Doch ob das Dorf Lützerath verschwindet, entscheidet sich letztlich an der Frage, ob es den Kohle-Gegnern gelingt, Widerstand vor Ort zu organisieren

Justiz macht RWE den Weg zum Kohleabbaggern frei

In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob es der Anti-Kohle-Bewegung gelingt, so viele Menschen auf die Straße zu bringen, dass es für die Politik zum Risiko wird, ein großes Polizeiaufgebot für die Abbaggerung eines Dorfes aufzubieten. Manchen ist noch in Erinnerung, wie ab 1997 die Castortransporte mit Atommüll ins Wendland für einige Tage bundesweite Aufmerksamkeit erzeugte, bis sie schließlich eingestellt wurden.

Ständig wird vom Ausstieg aus der Kohleverstromung geredet. Dazu passt nicht, dass das Oberlandesgericht (OLG) Nordrhein-Westfalen am Montag entschieden hat, dass der RWE-Konzern die Grundstücke eines Landwirts im Dorf Lützerath in NRW abbaggern kann. Das Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerden des Landwirts und zweier Mieter zurück, die schon bei der Vorinstanz, dem Verwaltungsgericht Aachen, ebenfalls ohne Erfolg geblieben waren. In der Urteilsbegründung des OLG wird auf die …

… Argumente der Kläger eingegangen, dass ein Abbaggern von Lützerath den auch von der Bundesregierung vertraglich zugesagten Ausstieg aus der Kohle widersprechen würde und deswegen verhindert werden muss.

Dagegen verteidigt das OLG in der Urteilsbegründung die Entscheidungen der Vorinstanzen.

Das Verwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, dass die geltende energiepolitische Grundentscheidung zugunsten der Braunkohleförderung und -verstromung mit dem verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebot vereinbar ist und dass die Gesamtabwägung der von dem Braunkohletagebau betroffenen Belange durch die Bezirksregierung Arnsberg, auch was den Klimaschutz betrifft, nicht zu beanstanden ist.


Aus der Urteilsbegründung des OLG

Große Enttäuschung bei den Kohlegegnern

Der renitente Landwirt hat bisher verhindert, dass das Dorf Lützerath abgebaggert wurde. Er war also eine reale Bremse für RWE, die ihre Bagger in den letzten Wochen schon immer näher an das Dorf herangerückt haben, was von den Klimaaktivisten kritisiert wurde. Daher löste die OLG-Entscheidung bei den Klimaaktivisten neben Enttäuschung und Wut auch neuen Widerstandsgeist aus.

Das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ kündigte bereits weitere Proteste in den nächsten Wochen an. Am 23. April ist eine bundesweite Großdemonstration in Lützerath geplant, an der sich verschiedene Bündnisse, darunter auch Fridays for Future, beteiligt wollen.

Vom 23. bis 25. April tagt zudem in Düsseldorf das RWE-Tribunal, das Bündnispartner im bürgerlichen Spektrum ansprechen dürfte. Die letzten Bewohner von Lützerath kündigten derweil an, sich einem Abriss im Dorf direkt zu widersetzen und sich eben nicht dem OLG-Spruch zu beugen, weil sie ihm die Legitimität absprechen.

Von der Anti-AKW- zur Anti-Kohle-Bewegung

Das könnte der Anti-Kohle-Bewegung eine Debatte bescheren, wie sie vor einigen Jahrzehnten in der Anti-AKW-Bewegung geführt wurde. Da wurde festgestellt, dass Legalität und Legitimität eben nicht das gleiche sind.

RWE hat nach dem OLG-Spruch die Legalität hinter sich und kann mit einem großen Polizeiaufgebot mit dem Abbaggern beginnen. Doch die Klimaaktivisten sehen die Legitimität auf ihrer Seite, angesichts der Klimaveränderungen keine weitere Kohleabbaggerung mehr zuzulassen.

In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob es der Anti-Kohle-Bewegung gelingt, so viele Menschen auf die Straße zu bringen, dass es für die Politik zum Risiko wird, ein großes Polizeiaufgebot für die Abbaggerung eines Dorfes aufzubieten. Manchen ist noch in Erinnerung, wie ab 1997 die Castortransporte mit Atommüll ins Wendland für einige Tage bundesweite Aufmerksamkeit erzeugte, bis sie schließlich eingestellt wurden.

Wird es der Anti-Kohle-Bewegung gelingen, ein ähnliches Szenario gegen die Kohleabbaggerung zu erzeugen? Dann könnte Lützerath tatsächlich das Gorleben der Kohleindustrie werden. Dort ist die atomare Lagerung nicht an Gerichten, sondern in erster Linie an einer widerständigen Bevölkerung in der Region und bundesweit gescheitert.

Die Kohleaktivisten haben mit dem Urteilsspruch auch lernen müssen, dass manche naive Vorstellung, einen Ausstieg aus der fossilen Industrie mittels der Justiz durchzusetzen, zu wenig berücksichtige, dass die Justiz eben Teil des kapitalistischen Staates ist. Der RWE-Konzern hält an der Kohleabbaggerung deshalb noch fest, weil damit noch Profit zu machen ist. 

Wenn ein starker Widerstand dagegen entsteht, vergleichbar mit Protesten gegen die Atommülltransporte ins Wendland, würde die Profitmarge sinken und die Kohleabbaggerung wäre vielleicht nicht mehr rentabel.

Wann bröckelt der NRWE-Komplex?

Dann würden sich vielleicht auch wahrnehmbare Risse im NRWE-Komplex zeigen, wie Kritiker des Konzerns dessen enge Kooperation mit der Politik in NRW bezeichnen. Das zeigte sich auch beim später von einem Gericht für rechtswidrig erklärte Räumung im Hambacher Forst. Erst vor wenigen Tagen forderten die Kohle-Gegner den Rücktritt der in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (NRW) dafür zuständigen Ministerin Ines Scharrenbach.

Am 15. Mai wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. Da wird sich zeigen, ob es den Kohlegegnern mit ihrem außerparlamentarischen Protest gelingt, Verschiebungen im Parteiensystem hin zu Kritikern des fossilen Kapitalismus zu erreichen. Noch ist also über die Perspektive von Lützerath noch nicht endgültig entschieden. Peter Nowak