Heute geht es vielen linksliberalen Initiativen und politischen Gruppen eher darum, Sprache und Begriffe als Verhältnisse zu verändern. Zu den Unwörtern des Jahres

Unangemessene Wörter…

Dass trotz der deutschen Geschichte ganz unbefangen von einem Lager gesprochen wird, wenn es darum geht, Menschen an einen räumlich bestimmten Ort festzusetzen, könnte ein guter Grund sein, "Quarantänelager" als Kandidat für das Unwort 2021 zu machen. Oder man verzichtet besser überhaupt darauf, vermeintlich unangemessene Wörter anzuprangern und konzentriert sich auf die Kritik an unangemessenen gesellschaftlichen Verhältnissen.

Heute geht es vielen linksliberalen Initiativen und politischen Gruppen eher darum, Sprache und Begriffe als Verhältnisse zu verändern. Das Benennen von Unwörtern des Jahres durch eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten gehört zu diesem Szenario. Vor wenigen Tagen wurden als Unwörter des Jahres 2020

…. „Coronadiktatur“ und „Rückführungspatenschaften“ vergeben. 

Kritik an unangemessen Wörtern

Man kann sagen, dass es sich hier bei der Jury um das linksliberale Gegenstück zur konservativen Gesellschaft für Deutsche Sprache handelt, die seit Jahren gegen Fremdwörter, vor allem aus der englischen Sprache, kämpft. Es ist kein Zufall, dass das erste Unwort 1991 vergeben wurde. Damals gab es weder die AfD noch Pegida, doch die programmatischen Auseinandersetzungen und die rassistischen Anschläge vor Flüchtlingsheimen sorgten für eine gesellschaftliche Debatte über die rechte Gefahr. 

Damals gab es bereits auch schon die Tendenz, statt über gesellschaftliche Zustände über Wörter und Begriffe zu reden. Angeblich gefährliche Wörter wurden also schon zum Gegenstand linksliberaler Bearbeitung, als das Internet noch eine untergeordnete Rolle spielte. 

Natürlich ist die Frage berechtigt, ob es überhaupt Sinn macht, unangemessene Wörter zu markieren, indem man sie zum Unwort des Jahres und damit vielleicht noch bekannter macht als vorher. Zudem sind die unangemessenen Verhältnisse nicht beseitigt, wenn man sich auf die Kritik an gefährlichen Wörtern fokussiert. 

Gute Wahl: „Rückführungspatenschaft“?

Der Begriff „Rückführungspatenschaft“, der der Jury 42 Mal vorgeschlagen wurde, ist auf den ersten Blick als Unwort gut gewählt. Damit wird ein 2020 von den EU-Staaten beschlossener Mechanismus bezeichnet. Regierungen von EU, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen ihren Beitrag zur europäischen Abschottungspolitik leisten, indem sie die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Flüchtlinge übernehmen. 

Die Jury begründete die Wahl dieses Unworts damit, dass ein positiv besetzter Begriff wie „Patenschaften“ im Zusammenhang mit einer auf Abschiebung basierenden Politik gebracht werde. Doch die EU-Flüchtlingspolitik wird nicht adäquat kritisiert, wenn man moniert, hier würde ein positiver Begriff zweckentfremdet. 

Grundlage des von den EU-Staaten beschlossenen EU-Mechanismus ist die Prämisse, Geflüchtete zwangsweise bestimmten Ländern zuzuweisen, ohne nach deren Wünschen und Zielen zu fragen. Die Solidarität, die die Mehrheit der EU-Staaten von den rechtskonservativen Migrationsgegnern aus Polen und Ungarn einfordern, ist die Kumpanei bei der Entrechtung von Geflüchteten. 

„Corona-Diktatur“ – ein unangemessenes Wort?

Auch die Entscheidung, den Begriff „Corona-Diktatur“ zum zweiten Unwort des Jahres 2020 zu machen, wirft Fragen auf. Die Jury-Vorsitzende begründete die Auswahl damit, dass mit diesem Begriff die regierungspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie von den Querdenkern und Rechtsextremen diskreditiert würden. 

Wenn dann noch argumentiert wird, in Deutschland seien, anders als in autoritären Systemen, Demonstrationen der Corona-Maßnahmenkritiker erlaubt gewesen, verfängt sich die Jury endgültig in den Fallstricken der Realpolitik. Von Mitte März bis Mai 2020 waren in fast allen Bundesländern mit Ausnahme von Bremen Versammlungen verboten. Auch ab August gab es Demonstrationsverbote, die teilweise von Gerichten gekippt wurden. 

Zudem fällt auf, dass die linksliberale Jury fälschlicherweise den Eindruck erweckt hat, dass Demonstrationen vom Staat erlaubt werden. Grundrechteorganisationen machen mit Recht immer wieder darauf aufmerksam, dass man in Deutschland keine Erlaubnis braucht, um zu demonstrieren. Auch formal nicht angemeldete Demonstrationen stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts. Zudem wurde der polemische Begriff „Corona-Diktatur“ auch nicht nur im rechten und irrationalen Spektrum, sondern auch von nichtrechten Initiativen wie der Koordinierungsstelle Demokratischer Widerstandverwendet. 

„Triage“ oder „Quarantänelager“

Wenn man ein Unwort im Corona-Zeitalter hätte finden wollen, hätte man beispielsweise „Triage“ wählen können, einen Begriff, der aus der Militärmedizin in die Alltagssprache eingewandert ist. Dass der Begriff „Quarantänelager“ nicht berücksichtigt wurde, kann man der Jury nicht vorwerfen. Denn, dass in Sachsen ein solches Quarantänelager für sogenannte Quarantäneverweigerer eröffnet wurde, geschah erst vor kurzem. 

Dass trotz der deutschen Geschichte ganz unbefangen von einem Lager gesprochen wird, wenn es darum geht, Menschen an einen räumlich bestimmten Ort festzusetzen, könnte ein guter Grund sein, „Quarantänelager“ als Kandidat für das Unwort 2021 zu machen. Oder man verzichtet besser überhaupt darauf, vermeintlich unangemessene Wörter anzuprangern und konzentriert sich auf die Kritik an unangemessenen gesellschaftlichen Verhältnissen. Peter Nowak