Parteitag beseitigt letzte Hürden für Schwarz-Grün. Doch mit der neuen Klimabewegung droht eine frostige Beziehung

Grüne setzen auf gutes Klima – mit Union und FDP

or die Wahl gestellt, den wachstumsbasierten Kapitalismus in Frage zu stellen, um weltweit ein Klima zu schaffen, das für alle Menschen lebenswert ist, oder doch so weiterzumachen wie bisher und im globalen Norden Dämme gegen die Folgen der Klimakrise zu errichten, entscheidet sich ein ökologisch orientierter Mittelstand für Letzteres. So ist es zu verstehen, wenn Peter Unfried Gründe dafür anführt, dass Menschen nicht ohne Zwang ihre Lebensweise ändern. Das könnte bei manchen Klimaaktivisten die Frage aufwerfen, warum dann nicht eben Zwangsmittel anzuwenden sind, die verhindern, dass der klimazerstörende Lebensstil fortgesetzt wird.

Der Parteitag der Grünen hat nun wirklich keine Überraschungen geboten: Er war eine Vorbereitung auf eine schwarz-grüne Bundesregierung, wie sie von einem großen Teil der Medien und auch relevanten Kapitalfraktionen geradezu herbeigesehnt wird. Wenn nun das Nachrichtenmagazin Der Spiegel titelt: „Grüne wollen an die Macht – dieses Mal wirklich“, will es vergessen machen, dass die Partei schon nach den letzten Wahlen „wirklich an die Macht“ wollte. Daher war damals die Enttäuschung auch groß, dass die …

…. Beteiligung an der Regierung nicht an irgendwelchen Linken in den eigenen Reihen, sondern am Nein von FDP-Chef Christian Lindner scheiterte, der sich einem Dreierbündnis verweigerte. Er und ein großer Teil der FDP konnten nicht vergessen, dass die Grünen – inzwischen Konkurrenz im liberalen Lager – in ihrer Frühphase gesellschafts- und kapitalismuskritische Töne angeschlagen hatten. Dafür stand etwa Jürgen Trittin, der in Göttingen Kontakt zur radikalen Linken unterhielt und sich dafür nie entschuldigt hat.

Abschied von der Generation Trittin

Nun hat Trittin über viele Jahre bewiesen, dass auch er längst im Reformerlager gelandet ist. Doch nicht nur für Lindner und Co. von der FDP ist er immer noch ein rotes Tuch. Auch in der eigenen Partei gibt es immer mehr Stimmen, die die Generation Trittin endlich in Rente schicken wollten. Da war es dann schon symptomatisch, wenn über Trittins Online-Auftritt auf dem Parteitag hämisch getitelt wurde: „Trittin rastet aus“. Dabei hatte er – wie manche andere – lediglich Probleme mit der Technik und wurde daher laut.

Doch was bei einem Robert Habeck oder einer Annalena Baerbock als erfrischend emotional gelobt worden wäre, wurde Trittin als Ausraster eines Mannes übelgenommen, der eigentlich schon in Rente hätte gehen sollen. Daher wurde auch in mehreren Artikeln penetrant vermeldet, dass Trittin bereits 66 Jahre alt ist. Einen Winfried Kretschmann hätte man sicher gegen diese Form von Altersdiskriminierung in Schutz genommen.

Kretschmann ist sogar noch ein paar Jahre älter als Trittin und gehörte auch in seiner Jugend kurz einer maoistischen Gruppe an. Doch davon hat er sich längst derart glaubwürdig distanziert, dass ihm dieses Intermezzo selbst von einem Friedrich Merz oder einem Christian Lindner nicht übelgenommen wird. Und die Grünen würden sich auch von einem CDU-Vorsitzenden und möglichen Kanzlerkandidaten Merz nicht vom Koalitionskurs abbringen lassen.

Auf die FDP würden sie offenbar gerne verzichten. Doch wenn es die Mehrheitsverhältnisse nicht hergeben, soll zumindest dafür gesorgt werden, dass die FDP-Führungsriege nicht wieder die Lust am Mitregieren verliert. Genau das zu gewährleisten, war der Zweck des Parteitags.

Inhaltlich gab es schon lange keine unüberwindlichen Hürden mehr, da hatten die letzten Parteitage bereits Vorarbeit geleistet. Dieses Mal hatte man schon personell dafür gesorgt, dass niemand mehr am festen Kurs auf Schwarz-Grün zweifelt. Daher konnte auch der Spiegel über die Choreographie des Grünen-Parteitags Sätze schreiben, die man noch vor einem Jahrzehnt nur in kleinen linken Medien gelesen hätte:

„Das Wohnzimmer ist, wie die Partei wirkt: Ein bisschen spießig, die Bürgerlichkeit zelebrierend, Erinnerungen an die rebellische Jugend haben sie an die Wand genagelt, daneben die Andenken an die Ankunft in der Bourgeoisie, das sind die Bilder der Wahlerfolge in Bayern 2018 und bei der Europawahl 2019, als die Grünen das erste Mal bei einer bundesweiten Wahl über 20 Prozent der Stimmen erreichten.“

Valerie Höhne, Der Spiegel

Allerdings hat man auch die eigene Geschichte schon retuschiert. Ein Rudi Dutschke, der in den letzten Monaten seines Lebens Parteimitglied der Grünen wurde, ist heute als früher Vorkämpfer für die Wiedervereinigung Deutschlands politisch wieder reintegriert worden. Linke wie Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth, die die Grünen tatsächlich für ein Jahrzehnt wesentlich geprägt haben, wird man an der Traditionswand nicht finden. Mit ihnen ist schließlich kein Staat zu machen, keine Koalitionsregierung zu führen.

Anschlussfähig für wen?

Noch Ende der 1980er Jahre wurde die damalige Linksgrüne Jutta Ditfurth massiv angefeindet, als sie auf Parteitagen davor warnte, dass die Grünen zur Öko-FDP werden könnten. Heute würde das in großen Teilen der Partei als erfolgreiches Beispiel einer „anschlussfähigen Politik“ empfunden. Nun muss man natürlich fragen, für wen die Grünen anschlussfähig sein sollten. Der Parlaments-Korrespondent der „tageszeitung“ (taz), Ulrich Schulte, gibt die Antwort.

„Baerbock und Habeck achten sorgfältig darauf, die Grünen attraktiv zu halten für das, was man gemeinhin die bürgerliche Mitte nennt. Nicht umsonst schreiben sie einen feierlichen Satzschnipsel aus der Verfassung über das grüne Grundsatzprogramm, nicht umsonst klingt Robert Habeck selbst in einer Parteitagsrede wie Frank-Walter Steinmeier persönlich.“

Ulrich Schulte, taz

Das ist die logische Konsequenz der Politik der Grünen in den letzten Jahrzehnten. Doch je anschlussfähiger man in der sogenannten Mitte wird, desto schwieriger wird das Verhältnis zu sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind. In erster Linie wäre da die neue Klimabewegung zu nennen.

Kurz nach deren Etablierung war bei den Grünen die Begeisterung groß. Man lobte ihren Pragmatismus sowie ihr unideologisches Herangehen und sah in Bewegungen wie Fridays for Future ein natürliches Wählerreservoir für die Grünen. Die Ergebnisse der Wahlen in den letzten zwei Jahren schienen dieses für die Grünen optimistische Szenario zu bestätigen.

Doch spätestens seit eine schwarz-grüne Landesregierung in Hessen den Dannenröder Forst für den Bau einer Autobahn roden lässt, sind die Konflikte zwischen Grünen und Klimabewegung gewachsen (Nie wieder Grüne).

Dabei hat sich die neue Klimabewegung nicht in dem Sinne radikalisiert, dass sie jetzt Kapital und Staat generell in Frage stellt. Doch sie meint es ernst, wenn sie für das 1,5 Grad Ziel des Paris-Abkommens eintritt. Schon erklären jetzt grünennahe Wissenschaftler, darauf solle man sich nicht fixieren.

Indem realpolitische klimapolitische Ziele vom Tisch gewischt werden, bevor es überhaupt zu Verhandlungen mit Union, Wirtschaftsverbänden und womöglich der FDP kommt, wollen die Grünen signalisieren, dass die Automobilproduktion durch sie nicht beeinträchtigt wird.

Der einzige Grünen-Ministerpräsident hat es schließlich in Baden-Württemberg vorgemacht, als er die Abwrackprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren für vertretbar hielt und damit klarmachte: Im Kapitalismus gehen Wirtschaftsinteressen vor Klimaschutz.

Team „Macht und Geld“

Diese Erfahrung machen gerade manche jungen Klimaaktivisten und das bringt sie in Widerspruch zu einer Grünen-Partei, die Anschluss an das Kapital sucht. Noch wird bei den Grünen auf Dialog mit der renitenten Jugend gesetzt.

Da wird in die Zeit erinnert, als die Partei auch mal Bäume verteidigt und AKWs bekämpft hat. Doch der Ton wird schärfer. Peter Unfried, taz-Kommentator und langjähriger Vordenker der grün-schwarzen Regierungskonstellation, belegte das mit seiner letzten Kolumne:

„Es gibt Gründe, warum wir unser Leben nicht ohne Zwang ändern. Weil wir es nicht können. Weil der Alltag stärker ist, näher ist, bequemer ist. Und es gibt Gründe, warum wir die Welt nicht retten: weil das ein maßloses Geschwätz ist, das zeigt, dass wir es nicht ernst meinen mit Veränderung.

Peter Unfried, taz

Da macht Unfried, ganz Vertreter des saturierten grünen Bürgertums, der Klimajugend, die oft aus eben dieser Schicht kommt, schon mal klar, dass gar nicht daran gedacht werden soll, einen Lebensstil zu ändern, nur weil angeblich das Überleben der Gattung Mensch gefährdet ist.

Unfried und Co. wissen, dass der Begriff „Gattung Mensch“ irreführend ist. Es gibt auch in der Klimakrise Menschen, die bessere Chancen zum Überleben haben, während viele Menschen im globalen Süden unter einer Lebensweise leiden, die sich auch hier nur eine kleine Schicht leisten kann.

Doch Solidarität mit diesen Menschen, das ist maßloses Geschwätz, da ist sich ein Unfried mit vielen seiner Klasse einig. Doch er macht auch schon die linken Gegner aus, die sich damit nicht abfinden wollen. Dazu gehört für ihn die Antirassistin und Klimaaktivistin Carola Rackete:

„Mir tun meine armen Boomer-Ohren weh, wenn ich die Klimaaktivistin Carola Rackete von einem hessischen Baum herunter populistische Parolen halten höre, in denen der ‚Widerstand‘ zur höchsten Tugend erklärt wird und sie die Leute aufteilt in die ‚Vernünftigsten von allen‘, die die ‚Systeme zum Anhalten‘ bringen – und die ‚Irrationalen‘, also die bösen Eliten und die blöden anderen.

Peter Unfried, taz

Da kündigen sich schon die Konflikte zwischen der Klimabewegung und einer Grünen-Partei in Regierungsverantwortung an, gegen die die aktuellen Streitereien nur laue Lüftchen sind. Mit den Klimalisten droht den Grünen sogar eine parlamentarische Konkurrenz auf ihrem eigenen pragmatischen Terrain. Die Radikalität der Klimalisten bezieht sich auf deren unbedingten Glauben, ihre Vorstellungen lassen sich durchsetzen, ohne etwas an Staat und Kapitalismus zu verändern.

Ihnen gegenüber können Unfried und Co. mit Recht darauf verweisen, dass es sich hier um Illusionen handelt. Vor die Wahl gestellt, den wachstumsbasierten Kapitalismus in Frage zu stellen, um weltweit ein Klima zu schaffen, das für alle Menschen lebenswert ist, oder doch so weiterzumachen wie bisher und im globalen Norden Dämme gegen die Folgen der Klimakrise zu errichten, entscheidet sich ein ökologisch orientierter Mittelstand für Letzteres.

So ist es zu verstehen, wenn Peter Unfried Gründe dafür anführt, dass Menschen nicht ohne Zwang ihre Lebensweise ändern. Das könnte bei manchen Klimaaktivisten die Frage aufwerfen, warum dann nicht eben Zwangsmittel anzuwenden sind, die verhindern, dass der klimazerstörende Lebensstil fortgesetzt wird.

Diskussionen über Ökoleninismus

Das können Blockaden von Automessen sein wie sie die Initiative „Sand im Getriebe“praktizierte; das können Aktionen an Flughäfen sein, um Flüge zu minimieren. Da gibt es eine ganze Palette von Aktionsmöglichkeiten. Es gibt aber auch schon Diskussionen in der Klimabewegung, wie weit man sich mit radikalen staatlichen Maßnahmen anfreunden soll, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Ein Vertreter dieser ökoleninistischen Strömung ist der schwedische Humanökologe Andreas Malm.

In einem Interview mit der Zeitschrift Jacobin begründet Malm seinen Ansatz:

„Denn nach Jahrzehnten der Verzögerung und Verweigerung sind die einzigen Handlungsoptionen, die uns noch bleiben, sehr radikal. Hätten wir in den 1990er Jahren begonnen, die Klimakrise wirksam anzugehen, dann hätten wir sie schrittweise abwenden können. Aber weil seit der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention alle Versprechen gebrochen wurden, wird dies immer weniger gangbar. Die Zeitlichkeit sozialdemokratischer Politik verliert damit ihre Voraussetzung – was aber nicht heißen soll, dass sozialdemokratische Parteien keine Rolle zu spielen haben. Unsere beste Chance könnte ein Projekt wie der Green New Deal sein, denn dieser sieht eine radikale Umgestaltung unserer Volkswirtschaften in begrenzter Zeit vor. Somit weist der Green New Deal in einigen Aspekten über den klassischen sozialdemokratischen Rahmen hinaus, auch wenn er eindeutig auf diesem aufbaut.

Andreas Malm, Jacobin

Seine auf den ersten Blick verwunderliche Verbindung zwischen Leninismus und Ökologiebewegung begründet Malm mit historischen Reminiszenzen:

„Dieses Konzept fußt auf einem bestimmten Verständnis der Jahre vor der Oktoberrevolution. Für Lenin war der Erste Weltkrieg die ultimative Katastrophe, die bewies, wie zerstörerisch der Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase geworden war. Lenin zufolge musste in diesem Moment die Krise des Krieges in eine Krise der Triebkräfte des Krieges umgewandelt werden – und damit war offensichtlich der imperialistische Kapitalismus gemeint. Wenn wir diesen Gedanken in unsere Gegenwart übersetzen, dann sollte unser strategisches Ansinnen sein, die ökologische Krise in eine Krise für ihre Verursacher, also das fossile Kapital, zu wenden. Das ist der Grundgedanke des Öko-Leninismus. Ein weiteres Kennzeichen der Politik Lenins ist das Bewusstsein dafür, dass Verzögerungen äußerst gefährlich sein können. Das erkannte er einmal 1917, als er für die Revolution plädierte und noch einmal Anfang 1918, als er sich mit der Entscheidung konfrontiert sah, mit Deutschland und den Mittelmächten Frieden zu schließen. Die Auffassung, schnell handeln zu müssen, um eine Katastrophe einzudämmen, war zentral für Lenins Politik und das gilt genauso für uns heute.

Andreas Malm

Mag man seinem Konzept auch voluntaristische Momente nicht absprechen, so wurden hier doch Fragen angesprochen, die relevanter werden, wenn die Grünen Teil der Bundesregierung sein sollten.

Neben einer pragmatischen Klimabewegung, die auf dem gleichen Terrain wie die Grünen kämpft, könnte dann eine radikale Strömung entstehen.

Sie würde auf die Ansage antworten müssen, dass die Privilegierten im Globalen Norden ihre imperiale Lebensweise ohne Zwang nicht ändern werden: Dann braucht es eben gesellschaftliche Zwangsmittel im Interesse der großen Mehrheit der Weltbevölkerung.

Die Unfried-Kolumne zeigt, dass die Brisanz dieses Konflikts im Lager der Schwarz-Grünen durchaus erkannt wird. Peter Nowak

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