Pegida regiert in Europa schon mit

Was in Deutschland bisher vor allem auf rechtspopulistischen Webseiten oder Pegida-Aufmärschen zur Abschreckung von Geflüchteten diskutiert wird, ist in manchen europäischen Ländern Regierungspolitik

Das Niemandsland kommt nach Europa zurück. Dabei handelt es sich um ein Stück zwischen den Grenzen. Das kann einen anarchistischen Zug bekommen, wie am Norbert-Kubat-Dreieck[1], wo Autonome 1988 einen zeitweilig weder von Ost- noch von Westberlin kontrollierten Zipfel für eine Besetzung nutzten.

Ein Niemandsland kann aber auch zu einem Ort der Ausgrenzung und Abschiebung werden. 1938 schob Nazideutschland Tausende aus Osteuropa nach Deutschland migrierte Jüdinnen und Juden Richtung Polen ab. Weil die polnischen Grenzen versperrt wurden, mussten sie unter erbärmlichen Umständen im Niemandsland zwischen den beiden Ländern ausharren. Unter den so Exterritorialisierten waren auch die Eltern jenes Herschel Grünspan, der als Protest gegen deren unmenschliche Behandlung ein Attentat auf den deutschen Gesandten in Paris, Ernst vom Rath, verübte, was die NS-Führung als Vorwand für die Reichspogromnacht am 9. November 1938 nutzte.

Wer gedacht hat, solche exterritorialen Zonen gehörten zumindest in Europa endgültig der Vergangenheit an, wurde in den letzten Wochen eines Schlechteren belehrt. So mussten in der vergangenen Woche tagelang mehr als tausend Geflüchtete im Niemandsland zwischen Griechenland und Mazedonien ausharren. Die Polizei setzte Blendgranaten und Tränengas ein. Schließlich konnte sie nicht verhindern, dass die Menschen die Absperrungen durchbrachen und die Grenze nach Mazedonien überquerten. Nachdem der Notstand ausgerufen worden ist und die Grenzen auch mit der Hilfe von Soldaten geschlossen werden sollten, hat man die Blockade am Sonntag wieder aufgehoben. Hunderte konnten die Grenze wieder passieren.

Ähnliche Szenen wie in Südosteuropa spielten sich in den letzten Wochen auch rund um den Eurotunnel in Calais, der nun auch offiziell zur Festung[2] ausgebaut wird.

Vor zwei Jahrzehnten wurde in antirassistischen Diskursen der Begriff Festung Europa verwendet. Es war eine Kritik an den Abschottungsmaßnahmen. Doch selbst viele, die den Begriff verwendeten, sahen ihn als Zuspitzung, um eine kritikwürdige Tendenz darzustellen. Heute kann man konstatieren: Es war keine Übertreibung. Überall an den Grenzen ist der Ausbau dieser kerneuropäischen Festung im Gange. Denn der Begriff muss natürlich konkretisiert werden. Die Festung Europa hat verschiedene Gräben und Ringe, die den besonders geschützten Kernbereich von Geflüchteten freihalten sollen.

Festungsideologie triumphiert in vielen europäischen Ländern

In den letzten Wochen wird in britischen Mainstream-Medien und von Regierungsmitgliedern über die Flüchtlingsabwehr so gesprochen, als ginge es darum, in einen Krieg zu ziehen. Tatsächlich wird das Wort Invasion verwandt und von „Migrantenswchwärmen“ gesprochen (Mauern und Abschreckung lösen das Flüchtlingsproblem nicht[3]).

Damit unterscheidet sich die britische konservative Regierung höchstens in Nuancen von den ungarischen Rechtspopulisten von der Fidesz, die nicht nur einen Zaun gegen Migranten errichtet hat, sondern auch die entsprechende Festungsideologie verbreitet (Ungarns Flüchtlingspolitik: Hetze, verschärftes Strafrecht und ein Zaun[4], „Iran wird als Gegengewicht zu Saudi-Arabien benötigt“[5]), die natürlich hierzulande bei Pegida-Aufmärschen gerne zitiert wird. Es ist schließlich genau ihre Ideologie, wenn der ungarische Ministerpräsident erklärt, dass Europa den Europäern gehören soll.

Obwohl niemand genau definieren kann, was ein Europäer ist, sind sich viele einig, dass Moslems nicht dazu gehören. Daher ist es nur konsequent, wenn die slowakische Regierung kundtat[6], keine Moslems als Geflüchtete aufnehmen zu wollen, weil die sich ja in einen Land ohne Moscheen nicht wohlfühlen würden.

Auch andere osteuropäische Länder haben in den letzten Monaten klar gemacht, dass sie, wenn überhaupt lieber christlichen Flüchtlingen Asyl gewähren werden. Dazu gehört die Ankündigung der polnischen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz m Juni 2015, langfristig 150 christliche Familien aus Syrien aufnehmen, aber sonst keine anderen Verpflichtungen übernehmen zu wollen. Tschechiens Präsident Miloš Zeman wollte lieber Flüchtlinge aus der Ukraine als solche aus Afrika und dem Nahen Osten aufnehmen. In Lettland und Estland wird darüber gestritten, ob das Land überhaupt Flüchtlinge aufnehmen soll. Selbst der Vorschlag, maximal 200 Menschen Asyl zu gewähren, führte zu einer rassistischen Hetze in den Medien, bei der offen die „Gefahr für die weiße Rasse“ halluziniert wird.

Skandinavischer Wohlstandsrassismus

Auch in mehreren Ländern Skandinaviens wird ganz klar auf Abschreckung von Geflüchteten gesetzt. So hat sich die dänische Regierung das Ziel gesetzt, deren Zahl zu verringern. Weil die zahlreichen gesetzlichen Verschärfungen der letzten Jahre die Menschen nicht abgehalten haben, soll ihnen in Zeitungsanzeigen gezielt mitgeteilt[7] werden, dass sie nicht willkommen sind

Diese im Wesentlichen von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, die die aktuelle Regierung parlamentarisch unterstützt, diktierte Politik stößt in Dänemark auf Widerstand. Unter dem Motto „Flüchtlinge willkommen“ schalten zivilgesellschaftliche Gruppen Gegenanzeigen[8].

Auch in Tschechien haben sich vor allem Intellektuelle in einer Petition[9] gegen die Politik der Abschreckung und Fremdenfeindlichkeit gewandt. Dort wurde von einem humanistisch-menschenrechtlichen Standpunkt vor Rassismus und Ausgrenzung gewarnt. An die Politiker wurde appelliert, sich ihrer Verantwortung für alle Menschen bewusst zu werden.

Beim gegenwärtigen tschechischen Präsidenten Zeman kam dieser Apell dennoch nicht gut an. Ein Sprecher erklärte[10], damit werde die Kluft zwischen den Eliten und der tschechischen Gesellschaft vergrößert . Hier wird ein weiterer klassischer oft mit Antisemitismus und Intellektuellenfeindlichkeit verknüpfter Topos der Rechtspopulisten bedient, die sich als Vollstrecker einer Mehrheit und als Sprachrohr eines imaginierten Volkes wähnen, während die liberalen Eliten isoliert seien. Solche Töne hört man auch ständig bei den Pegida-Demonstrationen.

Festungsideologie als europäischer Standortnationalismus

Die politische Bandbreite der auf Ausgrenzung und Abschottung zielenden Kräfte reicht von klassischen Rechtspopulisten wie in Ungarn oder Dänemark bis zu nationalistischen Sozialdemokraten wie in Tschechien oder der Slowakei.

Während in Osteuropa vor allem ein Rassismus der in der kapitalistischen EU zu kurz Gekommenen praktiziert wird, ist es in Skandinavien vor allem ein Wohlstandschauvinismus, der verhindern will, dass auch Nichteuropäer von den dort starken sozialen Rechten profitieren können.

Diese Widersprüche finden sich in vielen europäischen Ländern. In Italien hetzte die Lega Nord als wohlstandschauvinistische Partei des Nordens jahrelang gegen die Zuwanderung aus den italienischen Süden. In der letzten Zeit versucht sie sich als eine Art italienischen Front National zu profilieren und hat sich auf die Hetze gegen Migranten konzentriert.

Die Widersprüche zwischen abgehängten Prekären und Wohlstandsrassisten findet man auch bei Pegida. Die Festungsidelogie ist die Klammer, die die sozial widersprüchlichen Gruppen zusammenhält. Selbst der Ärmste verteidigt dann noch seinen Platz in der Festung, auch wenn es nur eine Kasematte ist. So fungiert die Festungsideologie als europäischer Standortnationalismus, also als Kitt, der politisch und sozial völlig differente Gruppen gegen einen imaginierten Gegner zusammenschweißt.

Eine Bewegung, die sich gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten wendet, darf daher nicht bei moralischen Apellen und Erklärungen stehenbleiben. Die Ideologie der Festung Europa als moderne Form des Standortnationalismus muss zum Gegenstand der Kritik werden. Die Forderung nach Rechten für Alle und überall wäre das beste Gegenmittel, denn es ist das direkte Gegenprogramm zu jeder Festungsordnung, wo Rechte individuellen Gruppen zugeteilt und aberkannt werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45781/1.html

Peter Nowak