Seit Monaten beschäftigt die Medien die Frage, ob Sahra Wagenknecht die Linkspartei verlassen wird und ob damit das Ende der Partei gekommen ist. Nun hat der Parteivorstand die Initiative ergriffen und die Trennung von Wagenknecht erklärt. Die Zukunft der Linken sei eine Zukunft ohne Wagenknecht, hieß es in der Erklärung des Parteivorstands nach der Sitzung. Die Politikerin wurde aufgefordert, ihr Bundestagsmandat zurückzugeben. Begründet wurde der Schritt damit, dass Wagenknecht …
… bislang nicht ausgeschlossen habe, sich an einem eigenen Parteiprojekt jenseits der Linken zu beteiligen. Wagenknecht blieb bei ihrer in den vergangenen Monaten mehrfach geäußerten Position, darüber bis Ende des Jahres entscheiden zu wollen.
Zuvor hatte sie erklärt, sie wolle die Entwicklung der Linken beobachten und dann entscheiden. Genau diese Formulierung wird jetzt als Erpressung der Parteiführung interpretiert und als weiteres Argument für die Trennung angeführt. Auch hier siegen Formalien über inhaltliche Auseinandersetzungen.
Jedoch könnte man Wagenknechts Zögern auch auf andere Art interpretieren. Sie hat sich noch nicht für einen Parteiwechsel entschieden, weil sie die Entwicklung in ihrem Sinne beeinflussen will. In ihrer Partei hat Wagenknecht Sympathisanten. Wie viele es sind, ist schwer abzuschätzen. Liest man die Leserbriefe in den der Linken nahestehenden Medien, so ist die Anhängerschaft von Wagenknecht nicht klein. Gleiches gilt für die Bundestagsfraktion ihrer Partei.
Was heißt, sich vom Sozialkonservatismus zu trennen?
Noch größer ist die Zahl derer, die zwar viele Positionen Wagenknechts kritisieren, aber schon aus pragmatischen Gründen dafür plädieren, sie und ihre Anhänger in die Parteiarbeit einzubeziehen und nicht auszugrenzen.
Sie argumentieren, dass Wagenknecht erst mit der Gründung einer eigenen Partei liebäugelt, seit ihre Formation auch parteiintern zunehmend marginalisiert wird. Verwiesen wird auf den letzten Parteitag, als bei den Vorstandswahlen Kandidatinnen und Kandidaten, die als Wagenknecht-Anhänger galten, gezielt ausgegrenzt wurden.
Das betraf auch Politiker wie Sören Pellmann, der bei der letzten Bundestagswahl ein Direktmandat in Leipzig errang und damit dafür sorgte, dass die Linke überhaupt wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzog. Pellmann ist es gelungen, sowohl sozial-konservative als auch linksliberal-progressive Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen.
Das ist die zentrale Frage für die Linke, im Bund und in den Ländern. Die Konzentration der Auseinandersetzung auf Personen blendet dies meist aus. Manchmal wird zumindest erwähnt, dass es um die Abgrenzung vom Sozialkonservatismus in der Linken geht.
Aber was bedeutet dieser Begriff? Ist es sozial-konservativ, für Friedensverhandlungen und gegen deutsche Waffenlieferungen im Ukrainekrieg zu sein? Ist es die Verteidigung erkämpfter sozialer Standards?
Ist eine Partei sozial-konservativ, die mit den Slogans „Frieden“ und „Kampf um soziale Rechte“ in den Wahlkampf zieht, wie es der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Alexander Neu in einem Interview fordert?
Neu gibt der Linken keine Chance mehr, hat aber auch einen Rettungsvorschlag, von dem er weiß, dass er illusorisch ist:
Wenn diese Partei noch eine Chance haben will, dann müsste es im Prinzip ein Duo geben: Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, die mit der Faust auf den Tisch hauen. Es müsste einen Sonderparteitag geben. Sie müssten sich zur Wahl stellen und gewählt werden, – was bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen von Delegierten eher unwahrscheinlich ist –, und die Partei wieder auf den richtigen Kurs bringen.
Alexander Neu, Hintergrund
Riexinger und das Feindbild des Linksliberalen
Bei Neu und anderen Verteidigern des sozial-konservativen Flügels fällt allerdings auf, dass sie spiegelbildlich das tun, was sie ihren Kritikern vorwerfen. Auch sie personalisieren den Konflikt, lassen keine Kritik an Wagenknecht zu, obwohl diese als Fraktionsvorsitzende und Mitbegründerin der Sozialbewegung Aufstehen bereits Führungspositionen innehatte und gescheitert ist. Dass die Arbeit in Parteien und Organisationen nicht ihre Stärke ist, hat sie inzwischen selbst eingeräumt.
Auch bei Neu fällt auf, dass der Begriff Linksliberale recht schematisch auf alle parteiinternen Gegner angewandt wird, die dann für den Niedergang der Partei verantwortlich gemacht werden. Dazu zählt Neu auch den ehemaligen Parteivorsitzenden Bernd Riexinger, einen Intimfeind Wagenknechts, den sie in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ nicht einmal beim Namen nennen wollte. Nur passt Riexinger so gar nicht in das Bild des linksliberalen Lifestyle-Linken.
Bevor Riexinger als Parteipolitiker bekannt wurde, organisierte er in Stuttgart erfolgreich Verkäuferinnen, die gegen die Schließung von Schlecker kämpften. Riexinger war ein Beispiel für eine Gewerkschaftspolitik, die gemeinsam mit den Beschäftigten Kämpfe führen und manchmal auch gewinnen kann. Was ist bitteschön daran linksliberal?
Auch vergessen die Sozialkonservativen, dass Riexinger bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 2012 sogar als Statthalter Lafontaines galt, der angeblich in dessen Sinne die Wahl von Dietmar Bartsch verhinderte. Der ehemalige PDS-Politiker galt damals als Hoffnungsträger der Linken, der den Machtanspruch Lafontaines begrenzen wollte.
Auch damals sprachen die Medien von einer gespaltenen Linken und einem dramatischen Parteitag. Vierzehn Jahre später gehört Bartsch in der Fraktion zu denen, die sich gegen die Ausgrenzung von Wagenknecht und ihren Anhängern wehren, während diese Riexinger zum Feindbild der Linken erklären, weil er eben nicht nach Lafontaines Pfeife tanzt.
Tatsächlich hat er mit seiner Vision einer Klassenpolitik – unabhängig von Nationalität und Geschlecht – wichtige Fragen für eine soziale Bewegung in Deutschland aufgeworfen, die in den Texten von Wagenknecht längst nicht mehr zu finden sind. Ihr geht es um den Standort Deutschland, um deutsche Tugenden und den deutschen Mittelstand. Wenn das unter Sozialkonservatismus verstanden wird, ist eine Trennung der Linken davon überfällig, weil solche Positionen nicht als links bezeichnet werden können.
Nur heißt das noch lange nicht, dass die Linke damit noch eine Chance hat. Ob nicht ein Großteil der Wählerinnen und Wähler gerade einen solchen Sozialkonservatismus als linke Politik missversteht, ist noch nicht ausgemacht. Das werden die nächsten Landtags- und Bundestagswahlen zeigen.
Warum wird nicht Parteiausschluss gefordert?
Doch ob es dazu kommt, ist völlig offen. Denn bisher ist die nun auch vom Parteivorstand formulierte Trennung vom Sozialkonservatismus und von Wagenknecht eine Behauptung. Ob und wie sie vollzogen werden kann, ist ungewiss.
Die Aufforderung des Parteivorstands an Wagenknecht, ihr Bundestagsmandat niederzulegen, hat keine weiteren Konsequenzen. Das kann nur Wagenknecht selbst tun, und danach sieht es nicht aus. Eine Partei und auch eine Fraktion haben keine Einflussmöglichkeiten, was auch dem Parteivorstand bekannt sein dürfte.
Folgenreicher wäre es, wenn dort ein neuer Antrag auf Parteiausschluss von Wagenknecht gestellt würde. Auch hier ist der Ausgang keineswegs sicher. In der Vergangenheit wurden solche Ausschlussanträge von Parteimitgliedern aus Nordrhein-Westfalen abgelehnt.
Sollte er diesmal Erfolg haben, könnte die Fraktionsmehrheit sogar beschließen, dass Wagenknecht als Parteilose in der Fraktion bleiben darf. Doch von einem solchen Ausschlussantrag war in der Vorstandssitzung keine Rede.
So führt der folgenlose Beschluss nur dazu, dass der Streit in der Partei nun verschärft weitergeht. Aus dem sozial-konservativen Flügel kommt die Forderung nach einem Rücktritt des Parteivorstands, die Forderung nach einem Sonderparteitag steht weiter im Raum.
Keine Stimme in der aktuellen linken Debatte
So hat die jüngste Volte im linken Parteienstreit zur Folge, dass in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, etwa um das Heizungsgesetz, keine linke Stimme öffentlich zu hören ist. Das zeigte sich am Wochenende in Bayern, wo die Spitzen von CSU und Freien Wählern vor einer rechtsoffenen Menge auftraten.
Welche Positionen hat die Linke dazu? Man könnte darüber diskutieren, ob die ehemalige Grünen-Politikerin und heutige Linke Gaby Gottwald mit ihrer Position recht hat, die Energiepolitik der Grünen gegen rechte Angriffe zu verteidigen oder ob es nicht eine linke Aufgabe wäre, eine eigene Position gegen einen grünen Kapitalismus zu entwickeln, der von vielen linken Grünen der ersten Stunde schon vor 20 Jahren arg kritisiert wurde.
Doch von solchen Diskussionen ist in der Linken wenig zu hören. Stattdessen streitet man sich um Begriffe wie linksliberal und sozial-konservativ.
Peter Nowak