Streiken in der Weihnachtszeit – eine wachsende Front aus Gewerkschaften und Bündnissen wie Blockupy erhöht den Druck
Wenn Menschen derzeit vor Berliner Shoppingmeilen Flyer verteilen, muss es sich nicht um die neueste Weihnachtswerbung handeln. Es könnte auch ein Flugblatt sein, auf dem die „Freundlichen Verkäuferinnen und Verkäufer“ mitteilen:
„Sorry, wir müssen heute hier streiken. … Unterstützen Sie uns in ihrem Kampf! Bitte kaufen Sie heute nicht in den bestreikten Betrieben ein.“
Keine Tarifverträge mehr. Wer sitzt am längeren Hebel?
Der Arbeitskampf im Einzelhandel hat das Weihnachtsgeschäft zumindest in Berlin-Brandenburg erreicht. Seit über einem Jahr wehren sich die Beschäftigten im Einzelhandel, überwiegend Frauen, gegen die massive Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Die Einzelhandelsunternehmen haben sämtliche Entgelt- und Manteltarifverträge gekündigt.
Ihr Ziel ist die generelle Absenkung von Löhnen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Handelsbranche, wo es für die Beschäftigten besonders schwer ist, sich zu organisieren. Darauf setzt die Unternehmerseite in Berlin. Während die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in mehreren Bundesländern Tarifverträge geschlossen hat, wollte das Berliner Unternehmerlager den Konflikt aussitzen.
Sie hatten wohl erwartet, dass die Gewerkschaft in der Weihnachtszeit eine Ausweitung des Konflikts nicht in Kauf nimmt. Der größte Streitpunkt sind die Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westberlin, die nach den Vorstellungen der Unternehmen weiter bestehen bleiben sollen. Während die Beschäftigten in Westberlin einen Stundenlohn von 8,50 Euro erhalten, bekommen die Ostberliner Angestellten 8,25 Euro.
Blockupy goes Arbeitskampf
„Ob Ost, ob West – gleicher Lohn jetzt“, lautete denn auch eine der Parolen, die am Freitagabend von den Demonstranten vor einer H&M-Filiale in Ostberlin skandiert wurde. Es war eine Solidaritätsaktion des Berliner Blockupy-Bündnisses mit den Streiks im Einzelhandel. Das Bündnis, in dem Gruppen der außerparlamentarischen Linken, gewerkschaftliche Organisationen, aber auch die Studierendengruppe Die Linke.SDS, zusammenarbeiten, bereitete die bundesweiten Krisenproteste Anfang Juni in Frankfurt/Main vor.
Schon damals stand der Kampf im Einzelhandel auf der Agenda des Bündnisses: „Mit unserer Aktion in Berlin knüpfen wir an die Aktion in der Frankfurter Zeil im Mai dieses Jahres an, wenn wir kreativen Widerstand in eine zentrale Berliner Einkaufsmeile tragen und mit einer Blockadeaktion den Geschäftsbetrieb gestört haben“, erklärt Anton Kohanov vom Blockupy-Bündnis gegenüber Telepolis. Mit der Streik-AG will das Bündnis verdeutlichen, dass Krisenproteste nicht nur auf einem Großevent, sondern auch im Alltag unterstützt werden müssen.
Amazon und der den Unterbietungswettbewerb
Doch nicht nur die Beschäftigten im Einzelhandel haben in diesem Jahr das Vorweihnachtsgeschäft, das für sie besonders viel Arbeitshetze und Stress bedeutet, für den Streik genutzt. In Leipzig hat sich ein Solidaritätskomitee mit den Streikenden des Versandhandels Amazon solidarisiert. Die vor allem studentischen Aktivisten betonten in ihrer mit großem Beifall aufgenommenen Rede, dass auch sie unter den prekären Arbeitsbedingungen leiden.
Die Parole „Wir sind alle Amazon“ könnte so einen Zusammenhang verdeutlichen, der dem Großkonzern überhaupt nicht passt. Amazon kann so als Pionier und Vorreiter der Deregulierung von Arbeitsverhältnissen markiert werden. Tatsächlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausbeutung von Versandkonzernen wie Amazon, Zalando und Co. und den schlechten Bedingungen in der Handelsbranche.
Schließlich tritt der Online-Versandhandel hier als direkter Konkurrent auf und heizt den Unterbietungswettbewerb an. Wo Ladenketten schließen, werden Arbeitskräfte freigesetzt, die dann zu schlechten Bedingungen in diesen Onlineketten schuften müssen. Wie schwer die Arbeit ist, hat die britische Journalistin Carole Cadwalladr sehr gut beschrieben.
Stößt der Online-Handel an seine Grenzen?
Sie hat für ihr Buch „Inside Amazon“ eine Woche in einem der Logistikzentren geschuftet. Natürlich müsste sich hier auch die Frage stellen, warum so viele Menschen auf die Verheißungen des Online-Versands reinfallen und damit in Kauf nehmen, dass Läden, die Kunden individuell beraten, wo man die Waren aussuchen und probieren kann, schließen müssen.
Der angebliche Zeitvorteil kann es nicht sein. Schließlich muss man die Wartezeiten berechnen, wenn man die Pakete von irgendwelchen Sammelstellen abholt, sowie die langen Schlangen beim Umtausch. Der hat mittlerweile nicht nur bei Zalando derart überhand genommen, dass Versandhändler jetzt schon damit werben, dass man die Waren in einigen Zentren begutachten, befühlen und anprobieren und danach bestellen kann. So könnte damit der Online-Versandhandel an seine Grenzen stoßen und der klassische Handel doch noch nicht gänzlich am Ende sein.
Der Streik von ver.di für einen Tarifvertrag, der auch in den USA von Kollegen unterstützt wird, könnte dazu beitragen, dass man sich wieder mehr zum Einzelhandel hinwendet. Denn das gesamte Geschäftsmodell der Online-Versandhändler basiert auf Ausbeutung der Arbeitskraft. Daher rührt auch die konsequente Weigerung des Managements, überhaupt Tarifverträge abzuschließen. Wahrscheinlich haben sie auch nicht damit gerechnet, dass verdi das Vorweihnachtsgeschäft als Druckmittel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nutzt.
Hausverbot und Polizei gegen Gewerkschafter
Damit haben die Beschäftigten schon bei der Berliner PIN-AG, auch einer der Pioniere der Deregulierung von Arbeitsverhältnissen, vor einigen Tagen gute Erfahrung gemacht. Die Geschäftsführung der Zustellfirma, die in der Vorweihnachtszeit besonders ausgelastet ist, reagierte mit der Polizei, wenn Gewerkschafter vor der Filiale auftauchten.
Hausverbote gegen gewerkschaftlich organisierte Kollegen und Streikbrecherprämien für die anderen sollten eine abschreckende Wirkung entfalten, erhöhten aber vor allem die Entschlossenheit der Beschäftigten. Nach einigen Streiktagen im Vorweihnachtsgeschäft könnte ein Tarifvertrag abgeschlossen werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155560
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.labournet.de/category/branchen/dienstleistungen/handel/
[2]
https://www.verdi.de/
[3]
http://berlin.blockupy-frankfurt.org/
[4]
http://www.linke-sds.org/
[5]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154358
[6]
https://blockupy-frankfurt.org/2241/blockupy-zeil-auswertung/
[7]
https://www.facebook.com/pages/Streik-Soli-B%C3%BCndnis-Leipzig/597593186963849
[8]
http://www.amazon-verdi.de/
[9]
http://www.amazon.de
[10]
http://www.zalando.de/
[11]
http://www.theguardian.com/profile/carolecadwalladr
[12]
http://www.theguardian.com/technology/2013/dec/01/week-amazon-insider-feature-treatment-employees-work
[13]
http://www.n-tv.de/mediathek/videos/wirtschaft/Streik-bei-Amazon-geht-weiter-article11930311.html
[14]
http://www.pin-ag.de
[15]
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/pin-ag-kaempft-gegen-streik-der-zusteller-polizei-hausverbot-und-praemie/9233278.html
[16]
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/streik-bei-pin-ag-beendet-die-gekaufte-versoehnung/9244558.html
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