Im Zeichen der Merkelraute


In Serbien protestieren Tausende gegen die neoliberale Politik des Präsidenten

»Welcome Belgrad Wasserstadt« steht auf einem Banner an der Großbaustelle am Belgrader Saveufer. Die Luxusbaustelle hinter dem Belgrader Hauptbahnhof hatte in den letzten Jahren für Proteste vor allem von jungen Leute in der serbischen Hauptstadt gesorgt. Auf einer Fläche von 180 Hektar sollen Luxuswohnungen, Einkaufszentren und Bürogebäude direkt am Fluss Save entstehen. Noch immer leben auf der Großbaustelle Menschen in einfachen Hütten und wollen nicht weichen. Die ersten Hochhäuser dürften in wenigen Monaten bezugsfertig sein. In den letzten Jahren hat die Kampagne »Ne da(vi)mo Beograd« (frei: Belgrad soll nicht untergehen) Proteste gegen das Projekt organisiert. Ihr Symbol war eine Badeente, mit der sie gegen Korruption und intransparente Planung von »Belgrad am Wasser« protestierte. Bei der Großdemonstration am 8. April war das Projekt allerdings kein Thema. »Wir sind nicht politisch, wir sind das Volk«, sagte ein junger Demonstrant und bekam von seinen Freunden Zustimmung. »Wir wollen dem Präsidenten zeigen, was wir von ihm halten. Forderungen haben wir nicht«, sagte ein anderer Demonstrant.

»Happy-AV-Revolution« stand auf einem der wenigen Plakate, die eine Gruppe junger Menschen an der Spitze der Demonstration trug. AV ist das Kürzel für Aleksandar Vučić. Der Wahlsieg des rechtskonservativen serbischen Präsidenten am 2. April hatte Tausende vor allem junger Menschen aufgebracht. Nicht nur in der Hauptstadt Belgrad, sondern auch in Novi Sad, Niš, Kraljevo, Kragujevac, Zaječar und Kruševac sind in den Tagen nach der Wahl Tausende auf die Straßen gegangen. Der 8. April war einer der Höhepunkte der Proteste. Am Nachmittag waren die zentralen Straßen Belgrads voller Menschen. Neben Schülern und Studierenden hatten sich auch ältere Menschen den Protesten angeschlossen. Sogar Tito-Bilder waren vereinzelt zu sehen.

Transparente fand man selten. Manche trugen serbische Flaggen. Buttons, auf denen Vučić mit der Merkel-Raute zu sehen ist, fanden guten Absatz. Das Symbol deutet auf die von Bundeskanzlerin Angela Merkel gelobte deutsch-serbische Zusammenarbeit hin. Kurz vor den serbischen Präsidentschaftswahlen hatte Merkel den 44-jährigen Vučić im Kanzleramt empfangen, hatte dessen Bemühungen um die Privatisierung von Staatsbetrieben und Serbiens Rolle in der Flüchtlingspolitik gewürdigt.

Eine junge Frau, die gleich mehrere Buttons kaufte, fand diese einfach lustig. »Is not Politik, it is fun«, sagte sie und ließ offen, ob sie nur die Buttons oder die gesamte Demonstration meinte. Auf dem langen Weg zum Parlament nach Neo-Beograd hatte sich die Teilnehmerzahl der Manifestation merklich dezimiert. Viele zog es eher in den Supermarkt, als sich am Samstagnachmittag vor einem leeren Parlamentsgebäude die Füße zu vertreten.

Einen möglichen Angriffspunkt der Regierung Vučić hatte die Demonstration komplett ausgespart: Niemand ging auf die Situation ein von über 1500 Geflüchteten – überwiegend aus Afghanistan und Pakistan -, die in einer Halle hinter dem Belgrader Hauptbahnhof unter widrigen Umständen leben müssen. Dies obwohl die Route ganz in der Nähe der mangelhaften Unterkunft vorbeiführte.

Da der Weg in ein EU-Land für sie verschlossen ist und die serbische Regierung sich weigert, ihren Status zu legalisieren, ist ihre Lage ausweglos. Helfer aus Österreich hatten in den letzten Wochen mobile Chemietoiletten und Duschen aufgestellt, um hygienische Mindeststandards zu gewährleisten. Für die meisten serbischen Linken sind die Flüchtlinge kein Thema. Allerdings gibt es auch dort professionelle Nichtregierungsorganisationen, welche sich für Geflüchtete engagieren.

Dafür spielen bei den Demonstrationen gegen Vučić zunehmend soziale Themen eine Rolle. Anfangs waren vor allem Schüler und Studierende auf die Straße gegangen, die über Facebook mit der Parole »Vučić, du Dieb, du hast uns die Wahlen gestohlen« mobilisierten. Nachdem sich die Demonstrationen auf das ganze Land ausgebreitet hatten, beteiligten sich auch zunehmend Gewerkschafter, die Parolen bekamen doch noch eine sozialpolitische Komponente. »Vučić, du Dieb, du hast uns die Rente gestohlen«, war am 8. April an vielen Ecken zu hören. In einigen Städten wie in Kraljevo hatten sich auch Streikende den Demonstrationen angeschlossen.

Über eines immerhin schienen sich die Protestteilnehmenden einig: Parteien und ihre Symbole wollten sie auf ihren Veranstaltungen nicht sehen.

Peter Nowak


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