Die Wahlschlappe bei der EU und die Verluste der Linkspartei vor allem in Ostdeutschland sorgen in der Partei für Diskussionen

Welche Arbeiter wenden sich von den Linken ab?

In ganz Europa und auch darüber hinaus ist zu beobachten, dass mit dem Verschwinden der fordistischen Klassenformationen - die darauf basierten, dass eine mehr oder weniger weitgehend in den Staat integrierte Arbeiterklasse von Gewerkschaften vertreten und in unterschiedlichen Formationen der Sozialdemokratie repräsentiert wurde - auch das eben genannte Arrangement brüchig geworden ist.

Verdächtig ruhig war es in der Linkspartei nach dem schlechten Abschneiden der Partei bei der Europawahl. Vielleicht war die Stille auch der Einsicht geschuldet, dass ein interner Streit über die Ursachen des schlechten Wahlergebnisses die Krise nur verschärften würde.Schließlich ist ja schon lange bekannt, dass die Linke….

…..es schwer hat, sich als Oppositionskraft zu präsentieren, auch wenn sie wie bei der Europawahl auf ihren Plakaten Initiativen der außerparlamentarischen Bewegung wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ aufgreift.

Nur Dieter Dehm, das Enfant terrible der Linksparteifraktion, hat natürlich sofort losgeplärrt und verglich gleich seine eigenen Parteifreunde, die wohl für ihn eher Parteifeinde sind, mit den Nazis im Führerbunker und bedient natürlich auch seine bekannten Aversionen gegen Antinationale.

Die „Staaten-und-Grenzen-weg!-Linke“ hat im ganzen EU-Imperium ihre Katastrophe gehabt. Ängste um den Sozialstaat wurden so wenig angesprochen, wie Irankrieg und NATO-Aufmarsch gegen Russland. Allerdings präsentierten sich die Parteiirreführer auf den gestrigen Pressekonferenzen wieder so einfallsreich, wie in der ganzen Wahlkampagne nicht. (Regisseur Hirschbiegel, der 2004 den „Untergangsbunker“ verfilmte, hätte wohl an mancherlei Durch- und Festhalteparolen seine kulinarische Freude)

Dieter Dehm

Doch zur Enttäuschung von Dehm, der natürlich auf Schlagzeilen in eigener Sache hoffte, hat man dieses Mal seine Provokation einfach ignoriert und damit ins Leere laufen lassen.

Gegen Schönreden des schlechten Wahlergebnisses

Die „Zehn Thesen zum Wahlergebnis der Linken bei der Europawahl“, die von 13 Bundesabgeordneten der Linkssozialdemokraten unterschrieben wurden, wird wohl die Parteispitze nicht ignorieren können. Doch wird zunächst davor gewarnt, dass „historisch schlechteste Wahlergebnis der LINKEN bei Europawahlen“ schönzureden.

„Selbst die PDS erzielte bis auf 1994 noch bessere Ergebnisse, sogar noch 2004, als die PDS im Bundestag gar nicht mehr vertreten war“, schreiben die Unterzeichner der Thesen und wollen damit wohl deutlich machen, dass die Linke Respekt vor der 5 %-Hürde haben sollte. Die Unterzeichner merken dann an, dass die Linke viele Stimmen an Nichtwähler verloren hat und nicht von der hohen Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl profitieren konnte.

Haben die Arbeiter der Linken den Rücken gekehrt?

Ein besonderes Alarmzeichen sehen die Unterzeichner im Wahlverhalten „der Arbeiter“.

Besonders dramatisch ist, dass DIE LINKE besonders bei Arbeiterinnen und Arbeitern (-4 Prozentpunkte), Arbeitslosen (-3 Prozentpunkte) und Gewerkschaftern verloren hat: DIE LINKE schneidet von allen Parteien bei den Arbeitern inzwischen am zweitschlechtesten ab und erreicht bei dieser Gruppe nur noch 6 Prozent. Lediglich die FDP ist mit 4 Prozent noch knapp schlechter. Die AfD ist bei den Arbeitern mit 23 Prozent inzwischen stärkste Partei. Das heißt diejenigen, die wir mit unserem Markenkern „Soziale Gerechtigkeit“ primär ansprechen wollen, erreichen wir immer weniger.“

Aus den zehn Thesen

Die Ursachen scheinen die Verfasser mit der fünften These selber zu geben:

Die Antwort der Linken auf die soziale Frage war nicht deutlich. Auch die Eigentumsfrage wurde nicht gestellt, obwohl beispielsweise in Berlin eine Mehrheit der Bevölkerung für die Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne eintritt und EU-Kommission und EU-Rat stattdessen mit Hilfe einer neoliberalen Mehrheit im Parlament auf EU-Ebene eine Politik betreiben, die die sozialen Rechte gegenüber der in den Verträgen verankerten Kapital- und Warenverkehrsfreiheit zurücksetzt.

Aus den zehn Thesen

Im Weiteren sprechen die Unterzeichner davon, dass die Linke vor einer Richtungsentscheidung stehe.

Lassen wir zu, dass es vor allem Rechtspopulisten und Rechtsextreme sind, die die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger in Wählerstimmen umwandeln können und den Protest kanalisieren? Oder gelingt es uns, die Entfremdung zu ehemaligen Wählerinnen und Wählern und zunehmend auch zwischen Parteiführung und Basis umzukehren und einen linken Pluralismus zu leben?

Aus den zehn Thesen

Zum Schluss wird ein großer „Öffentlicher Ratschlag“ empfohlen, um über diese Thesen und generell über die Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis zu diskutieren. Dagegen gab es schon aus der Parteispitze Einwände, die im Wesentlichen damit zu erklären sind, dass man vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht noch mehr Streit in der Partei gebrauchen kann.

Insgesamt aber wäre es, wünschenswert, wenn die Thesen Ausgangspunkt zu einer Auseinandersetzung über die Strategie der Linkspartei wären und sie vorantreiben könnte. Dann müssten natürlich auch die zehn Thesen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Das fängt schon bei der Frage an, an welche Bevölkerungsgruppe sie denken, wenn sie schreiben, dass der „Anteil der Arbeiter“ zurückgeht.

Wird auf Debatten zum Rückzug der Arbeiterklasse eingegangen?

Die Rückzug von Teilen der alten Arbeiterklasse von sozialdemokratischen Parteien, zu denen auch die kommunistischen Parteiformationen und ihre Erben gehören, ist nun kein nationales Phänomen. In ganz Europa und auch darüber hinaus ist zu beobachten, dass mit dem Verschwinden der fordistischen Klassenformationen – die darauf basierten, dass eine mehr oder weniger weitgehend in den Staat integrierte Arbeiterklasse von Gewerkschaften vertreten und in unterschiedlichen Formationen der Sozialdemokratie repräsentiert wurde – auch das eben genannte Arrangement brüchig geworden ist.

Mit Didier Eriborns Buch „Rückkehr nach Reims“ wurde dieses Phänomen auch in der Kultur ausgiebig diskutiert. Christian Baron hat die Diskussion mit seinen Buch „Pöbel, Proleten, Parasiten“ auch in Deutschland befördert.

Wenn jetzt innerhalb der Linkspartei über die Frage diskutiert werden sollte, warum ein Teil der Arbeiter die Partei nicht mehr wählt, müsste auf diese Diskussionen Bezug genommen werden. Dann müsste auch erkannt werden, dass es sich um ein objektives Problem handelt, das mit den Veränderungen im Kapitalismus zusammenhängt. Es wäre falsch und kurzschlüssig, dafür eben in erster Linie bestimmte innerparteiliche Konfliktlinien aufzumachen.

Schließlich hat ja auch die von Sahra Wagenknecht mitinitiierte „Aufstehen“-Bewegung ebenfalls keine großen Erfolge bei der Organisierung der Arbeiter zu verzeichnen. Vielleicht liegt darin auch ein Grund, warum ihr Name nicht unter dem Brief der kritischen Abgeordneten steht.

Wagenknecht hat dafür eher, und dies durchaus mit Erfolg, Politik im modernen, linksliberalen Bereich absolviert. Unter dem Motto „Mode trifft Politik“ traf sie sich mit dem Modemacher Wolfgang Joop vor einigen Tagen zum Talk im Kino Babylon. Die Veranstaltung war überfüllt und sorgte für kontroverse Pressereaktionen.

Ein solches Politikformat spricht allerdings eher die von den Wagenknecht-Freunden in und außerhalb der Partei hochgehaltenen kosmopolitisch orientierten postmodernen Linken und Linksliberalen an als den klassischen Arbeiter oder Erwerbslosen.

„Die Linke darf nicht in Nostalgie verfallen“

Ob eine solche Veranstaltung dem britischen Journalisten und Unterstützer der Labour-Party unter Corbyn, Paul Mason, gefallen hätte?

Der hat schließlich in der Wochenendausgabe des Neues Deutschland davor gewarnt, dass die Linke in Nostalgie verfällt. Das bezieht sich auch auf ihre Stellung zu den verschiedenen Segmenten der Arbeiterklasse.

Frage: Sollte die Linke nicht viel mehr darüber nachdenken, wie sie jene Menschen zurückbekommen kann, die früher mal links wählten und jetzt bei der AfD ihr Kreuz machen?

Mason: Das sollte sie tun. Sie darf dabei aber nicht in den selben trüben Gewässern fischen wie die Rechtspopulisten. Die gleiche Debatte gab es übrigens auch bei der Labourpartei. Und da habe ich eine eindeutige Position, die ich brutal verteidige.

Frage: Schießen Sie los.

Mason: Die Zukunft gehört den jungen, vernetzten Menschen. Sie sind hochgebildet und führen einen relativ freien Lebensstil in einer globalisierten Welt. Diese Menschen haben die größte Macht, etwas zu bewegen und zu verändern. Und vor allem sind sie auch Arbeiter. Sie sind der afghanische Taxifahrer, der polnische Fahrradkurier genauso wie die junge deutsche Frau, die in einem Start Up arbeitet. Die Linke braucht sie. Sie sollte ihre Werte repräsentieren und sie mobilisieren für den Kampf gegen Erderwärmung, für soziale Gerechtigkeit, für individuelle Menschenrechte und gegen die Rechte.

Frage: Und was ist mit der klassischen Industriearbeiterschaft?

Mason: In jeder Arbeitergemeinde war die Arbeiterbewegung etwas, das einen Trennstrich durch die Gemeinde zog. Wo ich herkomme, gab es immer ein konservatives Arschloch auf der andere Straßenseite. Die Arbeiterbewegung war eine Einladung, auf der richtigen Seite zu stehen. Deswegen sollten wir uns nicht davor fürchten, diesen Trennstrich wieder zu ziehen. Auch wenn, das bedeutet, dass sich manch einer dann für die andere Seite entscheidet. Wirkliche Faschisten muss man einfach nur schlagen. Und autoritäre Konservative muss man stoppen, Faschisten zu werden.

Paul Mason in Neues Deutschland

Diese Statements böten viel Stoff für eine Diskussion über das Verhältnis der Linkspartei im Speziellen und der linken Bewegung insgesamt zur Arbeiterklasse.

Wenn es in der Linkspartei nicht nur um Befindlichkeitsdiskussionen und Streit um Posten geht, sollte sie sich darauf einlassen.