Hermann Bueren: Bewegt Euch schneller! Zur Kritik moderner Managementmethoden. Kellner-Verlag, 320 S., Softcover, 18,90 €.

Agile Ausbeutung

»Wo Arbeitern Respekt gezollt wird, ist von Ausbeutung nicht mehr die Rede, es ist die romantische Verklärung schnöder Profitvermehrung«, zitiert Bueren den Publizisten Felix Klopotek. Damit lässt sich die Realität der agilen Arbeitswelt knapp zusammenfassen. Doch Buerens Buch zeigt auch immer wieder auf, dass sich die Managementträume oft nicht erfüllen. Die »Kritik moderner Managementmethoden« von Hermann Bueren sieht auch Spielraum für selbstorganisierte Arbeit

Die Realität ist von der Satire kaum mehr zu unterscheiden, wenn VW-Beschäftigte trällern »Wir sind VW, wir sind okay«. Es ist die schöne neue Arbeitswelt, in der die Mitarbeiter*innen in ihrer Freizeit auch mal gemeinsam singen, feiern oder Gruppenspiele machen sollen. Schließlich könnte damit das Betriebsklima verbessert und die Produktion gesteigert werden. Das ist das Ziel der modernen Managementmethoden, mit denen sich Hermann Bueren in seinem kürzlich im Kellner-Verlag erschienen Buch »Bewegt Euch schneller!« kritisch auseinandersetzt. Bueren war mehrere Jahre Betriebsrat in einem Druckereibetrieb, bevor er auf dem zweiten Bildungsweg Arbeits- und Betriebssoziologie studierte und im Bereich der gewerkschaftlichen Bildung arbeitete. Als Rentner hat Bueren jetzt in seinem Buch die verschiedenen Managementmethoden aus der Perspektive der Lohnabhängigen kritisiert. Im Zentrum seiner Untersuchung steht der Hype um die Agilität, das heutige Kernkonzept eines …

… aufgeschlossenen, modernen Unternehmens. »Bereits Mitte der 1980er Jahre hatte das Wort ›flexibel‹ die gleiche Funktion wie heute ›agil‹«, schreibt Bueren und betont, dass damit die Lohnabhängigen an sich verändernde Marktbedingungen angepasst würden. Immer wieder macht der Autor kurze Exkurse in die Geschichte des Managements. Er geht auf tayloristische Modelle in den USA, aber auch verschiedene Betriebsgemeinschaftsmodelle im NS-Deutschland ein und zeigt den Zusammenhang der verschiedenen Methoden, nämlich möglichst viel Mehrwert aus der Arbeitskraft der Lohnabhängigen herauszuholen. Aus Sicht der Betriebspsychologie war daher schon vor Jahrzehnten klar, dass dies ohne äußeren Zwang reibungsloser funktioniert, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie selbst immer besser und immer schneller arbeiten wollen. Bueren entlarvt die Rhetorik dieser Managementmethoden, denen es auch gelungen ist, linke Konzepte und Werte zu vereinnahmen, etwa den Begriff der Selbstorganisation. »Die Teams sollen sich frei und selbstorganisiert in einem Netzwerk mit anderen Teams des Unternehmens bewegen und austauschen können«, beschreibt Bueren die Grundlage zukünftiger Unternehmensführung jenseits von Herrschaftshierarchien. Der Autor betont, dass damit nicht alte Träume der Arbeiter*innenbewegung verwirklicht würden. Vielmehr sollten die Lohnabhängigen selbstbestimmt die Ziele des Konzerns umsetzen. Hierin könne eine moderne Form von Betriebsgemeinschaftsideologie gesehen werden, die sich durch Hymnen und andere Symbolik noch festige.  Klassenkampf und engagierte Interessenvertretung der Lohnabhängigen hat darin keinen Platz. Gibt es Probleme im Betrieb, dann werden diese individualisiert. Dafür sorgen etwa Mitarbeiter*innengespräche, die einzelne Arbeiter*innen wieder zum Funktionieren im Sinne des Unternehmens antreiben. Wenn das nicht gelingt, gelten sie als sogenannte Minderleister*innen, von denen sich das Unternehmen trennen muss. Dabei wird das Team als Begründung angeführt, dem der zu geringe Einsatz Einzelner nicht zuzumuten sei. Bueren zeigt an vielen Beispielen auf, wie die Konflikte der kapitalistischen Arbeitsorganisation auf die einzelnen Lohnabhängigen abgewälzt werden. Diese hätten dann nicht das Management vor sich, sondern ein Team, vor dem sie ihre vermeintlichen Fehlleistungen rechtfertigen müssten. »Wo Arbeitern Respekt gezollt wird, ist von Ausbeutung nicht mehr die Rede, es ist die romantische Verklärung schnöder Profitvermehrung«, zitiert Bueren den Publizisten Felix Klopotek. Damit lässt sich die Realität der agilen Arbeitswelt knapp zusammenfassen. Doch Buerens Buch zeigt auch immer wieder auf, dass sich die Managementträume oft nicht erfüllen. Viele der agilen Arbeitsmethoden werden trotz oder wegen der Rhetorik von Selbstorganisation und Respekt von den Lohnabhängigen abgelehnt. Im letzten Kapitel, unter dem programmatischen Titel »Anders arbeiten«, skizziert Bueren die Initiativen proletarischer Selbstorganisation, die in den letzten Jahrzehnten aus den Fabriken kamen und gegen die Vorgaben der kapitalistischen Profitmaximierung gerichtet waren. Er erinnert an die Plakat-Gruppe, einen Kreis oppositioneller Betriebsräte im Daimler-Benz-Werk von Untertürkheim, die in den 1970er Jahren ihre Kolleg*innen fragten: »Was können wir eigentlich mit so einer Anlage anderes herstellen, als Achsen, Kurbelgehäuse und Zylinderköpfe für PKWs?« Diese Fragestellung ist heute noch aktueller geworden und könnte die Basis einer Kooperation zwischen Arbeiter*innen- und Klimabewegung sein. Vorbild könnte die Zusammenarbeit zwischen der außerparlamentarischen Linken, Beschäftigten des Rüstungskonzerns Lucas Aerospace und kritischen Wissenschaftler*innen sein, die in den frühen 1970ern in Großbritannien Modelle für die Umwandlung eines Rüstungsbetriebs in eine Produktionsstätte für lebenswichtige Produkte entwickelten. Daher ist das Buch mehr als eine Kritik an kapitalistischen Managementmethoden. Es regt zur Überlegung an, wie eine Selbstorganisation am Arbeitsplatz, die nicht unter der Kontrolle des Managements erfolgt, aussehen könnte.

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