Nach dem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Interesse der Kapitalseite fragen sich alle, ob der Berliner Mietendeckel gerichtlich Bestand hat. Kommentar

Klassenkampf um den Mietendeckel

Wenn aber in der gesamten Diskussion fast völlig ausgeblendet wird, dass das Urteil auch Teil des in Paragraphen gegossenen Klassenkampfs von oben und ein Angriff auf die Rechte von Mietern ist, trägt man zur gesellschaftlichen Demobilisierung ebenso bei wie durch die Beteuerungen unterschiedlicher Politiker des Berliner Senats, dass ihr Mietendeckel ganz gewiss vor Gericht Bestand haben wird.

„Wer kämpft, kann gewinnen“, titelte die Berliner Linke im Januar 2020, als der Mietendeckel in dem Bundesland Gesetz wurde. Dabei kam die Idee gar nicht von der Linkspartei, sondern vom ….

 …. sozialdemokratischen Juristen Peter Weber, der auf der Suche nach einer reformorientierten Mietenpolitik ohne Enteignungen war. Er schrieb in einer Juristenzeitung einen Artikel, in dem er argumentierte, dass die Bundesländer durchaus einen eigenen Gestaltungspielraum in der Mietenpolitik haben und nicht immer auf die Bundesregierung verweisen müssen. Ein Artikel in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland war dann der Beginn einer Debatte, der in der Verabschiedung des Berliner Mietendeckels mündete, der trotz viel Kritik einen Vorteil hat.

Es handelt sich nach langen Jahren wieder einmal um eine Reform, die nicht zum Ziel hat, dass die Lohnabhängigen den Gürtel enger schnallen müssen. Es ist vielmehr eine Reform, die deren Leben an einigen Punkten verbessert, weil Mieten nach dem Gesetz eingefroren und sogar gesenkt werden müssen. Dabei gibt es genügend Ausnahmen. 

Aber die Zielrichtung ist klar und man muss kein Reformist sein, um einerseits die Begrenztheit der Maßnahme zu kritisieren und die Reform andererseits gegen die Angriffe der Immobilienwirtschaft und der in ihren Interessen handelnden ideologischen Staatsapparate zu verteidigen.

Klassenkampf von oben

Die Kapitalseite, die es seit Jahren gewohnt ist, dass Reformen nur in ihrem Interesse durchgesetzt werden, hat schon vor Verabschiedung des Mietendeckels einen Klassenkampf von oben inszeniert. Sie sah in Berlin durch den Mietendeckel einen neuen Sozialismus auferstehen. Doch es blieb nicht bei lautem Lamento.

Einige Richter weigerten sich, den Mietendeckel anzuerkennen, weil er ihrer Meinung nach sowieso grundrechtswidrig sei. Denn eine Reform, die nicht die einkommensarmen Menschen belastet, sondern einen kleinen Teil der Profite der Immobilienwirtschaft abschöpft, kann für diese Richter nicht rechtens sein.

Teile der Immobilienwirtschaft zeigten mit der Erstellung von sogenannten Schattenmietverträgen, dass sie bereit sind, Gesetze zu ignorieren, wenn sie nicht ihren Interessen entsprechen. Diese Schattenmietverträge enthalten eine Miete, die zu entrichten wäre, wenn es den Mietendeckel nicht gäbe. Sie wird vorerst daher nicht verlangt. Sollte aber die Justiz den Mietendeckel für grundrechtswidrig erklären, könnten die Vermieter dann Anspruch auf die entgangene Miete noch nachträglich einfordern.

Das ist natürlich juristisch äußerst fragwürdig. Denn der Mietendeckel ist schließlich gültig, solange er nicht juristisch außer Kraft gesetzt wird und in dieser Zeit müsste auch die Miete sich nach diesem Mietendeckel richten. Die Schattenmietverträge schaffen natürlich auch Verunsicherung bei den Mietern und das ist auch der Zweck der Übung. Manche Mieter, die froh sind in Berlin überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben, akzeptieren dann die Forderungen der Vermieter notgedrungen.

Hier zeigt sich die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Systems, die allerdings selten öffentlich diskutiert wird. Es handelt sich eben bei Vermieter und Mieter nicht um Vertragspartner, die von der gleichen Position aus verhandeln. Die eine Seite ist dringend auf eine Wohnung angewiesen, die andere Seite kann daher die Bedingungen diktieren und schreit sofort, es sei Sozialismus, wenn das etwas erschwert wird.

Noch hat die Justiz nicht über den Berliner Mietendeckel entschieden, trotzdem sieht sich die Kapitalseite seit letzter Woche in Aufwind, weil der Bayerische Verfassungsgerichtshof ein von der Initiative Mietenstopp geplantes Volksbegehren für grundgesetzwidrig erklärte.

Der zentrale Satz der Entscheidung lautete:

Der dem Volksbegehren zugrundeliegende Gesetzentwurf ist mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Bereits vorhandene bundesgesetzliche Normen versperren die Möglichkeit landesgesetzlicher Regelungen.

Aus dem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshof

Keine Signalwirkung für Berlin?

Obwohl die Richter in Bayern die Länderkompetenzen beim Mietrecht bestreiten, die Peter Weber, der Erfinder des Mietendeckels entdeckt haben will, üben sich die Politiker des Berliner Senats in Zweckoptimismus. Sie betonen richtigerweise, dass die Entscheidung aus München nicht das Aus für den Berliner Mietendeckel bedeutet.

Die Kapitalparteien CDU, FDP und AfD sehen das natürlich anders und verstärken ihrer Angriffe auf den Mietendeckel. Die Verteidiger stützen sich auf den dritten Punkt des bayerischen Urteils. Dort heißt es:

Auf die gemäß Art. 70 GG gegebene Zuständigkeit der Länder für Bereiche des Wohnungswesens kann der Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht gestützt werden, weil es an einem öffentlich-rechtlichen Gesamtkonzept fehlt. Die Mietpreisregelungen des Entwurfs stellen im Ergebnis nichts Anderes dar als eine Verschärfung der geltenden Bestimmungen zur Mietpreisbremse und zur Kappungsgrenze.

Aus dem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshof

Politiker der Linken und der Grünen wollen nun nachweisen, dass der von ihnen getragene Senat, anders als die Münchner Volksbegehrensinitiative, an einem solchen Gesamtkonzept arbeite. Die Juristin und Linkenpolitikerin Halina Wawzynikak hat auf ihren Blog einige Überlegungen über die Zukunft des Mietendeckels aufgeschrieben.

Dabei bezieht sie auch die beiden Sondervoten. Sie argumentiert, dass der Berliner Mietendeckel wegen seiner Einbindung in ein mietenpolitisches Gesamtkonzept sogar nach den Kriterien des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bestand haben könnte. In einigen Monaten wird sich zeigen, ob sie Recht behält.

Warum keine Mobilisierung für den Mietendeckel?

Diese detaillierten juristischen Betrachtungen haben sicher ihren Sinn, wenn man überlegt, wie man mit dem Urteil umgehen will. 

Wenn aber in der gesamten Diskussion fast völlig ausgeblendet wird, dass das Urteil auch Teil des in Paragraphen gegossenen Klassenkampfs von oben und ein Angriff auf die Rechte von Mietern ist, trägt man zur gesellschaftlichen Demobilisierung ebenso bei wie durch die Beteuerungen unterschiedlicher Politiker des Berliner Senats, dass ihr Mietendeckel ganz gewiss vor Gericht Bestand haben wird.

Was jetzt nottäte, wäre eine gesellschaftliche Mobilisierung der Berliner Bevölkerung, die vom Mietendeckel profitiert. Sie müsste für deren Erhalt kämpfen und gegenüber allen Staatsapparaten, die den Mietendeckel aufheben wollen, ihren Widerstand erklären. Dann hätte die Auseinandersetzung eine gesellschaftliche Dimension und hätte das Potential, sich auszuweiten.

Nichts ist fataler, als auf die juristischen Entscheidungen zu starren, als wären sie ein göttliches Schicksal. Nein, die Justiz ist ein Teil der repressiven Staatsapparate und ihre Entscheidungen sind in der Regel kapitalfreundlich. Die Justiz steht nicht außerhalb von Kritik, sondern muss als Teil der ideologischen Staatsapparate immer wieder Gegenstand von Protest sein.

In Berlin ist die Chance günstig, damit Massen zu mobilisieren, gibt es doch dort seit vielen Jahren eine aktive Mieterbewegung, die der Regisseur Matthias Coers bereits 2014 mit dem Film „Mietrebellen“ bundesweit bekannt gemacht hat. Bereits im Herbst 2019 gingen unter der Parole „Wenn schon deckeln, dann richtig“ Menschen für einen Mietendeckel, der diesen Namen verdient auf die Straße.

Unter dem Motto „Hände weg vom Mietendeckel“ würden sicher noch viel mehr Menschen kommen. Eine solche Mobilisierung ist allerdings nur von sozialen Initiativen von unten durchsetzbar. Peter Nowak