Die Streitigkeiten um die Ministerposten der neuen Mitte-Koalition gehören zum Geschäft. Die eigentlichen Probleme kommen noch

„Ampel“-Postengeschacher: Aufbruch vor allem für die Startup-Szene

In der Wochenzeitung Freitag diagnostizierte der Publizist Wolfgang Michal, dass in Deutschland von einer solchen Aufbruchstimmung angesichts der Mitte- oder "Ampel"-Koalition keine Rede sein kann. Aber ist das nicht eigentlich eine gute Nachricht? Schließlich werden mit solchen Metaphern gern reale Interessengegensätze verkleistert. So wird den Menschen schnell klar, dass die Regierung Scholz-Habeck-Lindner vor allem ein Aufbruch für die Startup-Szene wird.

Von der breiten Öffentlichkeit eher mäßig beachtet wurde der Koalitionsvertrag der Regierung der liberalen Mitte aus SPD, Grünen und FDP ausgehandelt. Damit ist es vorbei. Kaum wurden die Vereinbarungen am letzten Donnerstag veröffentlicht, trafen schon die Stellungnahmen verschiedener Interessenverbände ein, die überwiegend von Schritten in die richtige Richtung sprachen, die aber nicht groß genug seien. Als Beispiel sei die Pressemitteilung der …

… Initiative „Aufschrei“ genannt, die sich gegen Rüstungsexporte aus Deutschland einsetzt. Dort begrüßt man das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Rüstungskontrollgesetz, betont aber im nächsten Abschnitt, jetzt komme es darauf an, was drinstehen werde. Damit wird eigentlich gesagt, es sei noch viel zu früh für das Lob. Da nun aber die Gelegenheit günstig ist, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, muss man sich also so schnell wie möglich äußern, auch wenn dazu die Grundlage fehlt.

Auch das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, das sich gegen eine Abbaggerung weiterer Gemeinden zwecks Kohleförderung einsetzt, begrüßt, dass fünf Dörfer erhalten bleiben sollen, moniert aber, dass andere Dörfer verschwinden sollen. Erwartbar war das Statement der Klimaschutzbewegung Friday for Future, die nicht überraschend feststellte, dass der Koalitionsvertrag das 1,5 Grad-Ziel verfehle. Aber auch die Klimaaktivisten vermelden Erfolge, etwa den zumindest „idealerweise“ vorgesehenen Kohleausstieg bis 2030.

Initiative „Aufschrei“ genannt, die sich gegen Rüstungsexporte aus Deutschland einsetzt. Dort begrüßt man das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Rüstungskontrollgesetz, betont aber im nächsten Abschnitt, jetzt komme es darauf an, was drinstehen werde. Damit wird eigentlich gesagt, es sei noch viel zu früh für das Lob. Da nun aber die Gelegenheit günstig ist, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, muss man sich also so schnell wie möglich äußern, auch wenn dazu die Grundlage fehlt.

Auch die im Zusammenschluss fsz organisierten Studierenden sehen im Koalitionsvertrag Erfolge beim Bafög, nur sind auch die, was nicht verwunderlich ist, nicht konkret genug. In diesen doch bei allen Unterschieden im Detail so ähnlichen Statements macht sich auch das Elend dieser durchweg loyalen Oppositionsgruppen bemerkbar, die den größten Erfolg darin sehen, wenn sich aus ihren vielen Strategiepapieren und Expertisen einige Zeilen im Regierungsprogramm wiederfinden.Anzeige

Selbst von einer Politik des radikalen Reformismus, wie er noch vor 20 Jahren in Teilen der Umweltbewegung, aber auch in anderen Teilen der Opposition propagiert wurde, ist hier nichts mehr zu finden. Konstruktivität, Machbarkeit und Bezahlbarkeit der eigenen Forderungen sind Essentials, die nicht hinterfragt werden.

Daher wird man in diesen Stellungnahmen immer ähnliche Floskeln lesen. Da macht jemand „Schritte in die richtige Richtung, da gibt es „Licht und Schatten“. Dass dann in der Regel noch eine kritische Bemerkung darüber folgt, dass die Schritte in die richtige Richtung zu klein, der Schatten größer als das Licht ist, gehört zum Geschäftsmodell dieser konstruktiven Opposition. Man kann so deutlich machen, dass man noch gebraucht wird.

Startups überwiegend zufrieden mit Koalitionsvertrag

Aber es gab auch schon in den ersten Stunden nach Bekanntwerden des Koalitionsvertrags fast uneingeschränktes Lob vom Bundesverband deutscher Startups. Er begrüßte uneingeschränkt, dass sich die neue Mitte-Koalition sehr um ihr Klientel kümmert und die Wettbewerbsbedingungen für „junge innovative Unternehmen“ verbessert, auch wenn man sich auch dort noch „ehrgeizigere Ziele“ gewünscht hätte. Das überwiegende Lob des Koalitionsvertrags aus der Startup-Szene ist kein Zufall.

Es zeigt, dass sich der kleinste der designierten Koalitionsparteien, die FDP, auch hier durchgesetzt hat. Die hatte ja die Förderung der Wettbewerbsbedingungen für Startups zum Wahlkampfthema gemacht. Dass nun FDP-Chef Christian Lindner Bundesfinanzminister wird, scheint wie eine Bestätigung dieser FDP-Hegemonie in der Regierung. Schließlich gab es um diesen Posten in den letzten Wochen öffentlichen Streit.

Gralshüter des Wirtschaftsliberalismus feierten Lindner als strengen „Kassenwart“, der das Geld zusammenhält. Dagegen gab es Widerstand von eher keynesianisch ausrichteten Ökonomen, aber auch von Politikern im EU-Ausland, die eine Fortsetzung der deutschen Austeritätspolitik ablehnen. Dann gab es auch aber auch von durchaus marktliberalen Ökonomen die Frage, welche Qualifikationen Lindner eigentlich für das Amt hat.

Diese Frage hätte sich wohl auch beim Grünen-Ko-Chef-Robert Habeck gestellt, der als Alternative gehandelt wurde. Diese Auseinandersetzung verdeckt aber auch die grundsätzliche Zustimmung aller die Koalition bildenden Parteien zur deutschen Austeritätspolitik, wobei die Nuancen nicht verschwiegen, aber nicht zu grundsätzlichen Differenzen hochgeschrieben werden sollten.

SUV statt Fahrrad

Es ist also kein Zufall, dass das Klientel der FDP zufrieden über den bisherigen Verlauf der Vorbereitungen zur „Ampel“-Koalition ist. Nicht nur in der Programmatik hat sie sich als kleinerer Juniorpartner in vielen Punkten durchgesetzt. So war das von den Grünen geforderte Tempolimit auf Autobahnen ebenso schnell vom Tisch wie eine vorsichtige Aufweichung der Schuldenbremse. Steuererhöhungen waren sowieso ausgeschlossen, da war sich die FDP mit ihren künftigen Koalitionspartnern einig.

Nun hoffte der linksliberale Teil der Koalition, dass man den Grünen bei den Ministerposten im Ausgleich mehr Erfolge gönnt. Doch schon vor einigen Tagen wurde bekannt, dass dies ein Irrtum ist. Dass die FDP neben dem Finanzministerium jetzt auch das Verkehrsministerium besetzt, ist vor allem für Anhänger einer ökologisch nachhaltigen Mobilität eine bittere Entscheidung. Die FDP ist schließlich als Partei des SUV und nicht der Lastenräder bekannt. Doch neben solcher Symbolpolitik bedeutet die Personalie auch, dass weiterhin ein Automobil-Lobbyist über den Ausbau der Bundesautobahnen entscheidet, der teilweise schon vor Jahrzehnten beschlossen wurde, aber heute vielen als anachronistisch erscheint.

Dass sich die FDP beim Verkehrsressort durchsetzen konnte, sorgte bei den Grünen noch aus einem anderen Grund für innerparteiliche Verwerfungen und einen heftigen Streit. Schließlich war für das Verkehrsressort Anton Hofreiter gesetzt. Er musste sich nun nach anderen Posten umsehen. Da unterlag er im innerparteilichen Postengeschacher Cem Özdemir, der nun Landwirtschaftsminister werden soll. Wenn in diesem Zusammenhang von einer Auseinandersetzung zwischen Linken und Realos gesprochen wird, ist das irreführend.

Es gibt seit mehr als 20 Jahren bei den Grünen keine grundsätzlichen Gegner des Mitregierens. Fortan wurde als Teil der Parteilinken bezeichnet, wer eine Koalition mit der SPD einer Kooperation mit der Union den Vorzug gab. Da nun mit Olaf Scholz ein SPD-Kanzler an der Spitze steht und die Kooperation mit der FDP wegen der Mehrheitsverhältnisse alternativlos ist, hat sich diese Auseinandersetzung erledigt. Es gibt nur noch Einzelstimmen von Politikernund Abgeordneten, für die ein Gang in die Opposition überhaupt eine Alternative zur Beteiligung an einer FDP-dominierten Regierung wäre.

Bei ihnen könnte der Begriff „Linke“ bei den Grünen noch Sinn machen. Beim Streit um Hofreiter geht es eher um die Auseinandersetzung um die in einer Drei-Parteien-Koalition begrenzten Posten. Da setzte sich Özdemir, der immer schon wie ein Bankangestellter auftritt, gegen einen Hofreiter durch, der optisch manchmal noch an den Öko der frühen Grünen erinnert. Beide haben ihre Anhänger innerhalb der Partei mobilisiert; und so gab es einen kurzen Streit um den Posten.

Doch betonte Jürgen Trittin, der auch noch als Linker bei den Grünen durchgeht, dass es keine Einwände mehr gegen das Personaltableau gibt. Schließlich seien ja nun auch Claudia Rothund Steffi Lemke, auch sogenannte Linke bei den Grünen, mit weniger beachteten Ministerposten bedacht worden, nämlich mit den Ressorts Kultur und Umwelt.

Der frühere taz– und jetzige Welt-Journalist Deniz Yücel hätte Özdemir für den bestmöglichen Außenminister gehalten. Diesen Posten soll jetzt die Ko-Parteichefin und gescheiterte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bekommen. Die liegt allerdings mit Özdemir auf einer Linie und war im Wahlkampf von ihm über den grünen Klee gelobt worden: Der russische Präsident Wladimir Putin fürchte „eine Völkerrechtlerin im Kanzleramt, die unsere liberale Demokratie und unsere Verbündeten selbstbewusst verteidigt“, hatte Özdemir im Mai der Bild gesagt.

Die Probleme beginnen erst

Der Politologe Hubert Kleinert, in den 1980er Jahren selbst Politiker der Grünen, stufte im Interview mit dem Deutschlandfunk die aktuelle Auseinandersetzung nüchtern als die üblichen Probleme ein, wenn eine begrenzte Zahl an Posten zu vergeben sind. Das dürften wir in wenigen Tagen auch erleben, wenn die SPD ihre Posten bekannt gibt. Vor allem die Fans von Karl Lauterbach legen sich da noch für ihren Mann ins Zeug.

Kleinert wies aber darauf hin, dass die eigentlichen Probleme erst kommen, wenn diejenigen Teile der Bevölkerung, die durch das neue Regierungsprogramm, Nachteile der unterschiedlichen Art haben, sich zu wehren beginnen.

Dann könnte es Proteste beispielsweise gegen die Umweltgesetzgebung geben, die vermischt mit Widerstand gegen neue Pandemie-Beschränkungen eine soziale Komponente bekommen könnten, wie es in den letzten Wochen bereits in Italien und Frankreich zu beobachten war. Das aus der operaistischen Linken stammende Autorenkollektiv Wu Ming betonte in der Jungle World, dass die Proteste in Italien eben nicht nur als rechts abgestempelt werden können. So schreibt Wu Ming über die Proteste in einzelnen italienischen Städten:

Seit August findet in Triest eine Massenmobilisierung statt, die immer noch andauert. In einer Stadt mit 200 000 Einwohnern sind mehrmals 20 000 Menschen auf die Straße gegangen. Es sind Arbeiterinnen und Arbeiter aus allen wichtigen Produktionsbereichen von Triest, angefangen bei den Hafenarbeitern, die eine führende Rolle spielen. Am 15. Oktober blockierten Hafenarbeiter einen der Haupteingänge des Hafens und erhielten Solidarität von großen Teilen der Bevölkerung. Die Polizei räumte die Demonstrierenden mit Wasserwerfern und Tränengas. 

Wu Ming, Jungle World

Es ist allerdings schon abzusehen, dass ein solcher Protestzyklus gegen die Politik der Mitte-Koalition in Deutschland sofort in die rechte Ecke gestellt werden würde. Dann dürfte die reaktionäre Warnung vor der Spaltung der Gesellschaft noch lauter erklingen, die kürzlich von Jan Feddersen in der taz mit guten Argumenten zurückgewiesen wurde. Oft wird gegen diese angebliche Spaltung der Gesellschaft auch die Aufbruchsstimmung gesetzt, die von einer neuen Regierung ausgehen soll.

In der Wochenzeitung Freitag diagnostizierte der Publizist Wolfgang Michal, dass in Deutschland von einer solchen Aufbruchstimmung angesichts der Mitte- oder „Ampel“-Koalition keine Rede sein kann.

Aber ist das nicht eigentlich eine gute Nachricht? Schließlich werden mit solchen Metaphern gern reale Interessengegensätze verkleistert. So wird den Menschen schnell klar, dass die Regierung Scholz-Habeck-Lindner vor allem ein Aufbruch für die Startup-Szene wird. Peter Nowak