Drei Elemente des argentinischen Aufbruchs waren besonders populär. Die Assambleas, dabei handelte es sich um Stadtteilversammlungen, in denen die Menschen selber über ihre Belange entschieden. in weiteres Kennzeichen waren die Piqureteros, eine Erwerbslosenbewegung, die große Straßen in Argentinien blockierte, um für ihre Rechte zu kämpfen. Das dritte Element des argentinischen Aufbruchs waren die besetzten Fabriken, in denen die Arbeiter*innen ohne Bosse die Produktion weiterführten. Die fanden besondere Aufmerksamkeit auch der Linken in Deutschland. Denn in Argentinien schien etwas gelungen, von dem in Deutschland viele Linke träumen. Der Funke der sozialen Revolution hatte auch die Produktionssphäre erreicht. Im Verlag AG Spak erschien 2015 das Buch …
… „Sin Patron – Herrenlos – Arbeiten ohne Chef“. Dort sind verschiedene Texte aus Argentinien dokumentiert, die von Daniel Kulla übersetzt und mit einer politischen Einführung versehen wurden. Dort sprach er auch vom argentinischen Modell, Fabriken zu besetzen, sie gegen Räumungsversuche zu verteidigen und die Produktion unter Kontrolle der Arbeiter*innen weiterzuführen. In der Hochzeit des sozialen Aufbruchs standen in Argentinien über 150 Fabriken unter Arbeiter*innenkontrolle. Die Textilfabrik Brukmann und die Kachelfabrik Zanon wurden international besonders bekannt, weil es dort eine kämpferische Belegschaft gab, die den Kontakt zu soldarischen Gruppen in aller Welt suchten. Die Berliner Filmemacherinnen Susanne Dzeik und Kirsten Wagenschein produzierten 2003 den Film Mate, Ton und Produktion, der damals in vielen linken Zentren gezeigt wurde. Das Zitat des Zanonarbeiters am Beginn des Textes stammt aus diesen Film. Er kann auf labournet.tv gestreamt werden (https://de.labournet.tv/video/5913/mate-ton-und-produktion). Er ist auch nach 20 Jahren noch sehenswert.
In dem Film werden auch die Schwierigkeiten und Probleme angesprochen, in einer kapitalistischen Ökonomie unter Arbeiter*innenkontrollen zu produzieren. Schließlich sind sie gezwungen, Gewinne zu erwirtschaften. Die Beschäftigten berichteten über Versuche der Kapitalisten, sie von allen Rohstoffen für die Kachelproduktion abzuschneiden und so zum Aufgeben zu zwingen Aber es wurden auch Beispiele für eine Solidarität der Unterdrückten und Ausgebeuteten benannt. So nahmen die Beschäftigten Kontakt zu einer indigenen Gemeinde auf, die in der Nähe der Fabrik lebten. Sie liefertenTonerde, dafür beschlossen die Arbeiter*innen die Motive auf den Kacheln zu ändern. Nicht mehr Figuren aus der griechischen Antike sondern aus der indigenen Mythenwelt waren darauf zu sehen. Der soziale Aufbruch in Argentinien vor 23 Jahren sorgte dafür, dass 3 Präsidenten innerhalb kurzer Zeit zurücktreten mussten. „Alle sollen gehen“ lautete der an die Politker*innen gerichtete Parole. Es ist bitter, dass der Rechtspopulist Javier Milei dies Slogan für seine erfolgreiche Wahlkampagne nutzte. Er meinte allerdings damit eine angebliche Kaste korrupter Politiker*innen, besonders die Peronist*innen, die manche Aktivist*innen und Gruppen aus der Protestbewegung kooptiert hatten. Es wäre zu wünschen, dass die Menschen, die damals mit der Parole „Alle sollen gehen“ eine Gesellschaft ohne Bosse und Politiker*innen meinten, sich fragen, wieso sie 23 Jahre später von Rechten gekapert werden konnte. Noch mehr ist zu hoffen, dass viele Menschen wieder auf die Straße gehen, wenn ein Präsident Javier versuchen sollte die von den Arbeiter*innen, Feministinnen und Minderheiten erkämpfen Rechte anzugreifen.
Peter Nowak
Hier kann der im Artikel erwähnte Film Zaon, Mate Ton und Produktion von Kirsten Wagenschein und Susanne Dzeik gestreamt werden:
https://de.labournet.tv/video/5913/mate-ton-und-produktion
https://www.graswurzel.net/gwr/category/ausgaben/485-januar-2024/