Die FDP bestimmt als kleinste Fraktion in der Bundesregierung in vielen Fragen die Richtlinien der Politik. Das wurde bei der Abstimmung über die Impfpflicht im Bundestag deutlich, bei der sich sowohl die FDP als auch die AfD als Gewinner sahen. Ebenso zeigt auch das hartnäckige Ablehnen eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen durch den FDP-Bundesverkehrsminister, wie gut die Partei die Interessen ihrer Unterstützer und Spender aus der Wirtschaft durchzusetzen vermag. Die Autoindustrie gehört zu den vehementesten Gegnern jeder Tempobegrenzung. Freie Fahrt für freie Bürger ist noch immer eine Parole, die Neoliberale und Rechte aller Couleur vereint. Weniger Aufmerksamkeit hat bisher einige andere Entscheidung aus dem Bundesverkehrsministerium gefunden, die …
… aber in Berlin schon für großen Ärger sorgt und ein Pyrrhussieg für die Autolobby werden könnte.
Rückbau statt Weiterbau der A100
Es geht um den Weiterbau der Autobahn A100, die in Berlin seit Jahren heiß diskutiert wird. Die Pläne dafür kommen noch aus den 1990er Jahren, als man Fortschritt noch mit immer mehr Autos verknüpfte. Dabei gab es schon vor fast 30 Jahren Menschen, die unter der Parole „Oberbaumbrücke bleibt Stadtringlücke“ gegen eine Stadt protestierten, in der der Bewegung des Automobils mehr Platz eingeräumt wurde, als den Menschen.
Damals waren wahrscheinlich die Gegner der A100 noch in der Minderheit. Das hat sich aber in den letzten Jahren geändert, dazu hat auch die neue Klimabewegung beigetragen. Dazu haben aber auch Mieter in der Treptower Beermannstraße beigetragen, die ihre Wohnungen und Gärten nicht für die aktuelle Trasse der A100 aufgeben wollten.
Ihr Protest wurde ignoriert oder er wurde mit Repression beantwortet. Die Mieter wurden einfach enteignet, die versprochene Entschädigung wurde ihnen dann Jahre später durch ein Gerichtsurteil verweigert.
Damals schwiegen all die wirtschaftsfreundlichen Verbände und Journalisten, die in der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ eine Wiederkehr der DDR an die Wand malen. Sie verteidigten vielmehr den Autobahnbau immer wieder und stellten Mieter und Umweltverbände, die sich dem entgegenstellten, als egoistische Fortschrittsfeinde da, denen es nur um ihren Garten hinter dem Haus gehe. Dabei fanden sich im Herbst 2015 Stadtteil- und Umweltorganisationen ein, um mit einer Besetzung die Mieter zu unterstützen. Allerdings waren es zu wenig, um dort der Betonfraktion zu bremsen. Dann wäre schon die aktuelle Trasse der A100 gestoppt worden.
Heute wird das Auto nicht mehr mit immer mehr Wohlstand und Fortschritt, sondern mit Umweltverschmutzung, Okkupation von Straßenland und weniger Lebensqualität verbunden. Daher fordern in Berlin viele nicht einen Weiter- sondern einen Rückbau der bisherigen Autobahntrasse.
Dämpfer für die Grünen
Die Entscheidung des FDP-Bundesverkehrsministerium für den Weiterbau hat unter den überwiegend reformorientierten A100-Gegnern auch deshalb für viel Wut gesorgt, weil ihnen auch von den Grünen und ihrem Umfeld immer wieder gesagt wurde, dass der Schlüssel dafür bei der Bundesregierung liege und deshalb die Landespolitik keinen Einfluss habe. Daher war mit dem Abgang des Automobillobbyisten Scheuer die Hoffnung groß, dass eine Bundesregierung, in der die Grünen mitregieren, das Signal gegen einen Weiterbau der A100 kommen wird.
Sie bekamen schon einen Dämpfer, als sich die FDP das Verkehrsministerium sicherte. Damals beruhigten die Grünen ihre Basis noch, mit der Versicherung, dass der Minister seine Entscheidungen mit der gesamten Bundesregierung, also auch mit ihnen abstimmen müsse. Nun hat sich gezeigt, dass es auch hier nur um Beruhigungspillen handelte.
Die Grünen in der Regierung haben sich zumindest überrascht von der Entscheidung für den Weiterbau der A100 gezeigt. Nun mobilisiert auch das grünennahe Spektrum gegen die Betonpiste. Die Organisation Campact hat eine entsprechende Petition lanciert.
Es gab auch schon erste Protestdemonstrationen, natürlich per Fahrrad. Dort zeigte sich, dass auch Klimaaktivisten, die nicht auf die Grünen setzen, sich dort mit eigenen Akzenten beteiligen, wobei sich alle wohl auf die Forderung einigen können, den fossilen Kapitalismus zu beenden. So könnte der FDP-Lobbyist im Verkehrsministerium erfahren, dass seine aus der Zeit gefallenen Autobahnpläne an der Bevölkerung scheitern. Allerdings ist das kein Selbstläufer, vor grünliberaler Überheblichkeit gegenüber den Proleten, die ihr Auto brauchen, um zur Arbeit zu fahren, sei gewarnt.
Autolobby spricht von Klimaautobahn
Zu den Verteidigern der A100 gehören die AfD, die Union, die FDP, diverse Kapitalverbände und konservative Medien. Die moderateren Teile versuchen die A100 als Klimaautobahn zu verkaufen, also in den Umweltdiskurs aufzunehmen. Dabei wissen alle, dass die klimafreundlichste Autobahn die ist, die nie gebaut wird.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es noch immer Menschen gibt, die auf das Auto angewiesen sind, um beispielsweise zur Lohnarbeit zu fahren. Auf diese Menschen zielen rechtspopulistische Kampagnen à la „Der Diesel gehört zu Deutschland“, mit denen gegen eine angebliche Diktatur von Umweltverbänden agiert wird, die den Bürgern das Autofahren verbieten wolle.
Daher muss die Mobilisierung gegen die A100 mit einem flächendeckenden, preisgünstigen Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs verbunden sein. Warum sollte das Geld, das heute vom Staat für die Infrastruktur des Autoverkehrs ausgegeben wird – Aufwendungen für den Autobahn- und Straßenbau gehören dazu – nicht in die Subventionierung von Bahnen und Bussen gesteckt werden? Darauf zielte im vorletzten Jahr die gemeinsame Kampagne von Verdi und der Klimabewegung. Es wäre zu wünschen, dass auch dieses Bündnis Teil des Widerstands gegen einen Weiterbau der A100 wird. Dann könnten die Betonpläne der Autolobby scheitern. Peter Nowak