Zunehmend warnen linke Gruppen vor weiteren Spaltungen, die nur den Rechten nützen

„Trennung verläuft nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften“

Der mit Recht politisch viel kritisierte Kreuzberger Straßenkünstler Sozi36 hatte kürzlich an verschiedenen Stellen eine Parole in das Stadtteil gemalt, die auf viel Zustimmung stieß: "Die Grenze verläuft nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften, sondern zwischen Jeff Bezos und Sozi 36."

Trotz Verbot gingen am Samstag in Hamburg wieder Kritiker der Corona-Maßnahmen auf die Straße. Wie in der letzten Woche entschied auch dieses Mal die Hamburger Justiz in mehreren Instanzen, dass das Demoverbot wegen der aktuellen Corona-Lage verhältnismäßig sei und das Hygienekonzept des Demo-Bündnisses nicht ausreichend sei. Trotzdem gab es am 29. Januar verschiedene maßnahmenkritische „Spaziergänge“ und Demonstrationen, aber auch …

… zahlreiche Gegenproteste von antifaschistischen Gruppen. „Ein guter Leugner stirbt zu Haus, und schont damit das Krankenhaus“, hieß eine der provokativen Parolen, die allerdings, wenn sie konkret umgesetzt würden, problematische Implikationen hätte.

Es müsste eigentlich eine emanzipatorische Forderung sein, dass kranke Menschen gleich behandelt werden, unabhängig vom Impfstatus und von einer gesunden oder ungesunden Lebensweise. Wer an diesem Prinzip rüttelt, begibt sich auf eine abschüssige Bahn. Denn tatsächlich gibt es in der kapitalistischen Gesundheitspolitik Versuche, ungesunde Lebensweise durch höhere Krankenkassenbeiträge zu sanktionieren.

Doch mittlerweile gibt es auch in der außerparlamentarischen Linken Diskussionen über den richtigen Umgang mit den diffusen und oft irrationalen Corona-Maßnahmeprotesten. Ist es richtig, dagegen mit polemischer Schärfe vorzugehen, wie es beispielsweise mit dem oben genannten Transparent ausgedrückt wurde, wonach Corona-Leugner gefälligst auf Krankenhausversorgung verzichten sollen, wenn sie sich den Virus einfangen?

Leugnen alle Demonstranten die Pandemie oder nur den Umgang damit? Diese Frage stellt die Initiative Jour Fix-Gewerkschaftslinke, ein Bündnis linker Gewerkschaftler, die seit Jahren Arbeitskämpfe unterstützen.

Konstrukt der bürgerlichen Mitte

Die Gewerkschaftslinken wollen auf den Demonstrationen nicht in erster Linie Rechte und irrationale Strömungen, sondern Menschen aus der bürgerlichen Mitte erkennen. Allerdings ist der Verweis auf die bürgerliche Mitte nicht besonders überzeugend. Denn es hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder gezeigt, dass diese bürgerliche Mitte ohne Probleme mit Alt- und Neu-Nazis demonstriert, beispielsweise bei Protesten gegen Geflüchtete oder gegen gesellschaftliche Minderheiten. Interessanter ist da die weitere Feststellung im Offenen Brief der Gewerkschaftslinken:

Und es sind auch hunderte PflegerInnen dabei, Solo-Selbständige und ein Block von StudentInnen, die alle besonders von den Corona-Maßnahmen der Regierungen betroffen sind.

Offener Brief der Initiative Jour Fixe-Gewerkschaftslinke Hamburg

Über die Empfehlung, den Demonstranten neugierig zuzuhören, kommt der Offene Brief allerdings nicht hinaus. Der Linken-Abgeordnete im Hamburger Abgeordnetenhaus Mehmet Yildizwird in seiner Pressemitteilung konkreter. Auch er sieht in den Demonstrationen der Corona-Maßnahmenkritiker in Hamburg keine rechte Hegemonie. Er verweist unter anderem auf „Nazis raus“-Rufe vom Lautsprecherwagen.

Yildiz äußert auch mehrere konkrete Vorschläge, so etwa für die weltweite Freigabe der Patente für die Impfungen, die Rekommunalisierung von Krankenhäusern, das Herunterfahren der Produktion bei vollem Lohnausgleich, und er stellt kritisch die Aushebelung der Grundrechte heraus.

Können die Montagsdemonstrationen im Spätsommer 2004 ein Vorbild sein?

Nicht nur in Hamburg gibt es Diskussionen von linken Gruppen, in diese diffusen Corona-Spaziergänge mit konkreten sozialen Forderungen reinzugeben. Manche erinnern sich an noch an die Montagsdemonstrationen gegen die Einführung von Hartz IV, die im Spätsommer 2004 in Ostdeutschland für kurze Zeit Massen auf die Straße brachten.

Auch dort beteiligten sich von Anfang an in bestimmten Orten rechtsoffene Gruppen, die nicht für eine solidarische Ablehnung von Hartz-IV auf die Straße gingen, sondern dafür, dass bestimmte Menschen es nicht verdient hätten, unter Hartz-IV zu leben, andere aber sehr wohl. Doch damals beteiligten sich unterschiedliche linke Gruppen an den Protesten und nahmen den Kampf gegen die rechten Gruppen bei den Protesten auf.

Dabei hatten sie nicht selten auch die Polizei gegen sich, die den Ausschluss der Rechten mit Verweis auf das Demonstrationsrecht verhinderte. Bald lernten die Demonstranten, dass sie Rechte bei den Protesten gegen Hartz-IV nur ausschließen können, wenn sich der Kundgebungs- und Demonstrationsaufruf auch gegen Faschismus, Antisemitismus etc. und nicht nur gegen Hartz-IV richtet. Hier wurden also Lernprozesse gemacht und der Protest gegen Hartz-IV war dann eben mehrheitlich links- und nicht rechtsoffen.

Die linken Akteure, die dazu beitrugen, waren sehr unterschiedlich. Mal waren es einzelne Ortsgruppen der damaligen Partei des Demokratischen Sozialismus, woanders waren aktive DGB-Gewerkschaftler wie Angelo Lucifero oder Ortsgruppen der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion aktiv. Nun wäre es sicher eine Diskussion wert, ob es Parallelen zwischen den Montagsdemonstrationen gegen Hartz-IV im Spätsommer 2004 und den heutigen Corona-Spaziergängen gibt.

Der zentrale Unterschied

Tatsächlich gibt es einen zentralen Unterschied. Die Linke, ob parlamentarisch oder außerparlamentarisch, ist heute viel schwächer als vor 18 Jahren, die Rechte in unterschiedlicher Couleur ist dagegen gestärkt. Das lässt sich schon daran ermessen, dass die AfD in verschiedenen ostdeutschen Ländern gestärkt und die Linke geschwächt ist.

Viele erinnern sich nicht mehr: Es ist nicht mal sieben Jahre her, als der Wahlsieg der damals linkssozialdemokratischen Syriza-Partei und die Ochi-Abstimmung („Griechenland sagt nein“) gegen die Austeritätspolitik der EU-Troika in Griechenland einen kurzen linken Aufbruch in vielen europäischen Ländern auch in Deutschland hervorrief.

Es war wesentlich die deutsche Regierung, im Bündnis mit anderen EU-Gremien, die diese Hoffnung auf Reformen im Kapitalismus zerstörten. Erst danach begann der Ausstieg der Rechten. Er ist auch wieder umkehrbar, wenn sich die linke Bewegung auf ihre Kernkompetenzen besinnen und das ist eben nicht das Hantieren mit der Impfspritze.

Gegen falsche Spaltungen

Der mit Recht politisch viel kritisierte Kreuzberger Straßenkünstler Sozi36 hatte kürzlich an verschiedenen Stellen eine Parole in das Stadtteil gemalt, die auf viel Zustimmung stieß: „Die Grenze verläuft nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften, sondern zwischen Jeff Bezos und Sozi 36.“

Die Namen sind austauschbar. Es könnte da ein Unternehmen genannt werden, das den Lohn schuldet oder gegen aktive Gewerkschafter vorgeht oder gegen Wohnkonzerne, die die Corona-Krise für Mieterhöhungen nutzen. Mit einer solchen Orientierung gegen falsche Spaltungen würde eine linke Bewegung an die Proteste gegen Hartz-IV anknüpften, als die linke Bewegung auch gegen falsche Spaltungen vorging, in Menschen, die es verdienten, unter Hartz-IV zu leben und solchen, die es nicht verdienten.

Niemand verdient es, unter Bedingungen von Hartz-IV zu leben, lautete die linke Parole, die damals in großen Teilen der sozialen Bewegung hegemonial war und sich gegen falsche Spaltungen wandte. Damit konnte man die Rechten damals in der Bewegung klein halten. Ähnlich agieren in Italien und Frankreich aktuell linke Gruppen und Basisgewerkschaften, die gegen Rechte, aber auch gegen die staatliche Corona-Politik demonstrieren.

Der Historiker und Arzt Karl Heinz Roth hat vor einigen Tagen bei einer Online-Vorstellung seines Buches Blinde Passagiere – Die Corona-Krise und die Folgen auf die Problematik in Italien hingewiesen. Im Frühjahr und Sommer 2020 hätten Basisgewerkschaften auf einen selbstorganisierten Lockdown gesetzt, fanden dabei aber bei großen Teilen der Lohnabhängigen, die zwischen Gesundheitsschutz und Verlust der Arbeitsplätze wählen mussten, wenig Unterstützung.

Im Herbst letzten Jahres beteiligten sich Hafenarbeiter in Triest und anderen italienischen Städten an rechtsoffenen Protesten gegen den Grünen Pass und organisierten sogar für mehrere Tage Blockaden. Unterstützung bekamen sie von linken Gruppen und Basisgewerkschaften, was auch vom operaistischen Kollektiv Wu Ming in einem Interview mit der Wochenzeitung Jungle World verteidigt wird.

Dabei spricht das linke Kollektiv den ideologischen Müll, der in der Bewegung gegen den Grünen Pass verbreitet wird, offen an. Doch es kommt zu dem Fazit:

Es ergibt wenig Sinn, über den angeblichen Missbrauch des Begriffs „Freiheit“ bei diesen Mobilisierungen zu philosophieren. Das geht an der Sache vorbei, denn meistens geht es den Teilnehmenden nicht um Freiheit, sondern um ihre eigene Proletarisierung. Ein Teil der prekären, verarmten und verängstigten Mittelschicht – Menschen, die die Sprache des sozialen Kampfes nicht beherrschen und nicht zu den Erben politischer Traditionen mit etabliertem Vokabular gehören – übersetzt seine Wut über seinen kürzlich erfolgten oder bevorstehenden sozialen Abstieg und über die Ungerechtigkeit, die er aufgrund der Art und Weise erlitten hat, wie der pandemische Notfall gehandhabt wurde, in Begriffe der „Freiheit“.

Wu Ming, Jungle World

Wu Ming werfen einem Teil der Linken vor, die individuelle Freiheit geringzuschätzen und so womöglich autoritärer Staatlichkeit Vorschub zu leisten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Linke – ob parlamentarisch oder außerparlamentarisch – über solche Thesen mit Argumenten streiten würde, statt auch in den eigenen Reihen noch weitere Spaltungen und Ausschlüsse zu provozieren. Damit wird die so viel gefürchtete rechte Hegemonie bei den Protesten eher noch verstärkt. Peter Nowak