An Antifaschisten in der Nachbarschaft erinnern: Paul Schiller und Bruno Schilter

Auf den Spuren

»Wem gehört der Laskerkiez« (WgdL) und »Wir bleiben alle Friedrichshain« (WbaF) planen auch weitere Veranstaltungen zu Paul Schiller und Bruno Schilter. Für die Vorbereitung sind sie an weiteren Informationen über die beiden und möglicherweise noch lebende Ange- hörige interessiert. Weitere Infor- mationen erhältlich per E-Mail unter wirbleibenalle-fhain@riseup.net oder facebook.com/laskerkiez und twitter.com/WFriedrichshain

»Wem gehört der Laskerkiez« (WgdL) und »Wir bleiben alle Friedrichshain« (WbaF) sind zwei lokale Gruppen, die im Berliner Bezirk Friedrichshain Kiezarbeit gegen Gentrifizierung, Verdrängung und steigende Mieten organisieren. Darüber hinaus setzen sie sich auch mit der Vergangenheit ihrer Nachbarschaft auseinander und organisieren Aktionen im Gedenken an Widerstandskämpfer*innen. Diese Gedenkarbeit soll hier an zwei Beispielen vorgestellt werden. Es handelt sich um Paul Schiller und Bruno Schilter, die …

… Widerstand gegen den deutschen Faschismus leisteten und dabei mit ihrem Leben bezahlten.

Im Sommer letzten Jahres hielten WgdL und WbaF gemeinsam mit Mitgliedern der VVN-BdA eine Kundgebung in Erinnerung an Paul Schiller ab – einem Antifaschisten, der im Jahr 1945 mit der »Kampfgruppe Osthafen« in der Gegend aktiv war. Von ihrem Stützpunkt in der Stralauer Allee 26 (Schillers ehemalige Wohnadresse) aus entwaffneten sie fanatische Nazis und überredeten deutsche Soldaten und Flakhelfer dazu, die Waffen niederzulegen. Sie sprengten Munitionslager und verhinderten im letzten Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am Osthafen. Dies alles gelang ihnen nur dadurch, dass sie über Uniformen von (hochrangigen) Nazifunktionären verfügten, mit denen sie sich unauffällig unter diesen bewegen und teils sogar Anweisungen geben konnten.

Schiller, geboren am 3. Februar 1895 in Berlin, war gelernter Werkzeugmacher. Bereits in der Weimarer Republik hatte er Kontakte zu Kommunisten, 1930 wurde er Mitglied der Roten Hilfe. Während des Faschismus arbeitete er an der Herausgabe der illegalen Schrift »Tribunal« mit. Er war Teil der »Kampfgruppe Osthafen«, die sich aus rund 50 Mitgliedern der KPD, der SPD und Partei- losen zusammensetzte. Gemeinsam waren sie in der Bewegung »Freies Deutschland« organisiert. Ihre Aufgabe bestand darin, die Faschisten in den letzten Tagen vor dem Anrücken der Roten Armee zu schwächen, im Anschluss Kontakt aufzunehmen und Feindesstellungen zu verraten.

Schiller selbst erlebte die Befreiung leider nicht mehr, kurz zuvor wurden er und sein Genosse Fritz Fieber bei Kampfhandlungen nahe ihrem Stützpunkt getötet; vermutlich durch Granatenbeschuss der SS. In dem Buch »Kampftage in Berlin« von Heinz Müller heißt es zum Tod der beiden: »In diesen Minuten verspürte ich die Schwere der Verantwortung, die auf uns lastete, besonders deutlich. Ich blickte in die Gesichter der beiden Genossen und dachte: Zwölf Jahre haben sie in Not und Gefahr ihrer Partei die Treue in dem Bewusstsein gehalten, dass der Tag der Befreiung kommen wird. Wie viel Hoffnung haben die Genossen darauf gesetzt, an diesem Tage mit dabei zu sein.« Müller, der auch Teil der Bewegung »Freies Deutschland« war, hat einige der Aktionen der Gruppe literarisch festgehalten. Das Buch, aus dem viele Informationen über Schiller stammen, ist nur noch antiquarisch erhältlich. Zu Ehren von dem ermordeten Fritz Fieber gibt es eine Gedenktafel am Haus Krossener Straße 27. Während ihrer Recherchen bemerkten die Stadtteilgruppen, dass auf Schillers Stolperstein das Todesdatum fehlerhaft angegeben ist. Schiller starb am 23. April 1945. Auf dem Stolperstein ist jedoch der 22. April 1944 festgehalten. Die Gruppen möchten den Stolperstein nun korrigieren lassen.

Auch anlässlich der Ereignisse im sogenannten Mörderkeller in der Nähe des Bersarinplatzes in Friedrichshain führten die beiden Stadtteil- initiativen 90 Jahre nach dem Mord an einem jungen Antifaschisten eine Kundgebung durch. Das Keglerheim in der Petersburger Straße war nach 1933 ein berüchtigter Folterkeller der SA. Auf ihn war der Historiker Oliver Reschke im Rahmen der Recherche zu seinem Buch »Der Kampf um den roten Friedrichshain 1925–1933« gestoßen. Bruno Schilter war den Nazis als aktiver Jungkommunist bekannt. Am 31. Juli 1933 wurde er nach einem Skatabend mit Freunden auf dem Petersburger Platz beim Rauchen einer Zigarette von SA-Leuten aufgegriffen und verschleppt. Nach den schweren Misshandlungen im Keglerheim wurde Schilter an einer nahen Brücke erschossen. Seitdem zählte er zu den vielen vergessenen Opfern des NS-Terrors.

Doch das soll sich ändern: 90 Jahre nach dem Mord versammelten sich am 1. August 2023 knapp 30 Antifaschist:innen vor dem ehemaligen Keglerheim, um an Schilter zu erinnern. Reschke lieferte einen kurzen historischen Überblick. Andere Redebeiträge drehten sich um die Bedeutung einer linken Gedenkarbeit im Kampf gegen alle Formen des Faschismus der Gegenwart. »Dass zum 90. Todestag erstmals Plakate mit dem einzigen erhaltenen Foto von Schilter in den Straßen von Friedrichshain zu sehen waren, ist ein erster Schritt, um ihn dem Vergessen zu entreißen«, erklärte ein Sprecher der organisierenden Stadtteilinitiative »Wir sind alle Friedrichshain«. Die Antifaschist:innen wollen mit einem Stolperstein vor Schilters Wohnort in der heutigen Richard-Sorge-Straße an ihn erinnern.

Peter Nowak und Felix Schlosser

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