Hat der Kopftuchislam den Euro-Islam besiegt?

Bassam Tibis Einlassungen zum regressiven Islam

Der Islamologe[1] Bassam Tibi gehörte in der Islamdebatte zu den Stimmen, die auf Differenzierungen bestanden. Die Leserinnen und Leser seines Internetblogs[2] werden mit diesen klugen Sätzen zur Islamdebatte begrüßt:

Mich als ein in Deutschland lebender muslimischer Migrant, der einen Aufklärungsislam vertritt, irritiert der durch die Kombination aus Irrsinn und Unwissenheit gekennzeichnete Islamstreit in der deutschen Öffentlichkeit. Die Bundeskanzlerin und die AfD haben die Gemeinsamkeit, kein Sachwissen über den Islam zu haben. Stattdessen streiten sie ideologisch darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Im Englischen fragt man in Fällen, bei denen die Debattierenden ohne Wissen streiten: „What are we talking about?“. Den Islam gibt es nicht, und so kann es keine nützliche Debatte über einen unterstellten „Eintopf-Islam“ geben.

Warum das Kopftuch-Klischee?

Und nun wird ein Aufsatz, den Tibi im Cicero veröffentlichte[3], mit für den Wissenschaftler ungewohnten Klischees zusammengefasst. So lautet die Titelzeile im islamkritischen Blog Achgut[4]: „Bassam Tibi: „Ich kapituliere. Der Kopftuch-Islam hat den Euro-Islam besiegt“.

Nun kann man den Artikel mittlerweile online vollständig lesen[5] und feststellen, dass die  Tibis Thesen, in der Überschrift tatsächlich treffend zusammengefasst worden sind.

Er beschreibt, wie er sich ein Vierteljahrhundert bemühte, „eine Brücke zwischen den europäischen Gesellschaften und den islamischen Migranten“ zu bauen. „Die Brücke nannte ich Euro-Islam, die einen Reform-Islam voraussetzt.“ Diesen Versuch erklärt Tibi für gescheitert. Dann kommen die plakativen und für einen Mann der differenzierten Sprache ungewöhnlichen Sätze.

Der „Kopftuch-Islam“ ist der Gegensatz zum Euro-Islam, der Kopftuch-Islam ist ein Scharia-Islam, der von Islamisten und orthodoxen salafistischen Muslimen gegen jeden fortschrittlichen Islam vertreten wird. Heute gebe ich mich geschlagen. Den Euro-Islam wird es nicht geben. Ich kapituliere.

Gleich im Anschluss kommt Tibi auf eine Frage zu sprechen, die sich nach diesem Einstieg geradezu aufdrängt. Warum verwendet der Wissenschaftler gerade das  Kopftuch als ein Unterscheidungsmerkmal zwischen einen seiner Ansicht nach fortschrittlichen versus reaktionären Islam? Gibt es nicht viele selbstbewusste Frauen, die ihre Rechte einfordern und Kopftuch tragen? Ein Beispiel ist die Ägypterin Marwa el-Sherbini, die sich in Dresden gegen rassistische Angriffe eines Neonazis juristisch wehrte[6] und dafür im Gerichtssaal erstochen wurde[7].  Müsste die Parole des Euro-Islams daher nicht eher lauten, „jede Frau muss das Recht haben mit oder ohne Kopftuch nach ihrer Fasson zu leben?

Tibi schreibt, dass es nicht in seiner Absicht liege, sich auf eine Debatte über das Kopftuch einzulassen. Nur, warum wählt er dann das Kopftuch als Unterscheidungsmerkmal zwischen zwei Islamversionen? Auffällig ist auch, dass Tibi in seinem Text umstandslos vom Tragen eines Kopftuchs zur Verschleierung wechselt und damit die Unterschiede verwischt. Während die Verschleierung in der Tat die Entpersonifizierung einer Frau bedeutet und Verbote wie in Frankreich daher durchaus sinnvoll sind, sollte das Tragen eines Kopftuchs der Entscheidung jeder einzelnen Person überlassen bleiben. Staatliche Stellen müssten nur eingreifen, wenn Druck ausgeübt wird, ein Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen.

Geht es Tibi vor allem um die Abwehr der Flüchtlinge?

Weiterhin verwundert Tibis Erklärung, wann er seine Vorstellung des Euro-Islams für gescheitert erklärt hat:

Das Jahr 2015 markiert das Ende meiner Hoffnung auf eine Europäisierung des Islam. 2015 sind mehr als anderthalb Millionen Flüchtlinge aus der Welt des Islam, überwiegend meiner Heimat Syrien, nach Europa gekommen, unter denen ich keine einzig europäisch gekleidete Frau gesehen habe. Ich sehe bärtige Islamisten und Frauen in islamistischer Uniform und resigniere.

Hier fällt zunächst auf, dass die Bilder, die Tibi bemüht, nicht mit denen übereinstimmen, die über die vielen Geflüchteten in den Medien verbreitet wurde. Die meisten der jungen Männer aus Syrien und anderen Ländern sahen eher sehr westlich-modern aus und genau darüber regten sich auch viele Flüchtlingsgegner bei Pegida und Co. auf. Nur eine Minderheit der Geflüchteten trugen Bärte und sahen aus, wie man sich einen Islamisten gemeinhin vorstellt.

Zudem sind ja viele dieser Menschen gerade vor islamistischen Tugendterror geflohen, was bei Tibi auch nicht vorkommt. Die Gründe, warum generell weit mehr Männer als Frauen migrieren, sind vielfältig. Sie haben sicher auch etwas  mit patriarchalen Gesellschaften zu tun, in denen die Männer für den Rest der Familie sorgen sollen. In vielen Fällen wollen die Männer später den Rest der Familie, Frauen und Kinder nachholen. Es ist unverständlich, warum Tibi all diese Gründe ausblendet und die Überzahl der Männer unter den Geflüchteten nur mit dem Islamismus in Verbindung bringt.

Gerade bei diesem Abschnitt stellt sich die Frage, ob Tibi nicht mit seiner mit starken Methapern unterlegten „Kapitulationserklärung“ nur noch einmal seine Gegnerschaft zur Aufnahme von Geflüchteten ausdrücken will. Zudem fällt auch bei ihm auf, dass er sich als Opfer einer angeblichen Doktrin geriert, wonach in Deutschland nichts Negatives über den Islam gesagt werden dürfe. Solche untauglichen Versuche mag es tatsächlich in einigen akademischen Blasen noch geben. Doch im Jahr 2016 kann niemand mehr behaupten, Islamkritiker seien in Deutschland eine verfolgte Minderheit.

Regression in der islamischen Welt gibt es tatsächlich

Dabei gibt es in Tibis Text einige schlaue Gedanken, die es wert wären weiter diskutiert zu werden. Dazu gehört die Feststellung, dass es in den letzten Jahren eine Regression in der islamischen Welt gegeben hat. Der Aufstieg des Dschihadismus ist hier ebenso zu nennen wie der islamistische Antisemitismus, den Tibi gar nicht erwähnt. Ich würde diese regressive Strömung als islamistische Version des Faschismus bezeichnen.

Tibi kritisiert auch treffend die deutsche Politik, wenn er schreibt:

Das obrigkeitsstaatliche Denken deutscher Politik erschöpft sich im Glauben, durch Gesetze und staatliche Politik die Muslime zu integrieren. Das kann niemandem gelingen. Integration bedeutet Inklusion in ein Gemeinwesen, nicht Unterbringung, Sprachkurse und Versorgung von Staats wegen, wie der Begriff heute in Deutschland verhunzt wird.

Treffend kritisiert Tibi auch die Kooperation der deutschen Staatsapparate mit islamischen Verbänden, die von sich fälschlich behaupten, alle in Deutschland lebenden Muslime zu vertreten. Oft werden dabei besonders konservative und reaktionäre Organisationen aufgewertet, denen  es um die Bewahrung ihrer Pfründe geht. Liberale Moslems und säkulare Menschen, die sich durch diese Verbände nicht vertreten fühlen, werden damit übergangen. Die deutsche Politik handelt hier aber  nicht naiv, sondern sie sieht in den konservativen Moslemverbänden Garanten der Durchsetzung einer konservativen auf Ruhe und Ordnung zählenden Politik.

So werden diese Moslemverbände als durch die dem deutschen Staatsinteresses nützlichen ideologischen Staatsapparate gefördert. Dazu zählt auch der Verband Ditib[8], der die islamisch-konservative Politik der türkischen Regierung in Deutschland verbreitet. Dagegen hatten viele deutsche Politiker lange Zeit nichts einzuwenden. Denn auch sie teilten Erdogans Ziel, dass die Verbände dafür sorgen sollten, dass die Einwanderer aus der Türkei brave Staatsbürger werden, die sich der Obrigkeit nicht wiedersetzen. Das sollte nach ihren Willen sowohl in Deutschland und in der Türkei gelten.

Erst in den letzten Monaten wird vermehrt von einem Loyalitätskonflikt der türkischen Einwanderer gesprochen, die sich entscheiden sollen, ob sie sich für die deutsche oder türkische Politik interessieren. Dass die türkische Community in Deutschland schon in den 1980er Jahren wesentlich konservativer war als die Menschen in der Türkei, sprach die türkische Künstlerin Gülsün Karamustafa[9] 2003 in dem Film Es Express[10] an (aktuell ist er in einer großen Retrospektive[11] zu sehen).

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49025/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.bassamtibi.de/buecher/buecher_dt

[2]

http://www.bassamtibi.de/start/

[3]

http://www.cicero.de/salon/islamwissenschaftler-bassam-tibi-ich-kapituliere

[4]

http://www.achgut.com/artikel/fundstueck_bassam_tibi_ich_kapituliere._der_kopftuch_islam_hat_den_euro_isl

[5]

http://www.bassamtibi.de/ich-kapituliere-artikel-von-bassam-tibi-im-cicero

[6]

http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Weisse-Rosen-fuer-eine-Frau-die-zu-mutig-war

[7]

http://www.sueddeutsche.de/panorama/dresden-mord-in-gerichtssaal-trauerfeier-fuer-getoetete-aegypterin-1.80812

[8]

http://www.ditib.de

[9]

http://www.milliyet.com.tr/gulsun-karamustafa

[10]

http://pong-berlin.de/de/1/films/es-express

[11]

http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/ausstellungen/detail/guelsuen-karamustafa-chronographia.html