Mark Richter, Levke Asyr, Ada Amhang und Scott Nikolas Nappalos (Hg.): Spuren der Arbeit. Geschichten von Jobs und Widerstand. Die Buchmacherei, 260 S., br., 14 €.

Ankunft im kapitalistischen Alltag

Der Mitherausgeber Mark Richter beschreibt einen solchen kleinen Sieg im Arbeitsalltag eines Sozialarbeiters, dessen Büro unangekündigt von seinen Chef*innen für eine Arbeitssitzung okkupiert wurde. Richter und seine Kollegin beschlossen, die Sitzung zu unterbrechen, um den dringend benötigten Teekocher aus dem Raum zu holen. »Wir gingen als gut funktionierendes Team rein und als Klassenkämpfer*innen raus«, lautet Richters Fazit. Schon Bertolt Brecht hat in seinem Gedicht »Lob des Revolutionärs« dessen Aufgaben so beschrieben: »Er organisiert seinen Kampf um den Lohngroschen, um das Teewasser.«

Ungefiltert über den Arbeitsalltag schreiben, über den Frust und die Langeweile, aber auch über Solidarität unter den Kolleg*innen – das war auf »Recomposition« möglich. Die von Mitgliedern der in den USA und Kanada aktiven Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) betriebene Online-Plattform knüpfte an die operaistische Tradition an. Nun wurde eine gesammelte Auswahl von Beiträgen im Verlag Die Buchmacherei in deutscher Sprache herausgegeben. Schon in der Widmung machen die Herausgeber*in- nen deutlich, dass sie von der Trennung in Klassen- und Identitätspolitik nichts halten. Gewidmet haben sie das Buch »allen Kolleg*innen, die in ihrer Praxis Feminismus, Antirassismus und Klassenkampf verbinden«. Im Buch sind die Texte von …

… 23 Autor*innen dokumentiert, die – oft unter Pseudonym – von ihrer alltäglichen Arbeit berichten. Sie schuften in der Fastfood-Branche, verdingen sich als Lkw-Fahrer*innen oder Postangestellte, arbeiten im Pflegebereich, Bioladen oder in der Bäckerei. Das Buch ist in drei Kapitel aufgeteilt: Widerstand, Zeit, Schlaf und Träume. Zudem ist eine Diskussion von den Herausgeber*innen des Buches mit dem ehemaligen Redaktionskollektiv von Recomposition beigefügt.

Im Kapitel »Widerstand« liest man nicht über die großen Streiks des fordistischen Zeitalters, als Arbeiter*innen gemeinsam die Fabrik verließen. Heute sind es die kleinen Siege, wenn sich einige Kolleg*innen weigern, den Chef zu duzen oder mit ihm ihre in der Pause gekauften Pralinen zu teilen. Der Mitherausgeber Mark Richter beschreibt einen solchen kleinen Sieg im Arbeitsalltag eines Sozialarbeiters, dessen Büro unangekündigt von seinen Chef*innen für eine Arbeitssitzung okkupiert wurde. Richter und seine Kollegin beschlossen, die Sitzung zu unterbrechen, um den dringend benötigten Teekocher aus dem Raum zu holen. »Wir gingen als gut funktionierendes Team rein und als Klassenkämpfer*innen raus«, lautet Richters Fazit. Schon Bertolt Brecht hat in seinem Gedicht »Lob des Revolutionärs« dessen Aufgaben so beschrieben: »Er organisiert seinen Kampf um den Lohngroschen, um das Teewasser.« Und dazu braucht man nun mal auch einen Teekocher. Eindrucksvoll sind die Klagen über durch die entfremdete Lohnarbeit vergeudete Lebenszeit im Kapitel »Schlaf und Träume«. Dort beschreibt Scott Nikolas Nappalos, wie ihn seine Lohnarbeit als Krankenpfleger bis in den Schlaf verfolgt. »Ich hatte schon Wochen, in denen sich jeder Traum um die Arbeit drehte. Das ist das Problem im Kapitalismus: nicht nur den Schaden, den er den Arbeiter*innen und Patient*innen zufügt, sondern dass seine Hölle verweilt, in unsere Träume eindringt und sie entwürdigt«.

Der Beitrag von Grace Parker unter dem Titel »Wie die Rotkehlchen zum Frühling gehören« handelt von verweigerter Solidarisierung. Die Autorin ist IWW-Mitglied und arbeitet als Kassiererin in einem »hippiesken Lebensmittelladen«. Dort soll sie im Auftrag des Managements Wohnungslose vertreiben, die im Laden nach Lebensmitteln betteln. Bei einer IWW-Organizerin hätte man erwarten können, dass sie sich nicht an der Vertreibung der Ärmsten der Armen beteiligt. Schließlich war die historische IWW eine Gewerkschaft der Hobos genannten Wanderarbeiter*innen, die auch immer wieder von Polizei und Privatmilizen verjagt und kriminalisiert wurden. Doch Parker kritisiert das Management nicht w gen der Vertreibung der Armen, sondern dafür, dass nicht allen Bettelnden konsequent Hausverbot erteilt wurde. Diese Geschichte zeigt, wie schnell man sich in den unterschiedlichen Unterdrückungsverhältnissen verheddern kann. Peter Nowak

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