Zugenähte Lippen als Protestform

Weniger Suizide, aber unverändert viele Selbstverletzungen: Eine Initiative prangert die Folgen der deutschen Flüchtlingspolitik an.

BERLIN taz | Im vergangenen Jahr sind die Selbstmorde von Flüchtlingen in Deutschland zurückgegangen, doch die Zahl der Selbstverletzungen und Selbsttötungsversuche blieb unverändert hoch. Das ist das Fazit der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die kürzlich von einer kleinen Gruppe der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) veröffentlicht wurde. Sie listet Vorfälle auf, die in der Regel keine Schlagzeilen machen.

„Es sind die zerstörerischen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen, die den Menschen oft keine andere Wahl lassen, als sich selbst zu verletzen“, erklärte Elke Schmidt der taz. Seit fast zwei Jahrzehnten sammelt sie mit MitstreiterInnen Nachrichten über Gewalt gegen Flüchtlinge. „Wir überprüfen alle Informationen und verlassen uns nicht nur auf eine Quelle“, versichert Schmidt. Laut der Dokumentation nutzen Flüchtlinge Selbstverletzungen zunehmend als Protestform.

Aufgeführt sind verschiedene Hunger- und Durststreiks sowie das Zunähen der Lippen – Aktionen, mit denen Flüchtlinge öffentlich gegen ihre Lebensbedingungen protestierten. Zu den zentralen Forderungen der Flüchtlinge gehören die Abschaffung der Residenzpflicht und der Heime. Auslöser der bis heute andauernden Proteste war der Selbstmord des iranischen Asylbewerbers Mohammed Rahsepar im Januar 2012 in einem Würzburger Flüchtlingsheim.
http://www.taz.de/Fluechtlingsalltag-in-der-Kritik/!114709/
Peter Nowak