Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine beteiligen sich Linke verschiedener Strömungen an Protesten. Manche haben erkannt, dass hier kapitalistische Machtblöcke um Einflusssphären kämpfen

„Gegen Putin und gegen die Nato“

Am Donnerstagabend hatte die Berliner Stadtteilgruppe "Hände weg vom Wedding" eine Antikriegskundgebung organisiert, auf der verschiedene kommunistische und sozialistische Gruppen Redebeiträge hielten. Der Protest richtete sich klar gegen den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine und gegen die Nato-Kriegspolitik. Die Politik Russlands wurde hier eben nicht isoliert von der Ausbreitung der Nato in den letzten Jahrzehnten kritisiert.

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine gab es in vielen Städten in Deutschland spontane Proteste sehr unterschiedlicher Art. So fanden sich am Donenrstag rund um das in den ukrainischen Nationalfarben angeleuchtete Brandenburger Tor in Berlin wie in den Vortagen viele Menschen mit familiärem Bezug zur Ukraine ein, die zum Teil schon länger in Berlin leben. Aber auch Menschen aus Russland, Kasachstan und Belorussland haben sich dort in den Protesten beteiligt. In den letzten Jahren war Berlin zum Fluchtpunkt vor allem junger Menschen aus postsowjetischen Staaten geworden. Sie beteiligen sich oft zum ersten Mal an politischen Aktivitäten. Die Stimmung dort ist sehr emotional, weil viele der Beteiligten Freunde und Angehörige in der Ukraine haben. „Mein Vater kämpft gerade gegen die Russen“ hat ein junger Mann auf ein Schild geschrieben. Rund um das Brandenburger Tor sah man auch viele ukrainische Nationalfahnen. Einige Redner forderten von Deutschland …

… Waffenlieferungen, eine Rednerin kritisierte die deutschen Energiepläne, die uns angeblich von Erdgas aus Russland abhängig machen. Dafür erhielt sie großen Beifall.

Anarchos gegen nationalistische Scheinlösungen

Wenige Hundert Meter entfernt an der russischen Botschaft war die Stimmung ähnlich emotional. Immer wieder erschallten Sprechchöre gegen Wladimir Putin. Auf Plakaten wurde der russische Staatschef mit Hitler verglichen. Auch vor der Botschaft fanden sich vor allem junge Menschen ein, darunter auch Aktivisten der außerparlamentarischen Linken. Dort verteilten Anarchistinnen und Anarchisten Flugblätter, um bei vielleicht bisher völlig „unpolitischen“ Menschen emanzipatorische Forderungen und Alternativen zu nationalistischen Scheinlösungen ins Gespräch zu bringen.

Zweierlei Maß in Sachen Querfront mit Rechten

Ambivalent zu beurteilen ist ein mit „Antiautoritäre Perspektiven in der Ukraine“ überschriebener Text, der die Geschichte der Ukraine aus anarchistischer Sicht darstellen will. Dort wird nicht verschwiegen, dass sich bei den Maidan-Protesten, die 2014 zum Umsturz in der Ukraine geführt hatten, sehr bald ultrarechte Kräfte durchgesetzt hatten, was viele Anarchisten davon abhielt, sich daran zu beteiligen. Unter einem Foto von Kämpfern des profaschistischen „Rechten Sektors“ steht: „Bemerkenswert ist, dass auf diesem Foto zwei Moskauer Antifaschisten zu sehen sind, die sich dem bewaffneten Konflikt angeschlossen haben.“

Bemerkenswert scheint allerdings auch, warum die Anarchisten nicht davon sprechen, dass diese Antifaschisten dann wohl die Fronten gewechselt haben müssen. Bemerkenswert positiv wird in diesem Text die nationalistische Organisation „Autonomer Widerstand“ eingeschätzt, die sich angeblich weit nach links entwickelt habe. Nach der Beschreibung handelt es sich allerdings dabei eher um eine nationalrevolutionäre Variante des Faschismus.

So verständnisvoll in dem Text pro-ukrainische Querfrontprojekte beschrieben werden, so groß ist die Ablehnung gegenüber den versprengten Linken, die, wie die italienische Band Banda Bassotti, zumindest zeitweilig mit den prorussischen Kräften in der Ukraine sympathisiert hatten. Sie werden als bestenfalls naiv oder sogar bewusst vom russischen Geheimdienst gesteuerte Kräfte dargestellt. Darunter waren auch einige Anarchisten.

Auch in der europäischen Linken hätten die prorussischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk breiten Rückhalt gefunden, heißt es da – was faktisch nicht stimmt. Ebenfalls falsch ist die Behauptung, dass die Partei Die Linke mehrheitlich diese Volksrepubliken unterstützt hätten. Bemerkenswert ist aber, dass eben dieser anarchistische Text die gleiche Distanz zur Ukraine und zu Russland vermissen lässt, den man ja von antistaatlichen Gruppen erwarten könnte.

Vielmehr wird sogar offene Kooperationen angeblich antiautoritärer Linker mit protofaschistischen Kräften wie dem „Rechten Sektor“ oder dem „Autonomen Widerstand“ wesentlich verständnisvoller kommentiert als die Kooperation anderer Linker mit den prorussischen Kräften. Ausgeblendet wird in dieser Erzählung auch die ganze Geschichte des Anti-Maidan, des anfangs durchaus selbstorganisierten Protests prorussischer Kräfte in der Ukraine gegen den rechtsoffenen Maidan-Aufstand.

Gerne ausblendet: Odessa 2014

Auch die Tragödie beim Brand des Gewerkschaftshauses von Odessa, bei dem am 2. Mai 2014 mindestens 42 prorussische Aktivisten ihr Leben verloren, wird ausgespart.

Die Tragödie von Odessa begann am Sonnabend Nachmittag. Mehrere Tausend Anhänger der Fußballclubs Tschernomorez (Odessa) und Metallist (Charkow) sowie Anhänger nationalistischer Organisationen marschierten in einem „Marsch für eine einige Ukraine“ zum Fußballstadion, wo die beiden genannten Mannschaften aufeinandertreffen sollten. 

Als sich Gegner der neuen Regierung in Kiew, genannt auch „Beschützer von Charkow“, den Demonstranten in den Weg stellten, entstand eine Straßenschlacht. Die Fußball-Fans und Nationalisten steckten dann ein Zeltlager der Regierungsgegner nicht weit vom Gewerkschaftshaus in Brand. Als sich die Regierungsgegner dann in das Gewerkschaftshaus flüchteten, warfen die Nationalisten Molotow-Cocktails in die Fenster des Gebäudes.


Ulrich Heyden, Telepolis, 3. Mai 2014

Es ist bemerkenswert, dass in der anarchistischen Geschichte dieses Ereignis ausgeblendet wird, wohl deshalb, weil die Gewalt in diesem Fall von pro-ukrainischen Kräften ausgegangen ist.

Gegen Krieg der russischen Armee und der Nato

Ebenfalls am Donnerstagabend hatte die Berliner Stadtteilgruppe „Hände weg vom Wedding“ eine Antikriegskundgebung organisiert, auf der verschiedene kommunistische und sozialistische Gruppen Redebeiträge hielten. Der Protest richtete sich klar gegen den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine und gegen die Nato-Kriegspolitik. Die Politik Russlands wurde hier eben nicht isoliert von der Ausbreitung der Nato in den letzten Jahrzehnten kritisiert.

Zudem wurde die aktuelle Eskalation in der Ukraine als Kampf verschiedener kapitalistischer Machtblöcke um Einflusssphären bewertet. Dagegen setzen diese linken Gruppen einen linken Antimilitarismus. Dabei können sie sich auf den linken Flügel der Arbeiterbewegung stützen, der sich während des Ersten Weltkriegs in verschiedenen europäischen Ländern in Opposition zur kriegsunterstützenden „Burgfriedenspolitik“ der sozialdemokratischen Parteiführungen herausgebildet hatte.

Ein erster Höhepunkt dieser länderübergreifenden Vernetzung war 1915 die Zimmerwalder Konferenz in der Schweiz. Die gemeinsame Grundlage der sehr unterschiedlichen Politiker und Intellektuellen war die Ablehnung des Krieges von allen Seiten. Anders als heute stand damals ein Großteil der organisierten Arbeiter in den Großbetrieben hinter dieser Forderung, wie sich bei den revolutionären Ereignissen der Jahre 1917 bis 1919 zeigte.

Es waren Arbeiter- und Soldatenräte, die in Russland die alte Herrschaft stürzten und den Krieg beendeten. Danach gab es solche Revolutionsversuche auch in vielen anderen europäischen Staaten, nicht zuletzt in Deutschland. Doch hier setzte sich die Gegenrevolution durch. Die rechten Kontrahenten warfen den Revolutionären bereits damals vor, die nationalen Interessen zu verraten, weil sie sich gegen jeden Nationalismus und für den proletarischen Internationalismus einsetzten.

Genau diese rechte Kritik an der Oktoberrevolution nahm der russische Präsident Putin in seine Rede anlässlich der Anerkennung der abtrünnigen ukrainischen Provinzen auf, indem er den Bolschewiki vorwarf, die nationalen Interessen Russlands vernachlässigt zu haben, als sie der Gründung der Ukraine zustimmten. Es ist eigentlich zu begrüßen, dass Putin so offen die Sprache der rechten Gegenrevolution benutzt. Das gibt den Gegnern gegen alle Kriege die Gelegenheit, sich noch einmal in die Tradition eines linken Antimilitarismus zu stellen, der heute noch so aktuell wie vor mehr als 100 Jahren ist.

Denn mit dem Ende der Blockkonfrontation kämpfen wieder – wie schon 1914 – unterschiedliche kapitalistische Machtblöcke gegeneinander um Einflusssphären. Nur befinden sich die linken Kriegsgegner heute in einer viel schlechteren Ausgangslage, weil die Massen der organisierten Arbeiter auf ihrer Seite fehlen. (Peter Nowak)