Neonazis wollen die Stadt, in der einst Hitler-Stellvertreter Hess begraben war, wieder als Aufmarschstätte etablieren. Sie rufen für Samstag zu einer Demo auf

Nazis pilgern nach Wunsiedel

Unter dem Motto »Klassenkampf statt Volksgemeinschaft« ruft das antifaschistische Aktionsbündnis »Nicht lange fackeln« dazu auf, den Fackelmarsch in Wunsiedel zu blockieren. Das Antifaschistische Aktionsbündnis Nürnberg mobilisiert mit einem eigenen Zugtreffpunkt zum Protest.

Zu einem »Heldengedenken« ruft die neonazistische Kleinstpartei »Der III.Weg« für Samstag zu einer Demonstration in die oberbayerische Gemeinde Wunsiedel auf, die von Neonazis zur »Märtyrerstadt« verklärt wird. Bis 2005 war dort der Rudolf-Hess-Gedenkmarsch ein fester Termin auf der …

… Agenda Rechtsradikaler nicht nur aus Deutschland. Auch aus vielen europäischen Nachbarstaaten fanden sich jedes Jahr am 17. August Alt- und Neonazis ein, um dem ehemaligen Hitler-Stellvertreter Hess zu huldigen, der bis 2011 in Wunsiedel begraben war.
Hess war enger Mitarbeiter von Hitler schon in den frühen 1920er Jahren und spielte in dem Machtgefüge des NS-Staats eine wichtige Rolle. Daher war die Überraschung groß, als er im Mai 1940 nach Großbritannien flog. Noch heute ranken sich Mythen und Legenden um diesen Trip. Vor allem wird weiterhin darüber gestritten, wer in der NS-Hierarchie von dem Flug wusste.
Unter Historikern herrscht heute die Einschätzung vor, dass Hess ein Bündnis Großbritanniens mit Hitlerdeutschland gegen die Sowjetunion anstrebte, um einen Zweifrontenkrieg zu verhindern. Doch Hess wurde nach seiner Landung dort inhaftiert und blieb bis zu seinem Selbstmord 1987 im Gefängnis. Zudem inszenierte er sich mit seinem Spruch »Ich bereue nichts« bis zum Lebensende als überzeugter Nationalsozialist. So wurde er zur Identifikationsfigur der rechten Szene.
Dagegen regte sich schon in den frühen 1990er Jahren antifaschistischer Widerstand. Auch die Gemeinde Wunsiedel wollte nicht als Gedenkort der rechten Szene gelten und untersagte die Aufmärsche, so dass die Rechten zunehmend in andere Städte ausweichen mussten, in denen es Neonazistrukturen gab. 1993 war das osthessische Fulda und im Jahr 2000 Rudolstadt der Ersatzort.
In den frühen 2000er Jahren konnte der Rechtsanwalt und Altnazi Jürgen Rieger noch einmal Hess-Gedenkmärsche mit über 1000 Teilnehmer*innen in Wunsiedel durchsetzen. Ab 2005 wurden sie aber endgültig durch alle Gerichtsinstanzen verboten, weil mit den Märschen »die nationalsozialistische Gewaltherrschaft« verherrlicht werde. 2009 bestätigte das Bundesverfassungsgericht in ihrer Wunsiedel-Entscheidung dieses Verbot.
Nachdem 2011 der Pachtvertrag des Hess-Grabes erloschen war und die Stätte eingeebnet wurde, schien der Ort seine Anziehungskraft für die rechte Szene verloren zu haben. Doch auch danach suchte jedes Jahr eine kleine zweistellige Zahl von Neonazis die bayerische Gemeinde heim. 2019 etwa inszenierte der »III.Weg« erstmals als »Heldengedenken« am 17. November. Im vergangenen Jahr sagten die Rechten wegen der Corona-Pandemie alle Aktivitäten ab.
Jetzt mobilisieren sie wieder zu einem Aufmarsch am Volkstrauertag. Die Aktivitäten stehen im Kontext der Umstrukturierung der Szene rechts von der AfD. Während die NPD immer mehr an Bedeutung verliert, versucht der »III.Weg« deren Erbe anzutreten. Dabei versucht diese Partei gar nicht, ihre NS-Bezüge zu verstecken. So wird im Aufruf zum »Heldengedenken« von der »Umerziehung unseres Volkes durch die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges« und einem »Kult der Schuld und Sühne« geraunt.
Unter dem Motto »Klassenkampf statt Volksgemeinschaft« ruft das antifaschistische Aktionsbündnis »Nicht lange fackeln« dazu auf, den Fackelmarsch in Wunsiedel zu blockieren. Das Antifaschistische Aktionsbündnis Nürnberg mobilisiert mit einem eigenen Zugtreffpunkt zum Protest. Peter Nowak

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