In Berlin wurde das zuvor geduldete Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht aufgelöst. Auch andere Besetzungen von Obdachlosen scheiterten.

Kein Winter ohne Räumungen

Trotz Pandemie finden weiter Zwangsräumungen statt. So wurde der Theatermacher und Mitgründer der Initiative »Recht auf Stadt – Regensburg«, Kurt Raster, im Januar aus seiner Regensburger Wohnung geräumt. in der er über 35 Jahre gelebt hatte. Obwohl die Räumung ­unter Verweis auf eine mögliche Selbstmordgefahr zunächst ausgesetzt worden war, gab der Mieter schließlich seine Wohnungsschlüssel doch ab, da er bei weiterem Widerstand eine Unterbringung in einer Psychiatrie fürchtete.

»Zwangsräumungen sind keine Kältehilfe!« lautet die Parole auf einem großen Transparent, das auf der Fassade des Hauses Hauptstraße 1 im Berliner Ortsteil Lichtenberg zu sehen ist. Es verweist auf das wenige Meter entfernte Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht, das das Bezirkamt in der Nacht zum 6. Februar von der Polizei auflösen ließ. Das Lager der bis dahin dort geduldeten etwa 100 obdachlosen Menschen wurde mit Verweis auf …


…. den bevorstehenden Kälteeinbruch geräumt. Trotz Dauerfrost organisierten linke Gruppen in der Folge mehrere Demonstrationen und Kundgebungen. Die Auflösung des Camps werteten sie weniger als Maßnahme zur Vermeidung einer lebensgefährlichen Situation für die Camp-Bewohner denn als Räumaktion im Sinne von Investoren (»Die Situation war erdrückend«). Die Berliner Senatorin Elke Breitenbach (»Die Linke«), deren Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales dem Bezirk bei der Räumung Amtshilfe leistete, warf dem Bezirksamt vor, viel zu spät auf die »katastrophalen Verhältnisse auf dem Gelände« rea­giert zu haben. Diese Kritik teilen viele der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner. Auch diejenigen, die die vom Bezirk angebotenen Plätze in beheizten Hostels als Ausweichorte angenommen hatten, sprachen von einer Räumung.

Die Kritiker der Aktion weisen darauf hin, dass die Räumung Platz schaffe für die geplanten hochpreisigen Eigentumswohnungen an der Rummelsburger Bucht. Unter dem Namen »My bay« (deutsch: »Meine Bucht«) werden sie im Internet zum Kauf angeboten. Im vergangenen Jahr wurden auf dem Areal bereits einige Wagenplätze wie der »Sabot Garden« geräumt. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstraße 1 sollen in den kommenden Monaten ausziehen. Ihnen wurde im November gekündigt, nachdem sie sich monatelang dagegen gewehrt hatten. »Als Begründung wurden unterschiedliche Mängel der Häuser aufgeführt, die nur dadurch entstanden sind, weil Padovicz diese hat verwahrlosen lassen«, sagte eine Mieterin der Taz. Der Investor Gijora Padovicz ist nicht erst seit der Räumung des queerfeministischen Hausprojekts Liebigstraße 34 für den Kauf großer Immobilien und die Verdrängung linker Wohnprojekte im Berliner Ortsteil Friedrichshain bekannt. Die Zeitung Mie­ter­echo berichtete bereits in den neunziger Jahren über den umtriebigen Investor.

Wenn Obdachlose in den vergangenen Monaten versuchten, Wohnraum zu besetzen, wurden sie zumeist nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt. Bereits Ende Oktober zogen in Berlin Wohnungslose unterstützt von Mieterorganisationen in mehrere Wohnungen in einem ehemaligen Schwesternwohnheim der Charité in der Habersaathstraße 46. Sie wurden nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt, obwohl in dem Gebäudekomplex 85 gut erhaltene Wohnungen seit Jahren leerstehen und die zuständige Bezirksverordnetenversammlung Mitte bereits zweimal die Beschlagnahme der Wohnungen gefordert hatte (»Es gibt kein Recht auf Leerstand«)

In Offenbach (Hessen) wurden in der Nacht zum 20. Dezember wohnungslose Menschen von der Polizei aus einem seit 2019 leerstehenden Gebäude in der Waldstraße geräumt. Die Initiative »Los! Offenbach solidarisch« kritisierte in einer Pressemeldung: »Den unter Zwang geräumten Personen, die dort Schutz vor der Kälte und Rückzug gesucht haben, wurde beides genommen. Sie gehören zu den zahlreichen Wohnungslosen, die während der Ausgangssperre nicht nur in ihrer Notsituation von staatlicher Seite allein gelassen werden, sondern zudem auch unter den Maßnahmen besonders leiden.«

Trotz ständiger Appelle, zu Hause zu bleiben, werden Menschen in diesem Winter vor die Tür gesetzt, denn anders als im ersten Lockdown gibt es derzeit kein Moratorium für Zwangsräumungen wegen fehlender Mietzahlungen. So wurde der Theatermacher und Mitgründer der Initiative »Recht auf Stadt – Regensburg«, Kurt Raster, im Januar aus seiner Regensburger Wohnung geräumt. in der er über 35 Jahre gelebt hatte. Obwohl die Räumung ­unter Verweis auf eine mögliche Selbstmordgefahr zunächst ausgesetzt worden war, gab der Mieter schließlich seine Wohnungsschlüssel doch ab, da er bei weiterem Widerstand eine Unterbringung in einer Psychiatrie fürchtete. Eine von seiner Initiative gestartete Petition, die ein Moratorium für die Zwangsräumungen forderte, erhielt bis Re­daktionsschluss nur etwa 430 Unterschriften. Es wird zwar viel über wohnungslose Menschen geredet, aber wenig über das System, das sie ­immer wieder aufs Neue produziert. Indes verlautbarte »Haus & Grund Rheinland-Westfalen«, ein Interessenverband von Hauseigentümern, dass die Pan­demie nicht dazu führen dürfe, »dass Vermietern ihre Rechte abgeschnitten werden«. Er berief sich dabei auf ein Urteil des Landgerichts München, wonach Zwangsräumungen in Einzelfällen möglich seien. Peter Nowak

Terminhinweis zum Thema:

Mitten drin draußen–Ohne Obdach in der Stadt 
Broschürenvorstellung und Gespräch: Von gemachter Wohnungslosigkeit und der Würde auf der Straße

Beginn: 24.03.2021 19:00 
Ende: 24.03.2021 21:00 
Ort: Online-Veranstaltung 

Bei Schnee und klirrender Winterkälte werden wohnungs- und obdachlose Menschen von der Bevölkerung stärker wahrgenommen. Das zeigen z.B. die kritischen Reaktionen auf die Räumung eines Obdachlosencamps Anfang Februar an der Rummelsburger Bucht in Berlin. Während Politiker*innen des Berliner Senats erklärten, es ginge darum, die Menschen vor den kalten Wintertemperaturen zu schützen, entgegnen Kritiker*innen: „Zwangsräumung ist kein Kälteschutz!“.

Neben der Vorstellung der neuen Broschüre wird Matthias Coers mit seinen Gästen online darüber diskutieren, wie Wohnungslosigkeit entsteht und wie der gesellschaftliche Umgang damit ist, bzw. sein sollte. 

Der Theatermacher Kurt Raster aus Regensburg, wird berichten, wie er im Januar 2021 mitten im Corona-Winter nach über 30 Jahren aus seiner Wohnung zwangsgeräumt wurde und jetzt wohnungslos ist. Er wird darlegen, wie er sich vergeblich gegen die Räumung wehrte und wie schwer es ist, damit gesellschaftlich durchzudringen. 

Der Fotograph und Regisseur Matthias Coers hat auf Grundlage seiner Ausstellung „MITTEN DRIN DRAUSSEN – Ohne Obdach in der Stadt“ zum Jahreswechsel eine Dokumentationsbroschüre erstellt. Er wird die bebilderte Dokumentation vorstellen und begründen, warum das Ringen um Würde auf der Straße auch heißen kann, dass Wohnungslose das Leben draußen, z.B. einem selbstorganisierten Camp einer Zwangsunterbringung in einer beheizten Unterkunft vorziehen.

Nicole Lindner vom Bündnis „Gemeinsam gegen Obdachlosigkeit“ hat in diesem Jahr mehrere Mahnwachen vor dem Roten Rathaus in Berlin angemeldet. Sie wird über die Ansätze von politischem Widerstand und Solidarität unter Obdachlosen berichten, aber auch von den Schwierigkeiten und Problemen, die dabei entstehen.  

Nicole Lindner, Aktivistin in mieten-, stadt- und sozialpolitischen Bündnissen. Seit 2017 aktives Mitglied in der MIETERPARTEI und immer mit dem Motto #WeilEinZuhauseMehrIst unterwegs.

Kurt Raster ist freischaffender Künstler im Theaterbereich. 2015 hat er in Regensburg eine Recht auf Stadt-Gruppe gegründet.

Moderation: Matthias Coers lebt und arbeitet als Filmemacher und Soziologe in Berlin. Als freiberuflicher Journalist und Kameramann produziert er Fotos, Texte, Videos und Ausstellungen. www.zweischritte.berlin

Der Workshop findet per Zoom statt. Für die Teilnahme benötigen Sie einen Computer, eine stabile Internetverbindung, eine Kamera und, wenn Sie möchten, ein Headset. Die Zugangsdaten werden rechtzeitig vor Workshopbeginn bekannt gegeben.

Weitere Infos:

https://programm.bildungswerk-boell.de/index.php?kathaupt=11&knr=21-0301&kursname=Mitten+drin+draussenOhne+Obdach+in+der+Stadt&katid=0#inhalt