitätsferner Vorwürfe halten Anmeldungen von Demonstrationen und öffentlichkeitswirksame Auftritte her, also vermeintlich durch Grundgesetze geschützte Aktivitäten», kritisiert Engin Sever, Co-Vorsitzender der Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.v. (Kon-Med)das Ausreiseverbot. Er fügt hinzu: «Für den Betroffenen bedeutet diese Massnahme eine grosse Einschränkung seiner Lebensführung und einen schweren Eingriff in die Grundrechte.» Für Sever reiht sich dieser Schritt in eine weitreichende Praxis der Kriminalisierung der kurdischen Gesellschaft, kurdischer Politik und der Menschen ein, die hier in Deutschland zum Thema aktiv werden.
«Solche und ähnliche Ausreiseverbote sind mir aus meiner Praxis bekannt», schreibt auch der Berliner Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, der immer wieder Aktivist*innen aus Kurdistan und Deutschland juristisch vertritt, die wegen ihrer politischen Aktivitäten von Repression betroffen sind.
Auch das Ausreiseverbot von Florian L. wird noch die Gerichte beschäftigten. Er hat gegen den Dokumentenentzug Einspruch beim Verwaltungsgericht eingelegt, die aber keine aufschiebende Wirkung hat. Seine Papiere musste er abgeben.

Kein Einzelfall
Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Andrej Hunko sieht dieses Ausreiseverbot «im Kontext einer verstärkten justiziellen Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Behörden bei der Verfolgung kritischer Aktivist*innen im Zusammenhang mit dem türkisch-kurdischen Konflikt».
Hunko beton, dass es sich bei Florian L. um keinen Einzelfall handelt, bei dem die Justiz in Deutschland mit den türkischen Repressionsorganen kooperiert. Er verweist auf eine Razzia gegen eine kurdische Familie in Deutschland am 31.Januar dieses Jahrs. Das Rechtshilfeersuchen kam aus der Türkei. Der Vorwurf lautete, einige Familienmitglieder hätten auf Facebook-Postings mit Symbolen der kurdischen PKK versehen. Aus den Akten geht hervor, dass die Ermittlungsbehörden gegen einen Ali A. ermitteln würden – wegen Terrorpropaganda auf Social Media. Peter Nowak