Sold City - Wenn Wohnen zur Ware wird Deutschland2024 - 204 min. Regie: Leslie Franke Drehbuch: Herdolor Lorenz Produktion: Klaus Galimberti Musik: O'Ton-Studio, Hinrich Dageför, Stefan Wulff Kamera: Hermann Lorenz, Stefan Corinth, Jan- Holger Hennies & Axel Schaeffler Schnitt: Herdolor Lorenz, Leslie Franke, Stefan Corinth & Alexander Grasseck

Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wirdDie Mietrebell:innen sind nicht tot

Das Duo Leslie Frank und Herdolor Lorenz ist seit Jahren für sozialkritische Filme bekannt, in denen die Menschen zu Wort kommen, die nicht in die kapitalgerechte Stadt passen. Das ist auch in ihren neuesten Film Sold City so.

Er besteht aus zwei Teilen von jeweils 102 Minuten, die getrennt geschaut werden können. Vor allem der erste Teil eignet sich auch gut zur Mobilisierung von Mieter*innen. Wir sehen bei Demonstrationen oder Protestkundgebungen gegen Zwangsräumungen, wie sich …

… Wut in Widerstand verwandelt. Immer wieder führt der Film zu Orten der Verdrängung und des Widerstands in verschiedenen Städten. Die Torstrasse 225 – 227 in Berlin ist ein solcher Ort der kapitalistischen Landnahme. Dort ist es eine Accentro Real Estade, die das Haus 2017 gekauft hat.

„Für mich ist das etwas bedrohlich“, erklärt Mieterin Doris Koch, die schon in den Jahren 2005/2006 die erste Sanierungswelle des Hauses überstanden hat und 15 Jahre später erneut um ihre Wohnung fürchten muss. Mittlerweile melden sich Kaufinteressant*innen für die Wohnungen sogar aus London. Als freischaffende Künstlerin würde sie in Berlin auf dem freien Wohnungsmarkt keine Wohnung finden. Dieses Wissen teilt Koch mit vielen Mieter*innen in Berlin. Es ist eine Stärke des Films, das Kurzinterviews mit Wissenschaftler*innen wie dem Stadtsoziologen Andrej Holm immer mit Porträts von aktiven Mieter*innen gekoppelt werden. Wir sehen Mieter*innen allen Alters aus den unterschiedlichsten Stadtteilen, die sich nicht verdrängen lassen wollen und mit phantasievollen Aktionen dagegen halten.

Besonders eindringlich ist die Szene, wo Mieter*innen auf einem Hoffest die Hymne von Ton Steine Scherbens „Der Traum ist aus“ intonieren. Denn der Refrain endet mit dem trotzigen Ausspruch, „Wir tun alles, dass er Wirklichkeit wird. Dann wird eine Menschenkette von Mieter*innen aller Generationen eingeblendet, die besonders laut mitsingen.

Der Film zeigt uns den langen Kampf der Mieter*innen und Bewohner*innen der Habersaathstrasse 40-44 gegen ihre Verdrängung aus einem komplett sanierten Häuserblock in Berlin-Mitte. Es ist auch eine Stärke des Films, dass die Akteure der Verdrängung in Bild und Text genannt werden, ohne dass platte Ressentiments über „böse Investoren“ geschürt werden. Denn es wird immer deutlich, dass sie Akteure in einem Spiel namens Kapitalismus sind.

So erfahren wir noch einmal mit Statistiken wie der Soziale Wohnungsbau seit Jahren in Deutschland bewusst heruntergefahren wurde. „Die Umwandlung in Eigentumswohnungen hat sich als eines der stärksten Instrumente der Verdrängung der Mieter*innen etabliert“, erklärt Andrej Holm. In dem Film werden dann die Mieter*innen gezeigt, die davon betroffen sind.

Auf- und Abwertung von Stadtteilen als Klassenkampf von oben

Am Beispiel von Hamburg-Altona und London zeigen die Filmemacher*innen wie die Zerstörung von sozialem Wohnungsbau politisch orchestriert wird von einer Politik im Interesse des Kapitals, die für einkommensarme Menschen nur Verachtung übrig hat. Die Mieter*innen berichten, wie bestimmte Stadtteile, wo sie viele Jahre gelebt haben, in Medien und in der Politik zum Ort der Unsicherheit und des Verbrechens erklärt wurden. Damit wurde eine gesellschaftliche Stimmung dafür geschaffen, dass sich die Überzeugung durchsetzt, dass der Stadtteil aufgewertet werden muss. Das Ergebnis können wir im Film sehen. Sozialwohnungen wurden abgerissen, in den teureren Apartments, die dort entstanden sind, konnte nur ein Bruchteil der früheren Mieter*innen zurückziehen.

Dieser Exkurs in verschiedene Städte zeigt, dass die Zerstörung von Sozialwohnungen eben nicht an der Unfähigkeit bestimmter Politiker*innen liegt. Vielmehr ist es die Logik einer Politik, in der dem Kapital der rote Teppiche ausgerollt wird – auf Kosten der Mehrheit der Menschen. Das wird in dem Film sehr gut an praktischen Beispielen deutlich.

Vor 10 Jahren gab der Film „Mietrebellen“ von Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg den aufmüpfigen Berliner Mieter*innen einen Namen. Sold City zeigt, dass es auch heute in Berlin noch viele Menschen gibt, für die bezahlbare Wohnungen kein Traum sondern ein Menschenrecht ist, für dass sie zu kämpfen bereit sind.

Peter Nowak

Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird

Deutschland

2024 – 

204 min.

Regie: Leslie Franke

Drehbuch: Herdolor Lorenz

Produktion: Klaus Galimberti

Musik: O’Ton-Studio, Hinrich Dageför, Stefan Wulff

Kamera: Hermann Lorenz, Stefan Corinth, Jan- Holger Hennies & Axel Schaeffler

Schnitt: Herdolor Lorenz, Leslie Franke, Stefan Corinth & Alexander Grasseck