Die russische Armee wirkt desolat. Ein Großteil der zwangsverpflichteten Soldaten scheint nicht aus Überzeugung in der Ukraine zu kämpfen. In den vergangenen Tagen starben besonders viele. Ein Grund mehr, diesen Krieg zu beenden.

Makijiwka – Krieg in Aktion

Der Massentod von Makijiwka gibt der alten Losung einer länderübergreifenden Antikriegsbewegung recht, die schon beim Ersten Weltkrieg die Parole ausgab: "Es ist nicht unser Krieg – es ist nicht unsere Schlacht

…. von frisch einberufenen russischen Soldaten in einem Berufsschulgebäude ums Leben. Auf ukrainischer Seite ist von einer dreistelligen Zahl toter russischer Soldaten die Rede.

Interessanterweise fand sich der kleine Ort Makijiwka Ende November 2022 schon mal kurz im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Es ging um ein Video, das angebliche Kriegsverbrechen an russischen durch ukrainische Soldaten zeigte. Die Diskussion war schnell wieder ohne Ergebnis beendet.

Auch die Bewertung des aktuellen Massakers dürfte hierzulande für die meisten klar sein: Da es sich um Soldaten handelte, war es kein Kriegsverbrechen.

Mittlerweile wird darüber diskutiert, warum die russische Militarkriegsprogaganda mit 63 Toten eine relativ hohe Opferzahl bekannt gibt. Bisher galten solche Zahlen in Russland als Kriegsgeheimnis. Nun kann man darüber rätseln, was die neue russische „Offenheit“ in diesem Fall bedeutet.

Gerät das Regime unter Druck, weil schließlich viele Angehörige wissen, dass die Soldaten praktisch zur Schlachtbank geführt wurden? Wenn stimmt, was deutsche Medien schreiben, wurde sogar auf minimalste Sicherheitsregeln verzichtet.

Die Soldaten hätten praktisch ihren Aufenthaltsort selber bekannt gegeben, in dem sie massenhaft mit ihren Handys telefonierten. Dabei ist nun auch in Russland hinlänglich bekannt, wie durch Handyordnung Feinde lokalisiert werden.

Schließlich wurden mehrere Führungsfiguren islamistischer Milizen in Tschetschenien schon vor mehr als 20 Jahren liquidiert, nachdem sie sich via Handy mit tatsächlichen oder vermeintlichen Journalisten ausgetauscht hatten.

Zudem sollen die Soldaten noch in einem Gebäude untergebracht worden sein, wo auch hochexplosive Munition gelagert worden sei. Demnach haben die Soldaten nicht nur durch ihr Telefonieren auf sich aufmerksam gemacht. Sie haben mit der gelagerten Munition auch dafür gesorgt, dass der Angriff für besonders viele von ihnen tödlich war.

Abgesang auf streng organisierte russische Armee

Wenn das in deutschen Medien gezeichnete Bild auch nur annähernd stimmt, dann bleibt vom Bild der streng organisierten russischen Armee wenig übrig. Dann könnte man denken, jede Gruppe von selbstorganisierten Freischärlern würde weniger Fehler machen.

Diese Zustände könnten tatsächlich Hinweise auf den Zerfall einer Armee geben, in der selbst die Verantwortlichen nicht mehr so recht wissen, für wen und in wessen Interesse sie Krieg führen.

Schon gar nicht wissen es die Soldaten, die schließlich in den vergangenen Monaten nach der Teilmobilmachung massenhaft versuchten, das Land zu verlassen. Dieses Ausmaß an Desorganisation führt dann zu katastrophalen Fehlern und Ignorierung allgemein bekannter Gefahren.

Das ist besonders unverständlich, weil in den vergangenen zehn Monaten des Ukraine-Krieges immer wieder durch ähnliche Versäumnisse russische Militärs ukrainischen Gegenangriffen zum Opfer fielen, sowie symbolträchtige Schiffe versenkt wurden.

Wofür kämpfen und sterben die Soldaten?

Dass trotzdem mehr als zehn Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs daraus scheinbar keine Konsequenzen gezogen wurden, dürfte ein Anzeichen dafür sein, dass es eben nicht individuelle Fehler und Versäumnisse sind. Das ganze scheint systemische Ursachen zu haben.

Könnte man daraus auf eine Agonie des russischen Systems schließen? Am Vorabend des 80. Jubiläums des sowjetischen Sieges in Stalingrad erinnern sich viele daran, dass auch aus der Position einer vorherigen Unterlegenheit Erfolge möglich sind, wenn die Kämpfenden eine klare Überzeugung haben, dass ihr Kampf nicht individuell, sondern auch historisch gerecht ist.

Diese Überzeugung fehlt aktuell vielen auf russischer Seite – da mögen Putin und sein engster Führungskreis noch so häufig ihre nationalistische Fama vom Sammeln der russischen Erde wiederholen.

„Diesen Krieg zu beenden, es ist an der Zeit“

Der Massentod von Makijiwka gibt der alten Losung einer länderübergreifenden Antikriegsbewegung recht, die schon beim Ersten Weltkrieg die Parole ausgab: „Es ist nicht unser Krieg – es ist nicht unsere Schlacht. Für die Soldaten galt, was Kurt Tucholsky in dem Gedicht „Der Graben“ 1926 schrieb:

Staatswahn und der Fabrikantenneid. 

Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben, 

für das Grab, Kameraden, für den Graben!


Aus: Kurt Tucholsky – Der Graben

Auf den Ersten Weltkrieg bezogen sangen in den letzten Jahren Künstler wie Hannes Wader und Reinhard Mey:

Auf deinem Kreuz finde ich „toter Soldat“, 

Deinen Namen nicht, nur Ziffern 

Und jemand hat die Zahl 1916 gemalt 

Und du warst nicht einmal neunzehn Jahre alt 

Auch dich haben sie schon genauso belogen 

So wie sie es mit uns heut immer noch tun 

Und du hast ihnen alles gegeben 

Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

In diesem Lied werden sehr richtig „wir“ heute angesprochen, Kriege zu verhindern. Nun kann der Ukraine-Krieg nicht mehr verhindert, sondern nur noch beendet werden. Da wäre die Botschaft des Massakers von Makijiwka, statt noch mehr und noch tödlichere Waffen zu fordern.

Es müsste in allen Ländern der Welt heißen: Genug ist genug. Es sind auf beiden Seiten zu viele gestorben, für einen Kampf, der nicht ihr Kampf war. Auf beiden Seiten wurden junge Menschen in den Krieg gehetzt, mit nationalistischen Parolen – und die einzigen Gewinner sind bisher weltweit die Rüstungskonzerne, deren Aktien steigen.

Sollte sich zumindest in relevanten Teilen der Bevölkerung diese Erkenntnis durchsetzen, könnte man hoffen, dass Vernunft und Zivilisation noch nicht unrettbar verloren sind. Denn Makijiwka war vielleicht kein Kriegsverbrechen in juristischer Terminologie. Es ist aber andererseits das Bild eines Krieges, der immer ein Verbrechen und daher schnellstens mit allen Mitteln zu beenden ist. (Peter Nowak)