Im Hamburger Klimacamp werden die richtigen Fragen gestellt. Es wird aber auch deutlich, wie schwer es ist, beim Großteil der Bevölkerung Gehör zu finden

Klimabewegung: Aktiv an Orten, wo es dem Kapital wehtut

yptische Szenarien und klassenneutrale Verzichtsdebatten hingegen bringen Bündnisse von Klima- und Arbeiterbewegung garantiert zum Scheitern. Es war schon ein Erfolg, dass in Hamburg Apokalypse und Verzichtsideologie kaum vertreten waren und die Bereitschaft bestand, die Klimafrage als Klassenfrage zu stellen.

in großes Polizeiaufgebot hatte sich am Mittwochabend in der Hamburger Innenstadt gruppiert. Manche erinnerten sich an den G20-Gipfel vor fünf Jahren. Aber bald zog ein Teil der Polizeieinheiten ab. Denn die Teilnehmenden der Demonstration, „LNG stoppen – fossilen Kapitalismus sabotieren“ verwechselten inhaltliche Radikalität nicht mit einigen brennenden Autos. Ihr Ziel war es nicht, Bilder zu erzeugen, die einen Teil der Bevölkerung verschrecken, aber das Kapitel nicht tangieren. „Eine radikale Klimabewegung, die sich Orte sucht, wo es dem Kapital wehtut“, wünscht sich eine Vertreterin des linken Bündnisses „Ums Ganze“, das auf der Demonstration mit großen Transparenten nicht zu übersehen war. Das Bündnis ruft auch zu einer

Hafenblockade im Rahmen der Aktionstage gegen den fossilen Kapitalismus auf, die im System-Change-Camp vorbereitet werden, das auch noch am Wochenende im Altonaer Volkspark Anlaufpunkt für Tausende Menschen ist.

Es hat den Anspruch, kein linkes Szenecamp zu sein, Interessierte werden ausdrücklich aufgefordert, das Camp zu besuchen und sich an den Diskussionsveranstaltungen rund um das Thema „Systemwechsel statt Klimawandel“ zu beteiligen. Allerdings fällt beim Überfliegen der angebotenen Veranstaltungen auf, dass wenig über gewerkschaftliche Themen und eine mögliche Kooperation von Arbeiter- und Klimabewegung gesprochen wird.

Am Samstagabend wird auf dem Camp allerdings der gerade fertiggestellte Film „Der laute Frühling von Johanna Schellhagen gezeigt, in dem sehr nachvollziehbar begründet wird, warum die beiden Bewegungen kooperieren müssen. Es gibt sehr aktuelle Beispiele, wo diese Kooperation heute schon greift.

Als Beispiel hätte sich auch die mehrwöchige Zusammenarbeit zwischen Klimabewegten und Bosch-Beschäftigten im vergangenen Jahr in München angeboten. Es ist tatsächlich eine Schwäche, dass darüber im Rahmen des Camp-Programms wenig zu erfahren ist.

Wenn der Kolonialismus-Diskurs Kapitalismuskritik ersetzt

Stattdessen ist sehr viel von anti kolonialistischen Kämpfen die Rede, die mit der Klimabewegung verbunden werden sollen. Damit soll teilweise die richtige Erkenntnis ausgedrückt werden, dass die Klimakrise Menschen im Globalen Süden bereits heute stärker betrifft. Doch es stellt sich schon die Frage, warum es in einer Zeit, in der es kaum noch Kolonien gibt, eine Zunahme der antikolonialen Diskurse in Teilen der modernen Linken gibt.

Als könnte der Kolonialismus-Diskurs den Kampf gegen den allgegenwärtigen Neoliberalismus ersetzen, der in der globalisierungskritischen Bewegung hegemonial war. Auch damals gab es die Kritik, dass man so viel über Neoliberalismus redet, aber über den Kapitalismus schweigt.

Es besteht dann zudem die Gefahr, sich Illusionen zu machen, dass statt dem fossilen Kapitalismus ein besserer Kapitalismus möglich sei – dass man sich mit der Inflationierung des Kolonialismus-Diskurses wieder um eine grundlegende Kapitalismuskritik drückt. Zudem stellt sich die Frage, ob man mit dem Kolonialismus-Diskurs wirklich die Masse der in Deutschland lebenden Bevölkerung erreicht. Gerade in einer Zeit, in der sich in Deutschland lebende Menschen Sorgen um die steigende Inflation und um beheizbare Wohnungen machen.

Inflationsangst und Energiekrise

Zumal hier ganz konkret die Klimabewegung angesprochen ist. In Hamburg stehen die LNG-Terminals, wo Flüssiggas gelagert werden soll, im Mittelpunkt des Widerstands. Tatsächlich ist die Kritik an der LNG-Technologie begründet – und auch eine Ablehnung der Gaslieferungen aus Russland. Aber wie argumentiert man da gegenüber Menschen, die sich Sorgen machen, ob sie im Winter ihre Wohnung heizen können?

Das sind Fragen, die sich eine Klimagerechtigkeitsbewegung stellen muss. Um Ausbeutung und Unterdrückung zu bekämpfen, muss man sich nur vergegenwärtigen, dass Millionen Menschen in Deutschland unter Energiearmut leiden, sie haben nicht genug Geld für Gas und Strom. Sie haben auch allen Grund, sich vor den Zumutungen zu fürchten, die im Winter auf sie zukommen.

Die Bundesregierung, die die Lasten der Energiekrise auf alle Menschen verteilen und gleichzeitig die Reichen steuerlich entlasten will, warnt schon vor sozialen Protesten. Eine Klimabewegung müsste darauf vorbereitet sein und sich fragen, was sie wie dazu beitragen kann, dass es zu keiner Spaltung zwischen Klimabewegung und sozialer Bewegung kommt.

Solidarität mit Hafenstreik und Neun-Euro-Ticket

Auf vielen Transparenten und auch in den Redebeiträgen bei der Demonstration am Mittwoch, an der rund 2000 Menschen teilnahmen, wurde der Zusammenhang zwischen Klima- und Energiekrise thematisiert. So solidarisierten sich viele ausdrücklich mit den Streik der Hafenarbeiter vor zwei Wochen, der auch bundesweit für Aufsehen sorgte und von einem Arbeitsgericht faktisch ausgebremst wurde.

Es ist sehr zu begrüßen, dass hier ein Zusammenhang zwischen diesen Arbeitskampf und den Kampf für Klimagerechtigkeit hergestellt wird. Allerdings wäre es schon ein Fortschritt, wenn es gelänge, mit einigen der Streikenden Kontakt aufzunehmen und sie in die Diskussion einzubeziehen.

Sehr sinnvoll ist auch die Forderung nach Verlängerung des Neun-Euro-Tickets. Damit hatten viele Menschen mit wenig Einkommen endlich mal die Möglichkeit zu verreisen. Der große Zuspruch für das Neun-Euro-Ticket spricht Bände. Die Forderung nach einer Verstetigung könnte ein einendes Band für eine neue soziale Bewegung sein.

Natürlich werden dabei Versäumnisse beim Ausbau des Öffentlichen Verkehrssystems deutlich – und die Forderung, sie zu beheben, liegt auf der Hand. Aber das darf nicht dazu führen, sich gegen das Neun-Euro-Ticket zu stellen, wie es manche Gewerkschaftsvertreter tun. Im Gegenteil könnten die Gewerkschaften an die Erfahrungen des Arbeitskampfs im Öffentlichen Nahverkehr anknüpfen, wo junge Klimaaktivisten und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gemeinsam agierten.

Warum nicht jetzt gemeinschaftlich einen Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets fordern?

Was bisher fehlt, sind Menschen, die die Initiative für solche Bündnisse ergreifen. Wäre ein „System-Change-Camp“ nicht der geeignete Ort dazu? Es geht um die Kooperation von Umwelt- und sozialer Bewegung. Der Kampf für den Erhalt des Neun-Euro-Tickets könnte dazu den Anlass bieten. Hier liegen die Themenfelder einer Klimabewegung, die an Orte gehen will, die dem Kapitalismus wehtun.

Apokalyptische Szenarien und klassenneutrale Verzichtsdebatten hingegen bringen Bündnisse von Klima- und Arbeiterbewegung garantiert zum Scheitern. Es war schon ein Erfolg, dass in Hamburg Apokalypse und Verzichtsideologie kaum vertreten waren und die Bereitschaft bestand, die Klimafrage als Klassenfrage zu stellen.

Nur dann kann sie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung angegangen werden. Wie schwer eine Kooperation wird, zeigte sich am Mittwochabend in der Hamburger Innenstadt. Nur einige Hundert Meter von der Abschlusskundgebung zog es die Massen zum Shoppen in die entsprechenden Einkaufstraßen. Darunter waren auch viele junge Leute. Sie gingen an der Klimademonstration vorbei und nahmen sie teils nicht einmal wahr. (Peter Nowak)