FDP schafft Armut in Deutschland ab – zumindest auf dem Papier

Die heuchlerische Debatte um den veränderten Armutsbericht geht weiter, die grundsätzlichen Fragen werden kaum gestellt

Ende November gaben sich Oppositionsparteien, Gewerkschaften und soziale Initiativen empört. Auf Druck der FDP war der ursprüngliche Entwurf, der Ende September vom Bundesarbeitsministerium (http://www.bmas.de) vorgelegt worden war, entschärft worden. Jetzt wurde dieser geänderte Bericht veröffentlicht und die Kritiker melden sich erneut zurück. Die FDP habe sich durchgesetzt, heißt es, und die Armut in Deutschland zumindest auf dem Papier abgeschafft.

Tatsächlich sind einige prägnante Aussagen aus der Zusammenfassung in den hinteren Teil des Berichts gewandert. Dazu gehört die Feststellung der Tatsache, dass 4 Millionen Beschäftigte in Deutschland für einen Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro arbeiten oder dass die Privatvermögen in Deutschland ungleich verteilt sind.

Die Bundesarbeitsministerin von der Leyen, deren Mitarbeitern ja in ihren Text hinein redigiert wurde, will von der Debatte nichts mehr hören. Ihre Botschaft aus dem Bericht ist so vage, wie es eben in der Politik üblich ist. „Die vorliegenden Daten belegen eine positive Entwicklung der meisten Lebenslagen in Deutschland. Es gibt aber auch Befunde im 4. Armuts- und Reichtumsbericht, die Handlungsbedarf signalisieren“, heißt die Nullaussage, die auch von einem rotgrün besetzten Arbeitsministerium nicht anders formuliert worden wäre.

Die Heuchelei der Opposition

Daher ist die Kritik der Opposition auch heuchlerisch und berechnend. Im Zentrum ihrer Kritik steht eigentlich nur, dass der Bericht auf dem Weg von der Fassung bis zur Veröffentlichung Veränderungen erfahren hat. Das aber ist eigentlich nichts Besonderes. Die Frage ist vielmehr, wer den Armutsbericht braucht, um über die aktuellen sozialen Realitäten in Deutschland zu erfahren?

Dabei braucht man nur mit wachen Augen durch eine Großstadt gehen, um etwas über Armut in Deutschland zu erfahren. Immer mehr Menschen leben vom Flaschensammeln und Zeitungsverkauf, Bankfilialen sind im Winter von obdachlosen Schlafgästen belegt, wenn sie nicht um Mitternacht abgeschlossen werden. Oder man geht zu einem Jobcenter, wo besonders am Beginn oder Ende eines Monats die Menschen hinkommen, die kein oder zu wenig Geld auf ihren Konto haben und nicht wissen, wie sie etwas zu essen kaufen können.

Um also etwas über die wachsende Armut in Deutschland zu erfahren, braucht man nur einen wachen Blick in den Alltag. Wenn der Armutsbericht überhaupt einen Sinn hat, dann sollte er eine Debatte darüber anregen, warum in einem Land wie Deutschland die Armut wächst. Da wären nicht nur die Bundesregierung im Allgemeinen und die FDP im Besonderen angesprochen. Zumindest SPD und Grüne müssten sich ebenso nach ihrem spezifischen Beitrag zur Armut in Deutschland fragen. Schließlich fällt die Einführung der Agenda 2010, die den Niedriglohnsektor so richtig beflügelte, ebenso in ihre Amtszeit wie der Beginn des Booms im Leiharbeitssektor, während die Steuern für die Reichen und Vermögenden gekappt wurden.

Wenn es also um die Ursachen der wachsenden Armut in Deutschland geht, müsste die Frage gestellt werden, wer die politischen Weichen dafür stellte. Zudem dürfte bei einer Debatte über den Armutsbericht die europäische Dimension nicht vernachlässigt werden. Es ist schließlich genau jenes Politikmodell, das die deutsche Regierung mit Unterstützung der größten Oppositionsparteien, die höchstens Detailkritik äußern, der EU-Zone verordnen hat. Die Folgen in den Ländern der europäischen Peripherie sind bekannt. Damit genau solche Debatten durch die Veröffentlichung des Armutsberichts nicht geführt werden, macht man die unterschiedlichen Fassungen zum großen Skandal.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153871
Peter Nowak